Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Andenregion Linksschwenk bei Parlamentswahl in Kolumbien

Welche Erwartungen weckt der mögliche Sieg des progressiven Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen am 29. Mai in der kolumbianischen Linken? – Fünf Interviews

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Elias Korte,

Der linke Präsidentschaftskandidat Gustavo Petro spricht beim Wahlkampfabschluss in  Bogotá, Kolumbien (22.5.2022). IMAGO / NurPhoto / Sebastian Barros

Am 29. Mai wählen die Kolumbianer*innen einen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin. In den Umfragen liegt der linke Kandidat Gustavo Petro mit seiner Vizepräsidentschaftskandidatin, der afrokolumbianischen Aktivistin Francia Márquez, vorne.

Elias Korte ist Praktikant bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Kolumbien. Während seines sozialwissenschaftlichen Studiums beschäftigte er sich ausführlich mit dem kolumbianischen Friedensprozess.

Schon bei den Parlamentswahlen am 13. März hatte sich das Kräfteverhältnis nach links verschoben. Petros Linksbündnis Pacto Histórico (Historischer Pakt) hat dabei sowohl bei den Wahlen für den Senat als auch für die Abgeordnetenkammer die meisten Stimmen erhalten. Ein Ende der Macht der traditionellen rechtsliberalen bis extrem rechten Parteien bedeutet der Schwenk allerdings nicht. Diese haben zusammengenommen weiterhin eine Mehrheit auf nationaler Ebene. Besonders in einigen ländlichen und konfliktgeprägten Regionen sichern klientelistische Strukturen nach wie vor ihre Dominanz. Auch wegen dieser Strukturen ist ungewiss, ob Petro in der ersten Runde die absolute Mehrheit erreichen kann. In einer wahrscheinlichen Stichwahl am 19. Juni besteht die Gefahr, dass sich alle traditionellen Kräfte hinter dem Kandidaten der Rechten vereinen, um einen Sieg von Petro zu verhindern.

Schon jetzt zeichnet sich eine Polarisierung zwischen dem in Umfragen – zuletzt bei Invamer 43,6 Prozent - vorne liegenden Linkskandidaten Gustavo Petro und seinem Herausforderer Federico Gutiérrez (27,7%), der von dem politischen Lager des extrem rechten Ex-Präsidenten Álvaro Uribe unterstützt wird, ab. Klar ist: Für Petro würde es nach einem möglichen Wahlsieg eine Herausforderung werden, eine Mehrheit im Parlament für seine Reformvorhaben zu finden. Die Mehrheitsverhältnisse sind nicht eindeutig.

Für den Ausgang der Präsidentschaftswahlen ist die Wahlbeteiligung besonders relevant. Es ist offen, ob - wie 2016 beim Referendum über das Friedensabkommen - eine auf dem Schüren von Ängsten aufbauende Kampagne des Kandidaten Federico Gutiérrez oder das «Konzept Hoffnung» von Gustavo Petro mehr Wähler*innen mobilisiert. Angesichts der Polarisierung ist für die Präsidentschaftswahlen eine höhere Wahlbeteiligung zu erwarten als bei den Parlamentswahlen. An diesen beteiligten sich weniger als die Hälfte der Wahlberechtigten, wobei es immer noch die zweithöchste Wahlbeteiligung der kolumbianischen Geschichte war.

Nach fast vollständiger Auszählung der Stimmen kommt der Pacto Histórico auf 20 der 108 Sitze im Senat. Es folgen gleichauf die Konservativen und Liberalen mit je 15 Sitzen, gefolgt von der Uribe-Partei Centro Democrático (Demokratisches Zentrum) und der Alianza Verde (Grüne Allianz). Obwohl der Pacto Histórico auch bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer die meisten Stimmen erhielt, erreichte die Liberale Partei hier aufgrund des Wahlsystems die meisten Sitze. Auch in den curules de paz (Friedenswahlkreise), mit denen das kolumbianische Wahlsystem den Opfern des bewaffneten Konflikts 16 Parlamentssitze garantiert, steht eine Mehrheit der Abgeordneten dem Pacto Histórico nahe. Ebenfalls kann eine mögliche Regierung Petro und Márquez auf die Unterstützung der Abgeordneten von Comunes setzen, der aus den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens (FARC) hervorgegangenen Partei. Teile der Grünen und Liberalen unterstützen Petro ebenfalls.

Die Auszählung war von Betrugsvorwürfen begleitet worden. Gegenüber dem Ergebnis aus der Wahlnacht konnte die Linkskoalition des Pacto Histórico ihr Ergebnis um etwa eine halbe Million Stimmen ausbauen und die Anzahl ihrer Senatssitze von 15 auf 20 steigern. Laut der Vorauszählung am Wahlabend hatte die Koalition in nahezu 30.000 der 112.000 Stimmbezirke keine einzige Stimme erhalten. Auch Stimmen anderer Parteien, vor allem des alternativen Spektrums, waren in der Wahlnacht nicht übermittelt worden und sie konnten ihr Endergebnis verbessern. Insgesamt tauchten bei der endgültigen und rechtsgültigen Stimmauszählung fast eine Million Stimmen auf, die vorher nicht gezählt worden waren. Umgekehrt verhielt es sich bei den traditionellen Parteien, die in der Vorauszählung stärker abschnitten und dann in Folge Stimmen und teils auch Parlamentssitze verloren.

In den folgenden Interviews sprechen wir mit Personen aus verschiedenen Spektren der kolumbianischen Linken über das Wahlergebnis, die Aussichten für die Präsidentschaftswahl und ihre Erwartungen an eine mögliche progressive Regierung.