Nachricht | Westafrika «Man muss langfristig arbeiten, damit die Revolution geboren werden kann!»

Josiane Tiendrébéogo über die aktuelle politische Situation in Burkina Faso

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Josiane Tiendrébéogo
Josiane Tiendrébéogo in Abidjan, Côte d’Ivoire, bei einer Konferenz zu Feminismus, organisiert von dem Westafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Interview von Franza Drechsel.

Im Januar 2022 gab es einen Militärputsch in Burkina Faso. Josiane, wie konnte es dazu kommen?

Die Regierung unter Roch Marc Christian Kaboré arbeitete zunehmend gegen die Bevölkerung. Wenn es Demonstrationen und Proteste gab, reagierte die Regierung nur mit Repression. Sie nutzte die schwierige Sicherheitslage angesichts des Terrorismus, um das Internet abzuschalten, Freiheiten einzuschränken und das Volk mundtot zu machen. Es war nicht mal mehr erlaubt, sich zu versammeln! In aller Kürze: Die Regierung war immer volksfeindlicher mit einer Tendenz zur «Faschisierung». Die Pandemie und auch der Terrorismus dienten dabei als Vorwand. Die Burkinabè waren sich dieser Missstände bewusst!

Und dann putschte das Militär.

Josiane Tiéndrébéogo ist seit mindestens 2010 Aktivistin der Organisation Démocratique de la Jeunesse du Burkina (ODJ), einer Partnerorganisation der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Sie ist verantwortlich für die Mobilisierung von Frauen. Beruflich hat Josiane einen Doktor in Genetik und Pflanzenzüchtung und arbeitet an der Ernährungsresilienz der Bevölkerung.

Ja. Und darauf gab es unterschiedliche Reaktionen. Bestimmte Schichten der Burkinabè klatschten Beifall, weil sie Erwartungen an das neue Militärregime hatten, das sich etablierte, um die chaotische Sicherheitslage in den Griff zu bekommen. Sie hegten die Hoffnung, dass die Militärregierung endlich etwas ändern würde. Für andere war der Moment gekommen, dass die politischen Karten neugemischt wurden – sie hofften auf einen guten Posten. Im Allgemeinen glaube ich jedoch, dass der revolutionäre Elan der Bevölkerung, die für einen tiefgreifenden Wandel kämpfte, von den Putschisten abgeschnitten wurde. Es gab Rufe nach einem radikalen Wandel, nach einer Befreiung der Bevölkerung. Die Zuspitzung der erlebten Krise hatte den Keim gesät und das Bewusstsein dafür geweckt, dass es nötig ist, für einen echten Wandel zu kämpfen. Und die Menschen spürten, dass dieser kommen würde. Gleichzeitig war der Volksaufstand vom Oktober 2014 der Beweis dafür, dass alles möglich ist. Leider gab es dieses Mal statt großer Proteste oder Aufstände den Putsch.

Ist der Putsch in deinen Augen der Beginn von etwas Neuem?

Nun, es gab einige, die das Kaboré-Regime satthatten, die also dachten, dass der Putsch eine neue Ära einleitet. Aber ein Großteil der Burkinabè, die Progressiven, glauben das nicht. Viele derjenigen, die in den ersten Stunden des Putsches applaudiert haben, sind bereits enttäuscht.

Auf welcher Seite stehst du - wie beurteilst du den Putsch?

Als Mitglied einer Massenorganisation, der Organisation Démocratique de la Jeunesse du Burkina Faso, kurz ODJ, glaube ich nicht, dass ein Putsch eine Lösung für die Probleme des Volkes ist. Haben diese Putschisten ein Gesellschaftsprojekt, eine Vision, wie das Land verwaltet werden soll, oder wie es aus dem Joch des hauptsächlich französischen Imperialismus befreit werden kann? Es muss mehr passieren als nur ein Regierungswechsel!

Du glaubst also nicht, dass diese Regierungsveränderung viel bringen wird?

Viele Teile Burkina Fasos sind geprägt von Unsicherheit. Deshalb haben wir momentan eine Million Binnenvertriebene! Die meisten von ihnen sind Landwirt*innen. Der Terrorismus stellt eine große Bedrohung für die Ernährungssicherheit dar, da das Land nicht mehr zugänglich ist: Wenn die, die noch in den Dörfern leben, zu ihren Feldern gehen wollen, werden sie getötet. Militärs und Zivilist*innen zahlen einen hohen Tribut an Opfern und die Regierung unternimmt nichts, um dies zu ändern. Islamistische Bewegungen kontrollieren bestimmte Regionen und regieren dort nach ihren eigenen Gesetzen. Massaker und Vertreibungen werden immer häufiger. Ist das der Wandel, der dem burkinischen Volk vorschlagen wird?

Aber bist du der Meinung, dass man von der Übergangsregierung kleine Schritte erwarten kann? Beispielsweise wurde 2015, während der letzten Übergangsperiode, nachdem das Volk 2014 den ehemaligen Präsidenten Blaise Compaoré absetzen konnte, ein recht fortschrittliches Bergbaugesetz verabschiedet.

Angesichts der aktuellen Situation erwarte ich nicht viel. Diejenigen, die in der Übergangs-Nationalversammlung sitzen, haben keine gemeinsamen Ziele. Ich glaube nicht, dass man Wunder vollbringen kann, wenn ein paar Leute zusammenkommen, von denen man glaubt, dass sie die Zivilgesellschaft, die treibenden Kräfte oder die Jugend repräsentieren. Wie sieht deren Gesellschaftsentwurf aus? Werden ihre Vorschläge berücksichtigt oder geht es nur darum, die unpopulären Maßnahmen zu legitimieren, die eingeführt werden sollen, um das Volk zu knebeln? Es sind sogar ehemalige Mitglieder aus der Riege von Compaoré wiedergekommen – was werden sie Neues bringen? Wir müssen wachsam bleiben: Die Situation kann zu einem Rückschlag führen!

Was ist mit dem Minister für den öffentlichen Dienst, Arbeit und Sozialschutz, Bassolma Bazie? Er war viele Jahre lang Generalsekretär dem Dachverband der Gewerkschaften (Confédération Générale du Travail du Burkina, CGT-B). Glaubst du, dass er etwas bewirken kann?

Das wurde hier viel diskutiert. Bassolma hat sich sehr für die Arbeitnehmer*innen engagiert, er kennt ihre Bedürfnisse und legitimen Forderungen. Wir dürfen also hoffen. Ich persönlich hoffe, dass er die Berge zugunsten der arbeitenden Massen in meinem Land versetzen kann. Aber aus meiner kleinen Erfahrung mit Kämpfen weiß ich, dass individualistische Impulse manchmal trotz aller Willenskraft und Entschlossenheit einer*s Einzelnen gegenüber einem Regierungssystem erfolglos bleiben.

Könnte die CGT-B ihn bei seinem Kampf innerhalb des Systems unterstützen?

Im Allgemeinen glaube ich, dass eine Massenbewegung, zu der auch die CGT-B gehört, mehr erreicht als ein Einzelkämpfer. Der Beweis dafür ist, dass die heutigen Errungenschaften hart von unten erkämpft wurden, auch wenn einige nicht umgesetzt oder in Frage gestellt werden. Es ist allerdings sehr wichtig, dass wir zwischen der Person Bassolma und der CGT-B als Organisation unterscheiden! Denn Menschen können zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Geschichte die Ideale einer Organisation übernehmen, aber das kann sich ändern. Die Stärke der CGT-B beruht auf allen Arbeitnehmer*innen, das heißt Mitglieder, Aktivist*innen und Sympathisant*innen. Daher meine Frage: Was bedeutet eine Aufforderung zu streiken, wenn es an der Basis keine Aktivist*innen gibt, die sie umsetzen? Eine große Organisation wie die CGT-B muss ihren Weitblick, ihre Richtung und ihre Ideologie bewahren, um aus den Kämpfen, die sie für die Arbeitnehmer*innen führt, groß und siegreich hervorzugehen. Aber: Ich gebe nur meine persönliche Analyse der Situation wieder.

Was ist die Antwort von ODJ, der Organisation in der du aktiv bist, auf den Putsch?

Man muss langfristig arbeiten, damit die Revolution geboren wird; damit eine Grundlage gelegt ist, die gesamte Gesellschaft zu verändern. Im Moment ist die Mehrheit der Bevölkerung müde angesichts leerer Versprechungen und der anhaltenden Ausbeutung. Die Menschen wollen echte Veränderung sehen. Wenn also nichts passiert, werden die Burkinabè aufstehen und wieder aufstehen. Ich glaube, dass der revolutionäre Geist noch da ist. Man muss ihn nähren, die Bevölkerung ausbilden, an der Bewusstseinsbildung arbeiten, um zu analysieren, woher die tatsächlichen Probleme Burkinas kommen.

Und was ist eine konkrete Antwort?

Wir arbeiten weiter daran, ODJ in allen Landesteilen aufzubauen und die Organisation in der gesamten Bevölkerung zu etablieren. In diesem Rahmen organisieren wir Binnenvertriebene, insbesondere Frauen, wie es in Kongoussi der Fall ist. Die vertriebenen Frauen dort haben nichts zu tun. Dank unserer Arbeit schließen sie sich zusammen und engagieren sich in kleinen Initiativen, in denen sie Know-how für den Lebensunterhalt erlernen. Ein weiteres aktuelles Projekt ist die Unterstützung von Binnenvertriebenen bei der Selbstorganisation. Oftmals erreicht die offizielle Hilfe nicht diejenigen, die sie benötigen. Daher findet nun eine gewisse selbstorganisierte Überwachung statt, die nicht nur bedeutet, dass Menschen an Essen kommen, sondern auch das Bewusstsein der Vertriebenen schärft. Die Solidarität innerhalb unserer Struktur bleibt sehr lebendig. Darum haben wir diese Solidarität rund um die Genoss*innen, die sich in Schwierigkeiten befinden, entwickelt und gefördert.