Bericht | Stadt / Kommune / Region Digital Distanzen überwinden

Möglichkeiten und Erfahrungen online-basierter Seminarangebote in der kommunalpolitischen Bildung

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Autor

Nils Merten,

Zoom-Meeting auf Laptop. Die Bilder sind nur verschwommen erkennbar.
Foto: Chris Montgomery via unsplash

Die Corona-Pandemie und ihre Auswirkungen haben auch die politische Bildungsarbeit auf den Kopf gestellt. Zwar gab es bereits vor dem Jahr 2020 vielfache digitale Angebote und Projekte, doch kam die Digitalisierung der Bildung vielerorts nicht in dem Maße voran, wie man bei Ausbruch der Corona-Pandemie auf sie angewiesen war. Von einem Tag auf den anderen konnte die Bildungsarbeit nicht mehr in der Form stattfinden, wie man es über viele Jahre gewohnt war. Insbesondre der (Teil-)Verlust von direkter sozialer Interaktion stellte uns vor große Herausforderungen. Gerade die emanzipatorische politische Bildung ist doch ein Lernen in sozialen Beziehungen. Seminare sind dabei viel mehr der Erfahrungsraum eines gemeinsamen und zugleich selbstbestimmten Lernens, als nur bloßer Ort von Informationsaneignung. Dieses Abhandenkommen analoger, unvermittelter sozialer Praxis konnte durch die zahlreichen und zweifelsohne oft sehr guten digitalen Alternativen nicht vollends kompensiert werden. Doch haben wir - wie es Krisen so mit sich bringen - aus Erkenntnissen dieser, neue Ansätze und Formate entwickeln können, die uns auch weit über die Ausnahmesituation hinaus in unserer Bildungsarbeit stärken werden. Mit unseren Erfahrungen digitaler Bildungsangeboten verband sich nicht allein Verlust, sondern vielfach auch ein Gewinn.

Bericht aus dem Stiftungsbüro in Niedersachsen

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung Niedersachsen arbeitet seit vielen Jahren schwerpunktmäßig zur kommunalpolitischen Bildung. Wir können dabei auf eine große Zahl von Seminaren, Vorträgen, Workshops und Konferenzen mit vielen hunderten Teilnehmer*innen zurückblicken. Die kommunalpolitische Bildung ist auch nach außen hin als inhaltlicher Schwerpunkt erkennbar und wird – zumindest im weiteren linken, politischen Feld – inzwischen auch mit der RLS als Anbieterin identifiziert.

Nils Merten ist stellv. Büroleiter der RLS in Niedersachsen und arbeitet schwerpunktmäßig zu kommunalpolitischen Bildungsangeboten.

Im Jahr 2021 stand unsere Arbeit hierzu im Zeichen der Kommunalwahlen im Spätsommer. Bereits ab 2020 haben wir mit unserer Seminarreihe «STADT. LAND. LINKS. Grundlagen solidarischer Kommunalpolitik» Menschen ermutigen wollen, sich aktiv vor Ort in die kommunalen Belange einzubringen und das Leben in den Städten und Gemeinden von links mitzugestalten. Die gemeinsam mit dem Linken Kommunalpolitischen Forum Niedersachsen e.V. erarbeitete Reihe war ursprünglich in Präsenz geplant und startete als solche auch bis in den Dezember 2020 hinein. Aufgrund der Pandemiesituation wurde das Angebot Anfang 2021 in ein rein digitales Format überführt. Diese Entscheidung fiel uns nicht leicht, war jedoch aufgrund der fehlenden Planungssicherheit der einzige Weg, der hohen Nachfrage an Seminaren bis zum Sommer nachkommen zu können. Da unsere eigenen Erfahrungen mit dem Konzipieren komplett digitaler Angebote bis dahin überschaubar waren, setzte die Umstellung einen intensiven Vorbereitungsprozess voraus.

Die Durchführung digitaler Seminare

Die digitale Seminarreihe selbst startete Anfang März und wurde über die Software ZOOM gehostet. Das Angebot umfasste als Kurs angelegt zwei Tagesseminare und wurde auf Nachfrage dezentral in Niedersachsen durchgeführt. Da die Aufnahme- und Konzentrationsfähigkeit der Teilnehmenden vor einem Computer deutlich geringer ist als bei einem Präsenzseminar, haben wir die Dauer eines Tagesseminars auf fünf Stunden begrenzt und eine einstündige Mittagspause festgelegt. Die einzelnen Themenblöcke wurden in 45-60-minütigen Einheiten angeboten, wobei wir auf Methodenvielfalt achteten. Insgesamt war uns wichtig, wohl unserer eigenen anfänglichen Skepsis gegenüber längeren Online-Formaten geschuldet, die Seminare abwechslungsreich und auch lebhaft zu gestalten sowie viel Raum zu bieten, bei dem sich die Teilnehmenden selbst einbringen konnten. Auf frontale Vorträge mit klassischer Präsentation haben wir möglichst zu verzichten versucht. Stattdessen gab es im Wechsel Gruppen- und Kleingruppenarbeiten, Arbeiten mit und an digitalen Pinnwänden, kurze Videoclips sowie Feedback-Runden in Echtzeit. Die Teilnehmenden konnten so beispielsweise eine Akteur*innen-Analyse des politischen Umfelds in ihrer Gemeinde erstellen oder den Fahrplan einer kommunalpolitischen Kampagne erarbeiten.
Da der zeitliche Umfang des Seminars von 16 Stunden als Präsenz- auf 10 Stunden als Online-Format reduziert wurde, mussten wir bestimmte Inhalte aus dem Ablauf herauszunehmen. Wir entschieden uns dazu, über die Cloud der RLS eine Art Lernplattform für die Teilnehmenden einzurichten. In verschiedenen Ordnern hinterlegten wir themenspezifische Bildungs- und Informationsmaterialien, bspw. Ausgaben aus der Reihe «Crashkurs Kommune» als PDF zum kostenlosen Download, erstellten eigene Lernvideos mit Kurzvorträgen, sammelten weiterführende Publikationen sowie hilfreiche Hinweise und Dokumente. Die Teilnehmenden konnten sich so zwischen den Seminartagen eigenständig in die Inhalte einzuarbeiten und sich mit ihnen auseinanderzusetzen. Für Rückfragen standen die Referent*innen natürlich zur Verfügung.

Durchweg positives Feedback

Trotz anfänglicher Bedenken unsererseits gegenüber einem rein digitalen Angebot, wurde schon im ersten Kursdurchgang im März klar, dass das Konzept nicht nur anwendungsfähig war, sondern auch zu überzeugen wusste. Das mündliche, aber auch schriftliche Feedback der Teilnehmenden (anonym via Padlet) war sehr positiv und ermutigend. Im Rahmen der Seminarreihe konnten wir im Jahr 2021 insgesamt 14 Tagesseminare und somit 7 Kurse durchführen, womit wir deutlich über 100 Teilnehmende erreichen konnten. Der Erfolg digitaler Bildungsangebote ist allerdings nicht allein von Methoden und Technik abhängig. Wichtig erweist sich auch die Bereitschaft der Referent*innen, sind auf die technischen Möglichkeiten einzulassen, sie anwenden zu können und zu wollen. Es auch eine Frage der Haltung und der individuellen Kompetenz der Referierenden mit dem Erfolg verbunden.

Neue Zielgruppen erreichen durch Online-Veranstaltungen?

Bemerkenswert bei der Zusammensetzung der Teilnehmenden war, dass die große Mehrheit aus kleinen Gemeinden in eher ländlich geprägten Räumen kam. Genau diese Zielgruppe war für uns bisher mit Präsenzveranstaltungen nur schwer zu erreichen. Niedersachsen ist nach Bayern das zweitgrößte Flächenland Deutschlands und durch die Abwesenheit großer Ballungszentren geprägt. Diese periphere Struktur und die weitläufige Zersiedlung in Teilen Niedersachsen stellt Teilnehmende und Veranstaltende immer wieder vor große Herausforderungen. Die Entfernungen und Distanzen zu Veranstaltungsorten sind teils erheblich, die verkehrstechnische Anbindung oft mangelhaft und die Nutzbarkeit des Öffentlichen-Personen-Nahverkehrs grade am Wochenende nicht selten eine Zumutung.

Seit einigen Jahren bereits, beschäftigt sich die RLS Niedersachsen mit der Frage, wie man verstärkt Menschen in ländlichen Räumen erreichen und aktivieren kann. Mit der Erarbeitung und Nutzung von digitalen Seminarangeboten konnten wir hier einen erheblichen Fortschritt erzielen. Dieses Ergebnis war von uns in dieser Form zuvor nicht erwartet worden, sondern stellte sich als ein Effekt heraus. Bereits bei den ersten Kursen wurde in den gemeinsamen Auswertungsrunden durch vielfache Beiträge der Teilnehmenden deutlich, wie viel komfortabler eine digitale Partizipationsmöglichkeit sein kann. Statt in aller Frühe eine Tagesreise durch das halbe Bundesland antreten zu müssen, konnten die Teilnehmenden morgens noch einkaufen gehen und im Anschluss am Nachmittag Unternehmungen mit Familie oder Freund*innen anstellen. Allein die digitale Infrastruktur und insbesonders die Internetzugänge brachten hin und wieder Probleme mit sich, die jedoch überbrückt werden konnten. Der Wegfall längerer Fahrzeiten hingegen wurde durchaus als ein Gewinn an Lebensqualität gewertet.

Die Erfahrungen, die wir aus diesem Projekt ziehen konnten, haben uns ausdrücklich ermutigt, weiterhin mit digitalen Angeboten zu arbeiten. Selbstverständlich werden auch Präsenzseminare wieder ihren Platz im Bildungsprogramm der RLS Niedersachsen einnehmen. Die Chancen und Möglichkeiten, die sich aus der digitalen Bildungsarbeit ergeben, werden wir jedoch auch über die Pandemie-Zeit hinaus für uns und die Teilnehmenden nutzen. Ein Folgeprojekt in Form eines regelmäßigen, kommunalpolitischen Vernetzungstreffens für Aktive aus ganz Niedersachsen ist bereits zu Beginn des Jahres 2022 erfolgreich gestartet und erneut gibt es eine sehr hohe Beteiligung von Personen aus kleineren Städten und Gemeinden. Dies zeigt unser vorheriges Resümee zu bestätigen.