Medienberichten zufolge hat die «Direction générale des élections (DGE, Wahlbehörde des senegalesischen Innenministeriums) nach Prüfung der Unterstützungsunterschriften durch den für den Empfang der Kandidaturen zuständigen Ausschuss acht Wahllisten von Parteien und Parteienbündnissen zugelassen». Von 25 eingereichten Kandidaturen wurden sieben wegen fehlender Unterschriften abgelehnt. Akzeptiert wurden Listen von Bokk Gis-Gis, Benno Bokk Yakaar (das Präsidentenbündnis), Alternatives pour une Assemblée de rupture (AAR), Yewwi Askan Wi, Naatangué Sénégal, Wallu Sénégal, Union citoyenne Bunt Bi und Les Serviteurs. Nach der Kontrolle der Unterstützungsunterschriften prüfte die DGE die rechtliche Zulässigkeit der antretenden Listen und lehnte daraufhin weitere ab. Die Betroffenen fochten diese Entscheidungen anschließend vor dem Verfassungsrat, dem senegalesischen Obersten Gerichtshof, an.
Bruno Sonko ist Projektmanager des Regionalbüros Westafrika der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Derzeit «spitzt sich die politische Lage im Senegal zu», da der «Verfassungsrat […] die Klage des größten Oppositionsbündnisses ‹Yewwi Askan Wi› gegen die Entscheidung des Innenministeriums, ihre landesweite Liste [an Hauptkandidat*innen] nicht zur Wahl zuzulassen, als unzulässig ablehnte». Zugelassen wurde nur die eingereichte Liste der weniger bekannten stellvertretenden Kandidat*innen. Mit dieser Entscheidung werden «mehrere prominente Oppositionelle ausgeschlossen, darunter Ousmane Sonko», der Vorsitzende der Partei Pastef. Er wurde bei den Präsidentschaftswahlen 2019 Dritter und wird vor allem von vielen jungen Senegales*innen als Hoffnungsträger gesehen. Auch die Vergewaltigungsvorwürfe sowie weitere Vorwürfe von Seiten der Regierung, gegen die sich Sonko wehrt, änderten daran nichts; sie werden von der Mehrheit der Senegales*innen als politischer Komplott gegen den starken Oppositionellen gewertet. Neben dem politischen Schwergewicht kamen auch andere Bündnisse und Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Gründen nicht zum Zug, darunter vor allem Bougane Guèye Dani, dessen Wahlbündnis Guem Sa Bop die Behörden zum wiederholten Male ablehnten.
Der Ausschluss der wichtigsten Oppositionsführer*innen wirft einige Probleme auf. Professor Maurice Soudeck Dione fasst sie folgendermaßen zusammen:
«Natürlich werden die Wahlen manipuliert, denn eigentlich sollten das Wahlrecht, das Wahlverfahren und die formaljuristischen Erwägungen einzig dazu dienen, die Wahlen so gut wie möglich auszugestalten, damit sich der Wille des Volkes möglichst genau und ehrlich ausdrücken kann. Wenn das Verfahren aber selbst schon ein Hindernis darstellt, ist das für die Demokratie ein ziemlicher Schlag. Denn im Recht hängt das Schicksal der Nebensache von dem der Hauptsache ab … Das aktuelle Geschehen vermittelt den Eindruck, dass die Spielregeln geändert wurden. Dabei bestand bezüglich der Glaubwürdigkeit der Wahlen schon immer ein Misstrauen gegenüber der Verwaltung. Dieses Problem ist bei den Kommunalwahlen 1996 schon einmal aufgetreten. Wir konnten es damals mit der Gründung der Wahlaufsichtsbehörde Onel (Observatoire national des élections) und der Ernennung eines parteilosen Innenministers beheben. Jetzt scheint das senegalesische Wahlsystem um 25 Jahre zurückzufallen. Das können wir nur schwer begreifen.»
Die meisten Wahlexpert*innen des Senegals stimmen dieser Einschätzung zu. Professor Ngouda Mboup meint etwa, der Verfassungsrat hätte auch die Regierungsliste Benno Bokk Yakaar für unzulässig erklären müssen, weil sie gegen die Vorschriften des Wahlgesetzes verstoße, insbesondere hinsichtlich der vorgeschriebenen Geschlechterparität.
Die Organisationen der Zivilgesellschaft, die die Wahlen beobachten, halten sich absichtlich oder unabsichtlich bedeckt, mit Ausnahme einiger prominenter Figuren wie Alioune Tine, Leiter des Think Tanks Afrikajom Center. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen haben allen Grund, sich über die Opposition und vornehmlich Ousmane Sonko zu ärgern, der sie teils scharf kritisierte (ohne sie jedoch namentlich zu nennen): sie seien dem Präsidenten und seiner Parlamentsmehrheit allzu willfährig gewesen.
Doch die Opposition ruft anlässlich der Parlamentswahlen landesweit zu Demonstrationen gegen diese Zurückdrängung der Demokratie auf. Denn es gibt zahlreiche Beanstandungen hinsichtlich der bevorstehenden Parlamentswahlen. Im Fokus stehen unter anderem die Regelungen zu den Unterstützungsunterschriften, Verstöße gegen die paritätisch zu besetzenden Wahllisten und die Fristen für die Einreichung der Kandidaturen. Es ist fraglich, ob die Wahlen tatsächlich stattfinden werden oder, wie gemutmaßt wird, wegen drohender Gewalt verschoben werden müssen. Bisher weisen die Regierungsparteien alle Anschuldigungen der Wahlmanipulation von sich und fordern mehr Respekt für den Verwaltungs- und Justizapparat ein.
Unterstützungsunterschriften: Streit zwischen Opposition und Regierung
Regierung und Opposition sind sich in vielerlei Hinsicht uneins. Insbesondere die Vorschriften zu den Unterstützungsunterschriften sorgen für Spannungen. Trotz heftiger Kritik der Opposition, führten die Regierungsparteien vor den Präsidentschaftswahlen 2019 die Pflicht ein, vor der Zulassung einer Partei zur Wahl Unterschriften zu sammeln. Dafür wurde das senegalesische Wahlgesetz geändert, das nun folgendermaßen lautet: «Eine Kandidatur für die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen durch eine rechtmäßig eingetragene politische Partei, ein Bündnis rechtmäßig eingetragener politischer Parteien oder einen Zusammenschluss parteiloser Personen muss vor ihrer Zulassung von einer Liste von Wahlberechtigten unterstützt werden» (Artikel L.57 des senegalesischen Wahlgesetzes). Diese Änderung trat erst neun Monate vor den Präsidentschaftswahlen 2019 in Kraft. Das Gesetz regelt weiterhin, dass alle Kandidaturen bei Parlamentswahlen von 0,5 Prozent und bei Präsidentschaftswahlen von 0,8 Prozent der Wahlberechtigten unterstützt werden müssen. Bei den Parlamentswahlen müssen die Kandidat*innen also mindestens 34.580 Unterschriften sammeln, verteilt auf mindestens sieben Regionen des Landes. Dabei sind pro Region mindestens 2.000 Unterstützungserklärungen vorgeschrieben.
Das System der Unterschriftenlisten wurde von der Wirtschaftsgemeinschaft westafrikanischer Staaten (ECOWAS) abgelehnt. In einem Urteil vom 28. April stellte der ECOWAS-Gerichtshof fest, dass das für die Präsidentschaftswahlen 2019 beschlossene Verfahren «gegen das Recht auf freie Beteiligung an Wahlen verstößt». Der Urteilstenor lautete folgendermaßen:
«Das Gericht entscheidet, dass die politischen Gruppierungen und Bürger Senegals, die aufgrund der Änderung des Wahlgesetzes [im Jahr 2018] nicht zur Wahl antreten können, durch die Abschaffung der Regelungen zu den Unterstützungsunterschriften in ihren vorigen Stand wiedereinzusetzen sind, da diese Regelungen einerseits eine Behinderung des aktiven Wahlrechts im Zuge freier und geheimer Wahlen und andererseits eine ernsthafte Beeinträchtigung des passiven Wahlrechts darstellen.»
Trotzdem hält der senegalesische Staat die Vorschriften zu den Unterstützungsunterschriften auch für die Parlamentswahlen im Juli 2022 aufrecht. Die Opposition stand also erneut vor einem Dilemma: Sollte sie die Parlamentswahlen boykottieren und damit dem Präsidentenbündnis das Feld überlassen? Oder sollte sie sich mit den Fallstricken der Unterstützungsunterschriften abfinden? Sie entschied sich für die zweite Variante und wurde leider wieder ausgeschlossen oder – nach Auffassung einiger ihrer Vertreter*innen – in die Falle gelockt. Die Opposition gab sich jedoch nicht geschlagen und reichte sogar eine neue Klage beim Verfassungsrat ein. Sie wollte damit das Urteil des ECOWAS-Gerichtshofs durchsetzen, das die Regelungen zu den Unterstützungsunterschriften für ungültig erklärt hatte. Ohne Erfolg: Der Verfassungsrat wies die von Abdoulaye Tine im Auftrag der Opposition eingereichte Klage ab.
Unabhängigkeit der Justiz und der Verwaltung: ein weiterer Streitpunkt
Fundamentale Meinungsverschiedenheiten bestehen auch hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz und der Verwaltungsbehörden, die für die Organisation der Wahlen zuständig sind. Die senegalesischen Gerichte, allen voran der Verfassungsrat, sind mit ihren Entscheidungen in Wahlangelegenheiten nicht gerade auf einhellige Zustimmung gestoßen. Dasselbe trifft für die Wahlbehörden zu. Von Korruptionsverdacht über Parteinahme für die Regierungsmehrheit bis hin zu Günstlingswirtschaft und Inkompetenz reicht die Kritik an den beiden Staatsorganen und ihren Beschlüssen vor diesen und früheren Parlamentswahlen.
Wie bereits erwähnt, wurden die wichtigsten Oppositionellen zu den Parlamentswahlen am 31. Juli 2022 nicht zugelassen. Es bleibt abzuwarten, ob der Verfassungsrat die Kandidatur von Macky Sall für eine dritte Amtszeit als Präsident genehmigen wird. Die Frage einer dritten Amtszeit führt immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen, insbesondere seit der Abwahl von Abdou Diouf (1981–2000). Sein Amtsnachfolger Abdoulaye Wade hatte sich gleich zu Beginn dafür eingesetzt, die Präsidentschaft auf zwei Amtszeiten zu beschränken. Er machte dann eine spektakuläre Kehrtwende und kandidierte seinerseits ein drittes Mal. Er behauptete, das sei nicht verfassungswidrig. Zudem habe die in der Verfassung festgelegte Beschränkung auf zwei Amtszeiten noch nicht für seine erste Regierungsperiode gegolten. Als Präsident Macky Sall 2012 nach Protesten gegen Abdoulaye Wades Ansinnen, länger an der Macht zu bleiben, gewählt wurde, hatte auch er öffentlich erklärt, nach zwei Wahlzyklen nicht wieder anzutreten. Er hat sich zwar selbst noch nicht dazu geäußert, aber seine Anhänger*innen argumentieren jetzt bereits wie Wade, dass die Beschränkung auf zwei Amtszeiten erst ab der ersten Wiederwahl gelte.
Welche Strategie verfolgt die Opposition?
Die Opposition hat beschlossen, die Ungerechtigkeiten und den Autoritarismus des Regimes von Präsident Macky Sall, vor allem im Hinblick auf die jetzigen Wahlen, überall im Senegal anzuprangern. Diese Strategie umfasst eine ganze Reihe von Demonstrationen mit der Forderung, oppositionelle Listen zu den Wahlen zuzulassen. Eine erste Protestveranstaltung fand am 8. Juni statt. Sie war sehr erfolgreich und mobilisierte die Bevölkerung. Am 17. Juni sollte eine zweite Demonstration stattfinden. Diesmal verweigerte die zuständige Behörde (der Präfekt von Dakar) die Genehmigung. Das führte zu einer Welle von spontanen Protesten und zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Oppositionellen und Ordnungskräften. Leider haben infolge der Auseinandersetzungen zwei Menschen ihr Leben verloren.
Protest mit Töpfen und Pfannen: Ousmane Sonkos neueste Idee in Erwartung des Schlimmsten?
Ousmane Sonko, der für die Opposition von großer Bedeutung ist, forderte seine Anhänger*innen und die senegalesische Bevölkerung insgesamt dazu auf, am 22. Juni von 20:00 bis 20:10 Uhr auf die Straße zu gehen und lautstark mit Töpfen und Hupen zu demonstrieren. So sollten sie ihrer Unzufriedenheit mit dem Regime Luft machen. Diesem Aufruf folgte die Bevölkerung: Zahlreich gingen vorwiegend junge Menschen und Frauen auf die Straße.
Für den 29. Juni wurde zunächst zu einer weiteren Demonstration aufgerufen. Die Opposition sagte sie jedoch kurzfristig ab, weil das muslimische Tabaski-Fest für den 10. Juli vorgesehen war und dann Schulprüfungen anstanden. Stattdessen wurde für den 30. Juni ein weiterer Protest mit Töpfen und Pfannen geplant, der landesweite Ausmaße annehmen sollte. Ousmane Sonko kündigte auf einer Pressekonferenz an, dass das Bündnis Yewwi Askan Wi die Parlamentswahlen im Juli 2022 wohl doch nicht boykottieren werde. Das wird als ein Zeichen der politischen Entspannung gewertet.
Der Senegal, der bislang als eine Vorzeigedemokratie Afrikas galt und als solche von Bundeskanzler Olaf Scholz hofiert wird, ist jedoch nicht gegen eine allgemeine Instabilität immun. Im Gegenteil, die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Regime von Präsident Macky Sall wächst.