Nachricht | Geschichte - Arbeit / Gewerkschaften - Partizipation / Bürgerrechte - Südliches Afrika Marikana: Ein generationenübergreifendes Trauma

Niren Tolsi über die Trauer, Bewältigung und Würde der Familien von Marikana

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Niren Tolsi,

2014: Pastor vor der Kirche in der Hüttensiedlung Nkaneng nahe Marikana, in der 17 Bergarbeiter während eines wilden Streiks im August 2012 von der südafrikanischen Polizei erschossen wurden.
2014: Pastor vor der Kirche in der Hüttensiedlung Nkaneng nahe Marikana, in der 17 Bergarbeiter am 16. August 2012 von der südafrikanischen Polizei erschossen wurden.

Es gibt Dinge, die sich in zehn Jahren ändern: Ein paar Haufen weggeworfener Steine rund um Marikana im südafrikanischen Platingürtel sind von einer Manneshöhe zu mehr als 12-stöckige Wohnblocks angewachsen. Neue Steinbänke mit dem Aussehen von sonnengebleichten Schädeln recken sich von der Erde in den Himmel und verdeutlichen, dass mit Platinmetallen weiterhin Milliarden von Rand verdient werden. Die lauten Explosionen der weiteren Erkundungen erschüttern die Luft und die Wellblechhütten der in der Nähe lebenden Gemeinden. Minenstaub bedeckt alles.

Es gibt jedoch Dinge, die sich nicht geändert haben: Die Gewinne aus dem Bergbau finden sich nach wie vor auf den Bankkonten von Minenbesitzern wie Neal Froneman, dem Geschäftsführer von Sibanye-Stillwater. Dieser zog Anfang des Jahres den Zorn der streikenden Arbeiter in der Goldmine des Unternehmens – und das Erstaunen der meisten Südafrikaner*innen – auf sich, als öffentlich wurde, dass seine Vergütung für das Geschäftsjahr 2021-2022 bei 300 Millionen Rand lag. Die Enthüllungen kamen zu einem Zeitpunkt, als Froneman sich weigerte, einen dreimonatigen Streik in den Goldminen des Unternehmens zu beenden, in dem die Arbeiter*innen eine Erhöhung ihrer Monatslöhne um 1.000 Rand gefordert hatten. Diese Weigerung erfolgte vor dem Hintergrund, dass die Einnahmen von Sibanye-Stillwater für das Geschäftsjahr 2021-2022 um 35 Prozent auf einen Rekordwert von mehr als 170 Milliarden Rand stiegen – angetrieben durch eine 20 prozentige Steigerung der Platinmetall-Produktion der Gruppe aus Südafrika.

Niren Tolsi ist ein in Johannesburg lebender Journalist. Sein zusammen mit Paul Botes verfasstes Buch «After Marikana» wird nächstes Jahr veröffentlicht, wobei der gesamte Erlös an die Familien von Marikana geht.

Familien mit Wunden und Traumata

Im Jahr 2019 kaufte Sibanye-Stillwater den Platinbergbaubetrieb Marikana des multinationalen Unternehmens Lonmin. Sieben Jahre zuvor, 2012, hatte ein wilder Streik in der Mine – die sich in einer kleinen Stadt in der südafrikanischen Provinz North West befindet – 44 Männer das Leben gekostet. Zehn dieser Männer – streikende und nicht streikende Bergarbeiter, Sicherheitsbeamte und zwei Polizisten – wurden in der Woche vor dem Polizeimassaker getötet, bei dem am 16. August 2012 34 Bergarbeiter ums Leben kamen. Die Forderung des wilden Streiks war ein Monatsgehalt von 12.500 Rand pro Monat. Einige Arbeiter verdienten zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 4.000 Rand monatlich.

Für die Familien der in Marikana ermordeten Männer verläuft die Veränderung, ähnlich den Schwankungen des Aktienmarktes, nie geradlinig – ebenso wenig wie ihre Suche nach einem Abschluss für ihre Trauer; nach Gerechtigkeit durch die Erkenntnis, wer ihre Angehörigen getötet hat und auf wessen Befehl dies geschah, nach einer angemessenen Entschädigung für ihren Verlust und nach einer einfachen Entschuldigung seitens der Regierung und des Bergbauunternehmens, die nach wie vor aussteht.

Der achtzehnjährige Ndikho Bomela spürt dies sehr deutlich, wenn er vom Internat in der Nähe von Marikana zum Haus seines Großvaters in Lusikisiki im Ostkap zurückkehrt. Bomelas Vater, Semi Jokanisi, war einer von drei Minenarbeitern, die am 13. August 2012 bei einem Gefecht von der Polizei getötet wurden. Die Polizisten hatten eine Gruppe von etwa fünfzig Minenarbeitern zur Rede gestellt, die von einem Minenschacht zurückkehrten, den sie eigentlich stilllegen wollten. Die Produktion im Schacht war bereits eingestellt, und die Bergarbeiter kehrten zu der Koppie (Hügel) zurück, auf der sie sich seit dem 9. August jeden Tag versammelt hatten, nachdem sie beschlossen hatten, ihre Arbeit und Werkzeuge niederzulegen. Die gerichtsmedizinische Untersuchung der Farlam-Untersuchungskommission, die zur Untersuchung der Todesfälle eingesetzt wurde, bestätigte, dass die Polizei das tödliche Gefecht, bei dem drei Minenarbeiter und zwei Polizisten starben, ohne Provokation ausgelöst hatte.

Wenn Bomela bei seinem Großvater Goodman Jokanisi wohnt, schlafen sie im selben Bett. Nachts hört er die Albträume seines Großvaters und spürt seine Schlaflosigkeit. Der alte Mann liegt wach und starrt an die Decke, die Stille der Nacht wird von tiefen Seufzern unterbrochen: «Marikana hat meine Familie zerstört. Mein Großvater ist immer noch traumatisiert, er ist immer noch wütend und in Trauer über die Todesfälle, die wir erlitten haben», sagt Bomela. Goodman Jokanisi begann 1980 als Minenarbeiter zu arbeiten, vor ihm war bereits sein Vater als Wanderarbeiter im Bergbau tätig. Beide sahen ihre Familie nur zwei oder drei Mal im Jahr.

Goodman hatte seinem Sohn Semi im Jahr 2005 einen Job bei Lonmin vermittelt. Sie teilten sich eine Wohnung und arbeiteten in der Karee-Mine, wo im Mai 2012 die ersten handgeschriebenen Plakate mit der Forderung nach einem «existenzsichernden Lohn» von 12.500 Rand erschienen. Vater und Sohn begegneten sich in den Käfigen, in denen die Minenarbeiter in die Erde transportiert wurden, und trafen sich zwischen den Schichten an einem Treffpunkt unter der Förderbandwelle von Karee Four. Nach der Beerdigung seines Sohnes kehrte Goodman zu Lonmin zurück und arbeitete im Gedenken an Semi, bis er 2017 in den Ruhestand ging.

Der stämmige und wortkarge Goodman hatte seinen Sohn davor gewarnt, in der Frontlinie zu stehen. Semi wurde von einem Schuss in die Wirbelsäule getroffen, was ihn sofort handlungsunfähig machte. Nach offizieller Aussage der Polizei, sei auf ihn geschossen worden, um die (dort) gefallenen Kollegen zu schützen. Semi war jedoch viel zu weit von den beiden toten Polizisten entfernt, um sie angreifen zu können. Die gerichtsmedizinischen Beweise haben der Familie nur wenig Trost gespendet. Goodman Jokanisi glaubt, dass das Massaker nicht nur seinem Sohn, sondern auch seiner Frau Joyce und seinem Enkel Ayabonga Qekeka das Leben gekostet hat.

Der Selbstmord des fünfzehnjährigen Ayabonga Qekeka war durchdacht und geplant. Am zweiten Morgen des neuen Schuljahres 2016 verließ er das Internat in Kokstad in KwaZulu-Natal und ging zu einem nahegelegenen Baumarkt, wo er Wasser, Rattengift und ein Stück Seil kaufte. Qekeka ging dann zu einer Baumgruppe, die normalerweise von Obdachlosen und Handtaschenräubern am Rande des Stadtzentrums von Kokstad genutzt wird. Er trank die Flasche mit dem mit Rattengift versetzten Wasser, bevor er sein T-Shirt verknotete und es sich um den Kopf wickelte, wobei er den zusammengeknüllten Stoff in den Mund stopfte. Das eine Ende eines Nylonseils schlang er sich um den Hals, das andere um ein Abwasserrohr und zog es fest, bevor er in den Tod sprang.

Dieses generationenübergreifende Trauma wird von den Kindern der Toten noch immer empfunden. Einige Monate später nahm sich Sandisa Zibambele, deren Vater Thobilise am 16. August von der Polizei getötet wurde, das Leben. Die Großmutter von Qekeka, die siebenundsechzigjährige Joyce Jokanisi, starb im Dezember 2020. Sie nahm seit dem Tod ihres Sohnes acht Jahre lang Antidepressiva ein. Ihr Enkel Ndikho Bomela glaubt, dass sie länger gelebt hätte, wenn sie nicht so sehr getrauert hätte, wenn sie gewusst hätte, wer ihren Sohn getötet hat, wenn sein Bruder sich nicht selbst das Leben genommen hätte.

Verlust, aber keine Verurteilung

Der achtzehnjährige Bomela ist ein ruhiger und bedächtiger junger Mann. Er nimmt sich Zeit zum Nachdenken, bevor er sich zu einer Sache äußert, sei es Fußball, Politik oder eine Theateraufführung. Er erzählt mir oft, dass der den Verlust seines Vaters ständig gegenwärtig ist. Wenn er einen Rat braucht, stützt er sich auf seine Onkel, die ihn «sehr unterstützen», aber ihm ist schmerzlich bewusst, dass dies die Aufgabe seines toten Vaters war. Er scheut sich davor, Autofahren zu lernen, weil er glaubt, dass er das von seinem Vater hätte lernen sollen. Immer wenn er über das Vakuum in seinem Leben nachdenkt, darüber, wer ihm beibringen wird, «ein guter Mensch zu sein», kommt Bomela auf die Tatsache zurück, dass niemand für den Tod seines Vaters verurteilt worden ist. Das Verfahren im Zusammenhang mit den Ereignissen vom 13. August 2012 zieht sich bereits seit zwei Jahren hin und es gibt kaum Aussichten auf einen baldigen Abschluss.

Die südafrikanische Staatsanwaltschaft hat nur drei Staatsanwälte mit der Bearbeitung aller Strafverfahren im Zusammenhang mit dem Massaker von Marikana beauftragt. Sie müssen sich auch mit anderen Fällen befassen, und in den letzten zehn Jahren gab es keine Verurteilung für auch nur einen der Todesfälle von 2012 im Zusammenhang mit Marikana.

Bomela möchte Anwalt werden, eine Entscheidung, die eindeutig dadurch beeinflusst ist, dass sich seine Welt vor zehn Jahren für immer verändert hat: «Jedes Mal, wenn ich daran denke, dass mein Vater nicht mehr da ist, denke ich: ‹Verdammt, es gibt Leute, die das meinem Vater angetan haben, die das getan haben und die ungeschoren davonkommen, die sind noch da draußen. Also sage ich mir, dass es vielleicht an mir liegt, sie ins Gefängnis zu bringen.›»

Ndhiko Bomela erzählt mir dies während eines Gesprächs mit Amina Fundi und drei weiteren Kindern von Männern, die in Marikana ums Leben kamen. Aminas Vater Hassan Fundi war Sicherheitsbeamter bei Lonmin, als er am 12. August 2012 von streikenden Bergarbeitern getötet wurde.

Die Farlam-Kommission stellte fest, dass das Bergbauunternehmen, obwohl es sich der eskalierenden Gewalt in Marikana bewusst war – ein Großteil davon wurde durch wahllose Schießereien von weißen Lonmin-Sicherheitsbeamten auf Versammlungen von Männern auf dem Minengelände verstärkt – Fundi und seine Kollegen nicht ordnungsgemäß über das Ausmaß der Gefahr informiert hatte, dem sie möglicherweise ausgesetzt sind. Auch hatte Lonmin seinen Mitarbeitern angesichts der drohenden Gewalt keine angemessenen Hartschalenfahrzeuge zur Verfügung gestellt, als sie an jenem Sonntag eingesetzt wurden.

Von Marikana 2012 zu Makhanda 2022

Das Gespräch mit den Jugendlichen diente der Vorbereitung einer generationenübergreifenden Podiumsdiskussion über Marikana, die im Rahmen einer Ausstellung und eines Programms zur Förderung des öffentlichen Engagements stattfand, das ich beim Nationalen Kunstfestival Südafrikas in Makhanda (Grahamstown) Anfang dieses Jahres leitete und produzierte.

Sowohl die 22-jährige Amina als auch Ndikho nahmen an der Podiumsdiskussion teil, und während wir die Diskussionsthemen ausarbeiteten, sprachen wir darüber, wie das Fehlen einer Polizeireform in Südafrika dazu geführt hat, dass immer wieder unschuldige Menschen bei Protesten ums Leben kamen – darunter auch der Mord an dem 16-jährigen Nathaniel Julies im Jahr 2020 während einer Demonstration im Eldorado Park in Johannesburg. Julies war ein Down-Syndrom Kind, er stand im Hof seiner Eltern, aß Kekse und beobachtete Gemeindemitglieder, welche gegen die schlechten staatlichen Dienstleistungen in der Gegend protestierten, als er erschossen wurde.

Wir sprechen über das moralische Gewissen und die erforderlichen Prinzipien, die es braucht, um Polizist zu sein. Wir sprechen über die Auswirkungen, die der Tod der Väter auf ihre Familien hatte, und wie Mütter und Großmütter alles zusammenhalten. Wir sprechen über die ständige Anforderung für Frauen nach den gewalttätigen, tödlichen Aktionen von Männern unverwüstlich zu bleiben.

Wir sprechen über Cyril Ramaphosa – damals ein nicht-geschäftsführender Direktor bei Lonmin und stellvertretender Vorsitzender des African National Congress (ANC), jetzt Präsident des Landes – und seine Rolle während des Streiks, als er seine privaten kapitalistischen Interessen über das Leben der Menschen stellte. «Wenn er das unseren Vätern, unseren Müttern und uns antun kann, was tut er dann unserem Land an?», fragt Amina nach einer Diskussion über ihre Enttäuschung und die etablierte Politik.

Eines ist deutlich: Für diese Jugendlichen ist die Mindestforderung an Gerechtigkeit, dass sie wissen, wer ihre Väter ermordet hat und warum dies geschah – und dass die Mörder im Gefängnis landen. Unsere Pizzas und Milchshakes in einem lokalen Restaurant essen wir mit Scherzen und Spaß, doch irgendwann werden Ndikhos Augen hart. Die Erkenntnis, dass sie vielleicht nie erfahren werden, wer ihre Väter getötet hat, oder die Verurteilung der Mörder erleben wird, hängt über unserem Gespräch.

Er sagt: «Die Polizei hat den Abzug gedrückt, das war ihnen egal. Diese Menschen waren für sie Fliegen, keine Menschen. Sie haben ihren Job gemacht, aber... mein Vater hatte noch eine andere Aufgabe, die darin bestand, mir ein Vater im Leben zu sein. Entweder kommt die Polizei ins Gefängnis, oder ich würde jemandem befehlen [sie zu töten]. Ich würde jemanden anweisen. Das Gefängnis ist die bessere Lösung für sie, aber, wenn das nicht passiert, bin ich gezwungen, selbst einen Abschluss zu finden. Dann kann ich zum Sarg meines Vaters gehen und ihm sagen: ‹Hör zu, Papa, die Leute, die dich hierher gebracht haben, sind auch hier›. Du verstehst mich.» Ein Außenstehender, der das Gespräch mitanhört, wäre von dieser Einstellung überrascht. Ndikho wirkt nicht wie ein Kind, welches Auftragskiller anheuert. Er ist umsichtig und nachdenklich, und sein Schuldirektor hat ihn gebeten, sich für den Posten des Präfekten an seiner Schule im nächsten Jahr zu bewerben.

Als Lonmin versprach, für die Schulbildung aller Kinder seiner toten Mitarbeiter aufzukommen, wurde dies zu einem zweischneidigen Schwert. Da viele von ihnen aus schlecht ausgestatteten ländlichen Schulen kamen, hatten sie Probleme, sich an die Sprache und das Bildungsniveau anzupassen und sich sozial zu integrieren. Alle waren traumatisiert und viele wurden wegen des Todes ihrer Väter gehänselt. Der Selbstmord von Ayabongas Qekeka war die extremste Folge davon. Viele andere Kinder haben die Schule abgebrochen oder um eine Versetzung gebeten, weil sie nicht in der Lage waren, sich zu integrieren. Ndikho war jedoch einer der wenigen, die es geschafft haben, sich zu entfalten. Doch Wut, die aus Ungerechtigkeit erwächst, ist tief in ihm verwurzelt.

Viele Dinge haben sich langsam verändert für die Familien und die Bergarbeiter, die am unmittelbarsten von der tödlichen Woche im August 2012 betroffen waren. In Makhanda, wo die Ausstellung «Marikana, Ten Years On» («Marikana, zehn Jahre danach») und ein Programm zur Förderung des öffentlichen Engagements stattfanden, nahmen 28 Familienmitglieder und Bergarbeiter an einer Woche mit Podiumsdiskussionen teil. Auch Aktivist*innen aus anderen vom Bergbau betroffenen Gemeinden, Anwälte der Farlam-Kommission, progressive Ökonom*innen und Forscher*innen sowie ein Richter des Verfassungsgerichts waren anwesend.

Die Ausstellung kombinierte Fotos und Texte aus meinem jahrzehntelangen «Slow-Journalism»-Projekt, welches ich gemeinsam mit dem Fotojournalisten Paul Botes durchführe, mit Kunstwerken, die von Familienmitgliedern in den von der Khulumani Support Group durchgeführten Workshops angefertigt wurden, und forensischen Beweisen, die der Farlam-Kommission vorgelegt wurden. 

Während des Festivals wurde ich Zeuge, wie alte Wunden langsam heilen. Ich erlebte die Annäherung zwischen Aisha Fundi, Aminas Mutter, und Mzoxolo Magidiwana, einem der Anführer des Streiks. Vor zehn Jahren hatte Fundi vor der Farlam-Kommission Magidiwana beschuldigt, ihren Mann getötet zu haben, und ihm den Tod gewünscht. Im Juni sprachen sie über ihre Verletzungen und versöhnten sich. Ich sah Amina Fundi zusammen mit Refilwe Ntsenyeho, deren Vater, Andries, ein weiterer Streikführer war, der am 16. August getötet wurde. Ich musste weinen, als ich sie bei einem der kostenlosen Abendkonzerte, die das Festival täglich veranstaltet, zusammen auf der Bühne tanzen sah.

Ich sah Menschen, die in der Ausstellung zu Tränen gerührt waren, und zwei neunjährige weiße Mädchen, die eine Stunde lang mühsam mit Buntstiften Regenbögen und Bäume mit den Worten «Black Lives Matter» in dem Raum, der für Publikumsreaktionen eingerichtet war, auf Kunstpapier zeichneten.

Ich sah, wie alle 28 Familienmitglieder und Minenarbeiter aus einer Theateraufführung des Stücks «Asinamali!» («Wir haben kein Geld!») herauskamen und das Titellied sangen und tanzten, als Antwort auf das Leben in der Arbeit und das unbewältigte Trauma, das sie immer noch ertragen müssen.

Ich erinnerte mich daran, wie Ntombi Mosebetsane mir vor fast sechs Jahren erzählte, wie die Witwen aufgrund ihrer finanziell prekären Lage gezwungen waren, Jobangebote bei Lonmin anzunehmen, um ihre Ehemänner zu ersetzen: «Als mein Mann noch lebte, kamen meine Kinder aus einem Haus mit nur einem Elternteil [wegen der Art des Wanderarbeitssystems]. Jetzt, da ich diese Arbeit angenommen habe, sind sie Waisen», sagte sie damals. In Makhanda wiederholte sie, dass das Reinigen von Toiletten in einer Mine keine Gerechtigkeit oder angemessene Wiedergutmachung sei. Mosebetsane wiederholte dann die Forderung aller Witwen: Sie wollen in ihre Häuser auf dem Land zurückkehren und von der Firma und der Regierung einen monatlichen Zuschuss erhalten, damit sie wieder selbstbestimmt handeln und leben können.

Bei einer Vorführung eines Films über die Craddock Four (Aktivisten, die Mitte der 1980er Jahre vom Apartheidstaat entführt, gefoltert und ermordet wurden), der von Lukhanyo Calata, dem Sohn von Fort Calata, einem der vier, gedreht wurde, stießen wir auf den generationsübergreifenden Kampf um Gerechtigkeit. Nach der Vorführung baten wir Lukhanyos Mutter, sich an die Familien von Marikana zu wenden, «von Witwe zu Witwe». Sie sprach über den Schmerz, nach fast vier Jahrzehnten keine Gerechtigkeit zu erfahren. Sie sagte den Witwen, dass «kein Tag vergeht, an dem ich nicht an meinen Mann denke» und dass «euer Schmerz mein Schmerz ist», aber «ihr müsst weiter für Gerechtigkeit kämpfen. Gebt niemals auf.» Es blieb kein Auge trocken im Haus.

Die letzten zehn Jahre, in denen ich die Folgen des Massakers von Marikana für die Familien, die Minenarbeiter und die Gemeinden, aus denen sie stammen, dokumentiert habe, waren die trostlosesten und dunkelsten meines Lebens als Journalist. Dennoch gab es auch Lichtblicke und Hoffnungssplitter, die aus dem drohenden Nihilismus gerettet wurden. Einer Gruppe von Menschen, die vom Staat kriminalisiert und von denen mit Einfluss sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor weitgehend ignoriert wurden, wurde die Würde wiederhergestellt.

Am 10. und 11. August dieses Jahres veranstaltete das Socio-Economic Rights Institute, das 36 der 44 getöteten Männer vertritt, ein zweitägiges Programm für die Familien von Marikana. Eine Pop-up-Version der Ausstellung begleitete die Veranstaltung. Es war das erste Mal seit der Farlam-Kommission, dass alle 44 Familien in einem Raum zusammenkamen. Sie sprachen dort mit Regierungsvertreter*innen über ihre aktuelle Situation und die Tatsache, dass keine angemessene Entschädigung gezahlt wurde, weil der Staat bei der Begleichung der verfassungsmäßigen Schäden in Bezug auf den Verlust der Würde, des Lebens usw. unnachgiebig war.

Alle 44 Familien waren sich einig, dass sie sich weder von der Regierung noch vom Kapital für den erlittenen Verlust angemessen entschädigt fühlten. Diese Gerechtigkeit steht noch aus. Aber dass sie dieses Streben niemals aufgeben würden.

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