Interview | Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit - COP27 Rückblick auf Bali

Meena Raman im Gespräch über die Bedeutung und Relevanz der Bali-Prinzipien.

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Autorin

Meena Raman,

Eine indonesische Umweltaktivistin hält ein Transparent während einer Protestaktion vor der US-Botschaft in Jakarta, Indonesien.
Eine indonesische Umweltaktivistin hält ein Transparent während einer Protestaktion vor der US-Botschaft in Jakarta, Indonesien. Foto: picture-alliance/ dpa | Weda

Die Bali-Prinzipien für Klimagerechtigkeit wurden von einer breiten Koalition von Nichtregierungsorganisationen entwickelt, darunter CorpWatch, Third World Network und das Indigenous Environmental Network, im Sommer 2002, als in Bali die Vorverhandlungen zum Erdgipfel 2002 stattfanden. Am 29. August 2002 wurden sie beschlossen. Es handelt sich um 27 Prinzipien, die internationalen Aktivist*innen und Bewegungen als Leitfaden dienen sollen. Kernpunkt ist, dass Klimawandel in erster Linie als soziales und menschenrechtliches Problem betrachtet werden soll und nicht als organisatorisches Problem, das mit ein paar technischen Anpassungen gelöst werden kann.

Seitdem hat sich im Kampf gegen die Ungerechtigkeit des Klimawandels eine Menge getan. In mancher Hinsicht hat die Bewegung Fortschritte gemacht, zugleich sind die konkreten Klimamaßnahmen der nationalen Regierungen und multinationalen Unternehmen nach wie vor erschreckend unzureichend. Zwei Jahrzehnte nach der Verabschiedung der Bali-Prinzipien sprach David Williams von der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit Meena Raman vom Third World Network (TWN) über die Ursprünge, die Ziele und die aktuelle Bedeutung der Prinzipien heute.

Meena, kannst du kurz erklären, woher das Konzept der «Klimagerechtigkeit» stammt?

Als wir es ausgearbeitet haben, haben wir uns stark auf das Konzept der Umweltgerechtigkeit gestützt, zu dem Bewegungen in den Vereinigten Staaten einen wichtigen Beitrag geleistet haben. Wir haben erkannt, dass wirtschaftliche Ungleichheit, ethnische Zugehörigkeit und geografische Lage eine Rolle bei der Frage spielen, wer die Hauptlast von Umweltverschmutzung trägt. Wir sahen dies beim Klimawandel, wo arme Gemeinschaften weltweit, indigene Völker und der globale Süden unverhältnismäßig stark von der globalen Erwärmung betroffen sind. Das bildete die Grundlage für die Formulierung des Konzepts Klimagerechtigkeit.

Meena Raman ist Leiterin der Programmabteilung des Third World Network und Präsidentin von Friends of the Earth Malaysia. Zuvor koordinierte sie das Klimawandelprogramm des TWN und ist seit 2006 an internationalen Klimaverhandlungen beteiligt. Das Interview wurde ergänzt durch Anmerkungen früherer und heutiger Kolleg*innen von Meena Raman beim Third World Network, insbesondere Yin Shao Loong und Indrajit Bose.

Wie sah die gesellschaftspolitische Atmosphäre im Jahr 2002 aus, als die 27 Prinzipien aufgestellt wurden?

Gut ausgestattete, gut organisierte Naturschutz- und Umweltgruppen aus dem globalen Norden hatten eine starke Stimme, wenn es um die Klimapolitik ging und darum, in welche Richtung sie gehen sollte. Während sie den Regierungen des Nordens kritisch gegenüberstanden, gab es Überschneidungen in Bezug auf Klasse, ethnische Zugehörigkeit und geografische Verortung, die die Ausgrenzung marginalisierterer Gemeinschaften in Bezug auf die Betroffenheit durch den Klimawandel verstärkten. Es war notwendig, Positionen zum Klimawandel aus einer anderen Perspektive zu formulieren, Positionen, die sich gegen ungerechte Lösungen wenden, insbesondere Kohlenstoffmärkte.

Wie wurde diese Art von Positionen aufgenommen? Wie haben Medien darüber berichtet, und wie reagierten die politischen Entscheidungsträger und die Zivilgesellschaft?

Vom ersten Gipfel für Klimagerechtigkeit im Jahr 2000 auf der COP6 in Den Haag bis zum ersten Protest für Klimagerechtigkeit in Neu-Delhi im Jahr 2002 während der COP8 war die Bewegung für Klimagerechtigkeit international und sichtbar, und sie war eine wichtige Erinnerung daran, dass der Klimawandel untrennbar mit grundlegenden Fragen der Verteilungsgerechtigkeit verbunden ist. Auch wenn die globale Gemeinschaft eine gemeinsame Verantwortung für die Stabilisierung des Klimas trägt, muss diese Verantwortung differenziert werden. Die größere historische Verantwortung des globalen Nordens für die Treibhausgasemissionen und seine Möglichkeiten, darauf zu reagieren, müssen berücksichtigt werden. Wenn nicht gegengesteuert wird, werden die großen historischen Verursacher versuchen, die Lasten des Klimaschutzes und die Verantwortung für die nötigen Handlungen auf schwächere Länder und Gemeinschaften abzuwälzen. Heute wird Klimagerechtigkeit in Universitätskursen gelehrt, und das Bewusstsein für die Probleme, die Klimagerechtigkeit aufwirft, ist gewachsen.

Gab es seit 2002 wichtige Meilensteine, die für die Verwirklichung der Bali-Prinzipien entweder besonders nützlich oder schädlich waren?

Das Prinzip der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung ist die Grundlage für das Konzept der Klimagerechtigkeit in internationalen Verhandlungen, es ist der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) von 1994 verankert. Dieses Prinzip wurde von den reichen Ländern unter Führung der USA angegriffen, die sich weigern, ihre historische Verantwortung übernehmen und ihre ökologische anzuerkennen. Sie versuchten hartnäckig, dieses Gerechtigkeitsprinzip im Pariser Abkommen von 2015 zu untergraben, wurden aber daran gehindert, dies zu tun.

Die Bewegungen für Klimagerechtigkeit haben einen Fair-Share-Ansatz formuliert, mit dem Ziel, dass jedes Land seinen gerechten Anteil an der Minderung von Emissionen übernimmt, entsprechend seiner historischen Verantwortung und seiner Kapazitäten. Aufgrund des starken Widerstands der Industrieländer und ihrer von Unternehmen dominierten, ungerechten Wirtschaftssysteme war es jedoch schwierig, diesen Ansatz in internationalen Verhandlungen durchzusetzen.

Würdest Du sagen, dass die Bali-Prinzipien zur Entstehung einer globalen Bewegung für Klimagerechtigkeit beigetragen haben?

Die Bali-Prinzipien haben eine Rolle gespielt, aber die Themen, die sie formulierten, kamen von Gemeinschaften und Kampagnen, die bereits existierten und weiterhin um Anerkennung und für Gerechtigkeit kämpfen. Heute können wir bei Protesten auf der ganzen Welt Transparente für Klimagerechtigkeit sehen, wir sehen, wie das Thema bei den Vereinten Nationen diskutiert wird, und selbst hochrangige Persönlichkeiten wie Mary Robinson haben Bücher veröffentlicht und Stiftungen gegründet, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzen. Die Bewegung lebt, aber ihre Arbeit bleibt unvollendet und ihr Erfolg ist keineswegs sicher. Was will ich damit sagen? Jede Klimakonferenz ist weiterhin ein Kampf um die Verteidigung der Prinzipien gerechter Verteilung von Lasten auf der Grundlage des Prinzips der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung, wie es in Artikel 3 der Klimarahmenkonvention verankert ist.

Wie relevant sind die Bali-Prinzipien der Klimagerechtigkeit heute, insbesondere als Ausgangspunkt für lokale Kämpfe um Klimagerechtigkeit?

Die Bali-Prinzipien der Klimagerechtigkeit sind auch heute noch relevant. Wahrscheinlich sind sie sogar noch wichtiger als zuvor, angesichts der Dringlichkeit der Klimakrise, mit der die Welt konfrontiert ist und die größtenteils darauf zurückzuführen ist, dass die Industrieländer keine angemessenen Maßnahmen zur Reduzierung der Emissionen ergriffen haben und die Entwicklungsländer nicht ausreichend durch Finanzmittel, Technologie oder den Aufbau von Kapazitäten für ihre Klimaschutzmaßnahmen unterstützt werden. Lokale Kämpfe für Klimagerechtigkeit müssen sich die Bali-Prinzipien zunutze machen und ihre Regierungen auffordern, die Klimakatastrophe abzuwenden, der die Welt ins Gesicht blickt.

Wenn die Prinzipien heute neu formuliert würden, wären sie dann anders?

Die Prinzipien sind nach wie vor höchst relevant, und wir müssen weiterhin für sie eintreten und die richtigen Kämpfe führen – gegen die Untätigkeit der Industrieländer beim Klimaschutz und ihre ständigen Bemühungen, die Last echter Maßnahmen auf die armen Menschen im globalen Süden abzuwälzen, gegen die Vereinnahmung durch Unternehmen, gegen Scheinlösungen wie weit in der Zukunft liegende Netto-Null-Ziele und Ausgleichsmaßnahmen, gegen die fortgesetzte Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und so weiter. Die Bali-Prinzipien sind sehr umfassend, und eine neue Generation von Aktivist*innen muss für diese Prinzipien sensibilisiert werden, weil sie die Rechte der Armen, einschließlich Frauen, indigener Völker und anderer marginalisierter und gefährdeter Gruppen, schützen.

Warum sollten auch Bewegungen für Klimagerechtigkeit aus dem Globalen Norden mit den Bali-Prinzipien der Klimagerechtigkeit vertraut gemacht werden? Wie könnten sie außerhalb der englischsprachigen Regionen bekannt gemacht werden?

Die Industrieländer sind nach wie vor die größten Blockierer von ehrgeizigen Maßnahmen zum Klimawandel. Sie sind historisch gesehen für die Klimakrise verantwortlich, und dennoch haben fossile Brennstoffe weiterhin einen großen Anteil an ihrem Wirtschaftswachstum und ihrer Entwicklung. Die Regierungen dieser Länder, insbesondere die US-Regierung, glauben weiterhin, dass ihr Lebensstil nicht verhandelbar sei.

Das bedeutet, dass die Armen in den Entwicklungsländern weiterhin arm bleiben und unter den Folgen von etwas leiden, das sie nicht verursacht haben und für das sie manchmal mit ihrem Leben bezahlen. Deshalb müssen die Bewegungen für Klimagerechtigkeit aus dem globalen Norden mit den Bali-Prinzipien vertraut gemacht werden, und zwar mit wirksamen Kommunikationsmitteln in allen Sprachen. Dazu ist auch ein besseres Verständnis nötig, und eine Debatte darüber, warum die Bali-Prinzipien wichtig sind.

Wie können die Prinzipien Ihrer Meinung nach durchgesetzt werden? Werden sie am ehesten durch multilaterale Prozesse wie die UNFCCC-Klimaverhandlungen, durch Gerichtsverfahren in Gerichtssälen oder auf der Straße durchgesetzt?

Durch eine Kombination aus all diesen Möglichkeiten.

Der multilaterale Verhandlungsraum ist entscheidend, denn was ein Land in seinem nationalen Raum tut, wirkt sich auf den Rest der Welt aus. Wir beobachten auch, dass die Zahl der Klimaklagen vor den Gerichten und der Klimaprozesse zunimmt. Dies ist wichtig, um Regierungen zur Rechenschaft zu ziehen. Bewegungen auf der Straße können mit den richtigen Argumenten sehr wirkungsvoll Druck auf die politischen Entscheidungsträger ausüben, die Aufklärung erleichtern und für das Bewusstsein wichtig sein.

Wie können wir verhindern, dass wir in 20 Jahren das gleiche Gespräch führen müssen?

Zwanzig Jahre nach der Verabschiedung der Bali-Prinzipien, die sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen, ist die Klimakrise noch sehr viel dringlicher geworden. Gleichzeitig gibt es nur sehr wenig Spielraum, um das nachhaltige Überleben des Planeten und seiner Bewohner*innen zu sichern. Es geht nicht so sehr darum, dieselbe Diskussion immer wieder zu führen, sondern darum, zu verstehen, wie ungerechte Wirtschaftssysteme die Probleme, die in den Bali-Prinzipien aufgezeigt werden, so tief in unseren Gesellschaften verankert haben.

Dies erfordert daher viel stärkere Kämpfe und Bewegungen für Klimagerechtigkeit auf der ganzen Welt, die effektiver und in größerem Umfang zusammenarbeiten, um sich den Kräften der Herrschenden in allen Sektoren, Räumen und auf allen Ebenen entgegenzustellen. Die Bewegung zur «Mobilisierung, zum Widerstand und zur Transformation», wie wir bei Friends of the Earth International sagen, muss mit größerem Nachdruck fortgesetzt werden, wenn wir die Bali-Prinzipien in die Tat umsetzen wollen und die gerechte, ausgewogene und nachhaltige Welt schaffen, die wir wollen.