Nachricht | Libanon / Syrien / Irak Libanon: Niemand willkommen

Rassismus ist in der libanesischen Gesellschaft tief verankert

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Autorin

Ulla Taha,

Eine Frau geht gemeinsam mit einem kleinen Jungen an einer Gruppe Menschen vorbei, die ihnen hinterherschauen.
Palästinensische Flüchtlingslager im Libanon: Extreme Armut und keine Infrastruktur. Der Zuzug palästinensischer Geflüchteter aus Syrien hat die Lage weiter verschärft. Foto: Ulla Taha

Die libanesische Bevölkerung hat unter Araber*innen den Ruf, extrem rassistisch zu sein. Dies liegt vor allem darin begründet, dass es sowohl institutionelle als auch gesellschaftliche Ausgrenzungen gegenüber Nicht-Libanes*innen gibt.

Marginalisierung der Palästinenser*innen

Seit acht Jahrzehnten leben palästinensische Geflüchtete im Libanon, mittlerweile in dritter oder vierter Generation. Mit der Gründung Israels 1948 flüchteten sie in den Libanon. Ohne das Recht zu wählen, werden Palästinenser*innen im öffentlichen und politischen Leben marginalisiert. Darüber hinaus haben sie kein Recht auf die libanesische Staatsangehörigkeit. Dafür setzen sich vor allem rechtsorientierte Christ*innen ein: Da die Palästinenser*innen primär dem sunnitischen Islam angehören, käme es bei einer Einbürgerung zu der Verschiebung des Verhältnisses zwischen Christ*innen und Muslim*innen im Libanon. Das religiöse Gleichgewicht im Land geriete ins Wanken.

Ulla Taha ist Libanesin aus dem Süden des Landes. Sie lebt und arbeitet in Hamburg und studiert im Masterstudiengang Staatswissenschaften – Public Economics, Law and Politics in Lüneburg. Sie ist aktiv in der feministischen Mädchenarbeit und ist Mitglied der Rosa-Luxemburg-Stiftung Hamburg.

Die Palästinenser*innen leben in insgesamt zwölf Flüchtlingslagern, die mittlerweile den Charakter eigener Stadtteile haben, abgekapselt von der libanesischen Bevölkerung. Diese Lager sind dicht besiedelt und von verschachtelten Gassen durchzogen. Es gibt nur wenig Infrastruktur und es herrscht eine extreme Armut. Eine Umfrage des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) fand im Rahmen einer Umfrage heraus, dass 73 Prozent der palästinensischen Geflüchteten im Libanon in Armut leben. Die Camps gelten als quasi rechtsfreier Raum, Libanes*innen betreten diese nahezu nie. Die Situation in den Lagern verschärfte sich mit dem Zuzug palästinensischer Geflüchteter aus Syrien. Den Geflüchteten ist es nicht erlaubt, Immobilien oder Grundeigentum zu besitzen. Viele umgehen dies, indem sie ihr Eigentum auf den Namen einer Person mit libanesischer Staatsangehörigkeit eintragen lassen. Darüber hinaus gibt es Einschränkungen, wenn es um Arbeit geht. Palästinenser*innen sind von diversen Berufen etwa im Gesundheitssektor ausgeschlossen, sodass sich ihre beruflichen Möglichkeiten nahezu auf die Arbeitsstellen in den Lagern beschränken. Wenn sie dann doch außerhalb einer Beschäftigung nachgehen können, werden sie systematisch diskriminiert; angefangen bei der Behandlung und der Aufgabenzuteilung bis hin zur Bezahlung, die immer schlechter ausfällt, als wenn ein*e Libanes*in dieselbe Arbeit ausführt.

Übergriffe gegen Syrer*innen

Die Meldung über rassistische Übergriffe gegen Syrer*innen im Libanon sind omnipräsent. Der Libanon hat ca. 1,5 Millionen und damit – gemessen pro Kopf und Quadratkilometer – die meisten syrischen Geflüchteten aufgenommen. Damit sind nun ein Viertel der im Libanon lebenden Menschen Syrer*innen. Deren Unterbringung in Garagen und Zelten erfolgte unter katastrophalen Bedingungen. Die libanesische Regierung hat im Mai 2019 beschlossen, dass es künftig möglich sein soll, Syrer*innen, die nach dem April 2019 ins Land gekommen sind, ohne Angabe von Gründen und unabhängig von der Situation im Heimatland zwangsweise zurückbringen. Tausende waren bereits von dieser Maßnahme betroffen und wurden zurückgeführt. Syrer*innen werden immer wieder für Missstände im Land verantwortlich gemacht und müssen als Sündenböcke für Fehler der Regierung herhalten. Besonders Angehörige christlicher Gruppierungen geben den Syrer*innen die Schuld für die Wirtschaftskrise. Der Zustrom von Muslim*innen könnte nicht nur die Kräfteverhältnisse im Land verändern, sondern destabilisiere die Situation im Land zunehmend, so verschiedene christliche Politiker*innen.

Ausbeutung migrantischer Arbeiterinnen

Auch wenn man sich über die syrischen und palästinensischen Arbeitskräfte echauffiert, so werden auf der anderen Seite Arbeitsmigrant*innen bewusst angelockt. Der Film Makhdoumin – A Maid for Each von Maher Abi Samra illustriert dies. Im Film steht eine in Beirut ansässige Agentur im Fokus, die gezielt ausländische Arbeitsmigrant*innen anwirbt, mehrheitlich aus den Philippinen, Indien, Äthiopien oder Sri Lanka. Im Libanon werden diese an zur Oberschicht gehörende Personen als «Hausmädchen» vermittelt. Die Vermittlung ähnelt dem Erwerb einer Ware unter Bedingungen, die einer modernen Variante des Sklavenhandels gleichkommen. Es handelt sich um Frauen, die ihrerseits durch diese Arbeit Geld verdienen möchten, um ihre Familien im Heimatland am Leben zu halten. Dafür haben sie zunächst in ihrem Herkunftsland ihr Hab und Gut verkauft oder Geld geliehen, wurden dann über Vermittler eingeschleust, um in einem der libanesischen Haushalte zu arbeiten. Mit der Anwerbung treten die Arbeiterinnen ihre Rechte an den Hausherren/Arbeitgeber sofort ab. Die Entrechtung beginnt direkt: Nicht nur der Pass und die persönliche Freiheit werden den rund 300 000 Frauen aus Asien und Afrika genommen, ihnen wird im wahrsten Sinne des Wortes das Recht auf ein Da-Sein, auf eine eigene Existenz abgesprochen. Im Film wird keine dieser Frauen überhaupt gezeigt. Es sind lediglich an einigen Stellen Umrisse und Schatten zu sehen, die im Fenster beim Bettenmachen vorbeihuschen, was das Nicht-Da-Sein visualisiert. Neben der Ausbeutung seitens der privilegierten Oberschicht geht es auch um Sexismus, um die Betrachtung der weiblichen Arbeitskräfte als reine Objekte. Immer wieder gibt es Nachrichten über versuchte und vollzogene Selbstmorde der Arbeiterinnen.

Geflüchtete leben überwiegend in Armut. Bei meiner letzten Reise in den Libanon im Juni 2021 war das Straßenbild von syrischen und palästinensischen (Klein-)kindern dominiert, die CDs, Wasser oder Krimskrams an Autofahrer*innen verkauften. Teilweise waren sie auch in Haufen von Müllsäcken zu finden. Die Wirtschaftskrise trifft die Geflüchteten am härtesten. Ein Junge, den ich auf acht Jahre schätze, erzählte mir, dass er die Verpflegung für die Familie sichern möchte. Als ich mich zu ihm setzte, schauten mich die vorbeilaufenden Fußgänger*innen schräg an. Rassismus im Libanon ist sozial akzeptiert. Öffentlich wird wie selbstverständlich kommuniziert, dass die Anwesenheit von palästinensischen und syrischen Geflüchteten als Bedrohung von Stabilität und Sicherheit betrachtet wird und somit Hass gegen migrantische Arbeiter*innen geschürt. Dieser ist mitten in der Gesellschaft angekommen. Die Stigmatisierung der Geflüchteten zieht sich wie ein roter Faden durch nahezu alle gesellschaftlichen Strukturen. Das Leid der Geflüchteten gepaart mit der desaströsen Situation im Land lässt kaum Hoffnung auf Besserung zu.