Nachricht | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Cono Sur - Andenregion - Sozialökologischer Umbau Elektromobilität versus Klimakolonialismus

Globale Energiewende und Lithium-Bergbau in Lateinamerika

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Felix Dorn,

Lithium-Bergbau am Salar de Olaroz-Cauchari, in unmittelbarer Nähe der indigenen Gemeinschaft Olaroz Chico
Lithium-Bergbau am Salar de Olaroz-Cauchari, in unmittelbarer Nähe der indigenen Gemeinschaft Olaroz Chico Foto: Felix Dorn

Mit dem deutschen Corona-Konjunkturpaket von 2020, dem Europäischen Green Deal und dem seit 2021 von der US-amerikanischen Biden Regierung verfolgten Infrastrukturprogramm im Sinne eines Green New Deal soll die ökologische Krise überwunden und der Übergang zu einer klimaneutralen Gesellschaft erreicht werden. Auch der Koalitionsvertrag der deutschen Ampelregierung verfolgt diese Stoßrichtung. Ein Ausbau der erneuerbaren Energien, Investitionen in Wasserstoff und E-Mobilität gelten als Schlüsselelemente, um Wirtschaftswachstum von Ressourcennutzung und Energieverbrauch abzukoppeln und den Ausstoß von Treibhausgasen auf null zu bringen. Ausgehend von der so genannten Entkopplungsthese [1] zielt die Green Economy darauf ab, Ökologie und Ökonomie zu versöhnen, ohne das derzeitige materielle Wohlstandsniveau zu senken. Auf Basis technologischer Innovationen propagieren Staat und Industrie somit eine Trend-, Mobilitäts- und Energiewende unter den Rahmenbedingungen einer noch freieren Marktwirtschaft. Doch mit steigenden Investitionen in technologische Lösungen wie der Elektromobilität geht auch ein zunehmender Bedarf für strategische Rohstoffe einher, etwa Kobalt, Nickel und Lithium. Der Lithium-Boom hat insbesondere das trockene andine Hochplateau zwischen den südamerikanischen Ländern Argentinien, Bolivien und Chile ins Zentrum internationaler Investor*innen gerückt, denn dort lässt sich der Rohstoff kostengünstig aus Salzseen gewinnen. Das wirft allerdings Kontroversen auf. Denn eingebettet in einen Diskurs der klimapolitischen Notwendigkeit droht der massive Abbau von Lithium, bestehende Nord-Süd-Verhältnisse und sozial-ökologische Ungleichheiten zu manifestieren und zu verschärfen.

Hoffnung auf Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum

Für die drei südamerikanischen Länder gelten die Lithiumvorkommen der Region als große Hoffnungsträger für internationale Investitionen, die Einnahme von Abbaugebühren und neue Arbeitsplätze. Während Bolivien dabei das Ziel einer nationalen Industrialisierung verfolgt, begann Chile in den vergangenen Jahren seine Restriktionen hinsichtlich von Abbaulizenzen langsam zu lockern, so dass bereits bestehende Minen erweitert und neue Projekte eröffnet werden. Dies könnte sich im Rahmen einer neuen Verfassung jedoch wieder ändern. Besonders in Argentinien haben die in den 1980er und 1990er Jahren von Weltbank und Internationalem Währungsfonds angestoßenen Strukturanpassungsmaßnahmen (vor allem bestehend aus Privatisierung und Deregulierung) zu einer neoliberalen Bergbaugesetzgebung sowie einer exportorientierten Wirtschaftspolitik und einem regelrechten Boom an Lithium-Bergbauprojekten geführt. Der argentinische Staat garantiert internationalen Bergbaufirmen 30 Jahre steuerliche Stabilität, Abbaugebühren von maximal drei Prozent und eine gebührenfreie Nutzung von Wasser. Im direkten Vergleich mit Bolivien und Chile ist der argentinische Bergbau also am stärksten privatisiert und weist die geringste öffentliche Teilhabe auf.  

Felix M. Dorn ist promovierter Geograph und forscht als Post Doc an der Universität Innsbruck und der Universität Amsterdam. Ab Oktober beginnt er eine Stelle am Institut für Internationale Entwicklung der Universität Wien. An der Schnittstelle von Politischer Ökologie und Transformationsforschung beschäftigt er sich mit Fragen des Ressourcenextraktivismus im Kontext nachhaltiger Entwicklung, damit verbundenen sozial-ökologischen Konflikten und möglichen Alternativen. Auch außerhalb der Wissenschaft veröffentlichte er zahlreiche Fotoserien und Artikel, und produzierte einen Dokumentarfilm (Bajo La Sal / Below the Salt). Sein Buch «Der Lithium-Rush. Sozial-ökologische Konflikte um einen strategischen Rohstoff in Argentinien» erschien 2021 im oekom-Verlag.

Im Kontext einer steigenden Marktnachfrage und dem Streben nach internationaler Wettbewerbsfähigkeit entstanden in den argentinischen Provinzen Jujuy, Salta und Catamarca in den vergangenen 15 Jahren zahlreiche Lithium-Bergbauprojekte. Zuvor gemeinschaftlich genutztes Land wurde hierzu privatisiert und Bergbaulizenzen wurden an private Unternehmen vergeben. Die Provinz Jujuy verfolgt dabei das Ziel einer nationalen Vorreiterrolle in Bezug auf den «strategischen Rohstoff» und reproduziert in diesem Zuge globale Diskurse und Entwicklungsvorstellungen rund um das «weiße Gold» und die «Zukunftsressource» Lithium. Gouverneur Gerardo Morales verknüpft den Lithium-Bergbau symbolisch und materiell mit neuen Technologien, erneuerbaren Energien, der Herstellung von Batterien oder dem Internetanschluss für die indigenen Gemeinschaften. So implementiert Jujuy beispielsweise eine Reihe von autonomen solaren Dörfern, von denen das erste eingeweihte Solardorf, Olaroz Chico, nicht zuletzt aufgrund seiner unmittelbaren Nähe zu Jujuys erstem Lithium-Bergbauprojekt am Salar de Olaroz-Cauchari eine besondere Symbolkraft besitzt. Besonders viele Superlative kursieren hinsichtlich des laut Angaben der Provinzregierung «größten Solarparks Südamerikas» sowie mit 4.020 Metern über dem Meeresspiegel «höchstgelegenen Solarparks der Welt». Das von der chinesischen Exim-Bank finanzierte und von den chinesischen Firmen PowerChina und Shanghai Electric Power Construction errichtete 300 Megawatt Solarpark-Projekt Cauchari befindet sich ebenfalls inmitten des Salar de Olaroz-Cauchari.

Diese Liste ließe sich weiter fortführen. Ende 2017 stellte die Regierung den neuen Slogan der Provinz «Jujuy Energía Viva» (Jujuy Lebendige Energie) vor, welcher nicht nur auf den Tourismusmarkt abzielt, sondern auch Produktion und Investitionen fördern und die Identität der Provinz unterstreichen soll. Gleichzeitig überschlägt sich die Regierung mit Ankündigungen für Batteriefabriken, die sich bei genauerer Betrachtung als gehaltlos erweisen. Tatsächlich findet in Argentinien derzeit lediglich die Verarbeitung der lithiumhaltigen Sole zu Lithiumkarbonat statt. Dieses wird anschließend vor allem nach China, Japan und Südkorea exportiert. Obwohl auch der Bergbau-Sekretär der Provinz eine weitergehende Industrialisierung innerhalb Jujuys oder Argentiniens als schwierig bewertet, lautet das offizielle Ziel der Regierung von Gerardo Morales eine Veränderung der Produktions- und Konsummatrix.

Die Provinzregierung reproduziert dabei den globalen Diskurs einer Klima- und Nachhaltigkeitswende bzw. einer ökologischen Modernisierung und nutzt diesen für eigene Zwecke. In zahllosen Regierungsdokumenten und Reden wird der Zusammenhang zwischen Lithium-Bergbau und erneuerbaren Energien oder einer vermeintlichen Batterieproduktion in der Provinz unterstrichen. So betonte Morales bei einem Besuch in der indigenen Gemeinschaft Huancar anlässlich der Feier des lokalen Schutzpatrons am 1. Mai 2019 die Bedeutung des Lithium-Bergbaus und des Solarparks Cauchari für einen sauberen Planeten. In diesem Rahmen thematisierte er auch den Anschluss der lokalen Lama-Hirt*innen an das «grüne» Stromnetzwerk sowie eine Glasfaseranbindung für das Dorf. Einerseits präsentiert sich Morales so als zukunftsorientierter Visionär, andererseits verteidigt er geschickt die Notwendigkeit des Lithiumabbaus für die Zukunft der Provinz und des Planeten.

Lokale Konflikte und strukturelle Gewalt

Auch wenn von den insgesamt über 60 Projekten – alle Salare Argentiniens sind heute mit Bergbaukonzessionen überzogen – erst zwei Projekte in die Phase der kommerziellen Produktion übergegangen sind, führt der Bergbau bereits heute zu zahlreichen Konflikten um Wasser und Land.

Vielerorts werden dabei die Rechte indigener Gemeinschaften missachtet und kollektiv genutztes Gemeindeland verdrängt. In diesem Zusammenhang ist besonders das Übereinkommen 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) «über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern» relevant. Dieses regelt die Rechte indigener Gemeinschaften, etabliert das Recht auf vorherige Konsultation und beinhaltet auch die Selbstbestimmung und Selbstverwaltung der indigenen Völker, die Anerkennung ihrer Souveränität über die von ihnen bewohnten Gebiete sowie ihr Eigentum an den dort vorkommenden natürlichen Ressourcen. Das Übereinkommen wurde von Argentinien, Bolivien und Chile gleichermaßen ratifiziert.

Die Partizipation der Gemeinschaften bei der Entscheidung über Bergbauprojekte zwar rechtlich vorgesehen, die tatsächliche Umsetzung und auch die Reaktionen der lokalen Gemeinschaften variieren jedoch von Fall zu Fall.

In vielen Fällen sieht sich die lokale Bevölkerung zudem gezwungen, ihre traditionellen wirtschaftlichen Aktivitäten, darunter die halbnomadische Weidewirtschaft, Tauschhandel, Subsistenzlandwirtschaft und Salz-Extraktion, aufzugeben und sich in direkte Abhängigkeit eines globalisierten Arbeitsmarktes zu begeben.

Neben ökonomischer Abhängigkeit und Konflikten um Autonomie und Selbstbestimmung kritisieren Wissenschaftler*innen und NGOs den mit dem Lithium-Bergbau verbundenen Wasserverbrauch. Die rund um den chilenischen Salar de Atacama gelegenen Gemeinschaften haben mithilfe der Einnahmen aus einem Vertrag mit der US-amerikanischen Bergbaufirma Albemarle über eine Beteiligung in Höhe von drei Prozent des Bruttoumsatzes in den vergangenen Jahren ein unabhängiges Monitoring-System aufbauen können und eine Reihe von Expert*innen (darunter Anwält*innen indigenen Rechts) angestellt. Derartige Verhältnisse sind mit denen Argentiniens nicht zu vergleichen: Die Gemeinschaften rund um den Salar de Olaroz-Cauchari befinden sich in einer wesentlich schlechteren Verhandlungsposition mit weniger Alternativen und – nach Ende des Borat-Bergbaus in den frühen 2000er Jahren – hoher Arbeitslosigkeit. Unabhängige Studien über die Auswirkungen auf den Wasserhaushalt sowie die lokale Flora und Fauna sind deshalb nach wie vor rar.

Klimakolonialismus und grüner Extraktivismus?

Die im Globalen Norden vorangetriebene Energiewende steht in einem direkten Zusammenhang mit der steigenden Nachfrage nach Lithium.

In diesem Kontext lässt sich festhalten, dass die Ausweitung vermeintlich grüner Technologien den Bedarf an metallischen Rohstoffen zuletzt deutlich erhöht hat, was die Entkopplungsthese abermals in Frage stellt. Vielmals hat die grüne Ökonomie zu einer neuen «grünen» Ressourcenfrontier[2] und einer zunehmenden Privatisierung der Natur geführt. Die besondere Dynamik der Lithium-Extraktion ergibt sich jedoch auch als Konsequenz und in Wechselwirkung mit einer nationalen und regionalen «Entwicklungs- und Modernisierungspolitik». Das klassische Entwicklungsparadigma des wirtschaftlichen Fortschritts und Wohlstands wird dabei mit Argumenten des Klimawandels und der Nachhaltigkeit um eine neue Legitimationsebene erweitert. Der Lithium-Bergbau liefert somit ein Paradebeispiel für einen grünen Extraktivismus, wobei der Bergbau nicht mehr nur als vereinbar mit dem Klimawandel, sondern diskursiv gar als notwendig für dessen Überwindung gerahmt wird. Dieses Phänomen lässt sich in Lateinamerika über alle politischen Lager (sowohl linke als auch rechte Regierungen) hinweg beobachten.

Die lokal operierenden Firmen sind meist Joint Ventures internationaler Bergbaufirmen mit Partner*innen aus der Automobil- oder Chemieindustrie, die einen direkten Zugriff auf den Rohstoff sicherstellen wollen. Während wie zuvor dargestellt die Gewinne aus der Lithium-Extraktion ungleich zugunsten internationaler Firmen verteilt sind, werden die sozialen und ökologischen Risiken ungleich auf die lokale Bevölkerung abgewälzt. In den Extraktionsregionen lässt sich deshalb die Kontinuität sozial-ökologischer Konflikte im Zuge nachhaltiger Entwicklungsbestrebungen beobachten.

Die von mächtigen Interessengruppen propagierten Lösungen zur Bekämpfung der zahlreichen Krisendimensionen des Anthropozäns sind einerseits auf die Rolle technologischer Innovationen und andererseits auf die Variable der CO2-Emissionen fokussiert. In diesem Rahmen argumentiere ich, dass die Dekarbonisierung unseres Wirtschaftsmodells auf einer kolonialen Gegenwart fußt, die sich über weit verzweigte globale Wertschöpfungsketten und das internationale Finanzsystem manifestiert.

Solange Lösungsansätze die ökologische Krise getrennt von sozialen Aspekten betrachten, bleiben innerhalb dieses Klimakolonialismus Machtasymmetrien, bestehende Nord-Süd-Verhältnisse, Abhängigkeitsverhältnisse sowie sozial-ökologische Ungleichheiten bestehen und werden vielfach weiter verschärft.

Ganzheitlichere Lösungsansätze, mit einem Fokus auf der Rolle sozialer Innovation und dem Ziel einer sozialen, solidarischen und ökologischen Gesellschaft, bedeuten im Umkehrschluss ein weitreichendes Infragestellen des gegenwärtigen Wirtschaftssystems.


[1] Mithilfe technologischer Innovationen soll durch die Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcen- bzw. Energieverbrauch die Dekarbonisierung der Weltwirtschaft unter den Rahmenbedingungen des Kapitalismus erreicht werden. Dem zugrunde liegt die Annahme ökologischer Effizienzsteigerung. Die Entkopplungsthese wird von Sozialwissenschaftler*innen vielfach kritisiert. Diese sei zwar an vereinzelten Beispielen nachweisbar, könne jedoch unmöglich zur Basis des kapitalistischen Produktionsprozesses werden (siehe dazu auch den erstmals 1865 von William Stanley Jevons beschriebenen Reboundeffekt).

[2] Als Frontier lässt sich im Kern eine Ausbreitung des eurozentrisch geprägten Kapitalismus in abgelegene Räume des Hinterlandes «im Namen der Entwicklung» verstehen. Während Landerschließungen in Südamerika im 20. Jahrhundert von der rapiden Ausbreitung von Monokulturen wie Soja- und Palmölplantagen geprägt waren, rücken abgelegene Regionen (wie zum Beispiel die Hochanden) heute vor allem aufgrund strategischer Ressourcen (zum Beispiel Energie, Ressourcen, Biodiversität) in den Vordergrund.