Am Freitag, dem 30. September, waren in den frühen Morgenstunden am Präsidentenpalast in Ouagadougou heftige Schusswechsel zu hören. Soldaten blockierten einige der zentralen Verkehrsachsen in der Hauptstadt von Burkina Faso und schalteten den nationalen Fernsehsender RTB ab. Es war ein Déjà-Vu: Praktisch dieselbe Situation hatte es keine neun Monate zuvor, am 24. Januar, gegeben. Damals setzte ein Putsch unter der Führung von Leutnant-Kolonel Paul-Henri Sandogo Damiba, einem der ranghöchsten Militärs des Landes, den vorherigen zivilen Präsidenten, Roch Marc Christian Kaboré, ab.
Den Coup im Januar hatten viele Menschen begrüßt oder sie hatten sich zumindest mit ihm arrangiert. Denn seit der zweiten Hälfte der 2010er Jahre, und deutlich verstärkt in den letzten zwei bis drei Jahren, haben nichtstaatliche bewaffnete, überwiegend dschihadistische Gruppen mit Verbindungen zu Al-Qaida und dem IS in Burkina Faso zahlreiche Anschläge verübt. Annähernd zwei Millionen Menschen, fast zehn Prozent der Bevölkerung, sind derzeit innerhalb des Landes vertrieben. Im Zeitraum von Ende September 2021 bis Ende September 2022 wurden über 4.000 Menschen bei Anschlägen, Gegenoffensiven des Militärs und anderen Aktionen getötet. Damiba und sein Mouvement patriotique pour la sauvegarde et la restauration (MPSR) – die Militärjunta, die im Januar die Macht übernahm – rechtfertigten den damaligen Coup mit dem Versagen der Regierung Kaboré in diesem Kampf gegen die bewaffneten Gruppen.
Ein weiterer Putsch für den «Kampf gegen den Terror»
Mit der gleichen Begründung putschten nun acht Monate später niedrigere Ränge unter der Führung von Hauptmann (Capitane) Ibrahim Traoré gegen Damiba. Tatsächlich hatte die Zahl der Anschläge im vergangenen halben Jahr noch zugenommen, trotz der Ankündigung der Anfang März eingesetzten Übergangsregierung, den «Kampf gegen den Terror» zur höchsten Priorität zu machen. Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die jüngste Serie in der letzten Septemberwoche mit zwei aufeinander folgenden Anschlägen in der Nähe der Stadt Djibo. Bei einem Überfall auf einen – von den staatlichen Sicherheitskräften begleiteten – Konvoi in Gaskindé, etwa 180 Kilometer nördlich von Ouagadougou, starben am 26. September nach offiziellen Angaben 37 Menschen, davon 27 Angehörige des Militärs. Der Konvoi aus über 200 LKW sollte Lebensmittel nach Djibo liefern, wo derzeit etwa 300.000 Menschen leben, die meisten von ihnen intern Vertriebene. Auf derselben Strecke waren erst Anfang September 35 Zivilist*innen bei einer Minenexplosion getötet worden. Inzwischen werden Nahrungsmittel und Medikamente nach Djibo nur noch mit Hubschraubern geliefert.
Bettina Engels lehrt Politikwissenschaft mit den Schwerpunkten Konflikt- und Afrikastudien am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin. Sie ist Mitherausgeberin der Review of African Political Economy, des Canadian Journal of Development Studies und des Handbook of Critical Agrarian Studies.
Der Putsch vier Tage nach dem Anschlag von Gaskindé kam nicht überraschend. In der Armee sitzt der Frust über das Ausbleiben der Erfolge im Kampf gegen die bewaffneten Gruppen tief. Schon lange fühlen sich die niedrigeren Ränge von der militärischen Führung ignoriert. Ibrahim Traoré forderte Ende September mehrfach vergeblich Gesprächstermine mit Damiba, um ihm die Forderungen der frustrierten niedrigeren Ränge innerhalb der Armee und insbesondere des MPSR zu übermitteln. Anders als der Staatsstreich im Januar, der von ranghohen Militärs geführt wurde, war der Putsch vom 30. September ein typischer «coup from below»[1], angeführt von niedrigen Rängen, die keine Chance sehen, sich innerhalb der Armee gegenüber der älteren Elite zu behaupten. Das gilt auch für Capitaine Ibrahim Traoré, der seine militärische Laufbahn als einfacher Soldat begann und sukzessive bis zum Chef der Spezialeinheit «Cobra» in der Region um die Stadt Kaya im Norden des Landes aufstieg. 2018 war er als Blauhelm zur UN-Mission MINUSMA (Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali) in Mali entsandt. Im Januar unterstützte er Damibas Coup und gehörte selbst dem MPSR an. Mit 34 Jahren ist er aktuell angeblich der jüngste Staatschef der Welt.
Der Fernsehauftritt Traorés am Abend des 30. September ähnelte jenem von Damiba im Januar. Umringt von bewaffneten und überwiegend maskierten Militärs erklärte Traoré, dass die Regierung aufgelöst und die Verfassung außer Kraft gesetzt sei. Die Staatsgrenzen seien geschlossen worden, eine nächtliche Ausgangssperre werde von 21 bis 6 Uhr verhängt.
Schwierige Rolle Frankreichs
Wo Damiba sich aufhielt, blieb zunächst unklar. Gerüchten zufolge sei er mit Unterstützung der französischen Armee nach Dakar geflogen oder halte sich in der französischen Militärbasis Kamboinsin bei Ouagadougou auf, von wo aus er eine Gegenoffensive gegen den jüngsten Coup plane. Das französische Außenministerium dementierte: Frankreich sei in keiner Weise in das Geschehen involviert, so das offizielle Statement.
Dass das Gerücht die weit verbreitete Kritik und Ablehnung gegenüber der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich, deren Einfluss in der Region nach wie vor erheblich ist, verstärken würde, lag auf der Hand. In Ouagadougou und Bobo-Dioulasso, der zweitgrößten Stadt des Landes, griffen am Samstag wütende Demonstrierende die französischen Kulturzentren an, in der Hauptstadt auch die französische Botschaft. Dass Traoré Frankreich öffentlich vorwarf, Damiba zu schützen, und ankündigte, Burkina Faso sei «offen für alle Partner im Kampf gegen den Terrorismus», mag ein strategischer Zug gewesen sein, um Druck auf den gestürzten Damiba auszuüben. Religiöse und traditionelle Autoritäten vermittelten zwischen Traoré und Damiba. Letzter erklärte daraufhin am 2. Oktober seine Bereitschaft zum Rücktritt, sofern ihm und seinen Unterstützer*innen im Militär Sicherheit garantiert und der mit der ECOWAS vereinbarte Zeitplan für die Transitionsphase von maximal zwei Jahren eingehalten würde. Dem stimmte Traoré zu. Die Grenzen für den Luftverkehr wurden 48 Stunden nach ihrer Schließung wieder geöffnet, die nächtliche Ausgangssperre aufgehoben. Tatsächlich war Damiba nach Togo ausgereist, wie die Regierung des Nachbarstaates am Montag bestätigte.
Am 5. Oktober erklärte ein Sprecher der Putschisten Traoré zum Präsidenten und Oberbefehlshaber der Armee. Drei Tage später kündigte Traoré an, in der darauffolgenden Woche, am 14. und 15. Oktober, eine «nationale Versammlung» aus Vertreter*innen der politischen Parteien, der traditionellen und religiösen Autoritäten, der Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft einzuberufen. Diese werde eine Charta der Transitionsphase verabschieden, einen Übergangspräsidenten bestimmen und den Zeitplan für die Organisation der für 2024 vorgesehenen Wahlen beschließen. Auch hier folgt Traoré demselben Skript wie Damiba acht Monate zuvor: Dieser hatte im Februar eine 15-köpfige Kommission eingesetzt, um einen Fahrplan für die Transition zu erarbeiten, Anfang März die Transitionscharta unterzeichnet und eine Übergangsregierung eingesetzt.[2] Traoré selbst habe «kein Interesse an der politischen Macht», ließ er verlauten; sein Ziel sei es, zu den Truppen zurückzukehren.
Geopolitisches Framing
Nach dem Putsch vom Januar hofften einige Menschen, dass der neue Staatschef die Armee im Kampf gegen die bewaffneten Gruppen stärken und die Sicherheitslage im Land verbessern könne. Nachdem die Situation in den vergangenen sechs Monaten sich jedoch eher verschlechtert hat, überwiegt die Resignation.
Dass bei den Demonstrationen am Wochenende des Putsches russische Flaggen zu sehen waren, lässt sich unterschiedlich deuten: etwa als Zeichen, dass manche tatsächlich darauf hoffen, dass eine militärische Unterstützung aus Russland – was vermutlich den Einsatz der privaten Militärfirma Wagner bedeuten würde – zu Erfolgen im Kampf gegen die dschihadistischen Gruppen führen könnte; oder auch als Ausdruck der (seit Jahren wachsenden) kritischen Haltung gegenüber dem Einfluss Frankreichs und insbesondere gegenüber der französischen Militärpräsenz in der Region. Vielleicht verbirgt sich hinter den Flaggen aber auch gar keine klare politische Forderung. In jedem Fall erfuhren die russischen Flaggen in den europäischen Medien weit mehr Aufmerksamkeit als in Burkina Faso selbst. Das europäische Framing «Frankreich vs. Russland» lässt sich dabei eher als Spiegel der aktuell dominanten politisch-medialen Diskurse in Europa deuten denn als Analyse der Konflikte in Westafrika.
Tatsächlich hatte Damiba dem damaligen Präsidenten Kaboré bereits in den letzten Jahren den Einsatz der umstrittenen Wagner-Gruppe vorgeschlagen, was Kaboré aber stets ablehnte. Ob es in Burkina Faso, ähnlich wie im benachbarten Mali, zu einem Abzug der französischen Einheiten und einem Deal mit Wagner kommen wird, darüber lässt sich vorerst nur spekulieren. Angesichts der Berichte über schwerwiegende Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen durch Wagner-Söldner in Mali und der Zentralafrikanischen Republik würde der Einsatz einer privaten Militärfirma für Burkina Faso in jedem Fall ein weiteres Sicherheitsrisiko darstellen. Das Letzte, was die Menschen in den betroffenen Dörfern und Regionen brauchen, ist ein weiterer Akteur, der in die Lage versetzt wird, willkürlich Gewalt auszuüben.
Damit bleibt die Frage offen, wer die «Partner» Burkina Fasos im Kampf gegen die bewaffneten Gruppen sein sollen. Es wäre naiv, darauf zu setzen, dass sich Letztere ohne Einsatz militärischer Gewalt davon überzeugen lassen, ihre Angriffe einzustellen. Hierfür benötigt das burkinische Militär Personal, Ausstattung und Kompetenzen – einschließlich der Kompetenz, die Menschenrechte zu wahren und die Menschen im Land zu schützen, anstatt selbst zur Bedrohung zu werden. Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich hat sich kaum als der richtige «Partner» erwiesen, und die französische Militäroperation «Barkhane» im Sahel hat die Ablehnung Frankreichs in der Region in den letzten Jahren erheblich verstärkt. Auch die gemeinsame «Anti-Terror»-Operation der G5-Sahelstaaten (Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger, Tschad) hat bislang kaum eine Verbesserung der Sicherheitslage erreicht. Wiederholt gab es schwerwiegende Vorwürfe von Menschenrechtsverletzungen und Massakern an der Zivilbevölkerung durch Soldaten der Operation. Insgesamt haben die militärischen Interventionen die Region bisher eher destabilisiert als stabilisiert.[3] Kaum diskutiert wird bislang die Variante einer Intervention durch eine ECOWAS- oder UN-Mission.
Wenig Raum für Visionen
Die kritischen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Burkina Faso haben sich im Januar grundsätzlich gegen den Staatsstreich ausgesprochen. Ihre Handlungsspielräume sind indes bereits durch die vorherige, gewählte Regierung Kaboré massiv eingeschränkt worden. Seit dem Putsch vom Januar hat sich ihre Situation allerdings nicht verbessert, und es ist kaum zu erwarten, dass sich unter der nächsten Transitionsregierung die Spielräume für zivilgesellschaftliche Kritik erweitern werden.
Den Transitionsprozess nach dem Januar-Putsch haben die meisten Menschen aus kritischer Distanz verfolgt. Viele haben Zweifel an der Institution der nationalen Wahlen; in der Vergangenheit gab es immer wieder Boykottaufrufe zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen. Sollte die neue Übergangsregierung – wie angekündigt – für 2024 Wahlen vorbereiten, werden die Gewerkschaften, Menschenrechts-, Jugend- und anderen Organisationen diskutieren, wie sie sich dazu verhalten.
Die andauernde Sicherheitskrise zwingt die zivilgesellschaftlichen Organisationen dazu, fortlaufend auf aktuelle Ereignisse zu reagieren, und stellt eine große persönliche Belastung für Verantwortliche und Aktivist*innen dar. Raum für Reflexion, zur Entwicklung von Visionen und Strategien bleibt dabei kaum.
[1] Kandeh, Jimmy D.: Coups from Below: Armed Subalterns and State Power in West Africa. New York: Palgrave Macmillan, 2004.
[2] Engels, Bettina: Transition now? Another coup d’état in Burkina Faso, in: Review of African Political Economy, 49: 172 (2022), S. 315-326.
[3] Lacher, Wolfram: Unser schwieriger Partner. Deutschlands und Frankreichs erfolgloses Engagement in Libyen und Mali. SWP-Studie 3. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 2021; Tull, Denis M.: Operation Barkhane and the Future of Intervention in the Sahel. The Shape of Things to Come. SWP Comment 2021/C 05. Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, 2021.