Nachricht | Digitaler Wandel - China Regulierung der Digitalkonzerne ist auch in China ein Thema

Mit einem Datenschutzgesetz weist die Führung in Bejing die mächtigen Informationskonzerne in die Schranken

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Timo Daum,

Bild: IMAGO / Shotshop

Auch in China findet eine breite Debatte über die Stärkung von Nutzerrechten im digitalen Raum und über die Regulierung der Digitalwirtschaft statt. Die Probleme sind ähnlich: Macht- und Kapitalanhäufung, marktbeherrschende Stellung sowie Probleme mit dem Datenschutz und Arbeitsbedingungen, um nur einige zu nennen. Das drückt sich in ähnlichen Regulierungsbemühungen aus.

China übernimmt teilweise Regulierungsbemühungen mit den Mitteln des Kartell- und Wettbewerbsrechts, wie sie in den USA im Vordergrund stehen und versucht, dem europäischen Vorbild folgend, den Verbraucherschutz und Schutz von Persönlichkeitsrechten zu stärken. Wir sehen aber auch dirigistische Maßnahmen der chinesischen Führung, die das Ziel verfolgen, das Agieren der Digitalkonzerne den langfristigen politischen Zielen der Partei unterzuordnen, etwa beim Versuch, private Unternehmen aus dem Finanzsektor auszuschließen.

Timo Daum ist Physiker, Hochschullehrer und Sachbuchautor, sein Arbeitsschwerpunkt ist der digitale Kapitalismus.

Datenschutzgrundverordnung auf chinesisch

China hat im vergangenen November ein Gesetz zum Schutz persönlicher Daten im Netz verabschiedet. Das Personal Information Protection Gesetz (PIPL) trat am 1. November 2021 in Kraft und regelt erstmals umfassend die Speicherung, Übertragung und Verarbeitung personenbezogener Daten. Darin enthalten ist z. B. das Prinzip der Einwilligung in die Verwendung und Übermittlung persönlicher Daten, Folgenabschätzungen für Privatsphäre und Sicherheit und den Umgang mit Datenschutzverletzungen:  «Die persönlichen Daten natürlicher Personen werden rechtlich geschützt; keine Organisation oder Einzelperson darf die Rechte und Interessen natürlicher Personen in Bezug auf persönliche Daten verletzen» (Artikel 2 DSG China).

Bislang gab es in China keinen umfassenden Schutz personenbezogener Daten. Das neue Gesetz schließt diese Lücke und stellt so einen wichtigen Schritt zur Vereinheitlichung, Aktualisierung und Konkretisierung von Datenschutzgrundsätzen dar. Das Gesetz ist deutlich von der Europäischen Datenschutzgrundverordnung inspiriert, die seit 2018 in der Europäischen Union gilt. Han Xinhua, Jura-Professorin und Mitglied im Cybersicherheitskomitee der Communication University of China, erläutert: «Die Regeln sind in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich, wie z. B. die Definition von personenbezogenen Daten, die Regeln für die Verarbeitung sensibler Informationen, die Verpflichtung zum Ergreifen von Sicherheitsmaßnahmen, die Bestimmungen und Fristen zur Speicherung, die Einführung der Figur des Datenschutzbeauftragten usw.»

Im Westen mag Verwunderung über einen solchen Schritt herrschen, innerhalb Chinas verwundert das wohl niemanden, findet doch seit Jahren eine intensive Debatte über solche Regeln statt. Xinhua betont, die Verabschiedung des Gesetzes folge «in erster Linie aus Chinas internem Druck» und nicht etwa dem Bestreben, dem Ausland entgegenzukommen oder sich an westliche Standards anzupassen. Die Debatte ist auch noch lange nicht abgeschlossen, denn das Gesetzeswerk stellt eher einen Rahmen dar, dessen Konkretisierung in der näheren Zukunft zu erwarten ist.

Der Kontext der chinesischen DSGVO

Die Juristin Han Xinhua sieht das Gesetz im Kontext der Entstehung einer neuen Machtkonstellation in der chinesischen Gesellschaft, die wesentlich durch die Digitalisierung und den riesigen Erfolg der Digitalkonzerne angeschoben wurde. Diese Entwicklung habe die Kräfteverhältnisse in der digitalen Welt verändert. Han Xinhua erläutert: «Die bipolare Struktur aus öffentlicher Macht und privater Rechte in der Industriegesellschaft wird durch eine Dreiecksstruktur aus öffentlicher Macht, privater Macht und privater Rechte ersetzt.» Sie betont, in dem neuen Machtdreieck gelte es, das Individuum mit seinen individuellen Rechten gegenüber den anderen beiden Polen zu stärken und einen Macht- und Interessensausgleich zu finden.

Auch Bemühungen Chinas, gegen Korruption vorzugehen und rechtsstaatliche Strukturen («rule of law») zu stärken, spielen eine Rolle. Die Ära Xi Jinpings ist auch gekennzeichnet durch eine «heftige und weitreichende Anti-Korruptions-Kampagne», so die Sinologen Daniel Fuchs und Frido Wenten (Fuchs, Wenten, S. 6).

Das von der Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union inspirierte neue Gesetz in China stärkt tatsächlich die Rechte des Einzelnen gegenüber den Digitalkonzernen. Für die Partei- und Staatsführung dient das Gesetz jedoch zwei anderen Zielen: Erstens dürfte es als Bestandteil der Kampagne gegen Korruption und Missbrauch zu einer Stärkung des Vertrauens der Bevölkerung in die Institutionen führen und zweitens weist die Führung die mächtigen Digitalkonzerne in die Schranken und profiliert sich so als Anwältin der Bevölkerung, die deren digitale Dienste intensiv nutzt.

Die Digitalkonzerne zähmen

In den letzten Jahren sind mit den chinesischen Digitalkonzernen mächtige «personal information handler» auf den Plan getreten, die aus Sicht der Partei- und Staatsführung das gesellschaftliche Gleichgewicht gefährden. Das Verhältnis der chinesischen Regierung zu den Digitalkonzernen ist dabei durchaus kompliziert. Ihr Machtzuwachs wird aufmerksam beobachtet und, wenn für nötig befunden, begrenzt. Zum Beispiel stoppte die Regierung Ende 2020 kurzfristig den Börsengang der Ant Financial Services Group, einer Tochtergesellschaft der chinesischen Alibaba Group.

Der offiziell gültige «Hauptwiderspruch» in der gegenwärtigen chinesischen Gesellschaft ist laut Partei derjenige zwischen «unausgewogener und mangelhafter Entwicklung und den ständig wachsenden Bedürfnissen der Menschen nach einem besseren Leben». Die von der Partei ausgerufene Kampagne für gemeinschaftlichen Wohlstand («common prosperity movement») versucht die in den letzten Jahren auseinandergegangene Schere zwischen Arm und Reich wieder zu schließen. Gleichzeitig umfasst sie Bestrebungen, eine bessere Regierungsführung und mehr Gleichgewicht in der Wirtschaft zu erzielen – gemeint ist damit die Beschränkung der konzentrierten Macht und des akkumulierten Reichtums der heimischen Digitalkonzerne.

In den letzten Jahren gab es anhaltende Angriffe auf den Technologiesektor, wenn die Führung zur Überzeugung gelangt, diese hätten zu viel Einfluss gewonnen und sich zu weit von den Grundwerten der Kommunistischen Partei entfernt.  

Den Cyberspace am langen Hebel kontrollieren

Wichtigster Gegenspieler der Digitalkonzerne ist die mächtige Internet-Aufsichtsbehörde CAC (Cyberspace Administration of China). Kürzlich wurden ihre Kompetenzen erweitert, sie erhielt zusätzlich die Befugnis, die Börsennotierungen großer chinesischer Technologiekonzerne im Ausland zu überprüfen und gegebenenfalls zu verhindern. Und die Kompetenzen der CAC gehen weit über diejenigen ähnlicher Regulierungsbehörden in den USA oder in der EU hinaus. So ist die Aufsichtsbehörde CAC Haupteigentümer des erst vor fünf Jahren gegründete China Internet Investment Fund (CIIF).

Dieser besitzt zum Beispiel einen kleinen Teil einer Tochtergesellschaft von ByteDance, der in Peking ansässigen Muttergesellschaft der Social-Media-Gruppe TikTok. Die 1 Prozent-Beteiligung von CIIF an der Tochtergesellschaft ByteDance gibt ihm jedoch die Befugnis, eines von drei Vorstandsmitgliedern in einer Einheit zu ernennen, die über Schlüssellizenzen für den Betrieb seines inländischen Kurzvideogeschäfts verfügt. Solche «goldenen Aktien» verschaffen ihren Eigentümern einen enormen Einfluss auf die jeweiligen Unternehmen.

Der CIIF verpflichtet sich, bei seinen Investitionen keine «übermäßige Rentabilität» anzustreben. Dies spiegelt die jüngste Politik der Regierung wider, gegen «wildes Wachstum» und die «ungeordnete Expansion des Kapitals» bei Chinas Technologiekonzernen vorzugehen. Er agiert so als verlängerter Hebel der Regierung. In den USA oder Europa wäre es undenkbar, dass eine Aufsichtsbehörde, etwa die Federal Communications Commission in den USA oder die Bundesnetzagentur Beteiligungen an Unternehmen hält, Vortandsmitglieder ernennt und in die Geschäftspolitik eingreift, argumentiert das Wirtschaftsmagazin The Economist in einer Analyse.

Fazit

Europa und die USA ringen um die Regulierung der Macht der Digitalkonzerne, China ist da in einer ganz ähnlichen Lage. Die DSGVO in der EU, Anti-Trust-Gesetze in den USA, aber auch Diskussionen um Zerschlagung und Vergesellschaftung von Digitalkonzernen zeigen, wie nah die so unterschiedlichen Gesellschaften sich doch in dieser Hinsicht sind.

China ist zwar einerseits zu stärkerem Durchgreifen in der Lage, wie die Beispiele Alibaba bzw. ANT, Didi oder TikTok zeigen. Der Staat will sich die strategische planerische Initiative nicht aus der Hand nehmen lassen und weist seine eigene nationale Digitalwirtschaft in die Schranken. Das stellt allerdings auch ein Problem dar: Bemühungen für mehr Rechtsstaatlichkeit werden durch solche an Maos «Kampagnen» erinnernden paralegalen Aktionen konterkariert.

Mit der Stärkung von individuellen Rechten gegenüber den Digitalkonzernen versucht die chinesische Partei- und Staatsführung gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Einerseits die Macht der Konzerne einhegen und sich gleichzeitig als Anwalt der neuen digital-affinen chinesischen Mittelklasse zu profilieren.
 

Quellen: