Nachricht | Geschlechterverhältnisse - Kultur / Medien - WM Katar 2022 Fußball darf kein Männerbund bleiben!

Nicht-männliche Personen sind in allen Sphären des marktkonformen Fußballs strukturell benachteiligt

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Uefa Champions 2020, Juventus Turin Fc vs Dynamo Kyiv: Gelbe Karte für Mykola Shaparenko (Dynamo Kyiv) durch Stephanie Frappart. Sie ist die erste Frau, die ein Champions-League-Spiel leitet.
Gelbe Karte für Mykola Shaparenko (Dynamo Kyiv) durch Stephanie Frappart. Sie ist die erste Frau, die ein Champions-League-Spiel leitet. Uefa Champions 2020, Juventus Turin vs. Dynamo Kyiv, Foto: IMAGO / LaPresse

Diversity und Empowerment bedeuten nichts, wenn sie keine wirkliche Verbesserung der Verhältnisse versprechen. Wir erleben eine Verbindung zwischen patriarchaler Herrschaftsausübung und der Sphäre eines kapitalistischen Fußballs, der durch dessen Institutionalisierung in Form von Fußballverbänden und der damit verbundenen Professionalisierung in kapitalistischen Verhältnissen auf die Logiken des Wettbewerbs und der Konkurrenz eingehegt ist (Molter 2022: 41ff.).

Zwischen all den Zuschauer*innenrekorden und der Erfüllung von Mindeststandards wie der gleichen Bezahlung von männlichen und nicht-männlichen Nationalteams bei den Turnierprämien (Equal Pay) mag die Aussage zunächst verwirren, aber Fußball ist in all seinen Facetten kein sicherer Ort. Was sind die Gründe für die strukturelle Benachteiligung und Diskriminierung von Frauen und queeren Menschen, die im Fußball noch stärker zu Tage tritt als im Rest der Gesellschaft?

War Fußball früher das Spiel aller Geschlechter, hat es in seiner Institutionalisierung Anfang des letzten Jahrhunderts seinen patriarchalen Charakter erhalten, der bis heute von Männerbünden und ihren Macht- und Herrschaftsverhältnissen abgesichert wird. Erst in den 1970er Jahren durften nicht-männliche Fußballspieler*innen wieder gegen den Ball treten und bis heute verdienen Frauen und queere Menschen nicht nur wesentlich weniger Geld als ihre Kollegen, sondern sind auf Funktionärsebene quasi nicht vertreten. 3,7 Prozent aller Führungspositionen im europäischen Profifußball sind von Frauen und queeren Menschen besetzt: Und bei diesen Zahlen fängt die patriarchale Absicherung des Fußballs erst an, die mit der FIFA-Weltmeisterschaft 2022 in Katar in wenigen Monaten ihren nächsten Höhepunkt findet.

Die Täter sind überall

Wie sich das Patriarchat im marktkonformen Fußball zeigt

Zuletzt sind die Berichte wiederkehrender sexualisierter Gewalt im Profifußball in den Fokus der medialen Öffentlichkeit geraten. Der Fußballprofi Benjamin Mendy von Manchester City steht unter richterlicher Kontrolle, ihm werden acht Vergewaltigungen vorgeworfen. Und das ist kein Einzelfall. In die Liste angeklagter und verurteilter Sexualstraftätern reiht sich eine beachtliche Zahl weiterer Profifußballer ein. Cristiano Ronaldo wurde bereits 2018 der Vergewaltigung angeklagt, seine Anwälte zahlten Schweigegeld, die Akten sollen geheim gehalten werden. Der ehemalige brasilianische Nationalspieler Robinho wurde wegen einer Gruppenvergewaltigung zu neun Jahren Haft verurteilt. Der spanische Erstligaprofi Santi Mina wurde nun wegen sexuellen Missbrauchs zu vier Jahren Haft verurteilt. Als wäre das noch nicht genug, sieht man solche Fälle auch bei Fußballtrainern: Zuletzt entließ der SV Wehen Wiesbaden seinen Jugendtrainer wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs, zeitgleich wurden dieselben Vorwürfe gegen den Trainer der Frauenmannschaft von Paris Saint-Germain laut.

Lara Schauland ist Politikwissenschaftlerin und forscht an der Schnittstelle Zivilgesellschaft und Fußball.

Raphael Molter, Politikwissenschaftler und Autor, arbeitet unter anderem zu materialistischer Fußballkritik.

Und das Patriarchat ist auch auf den Rängen zuhause. Sexualisierte Gewalt ist jeder Erwartung entsprechend bis heute ein großes Problem in den Stadien im Fußball. Eine erste Welle an Betroffenen-Meldungen in den vergangenen Monaten beweist die erschreckende Situation. Sei es beim Aufstieg Werder Bremens in die Erste Bundesliga, als eine Anhängerin sexistisch beleidigt wurde oder beim gemeinsamen Platzsturm von Nürnberger und Schalker Anhänger*innen, von dem eine Frau berichtete, wie ihr ein Mann in den Schritt griff und mit seiner Hand versuchte, unter ihr Trikot zu gelangen. Dass das keine einzelfallartigen Vorkommnisse in den Kurven sind, beweist zudem die Lage bei der größten Ultra-Gruppierung des FC St. Pauli, den Ultrà Sankt Pauli.

Ende des vergangenen Jahres meldete sich eine Gruppe betroffener und solidarischer Frauen und queerer Menschen zu Wort, die der Gruppierung vorwarfen, Täter in ihren Reihen zu haben, sie zu schützen und die eigenen Strukturen dahingehend nicht hinterfragt zu haben. Eine der größten linken Fanszenen Deutschlands findet sich seitdem in einem Aufarbeitungsprozess wieder, der Rückschlüsse auf Zustände anderer Fanszenen und Ultra-Gruppierungen zulässt, denn die in antifaschistischen Strukturen bereits erkannten Ursachen wie informelle Machthierarchien, Gewaltbereitschaft und der in Ultra-Gruppierungen noch höhere Anteil an Männern fördert offensichtlich Sexismus und sexualisierte Gewalt.

Die Aufarbeitung innerhalb der Gruppe ist in der Sommerpause 2022 abgeschlossen und mit einem öffentlichen Update zum Stand auf der eigenen Website veröffentlicht worden: Man möchte nun eine «explizite Vernetzung weiblicher Ultras» fördern, mit der AG Antidiskriminierung sensibilisieren und die Awareness-Strukturen im Stadion und darüber hinaus ausbauen. Das Problem des patriarchalen Fußballs ist aber nicht allein durch Präventionsstrategien und Strafen für Täter gelöst. Vielmehr muss der Blick den Strukturen und der Wirkweise des marktkonformen und patriarchalen Fußballs gelten. Zwei zentrale Gründe gegen dabei Hand in Hand und bedingen sich zu einem gewissen Grad gegenseitig. Einerseits die von der australischen Soziologien Raewyn Connell beschriebene «hegemoniale Männlichkeit» und andererseits die Prozesse der fortschreitenden Kommerzialisierung im Sport, die Einfluss auf die Rolle von Frauen und queere Menschen innerhalb dieses Systems genommen haben.

Wir gewinnen sowieso!

Wie sich das Patriarchat mit dem marktkonformen Fußball verbündet

Raewyn Connell hat sich ausführlich mit dem Konzept der Männlichkeit beschäftigt. Dabei machte sie vier Grundmuster aus, wie Männer miteinander umgehen: Hegemonie, Unterordnung, Komplizenschaft und Marginalisierung. Wenn man das liest, wird schnell klar, dass sich alle Muster im Kontext Fußball finden lassen. Egal, ob bei Profifußballern und ihrem sportlichen Umfeld, ob bei den oligarchischen undemokratischen Strukturen innerhalb der Verbände FIFA und DFB oder zwischen organisierten oder weniger organisierten Fans. Connell beschreibt, dass sich Männer hegemonial verhalten, wenn sie Frauen und queere Menschen oder niedrigere Männer ausschließen oder unterordnen und ihre Dominanz absichern.

Während andere Lebensbereiche im Spätkapitalismus zu umkämpften Räumen wurden, in denen Frauen und queere Menschen Teilhabe fordern, stellt der Fußball eine der letzten Sphären traditionell hegemonialer Männlichkeit dar. Männer dominieren Fußball: Hauptsächlich männliche Fans unterstützen Mannschaften im Stadion, der Anteil an Frauen und queeren Menschen liegt bestenfalls zwischen 30 und 40 Prozent, in den lautstarken Kurven zumeist noch darunter. Dahinter verbergen sich die im Fußball vermittelten Werte wie Kampfgeist, Leidenschaft und Loyalität, die in Verbindung mit Alkohol und Gewalt typisches Männerverhalten erzeugen. Kein Ort für nicht-männliche Personen oder wie es die Fanszene von Hansa Rostock in ihren Regeln für den eigenen Block ganz explizit und sexistisch darstellt: «Keine Weiber in den ersten drei Reihen».

Der französische Soziologe Bourdieu führte einst an, dass der männliche Habitus «nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen» (1997: 203) konstruiert und vollendet werde. Der Fußball ist eben einer dieser Orte der, stärker noch als viele andere Lebensbereiche, hegemoniale Männlichkeit verkörpert. Die Exklusion aller weiblichen Elemente aus dem Männerfußball stellt dementsprechend einen Schutzmechanismus der hegemonialen Männlichkeit dar. Es geht darum den Gruppenmitgliedern habituelle Sicherheit zu vermitteln und so Verunsicherung bezüglich der männlichen Identität ausgleichen zu können. Das Fußballstadion und alle mit ihm assoziierten Räume wie die dazugehörige Kneipe, in der Fußball geguckt wird oder die Fanbusse an Auswärtsspieltagen stellen besondere Orte dar, an denen die Männer aus denen in ihren Strukturen gefestigten Machtpositionen heraus Frauen und queere Menschen dominieren (vgl. Behn/Schwenzer 2006: 46). Diese Orte erfahren ihre Funktion aus der patriarchalen Nutzung im Kontext Fußball und spiegeln Verhältnisse wider, die kaum hinterfragt sind.

Gute Freunde kann niemand trennen

Die historische Verbundenheit von Patriarchat und marktkonformen Fußball

Wir wissen, dass seit Beginn der Industrialisierung mit der zunehmenden Bedeutung der Geschlechterordnung in der Gesellschaft eine Unterteilung von produktiver und reproduktiver Arbeit stattfand, die das Fundament für das Bündnis von Kapital und Patriarchat bildet. Frauen und queere Menschen wurden auf ihre häuslichen und familiären Pflichten verwiesen und damit ebenfalls auch von den Rängen und Plätzen der Fußballclubs ausgeschlossen. Als sich Frauen und queere Menschen die Sphäre des Fußballs Anfang der 1970er Jahre nach und nach zurückeroberten, wurde die nicht-männliche Version dieses Spiels noch als lächerlich und unästhetisch verunglimpft, um die Gleichsetzung von Männlichkeit und Fußball abzusichern. Die weibliche Gebährfunktion geriet in den Fokus männlicher Fußballfunktionäre, die daraufhin vor den Risiken dieses augenblicklich erscheinenden Höllenspiels mit dem runden Leder warnten (vgl. Müller 2007: 126).

Solche Tendenzen sehen wir bis heute bei Fußballfunktionären, doch mit der Liberalisierung des Fußballs hin zu seiner marktkonformen Variante seit Beginn der 1990er Jahre begann ein Wandel: Die Suche nach neuen, erschließbaren Märkten ließ Frauen und queere Menschen wieder in den Fokus des Fußballs rücken, aber eben nur als Konsument*innen. Neue Merchandise-Produkte waren schnell gewählt: Viel Rosa, viel Glitzer. Noch vor wenigen Jahren probierten sowohl der Hamburger Sport-Verein als auch Hertha BSC mit pinken Ausweichtrikots die Trikotverkäufe anzukurbeln. Ideologisch verpackt in dem Sprech, dass man endlich friedlichere und ruhigere Zuschauer*innen in die Stadien locken könne. Eine Redensart, die auch rund um die Frauen-Europameisterschaft 2022 in England aufpoppte. Neue Märkte hin oder her: Sowohl Vereine als auch die Fußballverbände als eigentliche Herrschaftsträgerinnen im Fußball haben darüber hinaus nie viel für wirkliche Gleichstellung getan und reproduzieren institutionell wie kulturell eines der größten Schutzfelder hegemonialer Männlichkeit.

Frauen gehören nicht in den Fußball!

Der Ausschluss von Frauen und queeren Menschen hat im Fußball offensichtlich System. Er dient der Sicherstellung männlicher Hegemonie, aber auch dem patriarchalen Machterhalt im Kapitalismus und dessen traditionell-kapitalistische Arbeitsaufteilung. Der marktkonforme Fußball kann und will dementsprechend keine gleichberechtigte Teilhabe leisten. Sollten wir ihn also aufgeben? Nein. Fußball ist aus sozialistischer Sicht eine wichtige Sphäre, bei der sich Solidarität und Gemeinschaft vereinen und der Raum des Stadions vereint so viele Menschen unterschiedlicher Klassen, wie wir es sonst kaum noch kennen. Fußball bietet einen Raum, in dem Interessen aggregiert und Konflikte ausgetragen werden. Der Politologe und Historiker Georg Spitaler plädierte deshalb «für einen Sport, der nach wie vor einen Ort für die ritualisierte Aufführung gesellschaftlicher Antagonismen bereitstellt, sich aber von jeder männlichen libido dominandi, dem Verlangen zu herrschen, verabschiedet, die mit fußballerischen Begleiterscheinungen wie Gewalt, Rassismus, Chauvinismus, Homophobie – aber auch mit den Diskursen vom ‹Fußball als Ware› und damit den machtbewussten Lenkern des Fußballbusiness – verbunden ist» (Spitaler 2007: 52).

Fußballfans müssen den Kampf gegen Kommerz und Kapitalisierung als einen Kampf für einen demokratischen Fußball begreifen und ihre Kämpfe zusammenführen. Die Weltmeisterschaft in Katar kann dafür der geeignete Anlass sein. Denn wo einige einfach nur die nächste Ungeheuerlichkeit eines marktkonformen und korrupten Fußballs sehen, wird das sichtbar, was in der Theorie schon längst sichtbar war: In Katar verbündet sich der internationale Fußball mit einem Staat, der bis heute internationale Verpflichtungen in Bezug auf Frauen- und LGBTQI-Rechten bricht. Das männliche Vormundschaftssystem gilt bis heute, queere Menschen müssen mit drakonischen Repressionen rechnen. Katar zeigt die Praxis eines marktkonformen Sports auf, der Bündnisse mit dem Patriarchat eingeht, um sich finanziell wie kulturell abzusichern. Deshalb müssen die verschiedenen Kämpfe auch im Fußball zusammenkommen: Ein Fußball ohne Kommerz kann nur ein Fußball ohne hegemoniale Männlichkeit sein. Die Wurzeln solcher Probleme liegen nicht in dem vermeintlich gierigen Verhalten weniger Funktionäre oder einiger Täter in den Kurven: Der marktkonforme Fußball und seine Institutionen sind dafür ursächlich. Der Kampf um Gleichberechtigung kann und darf nicht bei marktkonformer Erfüllung von Diversity und Empowerment enden, wir brauchen Systemkritik im Fußball!
 

Literaturverweise:

  • Behn, S./Schwenzer, V.: Anmerkungen zu Sexismus und Gender Mainstreaming im Kontext von Fußball und Fanarbeit. Sozial Extra 30. April 2006. S. 45 – 48.
  • Bourdieu, P.: Die männliche Herrschaft. In: Dölling, Irene/Krais, Beate (Hg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis. Suhrkamp Verlag: Frankfurt/M. 1997. S. 153 – 217.
  • Molter, R.: Friede den Kurven, Krieg den Verbänden. Fans, Fußball und Funktionäre – Eine Herrschaftskritik. PapyRossa Verlag: Köln 2022.
  • Müller, M.: Das Geschlecht des Fußballs. Zur “Polarisierung der Geschlechtercharaktere” im Fußball. Sport und Gesellschaft 4, Heft 2. 2007. S. 113 – 141.
  • Spitaler, G.: Arena der Männlichkeit: Stichworte zum Verhältnis von Fußball, Männlichkeit, Politik und Ökonomie. In: Zentrum für Transdisziplinäre Geschlechterstudien (Hg.): Buletin-Texte 33. Dezember 2007. S. 45 – 53.