Nachricht | Golfstaaten - WM Katar 2022 Das große Spiel

Die Sportpolitik der arabischen Golfmonarchien

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Das Lusail-Stadion in Katar ist einer der Austragungsorte der Fußball-WM der Männer 2022. Beim Bau des Prestigeprojekts in der Planstadt Lusail nördlich der katarischen Hauptstdt Doha kam es nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen zu schweren Menschenrechtsverletzungen und zur Ausbeutung von Arbeitern. Visit Qatar via Unsplash

Als die Entscheidung feststand, ließ die spöttische und überraschte Reaktion der internationalen Öffentlichkeit nicht lange auf sich warten: Im Oktober hatte der asiatische Olympiarat die Bewerbung Saudi-Arabiens akzeptiert, im Jahr 2029 die asiatischen Winterspiele ausrichten zu dürfen. Dies sorgte bei Medienvertretern sowie politischen Beobachtern für Kopfschütteln, schließlich gilt Saudi-Arabien als eines der heißesten und trockensten Länder der Erde, verfügt weder über Süßwassergewässer noch über Regionen, in denen stetiger Schneefall garantiert ist. Zwar liegen die Temperaturen in den 2.600 Meter hohen Sarawat-Bergen in der nordwestlichen Region Tabuk, wo die Winterspiele ausgetragen werden sollen, zehn Grad unter der durchschnittlichen Jahrestemperatur des Landes, doch eine geschlossene Schneedecke findet sich nur sehr selten.

Saudi-Arabien: Prestigeprojekte und «Sportwashing»

Dennoch: Der saudische Kronprinz Muhammad bin Salman (MbS) will sein Land nicht nur in die Moderne führen und die wirtschaftliche und touristische Strahlkraft des Königreichs erhöhen, er will auch Grenzen verschieben und seine Vision von einem «neuen Saudi-Arabien» durchsetzen – koste es, was es wolle. Dafür steht auch der Plan, die Winterspiele auszurichten – gegen alle Widerstände und Häme. Unter MbS dominiert ein neuer Herrschaftsstil die Geschicke des Königreichs, der von Ehrgeiz, Ego und Einflussnahme getrieben wird. Unter ihm öffnet sich zwar die Gesellschaft, werden Frauenrechte gestärkt und die Unterhaltungsbranche gefördert, gleichzeitig wird aber hart und repressiv gegen Kritiker*innen vorgegangen. Weite Teile seiner Bevölkerung bewundern und verehren ihn für diesen Kurs. Sein Projekt ist der stetige Wandel, um ein «neues Saudi-Arabien» zu schaffen, welches sich drastisch von dem alten, verkrusteten Königreich unterscheidet. Er erlaubt Frauen das Autofahren, fördert den Tourismus und investiert Milliarden in den Aufbau einer Sportindustrie.

Sebastian Sons arbeitet als Researcher beim Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO). Sons ist Islamwissenschaftler und promovierte zur pakistanischen Arbeitsmigration nach Saudi-Arabien. 2016 erschien sein politisches Sachbuch «Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien – Ein Problematischer Verbündeter». Im September veröffentlicht er das Buch «Menschenrechte sind nicht käuflich. Wie die WM in Katar auch bei uns zu einer neuen Politik führen muss». Er bereist seit über zehn Jahren zu Forschungszwecken die arabischen Golfstaaten und beschäftigt sich insbesondere mit deren Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs- und Sportpolitik sowie Migration in die Golfmonarchien.

Unter der Ägide des Kronprinzen hat Saudi-Arabien in den letzten Jahren immer mehr internationale sportliche Großereignisse organisiert. Seit November 2021 organisiert Saudi-Arabien sein eigenes Formel-1-Rennen in der Hafenstadt Dschidda, welches ab 2023 in der Gründungsstadt des saudischen Königreichs, dem historischen Diriyya nahe Riad, stattfinden wird. Das staatliche Ölunternehmen Aramco vereinbarte im März 2020 eine strategische Partnerschaft mit der Formel 1 und erwarb im Februar 2022 außerdem Anteile an Aston Martin. Weiterhin wurden Wrestlingwettbewerbe, Boxkämpfe oder der Riad-Marathon, der im Frühjahr 2022 zum ersten Mal internationale Läufer*innen ins Königreich lockte, im Königreich ausgerichtet. Mit der italienischen Serie A bestand ein jahrelanger Vertrag, um das Pokalfinale im Königreich stattfinden zu lassen. Die Elite des spanischen Fußballs gastiert in der Hauptstadt Riad, um dort den Supercup auszuspielen.

Weiterer Höhepunkt der saudischen Sportpolitik ist das Investment in den englischen Premier-League-Club Newcastle United. Mit etwa 360 Millionen Euro kaufte der saudische Investitionsfonds (Public Investment Fund, PIF) 80 Prozent des Traditionsvereins, womit der Verein im Nordosten Englands über Nacht zu einem der potenziell reichsten Clubs der Welt aufstieg. PIF ist mit einem geschätzten Kapital von 480 Milliarden US-Dollar einer der finanzstärksten Staatsfonds der Welt und investiert in Firmen auf der ganzen Welt. Das Geld für den Einstieg bei Newcastle stammt aus staatlichen Taschen und ist eng mit den Interessen der saudischen Führung verknüpft. Immerhin steht MbS dem PIF-Vorstand vor, und sein enger Getreuer, Yassir al-Rumayyan, Geschäftsführer des Fonds, wurde zum saudischen Repräsentanten bei Newcastle ernannt. Zwar ist Newcastle noch kein englischer Spitzenclub, doch bereits wenige Wochen nach der Übernahme zeigte sich, dass der Verein mit saudischem Geld eher früher als später zu einem ernstzunehmenden Mitkonkurrenten in der Premier League aufsteigen soll: Newcastle investierte in der Wintertransferperiode 2021/22 mit über 100 Millionen Euro das meiste Geld in neue Spieler – weltweit.

Zum Vergleich: Insgesamt flossen aus den 18 Vereinen der Bundesliga nur 60,6 Millionen Euro in Transfers. Dabei geht es Saudi-Arabien nicht allein darum, das ramponierte Image durch den Fußball zu verbessern – Stichwort «Sportwashing». Stattdessen nutzt die geographische Lage Newcastles am River Tyne und seiner Anbindung an die Nordsee den wirtschaftlichen Ambitionen Saudi-Arabiens: Man möchte sich in Zukunft stärker in der maritimen Logistik engagieren und hat dafür im Juni 2021 eine eigene Strategie veröffentlicht. Newcastle könnte also auch ein logistischer Eckpunkt in dieser Strategie werden. Außerdem möchte Saudi-Arabien intensiver in erneuerbare Energien investieren – ein Sektor, der auch in Newcastle gefördert werden soll. Schließlich erwägt Saudi-Arabien, sich gemeinsam mit Ägypten und Griechenland auf die Ausrichtung der Fußball-WM 2030 zu bewerben.

Ökologische Risiken

Solche Investitionen und sportpolitischen Bemühungen beinhalten aber auch ein großes Risiko. Im Fall der Winterspiele existieren die Sportstätten sowie die Unterkünfte für die Gäste und Sportler*innen bislang noch nicht. Innerhalb von vier Jahren soll das Winterresort Trojena entstehen, das 700.000 Tourist*innen jährlich anlocken soll. Bis 2030 sollen dort 7.000 Menschen leben. Das sind zumindest die Absichten des Kronprinzen. Doch dafür muss aus einer öden Bergregion bis 2026 eine futuristische Wintersportanlage aus dem Boden gestampft werden. In Trojena soll das vertikal in den Berghang gebaute Hotel The Vault sowie ein künstlicher See entstehen, der technisch aufwändig über Pipelines mit Süßwasser versorgt werden soll, während geplant ist, die Pisten mit Kunstschnee zu präparieren. Immerhin sinkt die Temperatur nur selten unter null Grad Celsius. Für Umweltorganisationen wie Greenpeace stellen solche Pläne ein umweltpolitisches Desaster dar, da das Ökosystem beeinträchtigt werde und Unmengen an Energie verbraucht würden. Weiterhin steht zu befürchten, dass Mitglieder lokaler Stämme aufgrund der umfangreichen Baumaßnahmen umgesiedelt oder gar verhaftet und zum Tode verurteilt werden, wie es in den vergangenen Jahren bereits vorgekommen ist.

Für den saudischen Kronprinzen scheinen diese Unwägbarkeiten und Risiken jedoch nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Für ihn sollen diese Megaprojekte in Sport und Tourismus auch Arbeitsplätze für junge saudische Männer und Frauen schaffen, die auf den Arbeitsmarkt drängen und längst nicht mehr alle im öffentlichen Sektor beschäftigt werden können. Noch immer beträgt die Jugendarbeitslosigkeit knapp 30 Prozent. Unter MbS haben zwar die Bemühungen zugenommen, den eigenen Arbeitsmarkt unabhängiger von ausländischen Arbeitskräften aufzustellen und mehr saudische Staatsangehörige einzustellen («Saudisierung»).

Doch noch immer kommen etwa ein Drittel der Bevölkerung von 30 Millionen aus dem Ausland und das Risiko von Perspektivlosigkeit, sozialer Frustration und drohender Arbeitslosigkeit ist trotz einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung in den letzten Jahren für viele Menschen zu einer besorgniserregenden Realität geworden. Gleichzeitig sind Investitionen in die Sportindustrie ein weiterer Schritt, um Tourist*innen und ausländische Unternehmen anzulocken und damit die Wirtschaft zu diversifizieren, die noch immer sehr stark von den Öleinnahmen abhängig ist. Außerdem will er den Sport nutzen, um das beschädigte Image des Königreichs zu verbessern: Seit seiner Ernennung zum Kronprinzen hat er einen Krieg im Jemen mit zu verantworten, den Konflikt mit Iran geschürt und unterdrückt Kritiker*innen mit harter Hand. Im Oktober 2018 mündete diese Politik der Repression gar in der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi – er wurde im saudischen Konsulat in Istanbul zerstückelt. Der US-amerikanische Geheimdienst CIA und viele andere sind überzeugt, MbS habe ein Killerkommando losgeschickt, um seinen unliebsamen Kritiker beiseitezuschaffen. Zuletzt wurden im März 2022 81 Menschen exekutiert – die größte Hinrichtungswelle innerhalb des Königreichs seit Jahrzehnten.

Katar: «vernetzte Diplomatie» und Sportpolitik

Die saudische Sportpolitik unter MbS folgt somit einem Geschäftsmodell, das sich in den kleinen Nachbarmonarchien Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) längst manifestiert hat. Während Saudi-Arabien als Spätzünder in der golfarabischen Sportpolitik bezeichnet werden muss, ist vor allem Katar durch die Ausrichtung der WM zu einer globalen Großmacht im Sport aufgestiegen. Durch die Vergabe der WM am 2. Dezember 2010 hat sich Katar mithilfe des Fußballs als Plattform und Netzwerker etabliert und nutzt den Sport, um sich größer zu machen als es ist. Immerhin befindet sich der «kleine Staat» in einer Sandwich-Position eingepfercht zwischen den Regionalmächten Saudi-Arabien im Westen und Iran im Osten, die miteinander konkurrieren und sich in einem schwelenden Konflikt befinden. Bereits früh hatte die Herrscherfamilie in Katar, die Al Thani, erkannt, dass diese volatile geostrategische Lage die eigene Machtposition gefährden könnte. Seit dem 19. Jahrhundert wurde die Herrschaft der Al Thani immer wieder von externen Rivalen herausgefordert, darunter die saudische Al Saud oder auch die bahrainische Al Khalifa. Um diesen Bedrohungen zu begegnen, schlossen die Emire der Al Thani Bündnisse und Abmachungen mit Schutzmächten wie den Briten im späten 19. Jahrhundert und 1916, was die enge Partnerschaft zwischen den Al Thani und Großbritannien zementierte.

Ähnliche Allianzen bestehen heutzutage mit den USA, während die katarischen Herrscher unter dem derzeitigen Emir Tamim bin Hamad Al Thani auch zu anderen Partnern ein konziliantes Verhältnis pflegen. So unterhält Katar gemeinsam mit Iran das größte Gasfeld der Erde – die Grundlage für Katars immensen Wohlstand. Außerdem erlaubte man bereits vor Jahren den afghanischen Taliban, in der katarischen Hauptstadt Doha ein Verbindungsbüro zu eröffnen und unterstützt die palästinensischen Hamas. Katar hat sich somit als einflussreicher Netzwerker etabliert, der mit Akteuren spricht, mit denen nicht jeder sprechen kann.

Bei dieser Strategie der vernetzten Diplomatie hilft auch der Sport. Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien 1971 soll Katar mehr als 500 Sportveranstaltungen wie die Asienspiele 2006 oder die Handball-WM 2015 durchgeführt haben. Weiterhin hat Katar durch das Investment in den Pariser Fußballverein Paris St. Germain (PSG) seine Funktion als wichtiger Akteur in der europäischen Fußballpolitik massiv ausgeweitet: Wenige Monate nach der erfolgreichen Bewerbung um die WM erwarb die Qatar Sports Investment (QSI) PSG für etwa 100 Millionen Euro. QSI gehört zur Qatar Investment Authority (QIA), dem staatseigenen Investitionsfonds unter Führung des katarischen Emirs. Seitdem investierte Katar etwa 1,39 Milliarden Euro in Ablösesummen für internationale Topstars wie Lionel Messi, Neymar Junior oder Kylian Mbappé. Damit lag PSG auf Rang sechs bei den Clubs mit den höchsten Transferausgaben im letzten Jahrzehnt.

PSG ist dank des katarischen Geldes zum französischen Serienmeister aufgestiegen und bot Katar eine exzellente Möglichkeit, massiv auf dem französischen Markt zu investieren und die politischen Beziehungen zu Frankreich zu stärken. Gleichzeitig ist PSG zu einem Aushängeschild Katars geworden, dient es der Club doch als Werbeplattform für die staatseigene Fluglinie Qatar Airways. Die Airline fungiert auch als Sponsor für weitere internationale Topclubs wie den deutschen Serienmeister FC Bayern München, den italienischen Traditionsverein AS Rom oder den argentinischen Club Boca Juniors. Außerdem unterstützt Qatar Airways aber auch die Fußballligen in Nepal und Philippinen. Damit möchte sich Katar in den Heimatländern vieler in Katar arbeitenden Migrant*innen als verlässlicher Partner präsentieren und damit auch von der strukturellen Ausbeutung der Arbeitsmigrant*innen ablenken.

Vereinigte Arabische Emirate: Drahtzieher im Hintergrund

Neben Katar haben die VAE ihre Sportpolitik seit der Übernahme des englischen Traditionsvereins Manchester City im Jahr 2008 ebenfalls professionalisiert, verfolgen allerdings eine andere Strategie: Im Gegensatz zu Saudi-Arabien und Katar agieren sie stärker im Hintergrund und verstehen sich eher als Drahtzieher denn als Plattform. Zwar findet in Abu Dhabi ebenfalls ein Formel-1-Rennen statt, doch ansonsten nutzen die emiratischen Herrscher unter Kronprinz und Präsident Muhammad bin Zayed Al Nahyan (MbZ) den Sport eher, um das eigene Geschäftsmodell zu stärken und sich wirtschaftlich zu diversifizieren. Das zeigt insbesondere das Engagement bei City: Während PSG in den letzten Jahren durch das katarische Geld zu einer Allstar-Truppe entwickelt wurde, verpflichtete City zumeist hochtalentierte Fußballer, die allerdings kaum Superstar-Potenzial besaßen. Ausnahmen sind dabei der belgische Mittelfeldstar Kevin de Bruyne und der norwegische Stürmer Erling Haaland sowie der Startrainer Pep Guardiola. Dennoch gab der Verein mithilfe des emiratischen Geldes zwischen 2011 und 2021 mehr als 1,6 Milliarden Euro für neue Spieler aus und rangiert damit an der Spitze aller europäischen Clubs.

Durch die Übernahme Manchester Citys durch die City Football Group, die zu mehr als 80 Prozent der Abu Dhabi United Group Investment & Development Limited und damit dem Staat gehört, gelang es den VAE auch, Milliardeninvestitionen in der Immobilienbranche in Manchester zu tätigen, und somit das wirtschaftliche Portfolio zu diversifizieren – ähnlich wie Saudi-Arabien in Newcastle und Katar in Paris. Zwar ist ManCity das Flaggschiff des emiratischen Sportinvestments, doch ähnlich wie in der Schifffahrt oder der Hafenlogistik baut die City Football Group ein weit verzweigtes globales Fußballnetzwerk aus und hat Vereinsanteile in New York, Melbourne, Yokohama, Torque in Uruguay, Girona in Spanien und Chengdu in China erworben. Wie Qatar Airways im Falle Katars, dienen die Staatsfluglinien Emirates Airlines und Ettihad als Projektionsflächen der emiratischen Diversifizierungsstrategie. Doch dieses Engagement birgt auch Risiken: Seit dem Einstieg der Emirate sind die «Skyblues» zwar in den Olymp der englischen Topclubs aufgestiegen, werden aber immer wieder beschuldigt, gegen die Regeln der UEFA zur Finanzierung von Fußballvereinen zu verstoßen. So soll der Hauptsponsor Etihad Airlines, die staatliche Fluglinie der VAE, nicht wie ausgewiesen nur 8 Millionen Pfund, sondern mehr als 60 Millionen Pfund direkt vom emiratischen Eigentümer Mansour bin Zayed, dem Bruder des emiratischen Kronprinzen Muhammad bin Zayed, an den Klub überwiesen haben.

Daraufhin wurde City 2020 zu einer Strafe von 30 Millionen Euro verurteilt und für zwei Jahre aus der Champions League ausgeschlossen, was ein Jahr später vom Internationalen Sportgerichtshof CAS revidiert wurde – offiziell aus Mangel an Beweisen, was Berichte aber bezweifeln. City soll immer wieder Millionenunterstützungen von der emiratischen Regierung erhalten haben, um in den letzten zehn Jahren 1,7 Milliarden Euro in das Starensemble investieren zu können.

In Abu Dhabi bestimmt mit dem Kronprinzen Muhammad bin Zayed (MbZ) ein ebenso ambitionierter De-Facto-Herrscher wie in Saudi-Arabien die politischen Geschicke. Unter seiner Führung betreiben die VAE eine Strategie der vermeintlichen außenpolitischen Zurückhaltung, proklamieren einen pragmatischen und konstruktiven Umgang mit allen Regionalakteuren, gelten als Drehscheibe des regionalen und weltweiten Handels und der Hyper-Modernisierung. Mit großzügiger Entwicklungshilfe in Afrika, Asien oder Lateinamerika, einer pragmatischen Religionspolitik, wissenschaftlichem Engagement im Klimaschutz oder bei der Förderung von Raumfahrttechnologie und erneuerbaren Energien, der Mitwirkung in multilateralen und internationalen Foren sowie bei der Unterstützung weltweiter Kulturaktivitäten bespielen die VAE die gesamte Klaviatur der «Soft Power». Dahinter steckt das Kalkül, politischen und wirtschaftlichen Einfluss auszuüben: Die VAE sind nicht nur im Krieg im Jemen beteiligt, sondern auch in Libyen oder am Horn von Afrika militärisch involviert. Darüber hinaus haben die VAE ihren globalen Einfluss als maritime Handelsmacht über den Logistikgiganten DP World ausgebaut, der über Beteiligungen an Häfen in Afrika, Asien und Europa über ein weltweit verzweigtes Netzwerk verfügt. Wer die Seewege kontrolliert, kontrolliert die Welt – dieses Motto haben sich die VAE zu eigen gemacht und sind damit zu einer Großmacht aufgestiegen, die auch als «kleines Sparta» bezeichnet wird.

Vor allem die Normalisierung der Beziehungen zu Israel 2020 war eine Sensation: Traditionell galt Israel als das größte Übel im Ringen um eine Zwei-Staaten-Lösung mit den Palästinenser*innen. Doch mittlerweile ist die Unterstützung der Palästinenser*innen durch die VAE nicht mehr als pure Folklore. Stattdessen suchten die VAE in den letzten Jahren den Austausch und den Dialog mit Israel: Nach dem Credo «Der Feind meines Feindes ist mein Freund» eint Israel und die Golfstaaten die gemeinsame Furcht vor einem expansionistischen Iran, was die VAE und andere Golfstaaten immer mehr in die Arme Israels getrieben hat.

Sportpolitik: ein zweischneidiges Schwert

Für Saudi-Arabien, Katar und die VAE fungiert die Sportpolitik also als wichtiges Instrument, die eigene Macht zu sichern, den wirtschaftlichen und politischen Einfluss in der Region und der Welt auszubauen und sich vor externen Bedrohungen zu schützen. Sport ist weiterhin für die autokratischen Herrscher zu einem Treiber golfarabischer Identitätspolitik geworden, um einen machtlegitimierenden Nationalismus und Patriotismus zu schaffen, der eigenen Bevölkerung Brot und Spiele zu liefern und sich selbst als Architekten einer mobilen, sportbegeisterten und aktiven Gesellschaft zu präsentieren. Gleichzeitig stehen die Golfmonarchien auch im Sport zunehmend in Konkurrenz, ringen um die wichtigsten und prominentesten Sportereignisse und wollen sich gegenseitig übertrumpfen. Insbesondere die WM in Katar hat in Saudi-Arabien und den VAE für Neid und Missgunst gesorgt. So wollten beide Staaten gemeinsam mit Bahrain und Ägypten während ihrer Blockade gegen Katar von Juni 2017 bis Januar 2021 dem Nachbarn unterschwellig auch die WM wegnehmen.

Doch Katar wehrte sich, indem kurz nach Ausbruch der «Golfkrise» der staatseigene Club PSG Neymar Junior für die höchste Ablösesumme aller Zeiten in Höhe von EUR 222 Millionen Euro verpflichtete. Dieser Transfer war ein Zeichen der Stärke gegen die Blockadestaaten und zeigt, wie der Sport von allen Golfmonarchien politisiert und für eigene Zwecke instrumentalisiert wird. Damals konnte sich Katar zwar im Ringen um die Vormachtstellung am Golf behaupten, doch der Investitionsstandort der arabischen Halbinsel nahm insgesamt Schaden.

Sportpolitik ist ein zweischneidiges Schwert, wie auch die Kritik an der WM in Katar um Korruption, Ausbeutung von Arbeitsmigrant*innen und Menschenrechtsverletzungen zeigt. Somit befindet sich die golfarabische Sportpolitik in einem Spannungsfeld, einerseits internationale Aufmerksamkeit zu generieren, andererseits auch ins Zentrum von Anfeindungen und Vorwürfen zu geraten, was das eigene Image beschädigt. Kontroverse Themen wie strukturelle Menschenrechtsverletzungen, grassierende Repression und fehlende Demokratisierung werden bei jedem sportlichen Großereignis in den Golfmonarchien diskutiert werden – auch nach der WM. Das werden die asiatischen Winterspiele in Saudi-Arabien erneut zeigen.