Nachricht | Golfstaaten - WM Katar 2022 Die Golfmonarchien – problematische Partner der Notwendigkeit

Deutschlands Politik gegenüber den Golfstaaten fehlt eine Strategie

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Bundeswirtschaftsminister Habeck und der katarische Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani bei Gesprächen in Doha im März dieses Jahres. MBA_AlThani/Twitter

Sein Unwohlsein war spürbar, als Wirtschaftsminister Robert Habeck versuchte, die neue Energiepartnerschaft mit der autokratischen Monarchie Katar einer deutschen Öffentlichkeit zu erklären. Im März 2022 war er in das Emirat gereist, um vor Ort mit dem katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani über mögliche Gaslieferungen an Deutschland zu verhandeln. Damals sagte er, dass Deutschland jetzt mit Partnern sprechen müsse, die ihre Eigenheiten hätten, wie er es nannte, und zog den Vergleich mit Russland: «Aber zwischen einem nicht demokratischen Staat, bei dem die Situation der Menschenrechte problematisch ist, und einem autoritären Staat, der einen aggressiven, völkerrechtswidrigen Krieg vor unserer Tür führt, gibt es noch mal einen Unterschied.»

Sebastian Sons arbeitet als Researcher beim Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO). Sons ist Islamwissenschaftler und promovierte zur pakistanischen Arbeitsmigration nach Saudi-Arabien. 2016 erschien sein politisches Sachbuch «Auf Sand gebaut. Saudi-Arabien – Ein Problematischer Verbündeter». Im September veröffentlicht er das Buch «Menschenrechte sind nicht käuflich. Wie die WM in Katar auch bei uns zu einer neuen Politik führen muss». Er bereist seit über zehn Jahren zu Forschungszwecken die arabischen Golfstaaten und beschäftigt sich insbesondere mit deren Außen-, Sicherheits-, Entwicklungs- und Sportpolitik sowie Migration in die Golfmonarchien.

Trotzdem: Katar steht seit der Vergabe der umstrittenen Fußball-Weltmeisterschaft unter anderem aufgrund struktureller Ausbeutung von Arbeitsmigrant*innen in der internationalen Kritik. Doch aufgrund des Angriffskrieges gegen die Ukraine hat die deutsche Regierung entschieden, sich unabhängiger von russischen Gaslieferungen aufzustellen, und andere Partnerschaften einzugehen. Katar, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sind dadurch mehr in den Fokus der deutschen Politik und Öffentlichkeit gerückt als jemals zuvor. Im Mai besuchte der katarische Emir Bundeskanzler Olaf Scholz in Berlin und im September folgte der erste Besuch des Kanzlers bei den problematischen Partnern am Golf: Neben Katar reiste Scholz auch in die VAE und nach Saudi-Arabien. Insbesondere sein Handschlag mit dem umstrittenen saudischen Kronprinzen Muhammad bin Salman, der seit der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi lange Zeit in Deutschland, anderen europäischen Ländern und den USA als Persona non grata galt, leitete einen Paradigmenwechsel in der deutschen Politik gegenüber den Golfmonarchien ein: In Zeiten der Energiekrise scheint sich die deutsche Regierung einen Kurs des Pragmatismus aufzuerlegen, in dem die Debatte um dortige Menschenrechtsverletzungen in den Hintergrund rückt. Die Zusammenarbeit mit den problematischen Partnern am Golf wird aufgrund der energiepolitischen Zwänge zu einer Notwendigkeit.

In den letzten Jahren wurde die Diskussion um die Golfstaaten zumeist von zwei Deutungspolen dominiert: Auf der einen Seite werden die Verletzungen der Menschenrechte oder die interventionistische Regionalpolitik Saudi-Arabiens oder der VAE massiv kritisiert, während sich auf der anderen Seite in der Politik die Einsicht durchsetzt, dass die Golfmonarchien zu wichtig geworden sind, als dass sie ignoriert werden könnten – ob man will oder nicht. Im Resultat zeigt die Debatte um den Umgang mit den autokratischen Herrschern am Golf wenig strategische Kohärenz.

Diese Orientierungslosigkeit im Umgang mit den Golfstaaten sollte sich insbesondere vor dem Hintergrund des Kriegs gegen die Ukraine und der WM in Katar ändern, indem in Deutschland eine differenzierte, nuancierte und ehrliche Diskussion beginnt, wie und in welchen Bereichen es mit den Golfstaaten zusammenarbeiten sollte. Bislang beruhte die deutsche Politik gegenüber den Golfmonarchien weitgehend auf wirtschaftlichen Erwägungen oder auf Rüstungslieferungen. Doch eine übergeordnete Strategie fehlt bislang. Zuerst sollte in der Politik entschieden werden, in welchen Bereichen Deutschland nicht oder nur sehr limitiert mit den Golfmonarchien zusammenarbeiten sollte. Einer dieser Bereiche ist die Rüstungspolitik. Zwar besteht seit 2018 die Vorgabe, keine Rüstungsexporte mehr an Konfliktparteien zu liefern, die unmittelbar militärisch im Jemen engagiert sind – wozu Saudi-Arabien und andere Golfstaaten maßgeblich gehören. Dennoch kam es in den letzten Jahren zu Rüstungsausfuhrgenehmigungen. Die Ampel-Koalition übernahm diesen Passus in ihren Koalitionsvertrag, genehmigte aber im direkten Anschluss an die Reise von Scholz nach Saudi-Arabien Lieferungen im Rahmen der europäischen Verbundprojekte «Tornado» und «Eurofighter» in Höhe von 36 Millionen Euro an das saudische Königreich. Offiziell wird die Genehmigung als «schwierige Entscheidung» dargestellt. Inoffiziell stößt dieses Vorgehen aber auf Widerstand, da eine solche Politik den wertebasierten Ansatz deutscher Außenpolitik konterkariere. Außerdem spielt man mit diesen Lieferungen der Rhetorik der Golfstaaten in die Hände, die den Westen – und damit auch Deutschland – zunehmend als wankelmütig, orientierungslos und doppelmoralisch wahrnehmen. Um diesem Eindruck entgegenzutreten, sollte eine klare und eindeutige Position vertreten werden, die realpolitische und werteorientierte Interessen miteinander vereinbart. Um allerdings eine solche Haltung glaubwürdig zu vertreten, erscheinen Waffenlieferungen zum jetzigen Zeitpunkt kontraproduktiv.

Stattdessen sollte eine Strategie im Umgang mit den Golfmonarchien auf realistischen Zielen, ähnlichen Interessen und geeigneten Instrumenten beruhen: Erstens sollte reflektiert werden, dass Deutschland zwar ein wichtiger, aber kein unersetzlicher Partner für die Golfmonarchien ist. Das zeigen auch die schwierigen Verhandlungen mit Katar um die Gaslieferungen. Es ist außerdem unwahrscheinlich, dass Deutschland durch Rüstungslieferungen Einfluss auf politische Entscheidungen am Golf nehmen kann. Zweitens sollten gemeinsame Interessen mit den Golfstaaten identifiziert werden, die nicht fundamentalen Werten widersprechen. Die golfarabischen Gesellschaften durchlaufen eine soziale und sozioökonomische Transformation: Frauen und junge Menschen erhalten zunehmend Möglichkeiten, sich beruflich und gesellschaftlich zu entfalten. Im Breitensport, in der Kunst und Kultur oder in der Bildung entstehen somit neue Räume, die auch Deutschland stärker nutzen könnte, um den Dialog mit den Golfstaaten und den dort lebenden Menschen zu intensivieren. Deutschland könnte vermehrt kulturelle und wissenschaftliche Austauschformate fördern, um so das oftmals fehlende Wissen über die golfarabischen Gesellschaften in Teilen der deutschen Öffentlichkeit zu vertiefen. Drittens sollte Deutschland eigene Instrumente nutzen, die funktionieren. Dazu gehört z. B. die deutsche Entwicklungspolitik. Die Golfstaaten sind seit Jahrzehnten relevante Geber von Entwicklungshilfe, durchlaufen aber in den letzten Jahren einen interessanten Wandel, setzen sie doch mehr auf Bildungsprogramme und Ausbildungsmaßnahmen in Afrika oder Asien als zuvor. Gleiches gilt für gemeinsame Maßnahmen im Klimaschutz und beim Ausbau der erneuerbaren Energien, die für die Herrscher am Golf aus politischen und wirtschaftlichen Gründen auch wichtiger werden. Solche Bereiche könnten eine Chance für verstärkte Kooperationen mit Deutschland bieten, da hier wertebasierte Interessen und realpolitische Notwendigkeiten miteinander vereinbart werden könnten.

Allerdings: Jedwede Zusammenarbeit mit den Golfstaaten muss aufmerksam auf Risiken geprüft werden, um eigene Wertvorstellungen nicht zu unterminieren und von den autokratischen Herrschern am Golf nicht für eigene Zwecke instrumentalisiert zu werden. Dies erfordert Detailwissen, den Mut zur offenen und ehrlichen Diskussion, Geduld und vor allem den Willen, rote Linien zu setzen.