Nachricht | Rassismus / Neonazismus - Südosteuropa Die Goldene Morgenröte steht wieder vor Gericht

Loukas Stamellos über das Strafverfahren gegen Mitglieder der griechischen Nazi-Organisation

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Anhänger*innen der Goldenen Morgenröte demonstrieren auf dem Syntagma-Platz in Athen, 2018 Foto: IMAGO/Zuma

Im Oktober 2020 ging die Nachricht von der Verurteilung der griechischen Nazi-Partei Goldene Morgenröte als kriminelle Vereinigung um die Welt. Im Jahr 2014 war Anklage gegen Mitglieder, Funktionäre und den Anführer der Organisation erhoben worden. Insgesamt hatte der Prozess fünfeinhalb Jahre gedauert. Auslöser für die Zerschlagung der Nazi-Organisation, die zeitweilig 18 Parlamentsabgeordnete stellte, war der Mord an Pavlos Fyssas, einem antifaschistischen Rapper, durch einen Stoßtrupp der Goldenen Morgenröte am 18. September 2013.

Loukas Stamellos ist Mitbegründer des griechischen Medienkollektivs «OmniaTV».

Am letzten Tag des Verfahrens hatten sich in Erwartung der Urteilsverkündung Zehntausende zu einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude in Athen versammelt. Als über Lautsprecher das Urteil bekannt gegeben wurde, erhob sich ein Freudenschrei von der Menge in der Leoforos Alexandras in den Himmel über Athen.

In diesem Jahr wird der Fall dieser Nazi-Organisation erneut vor einem übergeordneten Gericht verhandelt, da sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Angeklagten von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, Berufung gegen die strafrechtliche Verurteilung einzulegen.

Wie die Goldene Morgenröte die parlamentarische Bühne betrat

2012 erlangte die Goldene Morgenrote weltweite Aufmerksamkeit. Damals litt Griechenland unter den Lasten der akuten Schuldenkrise und der von den EU-Institutionen über die berüchtigten «Memoranden» aufgezwungenen Austeritätspolitik. Vor der Goldenen Morgenröte war bereits einer anderen rechtsextremen Partei namens LAOS (Laikós Orthódoxos Synagermós) der Einzug ins griechische Parlament gelungen. Bei den Wahlen 2009 hatte sie 5,63 Prozent der Stimmen und 15 Mandate erzielt. Im November 2011 trat dann die Mitte-links-Regierung unter der Führung von Giorgos Papandreou (PASOK) aufgrund des enormen politischen Drucks zurück, den die von den europäischen Partnern aufgezwungenen Sparmaßnahmen ausgelöst hatten. Daraufhin bildete Lucas Papademos, ehemaliger Gouverneur der Zentralbank Griechenlands, eine Übergangsregierung, an der neben PASOK und der konservativen Nea Dimokratia auch die rechtsnationalistische LAOS beteiligt war.

Die Papadimos-Regierung setzte für Mai 2012 vorgezogene Parlamentswahlen an. Aus diesen ging die Nea Dimokratia unter der Führung von Antonis Samaras mit einem Ergebnis von 18,85 Prozent als stärkste Kraft hervor. In ihrem Wahlkampf hatte sie eine Abkehr von der Austeritätspolitik und ein schärferes Vorgehen gegen Migrant*innen versprochen. Die PASOK verlor den größten Teil ihrer Wählerschaft und landete mit 13,18 Prozent auf dem dritten Platz. Syriza – damals noch ein Bündnis aus kleineren undogmatischen Linksparteien – kam mit 16,78 Prozent auf den zweiten Platz, während ihr zukünftiger Koalitionspartner, die rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (ANEL), 10,62 Prozent der Stimmten erhielt und damit 33 Abgeordnete stellte. Die Goldene Morgenröte kam damals auf 6,97 Prozent, was ihr 21 Mandate bescherte. Damit betrat sie die parlamentarische Bühne Griechenlands, wo sie sieben Jahre lang präsent war.

Da im Folgenden eine Regierungsbildung misslang, wurde das Parlament erneut aufgelöst. Bei den Wahlen im Juni 2012 konnte die Nea Dimokratia ihr Ergebnis verbessern, wodurch eine Koalitionsregierung zusammen mit PASOK und der Demokratischen Linken (DIMAR, einer kleinen Mitte-links-Partei, die sich von Syriza abgespalten hatte) unter Ministerpräsident Samaras möglich wurde. Bei dieser Wahl erreichte die Goldene Morgenröte mit 6,92 Prozent ein ähnlich gutes Ergebnis wie im Mai 2012 und stellte 18 Abgeordnete. Bei der Parlamentswahl im Januar 2015 erzielte sie dann erneut 6,92 Prozent (17 Abgeordnete) und bei der Parlamentswahl im September 2015 sogar 6,99 Prozent (18 Abgeordnete).

Das Profil der Goldenen Morgenröte

Die Goldene Morgenröte ist immer schon mehr als eine nur diffus «rechtsextreme» Partei gewesen. Seit ihren Anfängen handelte es sich um eine Organisation, die nach nationalsozialistischem Vorbild um ihren Gründer und Anführer auf Lebenszeit Nikos Michaloliakos herum aufgebaut war. Bezugspunkt war für sie immer Hitlers NSDAP, die sie auch aktiv nachahmte. Selbst nach 2009, als sie statt des Hakenkreuzes und dem Schwarz-Weiß-Rot der Hakenkreuzflagge bevorzugt die Farben der griechischen Flagge (blau/weiß) benutzte, beschrieb sie ihre Ideologie weiterhin als «sozialen Nationalismus», in einer abgewandelten (aber lexikalisch und begrifflich recht genauen) griechischen Übersetzung des deutschen Worts «Nationalsozialismus».

Die innere Struktur der Goldenen Morgenröte spiegelte ebenfalls jene der NSDAP wider: Ihre kleinsten Einheiten bezeichnete sie genauso wie die NSDAP als Zellen, angeführt von sogenannten Zellenleitern. Die nächsthöhere Ebene bildeten die Ortsgruppen unter der Leitung sogenannter Sekretäre, aus denen sich wiederum die (den Gauen nachempfundenen) Regionen zusammensetzten; wobei der Parteichef ab 2012 dafür sorgte, dass diese «Gauleiter» als Abgeordnete ins nationale Parlament einzogen.

Das Verfahren der Goldene Morgenröte zur Aufnahme und Vereidigung neuer Mitglieder sah vor, Anwärter*innen einer «ideologischen Schulung» zu unterziehen, die eine Einweisung in die Taktiken der Organisation umfasste, genauso wie eine Einführung in die metaphysischen Grundlagen des Nationalsozialismus, insbesondere dessen Rassenideologie und ihrer historisch durch die Nation zum Ausdruck gebrachten und durch den «Führer» personifizierten Ideale. Das Aufnahmeverfahren endete mit in einer nichtöffentlichen Vereidigungsfeier mit Reden, militärischen Ehrenbezeugungen und Nazigrüßen im Beisein der Parteiführung.

Die «Gauleiter» der Goldenen Morgenröte bauten die Zellen auf, bestimmten die Zellenleiter, waren für die Vermittlung der ideologischen und strategischen Grundlagen der Organisation vom «Führer» nach unten an die Basis zuständig und entschieden in Abstimmung mit diesem, welche Aktionen (darunter auch Übergriffe auf Migrant*innen und politische Gegner) die Zellen durchzuführen hatten. Stellvertretend für einen solchen «Gauleiter» sei Giannis Lagos genannt, in dessen Zuständigkeitsbereich Piräus und die angrenzenden Bezirke fielen und der sich durch seinen besonderen Eifer bei der Anleitung der lokalen Einheiten auszeichnete. Durch diese Struktur sorgte die Organisation zum einen für eine effektive Kontrolle der Ortsgruppen und versuchte zum anderen sicherzustellen, dass ihr Parteichef für die zahlreichen gewaltsamen Übergriffe nicht zur Verantwortung gezogen werden konnte. Michaloliakos’ gängige Praxis war, abzustreiten, dass die Partei gezielt Überfälle verübte, diese bei Bekanntwerden stattdessen «Unbekannten» zuzuschreiben oder im Falle von Verhaftungen von Parteimitgliedern zu behaupten, dass diese aus eigenem Vorsatz gehandelt hätten.

Diese Organisationsstruktur bestand ansatzweise schon vor 2009/10, erfuhr danach aber eine erhebliche Ausweitung, als die Goldene Morgenröte ganz offensichtlich dazu überging, ihre Präsenz auch in solchen Teilen des Landes zu verstärken, in denen sie zuvor bedeutungslos gewesen war.

Worauf die Goldene Morgenröte ihren Einfluss aufbaute

Einer rechtsextremen Kleinstpartei mit einer unverhohlen nationalsozialistischen Ideologie und Programmatik, die bei der Europawahl 2009 mit 0,46 Prozent ihr bislang bestes Wahlergebnis verzeichnet hatte, gelang natürlich nicht von heute auf morgen der Sprung ins nationale Parlament mit 18 Abgeordneten. Das erste Mal überraschte die Goldene Morgenröte die Öffentlichkeit mit einem größeren Wahlerfolg auf der kommunalen Ebene. Das war 2010. Damals kam sie in Athen auf 5,29 Prozent (10.222 Stimmen), zudem wurde ihr Anführer Michaloliakos in den Stadtrat gewählt.

Danach baute die Goldene Morgenröte Schritt für Schritt ihren Einfluss aus, bis sie es 2012 schaffte, auch diejenigen Wählerstimmen auf sich zu vereinen, die zuvor an andere rechte Parteien gegangen waren. Aber wie ist ihr das gelungen?

Bereits ab 2009 verfolgte die Goldene Morgenröte eine «Strategie der Spannung». Sie bestimmte den Athener Stadtteil Agios Panteleimonas zur Hauptbühne für ihre Aktivitäten. Dort kooperierte sie mit örtlichen Funktionären der Nea Dimokratia und der rechtsnationalistischen LAOS, um sogenannte Nachbarschaftsinitiativen aufzubauen, die vor allem ihre Abneigung gegenüber migrantischen Bewohner*innen einte. Indem sich Aktivisten der Goldenen Morgenröte als Anführer dieser Initiativen profilierten, gewannen sie einerseits eine wachsende mediale Aufmerksamkeit. Andererseits konnten sie – geschützt von der Dunkelheit und durch das Einverständnis der örtlichen Polizei – nachts ungestört ihre Übergriffe auf Migrant*innen verüben, nicht nur auf der Straße und auf deren Geschäfte, sondern teilweise auch direkt in ihren Wohnungen und Unterkünften.

Die Zusammenarbeit der Stoßtrupps der Goldenen Morgenröte mit der Polizei war jedoch nicht auf bestimmte Stadtteile beschränkt. Es gibt zahlreiche Aufnahmen aus den Jahren vor 2012, die Mitglieder der Goldenen Morgenröte zeigen, wie sie mit Einheiten der Bereitschaftspolizei gewaltsam gegen Teilnehmer*innen an linken und anarchistischen Demonstrationen und Kundgebungen vorgehen. Es ist bezeichnend, dass selbst nach dem Mord an Pavlos Fyssas – als die Medien viel darüber berichteten, dass es sich bei der Goldenen Morgenröte um eine Nazi-Organisation handelte – laut Schätzungen mehr als die Hälfte der Polizeibeamt*innen bei den zeitgleich im Mai 2014 stattfindenden Europa-, Regional- und Kommunalwahlen ebendieser Partei ihre Stimme gab.

Der Strafprozess gegen die Goldene Morgenröte

Im Zuge des sprunghaften Aufschwungs der Goldenen Morgenröte infolge ihrer Wahlerfolge seit 2012 gewann die Organisation etliche neue Mitglieder hinzu und konnte sich zudem über frisches Geld aus staatlichen Zuwendungen für im Parlament vertretene Parteien freuen. Dies ermöglichte ihr eine weitere Ausweitung ihrer Aktivitäten. Auf einmal waren etliche Mitglieder des Zentralkomitees der Partei gewählte Abgeordnete. Viele spendeten einen großen Teil ihrer Diäten an die Partei und nahmen ihr Recht in Anspruch, wissenschaftliche Mitarbeiter*innen einzustellen und somit Funktionäre der Goldenen Morgenröte mit einträglichen Stellen zu versorgen.

Die plötzliche Steigerung ihres Aktionsradius und die Dominanz, die die Goldene Morgenröte im rechten Spektrum errungen hatte, ließen Michaloliakos und seine Gefolgschaft glauben, sie seien allmächtig. Vor diesem Hintergrund nahmen die Übergriffe ab 2012 dramatisch zu: Mitglieder der Zelle in Perama, einem Vorort von Athen, beschlossen, ein Haus anzugreifen, in dem vor allem aus Ägypten stammende Fischer wohnten. Bei diesem Überfall ließen sie Abuzid Embarak bewusstlos zurück – im Glauben, er sei tot. Im Januar 2013 erstachen zwei Mitglieder der Goldenen Morgenröte «auf ihrer nächtlichen Jagd auf Migranten» im Athener Stadtteil Petralona Schahzad Lukman, einen Arbeiter aus Pakistan. Im September 2013 lauerten die Ortsgruppen von Nikaia und Perama in einer koordinierten Aktion Gewerkschafter*innen auf, die der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE) nahestanden, und attackierten sie mit Holzstangen, die mit Metallspitzen versehen waren. Wenige Tage später griff die Ortsgruppe Nikaia gezielt Pavlos Fyssas an, beleidigte und erstach ihn, als er es wagte, nicht vor ihr zurückzuweichen.

Die zwischen 2012 und 2015 bestehende Regierungskoalition aus Nea Dimokratia und PASOK unter der Führung von Ministerpräsident Samaras pflegte jedoch gute Beziehungen zur Goldenen Morgenröte. Panagiotis Baltakos, damals Kabinettssekretär der Regierung, stand mit Abgeordneten der Goldenen Morgenröte in Kontakt, wenn es darum ging, in «beidseitigem Interesse» stehende Gesetzesvorhaben durchzusetzen, wie beispielsweise ein Gesetz, das den Erwerb der griechischen Staatsbürgerschaft für Kinder von Migrant*innen, die in Griechenland geboren und aufgewachsen waren, weiter erschwerte.

Deswegen machten die Behörden bei allen vorherigen Übergriffen und Morden der Goldenen Morgenröte keinerlei Anstalten, diese strafrechtlich zu verfolgen. Erst als ein weißer Grieche ihrer Gewalt zum Opfer fiel und verstarb, sah sich der Ministerpräsident aufgrund des Drucks antifaschistischer Organisationen dazu gezwungen, in einer Fernsehansprache die Tat zu verurteilen. Kurz darauf zauberte der Minister für Bürgerschutz, der politische Vorgesetzte aller Polizeibeamt*innen, aus den Schubladen seines Ministeriums 30 Akten hervor, in denen die Übergriffe und Straftaten der Goldenen Morgenröte dokumentiert waren, und übermittelte sie nebst einem Dienstvermerk an die zuständige Staatsanwaltschaft (wobei niemals eine Erklärung dazu abgegeben wurde, warum dies nicht bereits früher geschehen war).

Die Beweislast war erdrückend. Und dennoch klagte der der Nea Dimokratia nahestehende Staatsanwalt Isidoros Ntogiakos die Goldene Morgenröte nicht als terroristische Organisation an, sondern beließ es bei einer Anklage gegen den Anführer, leitende Funktionäre und Mitglieder der Partei, denen er Bildung einer kriminellen Vereinigung vorwarf. 2014 versuchte die Nea Dimokratia sogar, das hier zur Anwendung kommende Gesetz dahingehend abzuändern, dass als Voraussetzung für eine Strafverfolgung bei einer kriminellen Vereinigung eine materielle Bereicherungsabsicht vorliegen muss. Wäre sie damit erfolgreich gewesen, hätte dies zur Einstellung des strafrechtlichen Verfahrens gegen den Anführer und die oberen Funktionäre der Goldenen Morgenröte führen können. Interventionen aus den Kreisen der Koalitionsregierung haben dies jedoch verhindert.

Die Akten umfassten eine riesige Menge an Beweismitteln und Terrabytes an Daten, darunter Dokumente, Kommunikationsmetadaten, Textmitteilungen, Inhalte von beschlagnahmten Rechnern der Organisation (interne Texte, Fotos, Videos etc.), aufgezeichnete Telefongespräche (mitgeschnitten von Geheimdienst- oder Polizeistellen) sowie massenhaft Informationen und Erklärungen, die die Goldene Morgenröte über Jahre im Internet und in ihrer Zeitschrift veröffentlicht hatte. Sie war sich offensichtlich sehr sicher gewesen, niemals strafrechtlich belangt zu werden.

Das Gerichtsverfahren gegen insgesamt 68 Angeklagte begann am 20. April 2015, an ihm waren über 50 Anwält*innen und 12 Vertreter*innen der Nebenklage beteiligt. Bis zum Abschluss des Verfahrens am 22. Oktober 2020 wurden 467 Sitzungen anberaumt, auf denen über 130 Zeug*innen vernommen wurden, wobei allein die Verlesung und das Zeigen aller Beweismittel ein volles Jahr in Anspruch nahm.

Die Urteilsverkündung fand am 7. Oktober 2022 statt. Das Gericht befand den Anführer und sechs höhere Funktionäre der Goldenen Morgenröte der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung für schuldig und weitere 43 ihrer Mitglieder der Beteiligung an solch einer Vereinigung. Manchen wurde nachgewiesen, an allen drei in die Anklageschrift aufgenommenen Übergriffen (gegen die Gewerkschafter*innen der KKE, die ägyptischen Fischer und Pavlos Fyssas) beteiligt gewesen zu sein, andere waren bereits wegen anderer Übergriffe in gesonderten Gerichtsverfahren verurteilt worden.

Der Urteilsbegründung zufolge war der maßgebliche Aspekt, der zu einer Einstufung der Goldenen Morgenröte als kriminelle Vereinigung geführt hat, der Nachweis einer strikt hierarchischen Organisationsstruktur (wie weiter oben beschrieben und belegt durch etliche Beweismittel), der besonderen Rolle ihres Anführers, der Funktion ihrer Mitglieder je nach ihrer Stellung in der Hierarchie und der Nazi-Ideologie als Tatmotiv.

Politische Folgen und das Berufungsverfahren

Da das Urteil im Zuge eines Strafverfahrens erging und nicht das Ergebnis eines politischen Prozesses war, der auf die Goldene Morgenröte als Partei fokussierte, konnte die Organisation nicht gerichtlich verboten werden. Hinzu kommt, dass der Staat in Griechenland auch nicht über die Möglichkeit verfügt, eine politische Partei einfach verbieten zu lassen. Dies liegt an der Verfassung, die Ausdruck eines demokratischen Konsenses nach dem Zusammenbruch der Militärdiktatur 1974 ist und aus einer Zeit stammt, in der die Erinnerung daran, wie die ultrarechten Kräfte im griechischen Staatsapparat willkürlich gegen die Kommunistische Partei und viele andere linke Organisationen vorgingen und diese in die Illegalität trieben, noch sehr präsent war.

Dennoch kam es infolge der Verurteilung zu einer Delegitimierung der Goldenen Morgenröte, wodurch die langlebigste und gefährlichste aller faschistischen Organisationen Griechenlands erheblich geschwächt wurde. Es sollte jedoch zu denken geben, dass Teile des Staatsapparats versucht haben, die strafrechtliche Verfolgung der Goldenen Morgenröte zu behindern. Auch wenn Faschismus ein politisches Problem ist, das sich nicht mithilfe eines Gerichtsprozesses lösen lässt, bietet dieses Urteil der antifaschistischen Bewegung Werkzeuge, die in einem weiteren Rahmen Anwendung finden können.

Nun geht es im – von beiden Seiten angestrengten – Berufungsverfahren darum, ob der sehr gut begründete Schuldspruch aus erster Instanz Bestand haben wird und ob die Strafen ggf. noch verschärft werden. So werden die vielen Zeug*innen erneut aussagen und die Vertreter*innen der Nebenklage sich darauf einstellen müssen, ihre Anstrengungen nach neun erschöpfenden Jahren, die das erstinstanzliche Verfahren – zählt man die Vor- und Nachbereitung hinzu – in Anspruch genommen hat, noch weitere drei Jahre aufrechtzuerhalten, während es an den fünf Berufungsrichter*innen liegt, das Urteil in zweiter Instanz zu bestätigen.

Zu Beginn des Berufungsverfahrens befindet sich die Goldene Morgenröte in einer weit ungünstigeren Position als 2015. Die Organisation hat sich in drei Teile gespalten, da die verurteilten ehemaligen «Gauleiter» Giannis Lagos und Ilias Kasidiaris aus der Goldenen Morgenröte ausgetreten sind und ihre eigenen Parteien gegründet haben: ersterer die Partei ELASYN (Griechisches Volksbewusstsein) und Letzterer die Partei Ellines Gia Tin Patrida (Griechen für das Vaterland). So verfolgen die Verurteilten keine gemeinsame Strategie mehr und verhalten sich oft feindselig gegenüber den anderen. Abgesehen von Ioannis Lagos, der während seiner Haftzeit seinen Status als Abgeordneter des Europäischen Parlaments beibehalten kann, haben alle inhaftierten Funktionäre der Goldenen Morgenröte ihren Abgeordnetenstatus verloren. Das bedeutet wiederum, dass sie nicht länger über Mittel aus der Staatskasse verfügen und nicht mehr wie im erstinstanzlichen Verfahren Heere von Anwält*innen bezahlen können (von denen viele Mitglieder der Goldenen Morgenröte waren).

Die Medien, die für den Aufschwung der Goldenen Morgenröte zwischen 2009 und 2012 mitverantwortlich waren, weil sie die Nazis in den Nachrichten als «besorgte Anwohner*innen» und in Lifestyle-Sendungen als «gut aussehende Jungs» verharmlost bzw. hoffähig gemacht hatten, sehen seit der Verurteilung von ihrer bisherigen Praxis ab. Viele ehemalige politische Unterstützer*innen und Partner der Nazis sind auf Abstand gegangen, wenn auch nicht zu allen Verurteilten, so doch zumindest zu ihrem Anführer und denen, die weiterhin treu zu ihm stehen.

Auch die Staatsanwaltschaft ist wegen der aus ihrer Sicht «zu kurzen Haftstrafen» in Berufung gegangen, was die Aussichten der Nebenklage erhöht, im aktuellen Verfahren das höchste gesetzlich vorgesehene Strafmaß durchsetzen zu können. Für eine Nazi-Organisation, die über vier Jahrzehnte weitgehend ungestört ihren terroristischen Aktivitäten nachgehen konnte, erscheint dies weder als besonders ungerecht noch übertrieben.


Übersetzung von Kostas Tsanakas.