Nachricht | Soziale Bewegungen / Organisierung - Klimagerechtigkeit - Braunkohle Lützi bleibt!

Warum das Dorf Lützerath ein wichtiger Knotenpunkt für Klimaschutz- und Gerechtigkeitskämpfe ist

Dina Hamid steht bei einer Aktion von «Ende Gelände» mit anderen Aktivist*innen vor einem Braunkohlebagger in einem Polizeikessel. Foto: privat

Während die Regierung und der Energiekonzern RWE die Räumung und Zerstörung des Ortes Lützerath im rheinischen Braunkohlerevier planen, machen sich hunderte Klimaaktivist*innen bereit, den Ort am Grubenrand der größten CO2-Quelle Europas zu verteidigen. Welche Ziele die Besetzung verfolgt, wie Menschen solidarisch sein können und warum der Kampf um Lützerath auch ein Kampf für mehr Klimagerechtigkeit ist, berichtet Dina Hamid, die Sprecher*in der Protestgruppe «Lützi Lebt».

Hey Dina, Danke, dass du dir Zeit nimmst. Zum Ankommen und zum kollektiven Auffrischen der Erinnerungen, lass uns zunächst ein paar zentrale Punkte klären: Wer bist du und für wen sprichst du in diesem Interview?

Ich bin Dina Hamid, Sprecher*in für «Lützi Lebt» und «Ende Gelände», mein Herz brennt für Klimagerechtigkeit und ich bin eine*r von über tausenden Menschen, die diesen Winter Lützerath verteidigen werden.

Dina Hamid ist Sprecher*in für «Lützi Lebt» und «Ende Gelände». Seit über fünf Jahren ist Dina Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung im rheinischen Braunkohlerevier und organisiert dort Aktionen, Festivals und Bildungsveranstaltungen.

Florian Leiner hat Politik und Soziologie studiert und beschäftigt sich seit 2017 mit Klimagerechtigkeit und Demokratietheorie. Bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung macht er ein Freiwilliges Soziales Jahr im Bereich der Politischen Bildung.

Wenn du an Lützerath denkst, woran denkst du?

Ich denke an die größten Schaufelradbagger der Welt und an viele wunderbare Menschen, die innerhalb von zwei Jahren ein aktivistisches Dorf aufgebaut haben.
 

Was genau ist das Problem in Lützerath und wie ist die aktuelle Lage?

Lützerath ist ja ein Ort am Rand der Tagebaus Garzweiler II, der größten einzelnen CO2-Emissionsquelle in Europa. Seit zwei Jahren beleben viele Menschen aus ganz Deutschland und der ganzen Welt das von Abriss und Abbaggerung bedrohte Dorf neu. Jetzt planen der Energiekonzern RWE und die Regierung diese Menschen aus Lützerath wegzuschaffen, Lützerath vollständig zu zerstören und die ganze Kohle, die unter dem Dorf liegt, abzubaggern.

Wohnen noch Menschen aus dem ursprünglichen Dorf im Ort und habt ihr Kontakt zu anderen Akteur*innen vor Ort?

Eckard Heukamp, der letzte Landwirt von Lützerath, musste vor einigen Wochen ausziehen, weil er ein Gerichtsverfahren gegen RWE leider verloren hat. Damit ist Lützerath jetzt ein gänzlich besetztes Dorf. Dort leben dauerhaft um die 100 Menschen, die in Kontakt mit der Bevölkerung in den umliegenden Dörfern sind. Es gibt außerdem oft Veranstaltungen, zu denen tausende Menschen in das Dorf im Rheinland kommen und den Protest unterstützen.

Der Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck und die NRW-Umweltministerin Mona Neubaur waren sich vor Kurzem auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit RWE einig: Lützerath soll abgebaggert werden. Was entgegnet ihr dem?

Dass die Grünen sich auf eine Gerichtsentscheidung zurückziehen, ist fast schon klimaverbrecherisch. Sie ziehen sich aus der Verantwortung zurück. Wenn Lützerath abgebaggert wird, bekommt RWE Zugriff auf 280 Millionen Tonnen Kohle und das Recht, diese zu verfeuern. Damit ist das 1,5 Grad Ziel bei Weitem nicht mehr haltbar, obwohl Deutschland sich eigentlich dazu verpflichtet hat. Lützerath zu retten bleibt eine politische Entscheidung, das haben wir schon bei den fünf Nachbarorten, die wir durch unsere Bewegung schon gerettet haben, gesehen. Die Regierungen hätten die Möglichkeit, politische Entscheidungen dieser Tragweite zu treffen, sie entscheiden sich aber dagegen.

Welche Protestformen haltet ihr für besonders wichtig, um für den Erhalt von Lützerath einzutreten?

Natürlich ist es wichtig, dass vor Ort viele Menschen an dem Protest teilnehmen. Es gibt viele Arten, mitzuwirken, von kochen über demonstrieren zu blockieren. Wir rechnen mit einer Räumung, die zwischen einer und sechs Wochen dauert. Wenn wir Viele sind, dann können wir es schaffen, dass die Räumung abgebrochen werden muss. Man kann Lützerath aber auch unterstützen, indem man Protestaktionen in der eigenen Stadt organisiert. An dieser überregionalen Vernetzung mit verschiedenen Akteur*innen arbeiten wir, damit wir im Räumungsfall bereit sind. Konkret kann man sich von Netz-Aktivismus über Demos in der eigenen Stadt, Infoabenden und Spendenaktionen vieles ausdenken, diese Aktionsformen sind für viele Menschen zugänglich.

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine, starke Preissteigerungen für die Bevölkerung, Debatten über Corona-Maßnahmen - die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit richtet sich aktuell ja vor allem auf andere Themen. Wo hat die Klimagerechtigkeitsbewegung gerade überhaupt Anknüpfungspunkte, um im öffentlichen Diskurs mehr wahrgenommen zu werden?

Ich denke, dass das Bewusstsein bei Vielen für die Klimakrise da ist. Die Leute haben weder die Dürre aus diesem und die Fluten von letztem Jahr vergessen. Ich nehme auch eine Angst vor dem, was aktuell passiert, vor weiteren Kriegen, die von dieser fossilen Industrie weiter befeuert werden, wahr. Gleichzeitig können wir auch sehen, dass viel zu lange Klimafragen von Klassenfragen und sozialer Gerechtigkeit entkoppelt wurden.

Am Ende geht es darum: Wie können wir weniger verbrauchen, aber gerechter verteilen?

Ich glaube, bei diesen grundlegenden Fragen können sich Sozialproteste und die Klimabewegung sehr gut die Hand reichen. Daran beteiligen wir uns, indem wir aus Lützerath heraus auf die Straßen gegen Energiearmut mobilisieren.

Welche strategischen Ziele sind in deinen Augen besonders wichtig, um gesellschaftlich zu einer gerechteren und nachhaltigeren Wirtschaft zu gelangen?

Für mich geht es darum, demokratisch in den Dialog zu treten. Wir müssen besser definieren, was wir brauchen und was nicht. Was wir brauchen ist zum Beispiel, dass unsere Häuser besser gedämmt werden, damit wir da nicht so viel Energie reinpumpen müssen. Dieses Thema könnte politisch stärker fokussiert werden. Was wir brauchen ist, dass die industrielle Massentierhaltung und der Fleischverbrauch runtergeschraubt wird und der Export von Tierkadavern. Das hat auch Priorität, wenn wir über die Klimakrise nachdenken. Und dann ist es offensichtlich und schon lange eine linke Forderung die Rüstungsindustrie und die Waffenproduktion stärker zu kontrollieren. Auch die in Deutschland angesiedelte Autoindustrie müsste stärker überwacht werden und, wenn sinnvoll, müssten auch Möglichkeiten existieren, wie man denen wirklich den Hahn zudrehen kann.

Wenn wir zum Beispiel über Lützerath sprechen: RWE verbraucht auch in dem Jahr, in dem wir in Europa die stärksten Dürren seit 500 Jahren erleben, so viel Wasser wie 11 Millionen Menschen in Deutschland. Das sind riesige Mengen und ich denke, allen ist klar, dass die Versorgung von Bürger*innen das höchste Gebot ist. Wie kann es sein, dass trotzdem weiterhin Konzerne Profite damit machen? Das heißt, es gibt viele Stellschrauben. Natürlich können diese aber nicht gedreht werden, wenn wir weiter der Profitlogik der Konzerne den bisherigen Freiraum lassen. Eine klimafreundliche Politik würde meines Erachtens nach da ansetzen und darüber sprechen, wie demokratischen Entscheidungsprozesse über diese Industrien und Ressourcen möglich gemacht werden.

Blicken wir auf die internationale Dimension der Kämpfe gegen den Extraktivismus. In Kolumbien regt sich lauter Widerstand gegen den Abbau von Steinkohle. Diese wird auch viel nach Deutschland importiert. Was entgegnet ihr der Aussage, dass der Erhalt von Lützerath anderswo zu größeren Gruben und mehr Vertreibung führen könnte?


Mir ist wichtig zu betonen, dass wir unfassbar beeindruckt von den anhaltenden Protesten und Blockaden von dem Monster-Tagebau El Cerrejón in Kolumbien sind und gerade den Protesten von Afro-Kolumbianer*innen und indigenen Menschen, die das Schlimmste der Repressionen gegen Klima-Aktivismus und Umweltschutz tragen müssen. Jeden zweiten Tag wird ein*e Umweltschützer*in umgebracht. Indigene Menschen trifft das überproportional häufig. Deswegen gilt zu allererst unsere allergrößte Solidarität denjenigen, die ihre Gesundheit verlieren, ihre Wasserversorgung verlieren, ihr Land verlieren. Das reiht sich ein in eine Geschichte der kolonialen Ausbeutung. An dem Beispiel der deutschen Kohleimporte aus Kolumbien und anderen Teilen der Welt wird sichtbar, dass der fossile Kapitalismus eine Fortführung kolonialer und imperialistischer Ausbeutung ist und dass auf die Klimakrise mit unfassbar rassistischen Strategien reagiert wird. Wir sind gegen jede Vertreibung, weltweit. Das eine darf das andere nicht ausschließen!
 

Es ist eine Ausrede zu sagen: wir müssen weiter andere fossile Energieträger wie Steinkohle aus Kolumbien verfeuern, wenn eigentlich schon seit Jahren klar ist, dass nur ein Ausstieg aus allen Fossilen die Lösung sein kann.

Auch diese Debatte über die Importe knüpft nur an den Kern dessen an, was wir sowieso besprechen müssten. Und zwar: Wie schaffen wir es, weniger Energie zu verbrauchen? Damit meine ich nicht, dass jede Person die eigene Heizung runterdrehen soll, sondern bei der Industrie und den Großverbraucher*innen anzufangen. Warum brauchen wir denn die ganzen Autos und Flughäfen? Was ist wirklich notwendig? Warum brauchen wir die ganze Düngeindustrie in der Landwirtschaft? Da gäbe es viele Rädchen zu drehen. Ich hoffe, dass das für die meisten Menschen sichtbar wird.

RWE als Megakonzern hat ja seine Gewinnprognosen allein in diesem Jahr über zwei Milliarden Euro gesteigert. Währenddessen wird uns erzählt, dass wir Energie sparen sollen? Hallo?! Ich hoffe, dass gerade jetzt viele Menschen ein Gefühl dafür kriegen, dass unsere Versorgungssicherheit nur mit einer gerechten Energiesicherheit für alle erkämpft wird. Das ist ein Wert für den Lützerath steht und den wir nur erreichen können, wenn wir international vernetzt sind und weltweit klimagerechte Produktionsweisen auf- und fossile Energieproduktion abbauen.

Es gibt ja durchaus verschiedene Ansätze und Methoden in der Klimagerechtigkeitsbewegung:
Wo positioniert ihr euch und steht ihr im Austausch mit anderen Akteur*innen?


Das Schöne ist, dass Lützerath aus einem bunten Mosaik an verschiedensten Menschen und Gruppierungen besteht. Lokal verwurzelte Menschen kämpfen für den Erhalt ihrer Dörfer und kirchliche Initiativen gegen den Abriss von Kirchen und eine ganze Bandbreite an klimabewegten Menschen trifft in Lützerath aufeinander. Für Lützerath hat eine internationalistische Politik und eine internationale Vernetzung einen hohen Stellenwert.
Klar können wir ausrechnen, dass vor Lützerath die 1,5 Grad Grenze verläuft, und gleichzeitig ist es wichtig zu sagen und ich zitiere hier die ugandische Klimaschutzaktivistin Vanessa Nakate : dass die 1,2 Grad Erwärmung, die wir jetzt schon haben, dass das jetzt schon die Hölle ist für viele, viele Menschen, vor allem im Globalen Süden. Lützerath ist als Teil vom Rheinischen Braunkohlerevier, das immer noch eine der größten CO2-Quellen von ganz Europa ist und bleibt, ein Ort, der auch eine internationale Bedeutung einnimmt. In diese Verantwortung zu treten, ist uns wichtig.

Deshalb sind die Besuche aus der ganzen Welt so wichtig, ob von Vanessa Nakate oder Greta Thunberg oder Juan-Pablo (Juan-Pablo Gutiérrez, kolumbianischer Aktivist, der sich für Menschenrechte und die indigenene Minderheiten einsetzt), den YUCCA aus den USA, den Zapatist*innen aus Mexiko oder von der kurdischen Bewegung. Mittlerweile sind alle politischen Kämpfe mit der Frage nach Klimagerechtigkeit verbunden. Deshalb vereinigen wir antirassistische, feministische Bewegungen und alle möglichen Kämpfe. Das ist uns wichtig und ich bin stolz darauf, was da schon geschafft wurde.

Wie bewertest du die Selbstorganisierung in Lützerath?

Ich finde es wunderbar, so viele Menschen mit unterschiedlichen Einstellungen vereint zu sehen, weil das konkrete Ziel, Lützerath zu retten, alle eint. Natürlich wird viel miteinander ausgehandelt und gestritten. Es ist immer auf der Waage, ob man es schafft am Rande dieses Ortes, der so stark für die kapitalistische Zerstörung steht, tatsächlich noch ein Stück Utopie zu leben. Immerhin wird es versucht und natürlich wird daran auch gescheitert. Etwas, das wir uns alle hinter die Ohren schreiben können, ist, besser daran zu scheitern und von dem Scheitern zu lernen. Natürlich bin ich auch beeindruckt davon, wie viele Menschen gerade auch über die harten Winter in Lützerath bleiben und alles da reinstecken. Auch ein bürgerliches Leben aufgeben, um dort am Start zu sein. Ich weiß auch, dass viele Menschen - BIPoCs und FLINTA*, also Menschen, die von Rassismus, Sexismus und/oder Ableismus betroffen sind - schon unheimlich viel auch an solchen Bewegungsorten kämpfen mussten und immer noch müssen, um ihre Stimmen hörbar zu machen. Lützerath ist wie an vielen Orten auch ein Raum der intensiven Auseinandersetzung. Das schätze ich unfassbar, denn auch unter diesem hohen Druck kann viel entstehen und diese vielfältigen Perspektiven treffen, sich gegenseitig oft stärkend, aufeinander.

Manche Häuser wurden schon abgerissen und der Grubenrand liegt mittlerweile direkt vor dem Ortsschild. Macht es denn überhaupt noch Sinn, für den Erhalt von Lützerath zu kämpfen?

Dass ein großer Teil von Lützerath schon zerstört ist - für die Menschen, die Tiere, die Pflanzen - das ist ganz klar. Der Ort hat ganz klar schon viel an Lebenswert verloren, wie alle Dörfer in dieser Region. Gleichzeitig müssen wir uns auch daran erinnern, dass es nicht nur darum geht, dieses Dorf zu beleben, sondern unter Lützerath der Großteil der Kohle liegt, die noch in den Tagebau Garzweiler eingemeindet werden könnte. Und dass da Kohle liegt, die zu viel ist, um noch Klimagerechtigkeit herzustellen. Wir können das nicht abbaggern, wir dürfen das nicht abbaggern! Genau darum geht es gerade. Wenn es möglich wird, Lützerath zu retten, dann können wir gerne darüber sprechen, wie wir das wieder zu einem lebenswerten Ort machen. Wenn es soweit ist, finden sich auch viele Menschen, die Lust auf dieses Projekt haben. Jetzt gerade geht es erstmal darum, dieses Land zu erhalten und die Kohle im Boden zu behalten.