Nachricht | Rosa Luxemburg Im Dialog miteinander und mit Rosa Luxemburg

Rezension des Buches «Post Rosa: Letters Against Barbarism», hrsg. von Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn, New York: Rosa-Luxemburg-Stiftung – New York Office 2021

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Autor

Michael Brie,

Unter den Büchern, die im Umfeld des 100. Jahrestages der Ermordung von Rosa Luxemburg und ihres 150. Geburtstages zwischen 2019 und 2021 erschienen sind, sticht ein Buch in seiner Originalität heraus. Es ist der Briefband «Post Rosa: Letters Against Barbarism», herausgegeben von Hjalmar Jorge Joffre-Eichhorn, der 2021 durch das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York veröffentlicht wurde. Es wurde 18 Autorinnen und Autoren gewonnen, von denen je zwei im Briefaustausch über sich selbst, die eigene Zeit, Rosa Luxemburg, die globale oder lokale Linke einander schrieben. Im Anhang schreibt dann noch eine weitere Autorin. Viele hatten sich nie getroffen und auch nie zuvor miteinander kommuniziert. Es wurde ein Dialog über vier Kontinente hinweg, beeindruckend gestaltet mit Briefkarten aus der DDR, der UdSSR und der Bundesrepublik, die Rosa Luxemburg würdigen, mit Fotos und Zeichnungen der Briefschreiber. Ihnen wurde Raum gegeben, so dass Einblicke gegeben werden in den Alltag, in die Bedeutung, die Rosa Luxemburg für jede und jeden hat, in Analysen der Linken historisch wie aktuell. Es finden sich Gedichte und natürlich viele Zitate aus den Werken von Luxemburg, vor allem aber aus ihren eigenen Briefen. Gerade weil Rosa Luxemburg selbst eine so geniale Briefschreiberin war, entspricht das gewählte Genre, in dem zutiefst Persönliches und radikal Politisches ineinander übergeht, ihrem Wesen. Dem Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York kann für die Unterstützung dieses Projekts gedankt werden.

Unter den Briefschreibenden finden sich viele sehr bekannte Personen wieder und andere, die zumindest mir nicht vertraut waren. Und dies ist gut so. Es ging nicht um ein Who-is-Who, sondern um Menschen, die sich dem Werk und Geist von Rosa Luxemburg verbunden haben. Ich werde deshalb auch auf eine Name-Dropping verzichten. Allein schon die im Anhang ausgeführten Informationen über die Autorinnen und Autoren geben faszinierende Einblicke in die globale Linke.

Die Briefe wurden in Zeiten der Corona-Pandemie geschrieben. Die zusätzlichen Belastungen, die Isolation, auch die Verzweiflung, die diese Pandemie hervorriefen, sind immer wieder Gegenstand. Deutlich wird, wie unterschiedlich die direkte Betroffenheit ist, wie sehr in Abhängigkeit von Gesundheits- und Sozialsystem die Lage für jede und jeden war. Wie Hjalmar Joffre-Eichhorn in der Einleitung schreibt: «Der Ausgangspunkt für dieses Buch war ein intensiver und immer noch andauernder Anfall von linker Depression, linker Einsamkeit und eine (Wieder-)Begegnung mit Rosa Luxemburg, ‚der einsamen Stimme in der Wildnis‘, nur wenige Wochen vor ihrem 150. Jahrestag am 5. März dieses Jahres [2021 – M. B.]. Genauer gesagt handelte es sich um eine Begegnung zwischen meinem zunehmend zerfallenden Selbst und Luxemburgs Briefen – aus dem Innern des Gefängnisses und dem Gefängnis in ihr – mit dem überraschenden Ergebnis eines Gefühls von (vorübergehend?) wiedererwachter Vitalität und dem Wunsch, noch einmal gegen meine inneren und unsere äußeren Ketten anzugehen. Das nächste, was ich weiß, ist, dass ich verzweifelt Luxemburgistinnen auf der ganzen Welt die Hand reiche, um sie von ihren vollen Terminkalendern wegzulocken und sie dafür zu begeistern, an einer etwas unorthodoxen, sehr persönlichen luxemburgischen Publikation inmitten einer barbarisch gemanagten Pandemie mitzuwirken.» (S. 1) Dies ist in hervorragender Weise gelungen.

Vielleicht wäre es gut, diese Briefe nicht alle hintereinander zu lesen, sondern sich von Zeit zu Zeit intensiv einem der Briefwechsel zuzuwenden, um denen, die da im Dialog miteinander sind, zuzuhören. Und vielleicht erweckt dies jenes Gefühl der Erwartung und Hoffnung, dass Friedrich Hölderlin 1801 so ausdrückte: «Viel hat von Morgen an,/ Seit ein Gespräch wir sind und hören voneinander,/ Erfahren der Mensch; bald sind wir aber Gesang…» So unterschiedlich die Erfahrungen sind, die ausgetauscht werden, so verschieden die persönlichen Biografien und Lebenssituationen, so gibt es doch einen gemeinsamen Horizont in allen Briefen – den einer Welt, in der, wie die Zapatisten es ausdrückten – viele Welten, alle Menschen in ihrer Lebendigkeit solidarisch Raum und Zeit finden können, miteinander, füreinander und für sich selbst zu sein. Es ist die Sehnsucht, nach einer solchen Welt, die die Briefschreibenden bei Rosa Luxemburg gefunden haben und die sie selbst bewegt, verbunden mit oft opferreichem Einsatz in linken Kämpfen, erfahren durch einige Aufbrüche und viele Niederlagen. Der Herausgeber hat diesen Geist in einer Elegie aus Zitaten von Luxemburg beeindruckend zum Ausdruck gebracht. Sein Vorwort vom 13. August 2021 (dem 60. Jahrestag des Baus der Berliner Mauer übrigens) endet mit den Worte: «See you on the barricades, Hjalmar». Es ist ein leidenschaftliches, ein an der Zeit und der Linken leidendes, ein sehr schönes Buch geworden.

Die Menschen, die sich da austauschen, ihre Bezüge auf Rosa Luxemburg, auf die Orte, in denen sie leben, die Kämpfe, von denen sie berichten, sind viel zu vielgestaltig, um sie zu «referieren». Ich selbst möchte nur auf zwei dieser Briefwechsel eingehen. Der erste ist zwischen Rebecca Selberg, die als Assistant Professor an der Lund Universität und der Linnaeus Universität mit den Schwerpunkten Gender Studies und Soziologe in Schweden arbeitet, sowie Maureen (Mo) Kasuku, von der man bei den Informationen über die, die zu dem Buch beitrugen, nur erfährt, dass sie eine kenianische sozialistische Feministin ist, die in Nairobi lebt. Hier schreiben sich zwei Frauen, die sich bisher nie trafen, die in völlig unterschiedlichen Welten unser einen Welt leben. Man kann nur hoffen, dass sie sich, wie versprochen, 2022 trafen. In dem einleitenden Brief von Rebecca Selberg schreibt diese: «Ich denke, dass es wichtig für Feministinnen und Sozialistinnen ist, über Traumata, über das Leiden zu sprechen; aber ich frage mich manchmal, ob wir die Bewegung nicht neu auf jene Art von Optimismus ausrichten müssen, die Rosa verkörperte.» (S. 57) Mo Kasuku begann ihren Antwortbrief mit den Worten: «Hujambo Rebecca, es ist Sonntagmorgen hier in Nairobi. Ich lese Deinen Brief zum millionsten Mal. Ich bin im Haus meiner Mutter Aliviza. Ich pflege sie gesund nach einer Covid-19-Infektion.» Rebecca Selberg wie Mo Kasuku sprechen davon, dass sie in armen Familien aufgewachsen sind, so unterschiedlich die Armut in den jeweiligen Ländern ist. Beide berichten von ihrem politischen und sozialem Engagement. Bei Kasuku heißt es, nachdem sie aus Luxemburgs Gefängnisbriefen zitiert hat: «In den dunkelsten Stunden, nur zwei Jahre vor ihrem Tod, hat Rosa noch in den düstersten Orten Lebensfreude gefunden. Meine Freundin, ich erlebe gerade eine wirkliche dunkle Zeit. Es sind Dinge, die ich nicht in Worte fassen kann. Aber jeden Tag reiß ich mich zusammen, kremple die Ärmel hoch, weil Arbeit getan werden muss. […] Während im Hintergrund «Auf, auf zum Kampf» klingt, hoffe ich, Du hältst Deine Tanzschuhe bereit.» (S. 66) In der Antwort schreibt Rebecca Selberg: «Zeit ist das, worüber ich gerade nachdenke. Mir rennt die Zeit davon. Ich bin voller Ideen, ich habe alle materiellen Dinge, die ich jemals brauchen könnte; ich habe ein stabiles Einkommen, einen prestigereichen Job […]. Aber ich habe ständig das Gefühl, nicht genug zu leisten.» (S. 67) Im Weiteren geht es um Bernstein und Brecht, um Luxemburgs Kapitalismusanalyse und um die Revolution, die notwendig ist, um radikale Bewegungen, um Venezuela, Chile, Allende, die extreme Rechte. Während des Briefwechsel erkrankt Mo Kasuku an Covid, berichtet von den Folgen und schlägt zugleich gemeinsam mit Rebecca Selberg vor, eine Rosa Luxemburg Internationale zu gründen – «Always in solidarity, Mo». Es sind Berichte aus dem Alltag voller präziser Reflexionen über die Grundfragen sozialistischer Bewegungen. Beides ist untrennbar verbunden.

Von ganz anderem Charakter sind die Briefe, die Peter Hudis und Hjalmar Joffre-Eichhorn einander schreiben. Auch hier sind zwei authentische Linke mit einer langen Biografie sozialistischen Engagements im Gespräch. Ins Zentrum des Austausch aber rückt die Auseinandersetzung um zwei unterschiedliche, ja, gegensätzliche Weise sich auf Luxemburg zu beziehen. In seinem, die Briefwechsel eröffnenden Beitrag schreibt Peter Hudis, dass Luxemburg die UdSSR niemals als sozialistisch angesehen hätte, sie sei «eine energische Gegnerin zugleich der bürgerlichen Wirtschaftsweise und aller Formen des autoritären Sozialismus» (S. 229) gewesen. Er stellt Luxemburgs Humanismus ins Zentrum, «ihren unerschütterlichen Widerstand gegen alle Formen von Unterdrückung» (S. 231). Joffre-Eichhorn greift dies auf, wendet aber ein, er habe sich «zugegebenermaßen mit der Luxemburg-Lenin-Debatte nie ganz wohl gefühlt […], weil ich der Meinung bin, dass die Tatsache, dass Rosa Luxemburg nie in der Lage war, die Staatsmacht auszuüben oder zu verteidigen, jede Behauptung, dass sie ihr Engagement auch angesichts der blutigsten und unnachgiebigsten Widrigkeiten beibehalten hätte, zu einem Glaubenssprung macht, zu dem ich nie den Drang verspürt habe» (233). Er fügt hinzu: «Im Gegenteil, im Geiste einer kritischen, entmonumentalisierenden Solidarität mit Rosa Luxemburg habe ich mich zuweilen etwas verwirrt und beunruhigt gefühlt über ihre – vor allem in ihren Briefen erkennbare – Tendenz, andere zu bevormunden und es besser zu wissen als diese selbst, entsprechend einer Dialektik zwischen der revolutionären Avantgarde und den so genannten Massen, die uns seit jeher plagt und die trotz aller machtvollen Theorie und Rhetorik, die in den letzten anderthalb Jahrhunderten entstanden ist, in der Praxis nur sehr schwer zu überwinden zu sein scheint. Wer weiß, wie sehr eine Generalsekretärin Rosa Luxemburg in dieser Hinsicht an Genossen Iljitsch erinnert haben mag. Wer weiß, wie sehr sie vor einer erfolgreichen Revolution (im Sinne der Erringung der Staatsmacht), an der sie selbst beteiligt wäre, geschützt gewesen wäre.» (S. 234)

Was hier aufeinander stößt, sind aus meiner Sicht zwei sehr gegensätzliche Sichten auf die Geschichte und Gegenwart sozialistischer Bewegungen. Peter Hudis ist dem radikaldemokratischen Geist von Rosa Luxemburg im engeren Sinne treu. Bei seinem Verweis auf Luxemburgs Kritik an der Politik von Lenin und Trotzki klammert er folgerichtig aus, dass sie eine «eiserne Hand» gegen die Bewegungen für nationale Selbständigkeit und die Übergabe des Bodes an individuelle Bauernwirtschaften forderte, um den sozialistischen Kurs durchzusetzen, während sie zugleich die reinste Demokratie und Freiheit von Presse, Zivilgesellschaft und bei Wahlen forderte. Hudis sieht Luxemburgs Ablehnung der nationalen Bewegungen kritisch, verkennt aber den Widerspruch zwischen Luxemburgs radikalen Insistieren auf völliger Freiheit und ihrer Forderung, rein sozialistische Kämpfe zu führen, die sich ganz auf das Klasseninteresse fokussieren. Joffre-Eichhorn dagegen will beide tragischen Personen aus der Geschichte der Linke, Luxemburg wie Lenin, wieder gemeinsam als Genossen begrüßen. Für ihn gehören die gegensätzlichen Linien untrennbar zusammen. In dem Briefwechsel der beiden kommt zugleich ein verbreitetes Gefühl der heutigen Linken zur Sprache – das der Verzweiflung. Wie Joffre-Eichhorn schreibt, seien «Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit Formen der (Selbst-)Entfremdung» (S. 248), wie sie im und aus dem Kampf entstehen.

Das von Hjalmar Joffre-Eichhorn herausgegebene Buch der «Post Rosa. Briefe gegen die Barbarei» ist ein gelungenes Beispiel dafür, wie man auf völlig ungewöhnliche Weise Rosa Luxemburg ehren und zugleich der Linken nützen kann. Es sind Briefe der Reflexion, der Selbstermutigung, des Andenkens und des Vordenkens. Vor allem sind es Briefe von Menschen, die in immer dunkleren Zeiten mit hellem Geist und brennendem Herzen die unausweichlichen Kämpfe führen. Mehr kann niemand verlangen. Oder, wie hätte Luxemburg gesagt: «Seid heiter!» – Trotz alledem!

https://rosalux.nyc/post-rosa-letters-against-barbarism/