Nachricht | Afrika - Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit - COP27 Der Weltklimagipfel in Afrika: eine Illusion

Künftig müssen wir auf lokale Stimmen hören, statt globales Greenwashing zu fördern.

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Teilnehmer sitzen im «Afrikanischen Pavillon» auf der COP27 in Scharm El-Scheich, Ägypten, 9. November 2022. Foto: IMAGO/Zuma Wire/Dominika Zarzycka

Kein Tag vergeht in Afrika, an dem man nicht über das Klima spricht. Das Thema ist nicht auf medienwirksame Anlässe oder Seminare in Luxushotels beschränkt. Die Erdnussverkäuferin spricht darüber an ihrem Stand und der Straßenhändler beim Mittagessen. Es schleicht sich selbst in die Preisverhandlungen zwischen den Kassierer*innen und ihren Kund*innen im senegalesischen Schnellbus ein. Auch die Dreiradtaxifahrer*innen in Tansania und die Karrenfahrer*innen in den entlegensten Dörfern bleiben nicht verschont.

Ibrahima Thiam arbeitet im Westafrika-Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar, Senegal, im Bereich Klimawandel und natürliche Ressourcen.

Der Klimawandel geht alle etwas an. Seine Folgen sind in den Ländern des Südens deutlich sichtbar, mit allem, was dazu gehört: Küstenerosion, Wüstenbildung, Überschwemmungen, Versalzung der Böden oder Verlust der Artenvielfalt. Der Klimawandel bringt Gewohnheiten, Sitten und Gebräuche durcheinander und stört das soziale Gefüge, das der Gesellschaft bislang als Gleichgewicht diente.

Der afrikanische Kontinent leidet angesichts seines geringen Beitrags zu den Treibhausgasemissionen besonders unter der Klima-Ungerechtigkeit. Seine Verletzlichkeit gegenüber den Folgen der globalen Erwärmung nimmt stetig zu, und die Bevölkerung muss sich an die zunehmend schwierigeren Bedingungen anpassen.

Verflucht sei der Klimawandel, der Familien auseinanderreißt und in die Emigration zwingt.

Verflucht sei dieser Zerstörer der Fischgründe, auf deren Reichtum sich der alte Fischer noch verlassen konnte, der von der jungen Generation noch zuverlässig sein Altenteil bekam.

Verflucht sei er, der die Muttermilch versiegen und die Mutter beschämt wegschauen lässt, während sie ihre leere Brust gibt, in der Hoffnung auf bessere Zeiten.

Wer kommt zurecht? Wer wird verschont? Wer ist verantwortlich?

Die jüngsten Hitze- und Dürrewellen in Westeuropa führten zu Waldbränden und einem Anstieg der Treibhausgasemissionen. Europa überhitzt und hat letztes Jahr die höchsten jemals gemessenen Temperaturen erlebt: 0,4 °C über dem Durchschnitt von 1920 bis 2020. Auch Europa büßt für seinen Beitrag zur globalen Erwärmung. Die überalterte Bevölkerung ist zwar anpassungsfähig, aber dennoch verwundbar.

Es wird immer offensichtlicher, dass die Länder des Südens nicht länger auf die Entscheidungen der internationalen Institutionen und die Launen der Verursacherländer warten können.

Die Opfer kennen wir jedenfalls. Das sind Mama Ndeye Yacine und Fatou Samba, die jeden Tag mit ansehen müssen, wie das Meer an den Überresten ihrer Familienhäuser nagt. Das Meer wird zu ihrem Erzfeind, der weder Gnade noch Rücksicht kennt. Die Migration beginnt im eigenen Haus. Man zieht sich zurück und teilt, was noch bewohnbar ist. Junge und Alte des gleichen Geschlechts teilen sich die Räume. Bis zu acht Personen leben in einem Zimmer. Und wenn man es wagt, das Meer herauszufordern, ein besseres Leben zu suchen, dann verwandelt es sich in einen Friedhof und verschlingt die jungen, die hoffnungs- und hilflosen Seelen.

Die Opfer, das sind die Ackerleute im Saloum-Delta, Senegal, die nur eine Einkommensquelle haben: die Landwirtschaft. «Gottes» Regen ist die einzige Wasserquelle, die ihnen die Hoffnung gibt, trotzdem zu säen und auf bessere Ernten zu warten. Und wenn der Regen schlecht gelaunt ist, macht er sich rar oder spielt den Ernten übel mit. Die Leute gehen in die Städte und leben dort dicht gedrängt. Sie werden zu Sündenböcken für alle Übel, schikaniert, beschimpft, zurückgewiesen. Sie haben ihr weites Land verlassen, um obdachlos und unverstanden zu enden.

Die Opfer, das sind die Hausfrauen, die mit dem Wenigen in ihren Einkaufskörben auskommen müssen, und die Familienväter, die sehen, was die Familie braucht, und die ihre Sorgen hinter dem Vorwurf verbergen, ihre Frauen gäben von dem knappen Geld noch an ihre Spar- und Kreditgruppen. Die Krise beim Anbau seltener Gemüsesorten betrifft auch das berühmte senegalesische Gericht Thieboudienne. Selbst der Thiof, der weiße Zackenbarsch, ist in andere Gebiete abgewandert. Alle beklagen sich, alle klagen sich an.

Wie viele Klimagipfel brauchen wir noch, um die Verzweiflung in den Gesichtern der Klimaopfer zu sehen? Wann immer eine Vertragsstaatenkonferenz angekündigt wird, hofft Ndeye Yacine auf Lösungen für Leidtragende wie sie. Sie setzt einige Hoffnung auf Loss and Damage, die neuen Vereinbarungen zu klimabedingten Schäden und Verlusten, weil darin von Wiedergutmachung die Rede ist. Sie hofft, dass ihr Haus eines Tages vielleicht wieder in seiner ursprünglichen Schönheit erstrahlt. Oder dass sie eine neue Bleibe findet und in Würde leben kann.

So wiederholen sich die Gipfel und mit ihnen das Klagen und die Verbitterung der Betroffenen.

«Dieser Klimagipfel wird ein afrikanischer sein»

Als Ägypten zum Gastgeber der COP 2022 erkoren wurde und damit der Kontinent, der am stärksten vom Klimawandel betroffen ist, da ertönten Stimmen aus den Dörfern und Weilern, da keimte die Hoffnung in den Herzen der Klimaopfer, da trat ein Lächeln auf die gezeichneten Gesichter. 2022 wird Eindruck machen, denn Afrika veranstaltet die COP27, Afrika wird aufspringen und rufen: «Dieser Klimagipfel wird ein afrikanischer sein!», als hätte es nicht einen 2006 in Nairobi gegeben, 2011 in Durban und 2016 in Marrakesch.

Fand nicht der 17. Weltklimagipfel im südafrikanischen Durban statt? Und drehte sich dort nicht alles um ein Abkommen, für das ein schnelles Inkrafttreten und die ausreichende Finanzierung des Green Climate Fund notwendig waren, ein Versprechen der Kopenhagener Konferenz (COP15)?

30 Milliarden US-Dollar, das hatte Ndeye Yacine in der Presse gelesen, hatten die Industrieländer für die Bekämpfung des Klimawandels für 2010 bis 2012 versprochen, plus 100 weitere Milliarden aus der EU bis 2020.

In Durban hatten sich 37 Industrieländer dazu verpflichtet, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren, um die globale Erwärmung zu begrenzen. Durban sah die operative Einrichtung eines Technologiemechanismus für Klimaschutz und Anpassung in Entwicklungsländern im Jahr 2012 vor.

Der afrikanische Kontinent hatte trotz der Nichteinhaltung der Versprechen in den Abkommen der verschiedenen Klimagipfel immer hohe Erwartungen an Eindämmungs- und Anpassungsmaßnahmen.

Sharm El-Scheikh sollte eine Gelegenheit bieten, dem Kontinent Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Die letzte Klimakonferenz endete mit einem Abkommen über einen Finanzierungsmechanismus, um betroffene Länder für «Schäden und Verluste», die durch den Klimawandel entstanden sind, zu entschädigen. Das Abkommen über Verluste und Schäden war «ein wichtiger Schritt in Richtung Gerechtigkeit», so UN-Generalsekretär António Guterres. Doch handelt es sich wirklich um ein historisches Abkommen, wenn die Klimafinanzierung für Lateinamerika und die Karibik nicht in Form von Zuschüssen kommt, sondern zu 81 Prozent als Darlehen gewährt wird?

Die COP27 habe keine Antwort auf die Frage nach einer drastischen Reduzierung der Emissionen gegeben, bedauert António Guterres. Wenn selbst der Chefdiplomat der Welt die beschränkte Wirkmacht des Weltklimagipfels feststellt, was soll dann die Zivilgesellschaft oder gar die arme Bäuerin davon erwarten?

Die Stimmen, die die Wirksamkeit des Gipfels bezweifeln, werden lauter. Der nigerianische Umweltaktivist Nnimmo Bassey etwa glaubt, dass die Lösung der Klimaprobleme außerhalb des Klimagipfels zu finden sei. Die Mobilisierung und das konkrete Handeln indigener Gruppen sind für ihn entscheidend, etwa die Organisation alternativer landwirtschaftlicher Methoden, die dazu beitragen könnten, den Planeten abzukühlen. Bassey bezeichnet die COP als einen «Scheinprozess», der von kolonialen Mustern geprägt sei und die Verantwortung für den Klimawandel auf dessen Opfer abwälze.

Es wird immer offensichtlicher, dass die Länder des Südens nicht länger auf die Entscheidungen der internationalen Institutionen und die Launen der Verursacherländer warten können. Die Lösungen müssen von den Menschen selbst kommen. Mehr Basisarbeit, Aufklärung und die Erforschung autochthoner Praktiken des Umweltschutzes sind erforderlich. Wir müssen uns auf frühere Techniken besinnen, um angesichts dieser Krise resilienter zu werden. Der Krieg in der Ukraine hat den Kontinent weiter geschwächt und seine Vulnerabilität noch deutlicher gemacht.

Immer mehr Stimmen sprechen sich gegen den Weltklimagipfel aus. Vielleicht besteht sein einziger Nutzen darin, die Erkenntnis zu ermöglichen, dass er sich nicht für die Opfer des Klimawandels oder ihre Vertreter*innen eignet. Vielmehr ist er eine Parade von Staats- und Regierungschefs, die Handlungsbereitschaft vortäuschen und auf offiziellen Fotos posieren. Echte Klimaschützer*innen können sich die Teilnahme nicht leisten. Die unerschwinglichen Unterbringungskosten schrecken viele ab. Dieser Weltklimagipfel war ein Reichengipfel. Dieser Weltklimagipfel war ein Bankengipfel.

In Zukunft brauchen wir mehr lokale Zusammenkünfte, vor allem lokale Klimakonferenzen in den Ländern des Südens. Dort sollten die Menschen Erfahrungen austauschen, die Opfer Gehör finden und Lösungsvorschläge entstehen.

Vielleicht sollten wir die Weltklimagipfel besser boykottieren und unsere Energien anders einsetzen?

Übersetzung von André Hansen und Margarete Gerber für Gegensatz Translation Collective.