Nachricht | Zentralasien - China - Die Neuen Seidenstraßen Zug um Zug

Die 25 Jahre lang geplante Eisenbahnlinie China-Kirgisistan-Usbekistan erhält durch den Krieg in der Ukraine neues Leben

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Autorin

Emilia Sulek,

Aufgenommen in Qingdao in der chinesischen Provinz Shandong, September 2022 Foto: picture alliance / CFOTO | CFOTO

Bei einem Treffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit im usbekischen Samarkand unterzeichneten Politiker aus Kirgisistan, Usbekistan und China ein Abkommen über den Bau einer gemeinsamen Eisenbahnlinie. Sie sollte Teil des südlichen Verkehrskorridors zwischen China und Europa und dem Nahen Osten sein. Von Kaschgar in Ostturkestan (Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjiang in China) würden die Züge nach Taschkent in Usbekistan fahren und dann mit Linien über Turkmenistan und dem Südkaukasus verbunden werden. Die chinesische und die usbekische Sektion sind fertig. Der kirgisische Teil fehlt noch. Um dieses Stück geht es hier.

Chronologie

Die Idee, eine Bahnlinie von China über Kirgisistan nach Usbekistan (kurz CKU) zu bauen, entstand 1997. Während eines Treffens von Transport Corridor Europe-Caucasus-Asia (TRACECA), einem eurasischen Verkehrsförderungsprogramm, entstand die Idee, diese Länder durch die Bahn zu verbinden. Auf diese Weise würde der Transport nach Europa verbessert, gleichzeitig wäre aber auch das Innere Asiens besser mit den Seelinien verbunden, über Eisenbahnen in Afghanistan, Iran und der Türkei. Noch im selben Jahr fand ein trilaterales Treffen statt, es wurde eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet. Bald darauf begannen direkte Gespräche zwischen Kirgisistan und China.

Das erste Jahrzehnt des neuen Jahrtausends war in der Region von politischen Turbulenzen geprägt. Als Folge der Tulpenrevolution 2005 musste Askar Akajew zurücktreten, der erste Präsident des unabhängigen Kirgisistans. Im benachbarten Usbekistan wurden Hunderte von Demonstranten, die gegen die autoritäre Politik von Islom Karimov protestierten, bei dem Massaker von Andijon getötet. Ein weiterer kirgisischer Präsident, Kurmanbek Bakijew, trat 2010 zurück. In der südkirgisischen Provinz Osch kam es zu Unruhen zwischen Usbeken und Kirgisen, die die Stimmung rund um die gemeinsame Eisenbahnlinie noch mehr verschlechterten.

Obwohl sich die politischen Beziehungen in der Region wesentlich abgekühlt hatten, unternahmen Vertreter Kirgisistans mehrere Reisen nach China und unterzeichneten schließlich 2012 einen Vertrag mit der China Road and Bridge Company CBRC, der diese verpflichtete, eine technische Analyse für das Projekt durchzuführen. Diese Analyse konzentrierte sich jedoch auf den Verlauf einer Linie, von der Kirgisistan – im Allgemeinen – am wenigsten überzeugt war. Ein Jahr später verkündete Präsident Almasbek Atambajev, dass Kirgisistan von dieser Linie nicht profitiere und nicht in sie investieren werde.

Emilia Sulek ist Sozialanthropologin und Zentralasienwissenschaftlerin. In ihrem aktuellen Forschungsprojekt «ROADWORK: An Anthropology of Infrastructure at China's Inner Asian Borders» untersucht sie die Auswirkungen der Infrastruktur auf das soziale und wirtschaftliche Leben in der Region.

Die Finanzkrise in Russland im Jahr 2013 brachte eine weitere Wendung und drängte Kirgisistan zu einer engeren Zusammenarbeit mit China. Im selben Jahr kündigte Peking die «Belt and Road Initiative» (BRI) an, die eine Phase verstärktes Engagements Chinas im Bereich der Infrastrukturinvestitionen einleitete und mit der Reaktivierung der Seidenstraße verbunden war. Die Machtübernahme Schawkat Mirsijojews in Usbekistan im Jahr 2016 verbesserte die Beziehungen in der Region. Die Atmosphäre entspannte sich, aber trotzdem waren keine großen Fortschritte beim Bau der Eisenbahn zu erkennen.

Die Diskussion um die CKU-Linie wurde erst nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mit voller Kraft wiederaufgenommen. Im Mai kündigte der kirgisische Präsident Sadyr Dschaparow an, der Bau werde im nächsten Jahr beginnen. Diese überraschende Erklärung wurde in einer völlig anderen geopolitischen Welt abgegeben als der, in der die Idee der CKU-Linie das Licht der Welt erblickt hatte. In einem Jahr, das vom russischen Angriff gegen die Ukraine und internationalen Sanktionen geprägt ist, wurde der Warentransport durch Russland plötzlich aus mehreren Gründen ungünstig. Bisher war der Nordkorridor durch Kasachstan, Russland und Weißrussland attraktiv gewesen. Die Südstraße hatte weniger Vorteile: Die häufigen Grenzübertritte in Zentralasien, das einem dichten Flickenteppich glich, waren mit Bürokratie und logistischen Schwierigkeiten verbunden.

Es scheint jedoch, dass der südliche Korridor eine reizvolle Alternative sein könnte. Nach dem Bau des kirgisischen Abschnitts der CKU würde der Gütertransport von China nach Europa laut Analysten um 900 km kürzer und 7-8 Tage schneller sein als die Container, die durch Russland reisen. Auch wenn die Route durch Kirgisistan den Nordkorridor nicht ersetzen soll, würde sie doch eine Diversifizierung der Bahnverbindungen und eine Unabhängigkeit von Russland ermöglichen. Davon würde nicht nur die chinesische Wirtschaft, sondern auch chinesische Partner in Europa und im Nahen Osten profitieren.

Gegensätzliche Interessen

Das bergige Kirgisistan ist kein Eisenbahn-Eldorado, zwei Eisenbahnlinien hat das Land aber trotzdem. Nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 erbte Kirgisistan zwei Abschnitte: insgesamt 424 km im Norden und im Süden des Landes. Von Bischkek, der Hauptstadt Kirgisistan, im Norden des Landes, kann man mit dem Zug Taschkent, die Hauptstadt Usbekistans, und Almaty in Kasachstan erreichen. Es gibt auch eine saisonale Verbindung zu dem bei Touristen beliebten See Yssykköl. Die nördliche Bahnstrecke dient sowohl dem Personen- als auch dem Güterverkehr. Der südliche Abschnitt wird nur von Güterzügen befahren: zwischen den kirgisischen Städten Osch und Dschalalabad und dem usbekischen Andijon im wirtschaftlich wichtigen Ferghanatal.

Theoretisch wollen alle drei Länder ihren Verkehr verbessern. In der Praxis sind ihre Interessen jedoch unterschiedlich. China und Usbekistan wollen den Handel intensivieren, nicht nur mit weiter entfernten Märkten, sondern auch untereinander. Usbekistan ist mit 30 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Zentralasiens. Für chinesische Hersteller ist es ein kleiner, aber praktischer Absatzmarkt. In die Gegenrichtung, nach China, sollen usbekische Baumwolle und Öl transportiert werden. Dank der CKU-Linie erhält die staatliche China National Petroleum Corporation einen besseren Zugang zu geschätzt 30 Millionen Tonnen Öl aus den Ölfeldern im usbekischen Mingbulak. Obwohl die Mingbulak-Ölfelder nur einen Bruchteil des Bedarfs Chinas decken könnten, ist das doch ein wichtiger Bruchteil, wenn man Chinas Politik bezüglich der Diversifizierung von Ölimporten bedenkt.

Für Kirgisistan würde die CKU-Linie die Kosten für den Import vieler Waren senken, die bisher per Lkw transportiert werden. Die Sache ist nicht trivial, denn Kirgisistan importiert mehr als es exportiert; mehr als die Hälfte des Handels Kirgisistans findet mit China statt. Aus diesem Grund genießt das CKU-Linienprojekt breite Unterstützung: «Liberale und Konservative, Regierung und Opposition – fast alle wollen ein besseres Verkehrsnetz. Dank der Bahnlinie wird es möglich sein, schneller und billiger zu transportieren», sagt Emilbek Dschurojew von der kirgisischen Niederlassung der Soros-Stiftung. Kirgisische Mineralien, tierische Produkte und Lebensmittel würden dann per Bahn nach China transportiert. Kirgisistan rechnet auch mit Gewinnen aus den Frachtgebühren. Diese werden auf 200 Millionen Dollar pro Jahr geschätzt. Kritiker halten das für übertrieben.

Kirgisistan interessiert sich auch aus einem anderen Grund für die CKU-Linie: sie würde den Verkehr im Land selbst verbessern. Denn die zwei früher in das sowjetische Eisenbahnnetz integrierten kirgisischen Linien waren nach dem Zerfall der Sowjetunion in einem geografischen Vakuum verblieben. Die Regierung in Bischkek möchte sie zusammenbringen. Wie bei vielen Mega-Infrastrukturprojekten werden auch hier Versprechen laut, dass durch diese Investition neue Arbeitsplätze geschaffen würden. Chinesische Bauunternehmen bevorzugen jedoch ihre eigenen Subunternehmer, sodass nicht ganz klar ist, wo genau diese Arbeitsplätze erscheinen sollen. «Infrastruktur allein schafft keine Arbeitsplätze», sagt Dschurojew. «Sie müssten zuerst proaktiv entlang der Eisenbahn geschaffen werden, und das wäre die Aufgabe des Kirgisistans, nicht Chinas.»

Wo soll es entlanggehen?

In den ersten Überlegungen wurden mehrere Routen in Betracht gezogen. Schließlich blieben zwei übrig. Die konkrete Wahl erwies sich als Zankapfel. China entschied sich von Anfang an für die kurze Trasse. Die Züge würden über den Irkeschtam-Pass (3.005 Meter über dem Meeresspiegel) in der Provinz Osch nach Kirgisistan einfahren und den direktesten Weg nach Usbekistan nehmen. Eine längere Trasse wäre jedoch im Interesse Kirgisistans. Diese würde vom Torugart-Pass (3.752 Meter über dem Meeresspiegel) ausgehen, der sich in der Mitte der Grenze (Provinz Naryn) zu China befindet. Anstatt direkt nach Usbekistan zu führen, würde diese Trasse Karasuu, Arpa und Karaketsche im Zentrum des Landes umfassen. Sie würde auch an die Eisenbahnlinie nach Balyktschy am Yssykköl angeschlossen. Das bedeutet, dass die CKU-Leitung dazu beitragen würde, Nord und Süd zu verbinden, die zwei Hälften des Landes, die besser verbunden werden müssen.

Für Kirgisistan gibt es zahlreiche Vorteile einer längeren Eisenbahnstrecke. Sie durch die Mitte des Landes zu führen, würde einen Spillover-Effekt nach sich ziehen: Die positiven Effekte der Eisenbahn würden auf ein größeres Gebiet übertragen. Die Regierung in Bischkek hofft, mit der CKU-Linie nicht nur den Güter-, sondern auch den Personenverkehr zu verbessern. Derzeit dominiert in Kirgisistan der Straßentransport, der in dem bergigen Gelände mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Auf der Autobahn von Bischkek nach China, am Dolon-Pass (3.030 Meter über dem Meeresspiegel), passieren Lastwagen Busse voller Passagiere. Die Straße ist gefährlich, im Winter oft nicht befahrbar. Gleiches gilt für die zweite Autobahn von Bischkek nach Osch über den Alabel-Pass (3.175 Meter über dem Meeresspiegel).

Kirgisistans Interessen entsprechen daher dem, was die chinesische BRI-Initiative in ihrem offiziellen Narrativ beinhaltet. Dieser verbesserte Verkehr innerhalb des Kontinents und innerhalb des Landes ist das Hauptthema in Kirgisistans Überlegungen zur CKU-Linie. Verkehr bedeutet hier nicht nur Waren, sondern auch Menschen zu transportieren. Eine längere CKU-Linie würde einigen ökonomisch eher trägen Regionen neue Dynamik verleihen. Fest steht: Eine kürzere Bahnstrecke wäre einem solchen Wirtschaftsboom nicht förderlich. «Wir brauchen keine Eisenbahn, die nicht in Kirgisistan hält», sagte Präsident Atambajew 2017. Das trifft noch heute zu.

Der vierte Akteur des Dramas

Ein weiterer Akteur nimmt hinter den Kulissen an den Diskussionen über die CKU-Linie teil: Russland. Es verfolgt und kontrolliert die Aktionen Kirgisistans und seiner Nachbarländer. Kirgisistan ist politisch von Russland abhängig, obwohl es wirtschaftlich Richtung China tendiert. Diese wirtschaftlichen Beziehungen schlagen sich jedoch nicht in der Politik nieder. Für Kirgisistan ist Russland der Garant für Sicherheit (bzw. deren Mangel) und bietet tausenden kirgisischen Bürgerinnen und Bürgern Arbeitsplätze. Fast ein Drittel des kirgisischen BIP stammt aus Geld, das Gastarbeiter von Russland aus nach Hause schicken.

Russlands Meinung zur CKU-Linie war seit Jahren negativ. Der Eisenbahnkorridor im Süden Zentralasiens wäre eine Konkurrenz zu den Transportwegen durch Kasachstan und Russland: Die Verbesserung des Verkehrs im Süden Kirgisistans entzöge Russland die Einnahmen aus den Frachtgebühren. Auf die Frage, warum die Gespräche über die CKU-Strecke so lange andauern, räumt ein Beamter der Kirgisischen Eisenbahn, Murat Sadybekow, ein, dass «der große Bruder aus dem Norden das Thema blockiert hat». Das Thema ist heikel, daher tritt Sadybekow lieber unter geändertem Namen auf. 2013 schlug Russland vor, eine eigene – nicht-chinesische – Verbindung zwischen Russland, Kasachstan, Kirgisistan und Tadschikistan aufzubauen. Seit China ihre BRI-Initiative angekündigt hat, ist jedoch dieses Land zum wichtigsten Bauherrn der Region geworden.

Nach Jahren des Ausweichens akzeptierte Russland den Plan der CKU-Linie plötzlich. Was bedeutet diese Meinungsänderung? «Es geht definitiv nicht um uns», sagt Emilbek Dschurojew von der Soros-Stiftung. Kirgisistan ist seiner Meinung nach ein zu kleiner Spieler, als dass Russland sich bei ihm beliebt machen wollte. Eher gehe es wohl darum, dass sich der Kreml aufgrund der internationalen Sanktionen und des Wegfalls von Gütertransporten auf den durch Russland verlaufenden Routen möglicherweise an die Südroute «anschließen» wolle, sagt Dschurojew. Wegen des Kriegs in der Ukraine hängt Russland von den guten Beziehungen zu China ab. Die Meinungsänderung bezüglich die CKU-Linie ist ein taktischer Schachzug und ein Signal, dass sich der Kreml nicht in die chinesischen Interessen in der Region einmischen will. Auch die Lobbyarbeit Usbekistans steht hinter dem grünen Licht für die CKU. Unter Mirsijojews Herrschaft erlebt das Land eine Phase der wirtschaftlichen Erholung, und eine Eisenbahnlinie mit China würde es ermöglichen, den Handel zu steigern.

Die CKU-Strecke habe auch militärische Bedeutung, bemerkt Murat Sadybekow von der Kirgisischen Eisenbahn. Er erinnert sich, dass Russland vor einem Jahrzehnt darauf hinwies, dass die Eisenbahnlinie mit China ein Risiko für die Sicherheit der Region darstelle. Auch die Tatsache, dass Russland die CKU-Linie unterstützt, sollte in diesen Kategorien gesehen werden. «Wenn sich der Konflikt in der Ukraine auf Zentralasien ausdehnt, wäre es einfacher, die Armee zu verlegen. Plötzlich würde sich herausstellen, dass nicht Fernseher, Baumwolle und Öl, sondern Panzer und Truppen diese Trasse nutzen.»

Nord-Süd

Die CKU-Linie ist auch für Kirgisistan von strategischer Bedeutung. Kirgisistan ist ein Land mit einem klaren Nord-Süd-Gefälle. Die Regionen unterscheiden sich in ihrer demographischen und wirtschaftlichen Situation. Die südlichen Provinzen sind dichter besiedelt und ärmer. Der Süden fühlt sich auch in der Politik schlechter vertreten: Amtssprache ist der Dialekt aus dem Norden, und auch die Mehrheit der Präsidenten des Landes stammt von dort.

Die durchschnittliche Kommunikation auf politischer Ebene spiegelt die schlechte räumliche Kommunikation zwischen den Regionen wider. Darunter leidet das Landesinnere: Städte wie Kasarman scheinen, obwohl sie in der Landesmitte liegen, abseits zu sein. Der Bau einer Autobahn von Bischkek über Kasarman bis nach Osch im Süden ist eines der Elemente einer bewussten Politik, das Land besser zu verbinden. Eine neue Bahnlinie könnte hier helfen.

Die südlichen Provinzen sind ein heikles Gebiet für Kirgisistan. Während die Nordgrenze zu Kasachstan 2001 festgelegt wurde, sind die Südgrenzen zu Usbekistan und insbesondere zu Tadschikistan noch immer umstritten. An der Grenze zu Tadschikistan kommt es regelmäßig zu Zusammenstößen, die in den letzten Jahren offenbar an Dynamik gewonnen haben. Ein Beispiel dafür sind die blutigen Kämpfe in der Provinz Batken, wo die tadschikische Armee im September mehrfach die kirgisische Grenze angriff. Die komplexe ethnische Struktur und Konflikte um den im heißen Ferghanatal essenziellen Rohstoff Wasser machen die Situation nicht einfacher.

Wer zahlt?

In den Debatten um die CKU-Linie wird Kirgisistan auf die Problemposition reduziert. Peking und Taschkent werfen der Regierung in Bischkek Entscheidungsmangel und zu knappe Finanzen vor. Sich um die eigenen Interessen zu kümmern muss allerdings keine schlechte Sache sein, besonders weil einer der Spieler in diesem Eisenbahnspiel, nämlich China, für seine kolonialen Neigungen bekannt ist.

Projekte, die im Rahmen der chinesischen BRI-Initiative umgesetzt werden, stellen keine infrastrukturelle Philanthropie dar. Ihr Zweck ist es, Gewinne zu erwirtschaften, und zwar hauptsächlich für China. Während China sofort anfangen würde, an der CKU-Linie zu verdienen, sind die Gewinne für Kirgisistan weniger offensichtlich und zeitlich verteilter. Allerdings sind die Investitionskosten hoch. Der rund 280 km lange kirgisische Abschnitt verlangt den Bau von bis zu 48 Tunneln und mehr als 90 Brücken, oft auf einer Höhe von über 3.000 Metern über dem Meeresspiegel. Die Kirgisische Eisenbahn schätzt die Investitionskosten auf 4,1 Milliarden Dollar. Das ist eine kolossale Summe, vor allem für ein Land mit einem so kleinen Budget wie Kirgisistan.

Kirgisistan verfügt nicht über ausreichende Mittel für den Bau der CKU-Strecke. Ohnehin werden die meisten Projekte, die unter dem Dach von der BRI-Initiative umgesetzt werden, nicht von den Ländern bezahlt, in denen sie angesiedelt sind. Und Russland? Die Vorstellung, dass der Kreml eine Trasse finanzieren würde, die nicht durch Russland führt, mag überraschen. Allerdings erklärte der russische Außenminister Sergej Lawrow 2020, der Kreml sei bereit, sich an den Kosten zu beteiligen. Die Hoffnungen in Bischkek auf eine finanzielle Unterstützung Russlands erwiesen sich jedoch bisher als vergebens.

China ist bereit, der Regierung in Bischkek Geld zu leihen. Das Problem ist, dass die Staatsverschuldung Kirgisistans bereits 5 Milliarden US-Dollar übersteigt, über ein Drittel sind Schulden gegenüber China. Chinas BRI-Initiative entpuppte sich in vielen Teilen der Welt als Maschine zur Produktion von Schulden, die politisch eingesetzt werden kann. Fälle wie der Hafen von Hambantota, der wegen der Insolvenz der sri-lankischen Regierung für 99 Jahre an China verpachtet werden musste, sind in Bischkek bekannt. Das kleine Kirgisistan, das 858 km der Grenze zu China teilt, fürchtet die Kredite von seinem räuberischen Nachbarn zu Recht. Im Falle einer Insolvenz müsste das rohstoffreiche Kirgisistan Land oder das Recht auf Mineralien an China abtreten – das könnte der Regierung in Peking sogar gelegen kommen.

Gerade die Umweltbelastung und die Verschuldung des Landes stehen im Mittelpunkt der Kritik an der CKU-Linie. Der Bau der CKU-Linie ist technisch möglich, bedeutet aber einen enormen Eingriff in die Hochgebirgslandschaft. Viel mehr als den Bau der Infrastruktur selbst befürchten die Kritiker aber, dass der Zugang zu Bodenschätzen in der Nähe der Bahnlinie erleichtert wird, was zu einer intensiveren Ausbeutung führen würde. Dieses Thema taucht häufig in den Debatten um die CKU-Linie auf: Kirgisische Politiker betonen gerne ihre Pläne, den Export von Gold, Aluminium und Eisen zu steigern. Der Export natürlicher Ressourcen macht einen erheblichen Teil des BIP von Kirgisistan aus. Kritiker werfen der Regierung jedoch vor, kein Programm zur Rettung der Wirtschaft zu haben und nur nach den natürlichen Ressourcen greifen zu wollen.

Breite Spuren

Der Transport auf der CKU-Strecke erfolgt derzeit in einem multimodalen Modus. Per Bahn aus China ankommende Container werden auf Lkw umgeladen. So fahren sie nach Usbekistan, wo sie wieder auf die Gleise verlegt werden. Der Transport von Lanzhou in China nach Taschkent (4.380 km) dauert sieben bis zehn Tage. Würden die Container mit der Bahn fahren, wäre die Reise schneller. Probleme gäbe es aber trotzdem: China und Kirgisistan haben eine andere Spurweite.

Die chinesischen Gleise haben eine Spurweite von 1435 mm, Kirgisistan fährt – wie andere Gebiete der ehemaligen Sowjetunion – auf Gleisen von 1520 mm. Das bedeutet, dass es notwendig ist, eine Station zu bauen, wo die Züge von einem Gleis aufs andere umgestellt werden können. Wo eine solche Station stehen soll, war ebenfalls umstritten. Kirgisistan sah sie an der Grenze zu China. Peking ist jedoch der Ansicht, dass die Länder, mit denen China neue Eisenbahnen baut, sich an chinesische Standards halten und Gleise mit chinesischer Spurweite bauen sollten. China hätte also eigene exterritoriale Gleise in den Nachbarländern. Den Kirgisen, die die Zeit der Sowjetunion als Kolonialzeit sehen, scheint die Idee, dass China Kirgisistan Geld für Strecken leiht, die ihren Bedürfnissen entsprechen, und nicht denen der Kirgisen, wie eine Wiederholung der Geschichte, nur in einer neoliberalen Welt.

Was kommt als Nächstes?

Der Gipfel von Samarkand bestätigte die Pläne zum Bau der CKU-Linie. Die Medien verbreiteten Fotos von den trilateralen Beratungen und Informationen, dass eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet worden sei. Es wurde bestätigt, dass der Bau in 2023 beginnt und weitere technische Analysen durchgeführt werden.

Die Vertragsunterzeichnung wurde mit Euphorie aufgenommen. Diese verdeutlicht jedoch vor allem die Tatsache, dass Russland kein Veto gegen das Projekt eingelegt hat. Die meisten anderen Fakten im Zusammenhang mit dem Bau bleiben unbekannt. «Wir führen seit Jahren technische Analysen durch», sagt Murat Sadybekow von der Kirgisischen Eisenbahn. «In einem so fortgeschrittenen Stadium hätte ich mehr Details erwartet.» Tatsächlich wurden bisher weder der Zeitplan der Arbeiten noch die Art der Finanzierung des Projekts bekannt gegeben. Es wurde nur angekündigt, dass die CKU-Linie vom Torugart-Pass durch die Städte Arpa, Makmal und Dschalalabad führt und dort an die seit der Sowjetunion in Usbekistan bestehende Linie anschließen würde. In Makmal soll die CKU-Linie auch mit der kirgisischen Eisenbahnlinie verbunden werden, die in den Norden des Landes verläuft.

Die Dinge scheinen also nach Wunsch der Kirgisen zu laufen. Allerdings gibt es in Makmal eine Goldmine, die schon zu Zeiten der Sowjetunion genutzt wurde. 1998 wurde sie wegen Unrentabilität geschlossen. Kurz danach gewann die chinesische Manson Group LLC, die derzeit 70 Prozent der Anteile hält, die Ausschreibung für die Modernisierung und den weiteren Abbau. Es stellt sich heraus, dass die chinesischen Züge erst in Makmal auf die kirgisischen Gleise umgestellt werden. Makmal, das (in Luftlinie) fast 150 km von der Grenze entfernt ist, können sie ohne Umstände erreichen.

Diese Handvoll Details, die nach dem Samarkand-Gipfel veröffentlicht wurden, zeigen, wie miteinander verkoppelt die Geschäfte sind, die die BRI-Projekte begleiten. Die Verbesserung des Transportwesens ist hier ebenso wichtig wie Chinas Gewinne aus dem Handel und der Ausbeutung natürlicher Lagerstätten. Trotz der Euphorie über den Verhandlungsfortschritt ist die Stimmung in Kirgisistan gedämpft. Laut einer Studie des Instituts Central Asia Barometer in Bischkek stehen fast 90 Prozent der Bevölkerung chinesischen Investitionen in Kirgisistan kritisch gegenüber und fürchten die Schuldenfalle. Wird der Bau wirklich 2023 beginnen und die Erwartungen erfüllen? «Ich wäre vorsichtig», sagt Murat Sadybekov von der Kirgisischen Eisenbahn. «Ich habe zu oft gehört, dass der Bau kurz vor dem Start steht».