Die vorzeitigen Wahlen der Abgeordneten der Májılıs[1] (des Unterhauses des Parlaments) und der Regional- und Kommunalparlamente (kasach.: Máslıhat) aller Ebenen, die am 19. März 2023 stattfinden, sind für Kasachstan eines der zentralen politischen Ereignisse dieses Jahres. Der Präsident des Landes Kassym-Schomart Tokajew (Qasym-Jomart Toqaev) verkündete, dass es Hauptziel der Wahlen sei, den komplexen Neustart der führenden staatlichen Institutionen abzuschließen. Diese sollen in Einklang mit der neuen Entwicklungsstrategie des Landes gebracht werden.
Die Umsetzung dieser Strategie wurde nach den politischen Ereignissen in den ersten zehn Januartagen 2022 möglich, in denen es zu beispiellosen Massenprotesten und Unruhen kam. Einerseits brachten diese das Land an den Rand eines Bürgerkrieges und bedeuteten eine große Gefahr für die Staatlichkeit Kasachstans. Andererseits schufen sie die Bedingungen für einen neuen politischen Kurs, mit dem zentrale Grundlagen von Staat und Gesellschaft verändert werden sollen. Hierzu gehörte auch eine weitreichende Reform des politischen Systems.
Andrej Tschebotarjow ist promovierter Politologe aus Kasachstan und Direktor des Zentrums für aktuelle Studien Alternative.
Vor diesem Hintergrund stehen diese Wahlen für einen weiteren Schritt weg von der politischen Hinterlassenschaft der ehemaligen Staatsführung. Die Wahlen sollen vor allem auf sämtlichen Ebenen neue Abgeordnete in die Parlamente bringen. Ihre jetzige Zusammensetzung ist das Ergebnis der letzten Parlaments- und Regionalwahlen im Januar 2021, in denen die Interessen des ehemaligen Präsidenten Nursultan Nasarbajew und dessen engster Umgebung noch eine gewichtige Rolle spielten.
Bis jetzt sind eine ganze Reihe Maßnahmen getroffen worden, die auf eine Demokratisierung des Wahlvorgangs abzielen. Sie sollen Garantien für Wahlen auf freier und objektiver Grundlage stärken. Hierbei geht es insbesondere um Änderungen in der kasachstanischen Verfassung sowie im Wahlgesetz und im Parteiengesetz, die von Juni bis November 2022 vorgenommen wurden:
- Zum einen wurde ein gemischtes Wahlsystem für die Májılıs (70 Prozent Mandate über Listen, 30 Prozent Direktmandate) und für die Parlamente der Gebiete (kasach.: oblys) und der ihnen geleichgestellten Städte Kasachstans eingeführt, also die Regionalparlamente (dort ist das Verhältnis 50/50). Die Kreis- und Stadtparlamente werden nun nach dem Mehrheitswahlsystem gewählt. Dadurch wurden Möglichkeiten der Bürger*innen wiederhergestellt, ihr passives Wahlrecht wahrzunehmen, also als Abgeordnete gewählt werden zu können. Für die politischen Parteien wiederum gibt es nun mehr Wege, an den Parlaments- und Regionalwahlen teilzunehmen. Sie können sowohl Listen mit Kandidaten nominieren wie auch einzelne Kandidaten, die in den Direktwahlkreisen antreten
- Zweitens werden den Bürger*innen Mechanismen an die Hand gegeben, auf die Arbeit der direkt gewählten Abgeordneten der Májılıs und der Regionalparlamente Einfluss zu nehmen: Sie können jetzt die Abberufung dieser direkt gewählten Abgeordneten initiieren
- Drittens wurde 2021 auf den Stimmzetteln die Option «Gegen alle» eingeführt. Das hat die Möglichkeiten ausgeweitet, bei Wahlen seinen Wählerwillen auszudrücken.
- Viertens wurde die Sperrklausel für Parteien von sieben auf fünf Prozent gesenkt. Das eröffnet den Parteien, die an den Parlamentswahlen oder an Regionalwahlen teilnehmen, mehr Möglichkeiten, ins entsprechende Parlament einzuziehen.
- Fünftens wurde für die Parteilisten eine Dreißig-Prozent-Quote für Frauen, junge Menschen und Menschen mit Behinderungen eingeführt. Sie ist auch bei der Zuteilung der Abgeordnetenmandate aufgrund des jeweiligen Wahlergebnisses unbedingt zu berücksichtigen
- Sechstens wurde eine festgelegt, dass dem Staatspräsidenten und Mitgliedern der Zentralen Wahlkommission die Mitgliedschaft in einer Partei untersagt ist. Ebenso dürfen die Ákıme (Ákım: «Verwaltungschef») aller Ebenen und deren Stellvertreter*innen in den regionalen und Ortsverbänden der Parteien keine Parteiämter innehaben.
Daher auch hatte Präsident Tokajew bereits vor der Verfassungsreform sein Amt als Parteivorsitzender von Amanat, das er im Januar 2022 angetreten hatte, niedergelegt und war aus der Partei ausgetreten. Später verließen auch die Ákime (Verwaltungschefs) auf Gebietsebene und den unteren Ebenen ihre Posten als Leiter der regionalen oder lokalen Parteigliederungen. Dies alles sollte eine größtmögliche wechselseitige Trennung des Staatsapparates von den politischen Parteien gewährleisten. Das Ziel war, dass sich dies positiv auf den Wettbewerb unter den Parteien auswirken solle, auch bei Wahlen.
Siebtens wurde das Verfahren der staatlichen Registrierung politischer Parteien vereinfacht. Unter anderem wurde die hierfür nötige Mindestanzahl an Mitgliedern von 20.000 auf 5.000 herabgesetzt. Diese Maßnahmen sollten die Gründung und die Tätigkeit neuer Parteien fördern.
Die politischen Veränderungen in Kasachstan führten dazu, dass der Prozess des Aufbaus neuer Parteien intensiver wurde. Es wurden mehr als 20 Initiativen zur Gründung neuer politischer Parteien und Bewegungen bekannt. Dabei ist zu beobachten, dass eine Reihe bekannter, gesellschaftlich und politisch aktiver Personen ins politische Leben Kasachstans zurückkehrt, die schon früher auf der politischen Bühne aktiv gewesen waren, dann aber aus verschiedenen Gründen eine Auszeit genommen hatten. Das sind unter anderem der Schriftsteller und Dichter Oljas Suleımenov, der Unternehmer Bulat Ábilow, der ehemalige Senator Ýalihan Kaıserov, und der Umweltschützer Máls Eleýsızov.
Gleichzeitig legt die Regierung hinsichtlich dieser Initiativen eine gewisse Vorsicht an den Tag, von denen ein großer Teil oppositionelle Züge trägt. Sie versucht in diesem Zusammenhang weiterhin, die Kontrolle über die Arbeit der Wahlkommissionen aller Ebenen aufrechtzuerhalten. Auch bei der Registrierung neuer Parteien gehen die Behörden selektiv vor. Bezeichnend ist, dass zur Teilnahme an den bevorstehenden Wahlen lediglich zwei neue Parteien registriert wurden, nämlich Baıtaq (die Partei der Grünen) und Respublica. Beide Parteien verhalten sich gegenüber dem offiziellen politischen Kurs loyal.
Am 8. Februar diesen Jahres, als auf allen Ebenen der Prozess der Kandidat*innennominierung abgeschlossen wurde, gab es folgende Nomierungsergebnisse für die Parteien:
№ | Partei | Anzahl der Kandidat*innen | ||
Über Parteilisten | In Direktwahlkreisen | Insgesamt | ||
1 | Amanat | 90 | 29 | 119 |
2 | Aq Jol | 54 | 24 | 78 |
3 | NPK (Volkspartei Kasachstans) | 52 | 15 | 67 |
4 | Aýyl (Auyl) | 25 | 9 | 34 |
5 | Respublica | 25 | 4 | 29 |
6 | Gesamtnationale Sozialdemokratische Partei | 19 | 6 | 25 |
7 | Baıtaq | 18 | 4 | 22 |
Von den derzeit aktiven Parteien wurden so ursprünglich insgesamt 374 Kandidat*innen für die Májılıs nominiert, darunter 283 über Parteilisten und 91 in den Direktwahlkreisen.
Bis zum Abschluss des Registrierungsverfahrens der Parteilisten und Direktwahlkandidat*innen am 18. Februar ergaben sich allerdings gewisse Veränderungen in Bezug auf deren Zusammensetzung und Anzahl. So umfasste die Kandidat*innenliste der Partei Respublica nur noch 23 Personen. Die Gesamtzahl der Kandidat*innen in den Direktwahlkreisen betrug nur noch 76.
Für die Wahlen zu den Gebietsparlamenten hatten die Parteien (mit Ausnahme der Gesamtnationalen Sozialdemokratischen Partei; siehe unten) insgesamt 118 Parteilisten und 1471 Direktkandidat*innen nominiert. Nach der Registrierung war die Anzahl der Direktkandidat*innen auf 1447 zurückgegangen.
Die Partei Amanat (dt.: «Erbe der Vorfahren») hatte bis 2022 den Namen Nur Otan (dt.: «Strahlendes Vaterland») getragen und wurde vom ehemaligen Präsidenten Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, geleitet. Nach den Ereignissen vom Januar 2022 hatte Präsident Kassym-Schomart Tokajew für kurze Zeit die Parteiführung übernommen. Danach wurde Erlan Qoshanov, der von 2021 bis 2023 Präsident der siebten Májılıs war, zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Somit nimmt Amanat mit einem qualitativ neuen Status an den Wahlen teil: Sie wird nicht mehr vom Staatsoberhaupt angeführt. Gleichzeitig positioniert sie sich als Zusammenschluss von Anhängern des Reformkurses und als gesellschaftliche Stütze des amtierenden Präsidenten. Sie ist zwar programmatisch auf die gesamte Bevölkerung Kasachstans ausgerichtet, doch besteht ihre soziale Basis aus Angehörigen des Staatsapparats und öffentlichen Angestellten. Sie ist weiterhin mit der derzeitigen Führung verbunden und wird von dieser unterstützt.
Die Demokratische Partei Kasachstans Aq Jol (dt.: «Lichter Weg») positioniert sich zum einen als Vertreterin der Interessen kleiner und mittlerer Unternehmen, und zum anderen als Nachfolgerin der nationalen Befreiungsbewegung Alash (1917–1920). Darüber hinaus betont sie ihre Zugehörigkeit zur parlamentarischen Opposition. Dabei zeigt sich Aq Jol jedoch dem offiziellen politischen Kurs gegenüber als loyal. Unter anderem war sie Teil der Nationalen Koalition, die bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen vom 20. November 2022 die Kandidatur von Kassym-Schokart Tokajew unterstützte.
Die Volkspartei Kasachstans vertrat bis zum November 2020 eine kommunistische Ideologie. Derzeit positioniert sie sich als politische Kraft sozialdemokratischer Ausrichtung. Ihre soziale Basis besteht vor allem aus Beschäftigten von Industrieunternehmen und Rentner*innen. Bei all dem verknüpft sie – wie Aq Jol – den Status einer parlamentarischen Opposition mit Loyalität gegenüber dem derzeitigen Regime, einschließlich einer Unterstützung für die Reformen Tokajews.
Die volksdemokratische patriotische Partei Aýyl (dt.: «Dorf») verlor seit 2004 die Parlamentswahlen stets. Gleichzeitig ist ihr Vorsitzender, Álı Bektaev, Abgeordneter im Senat, dem Oberhaus des Parlaments. Zu den vorrangigen Themen der Partei gehören weiterhin die Förderung ländlicher Siedlungen und des agrarindustriellen Sektors Kasachstans. Bemerkenswert ist, dass auf der Parteiliste gleich zwei ehemalige Präsidentschaftskandidaten aus dem letzten Jahr zu finden sind: Jıgulı Daırabaev und die früher parteilose Qaraqat Ábden. Dadurch hat die Partei Chancen, Wähler für sich zu gewinnen und mindestens sechs Prozent der Stimmen zu erringen.
Die Gesamtnationale Sozialdemokratische Partei hebt sich zwar einerseits durch ihre oppositionelle Haltung zum offiziellen politischen Kurs wohltuend von anderen Parteien ab. Andererseits ist sie seit langem wenig aktiv, und hat zum Beispiel nicht an den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2019 bzw. 2021 teilgenommen. Zudem distanziert sie sich von anderen oppositionellen Vereinigungen. Allerdings hatte Nurlan Aýesbaev, der Leiter der Parteiorganisation in Astana, für die Gesamtnationale Sozialdemokratische Partei bei den Präsidentschaftswahlen 2022 kandidiert und 2,22 Prozent der Stimmen errungen. Die Partei wird hauptsächlich von Angehörigen der Mittelschicht und von Arbeiter*innen unterstützt.
Die Kasachstanische Partei der Grünen Baıtaq tritt für eine ökologische Agenda ein, die praktisch für alle Bürger*innen des Landes aktuell ist, unabhängig von ihrer sozialen, ethnischen oder anderen Zugehörigkeit. Zudem assoziiert man die «Grünen» mit europäischen Praktiken des Parteiaufbaus. Der Parteivorsitzende, Azamathan Amırtaı, ist Mitglied des Nationalen Quryltaı beim Präsidenten Kasachstans [einer Art zivilgesellschaftliche Nationalversammlung; Anm. d. Übers.], was in vielerlei Hinsicht den loyalen Charakter der Partei verdeutlicht.
Die Partei Respublica tritt als Sprachrohr der Interessen der Großunternehmen auf. Einerseits unterstützen die «Republikaner» politisch den Kurs der Führung Kasachstans hin zu einer Liberalisierung des politischen Geschehens. Andererseits distanzieren sie sich demonstrativ von Vertretern der Bürokratie, indem sie sich als Menschen darstellen, die wirklich etwas unternehmen. Zudem treten sie für einen Strukturwandel in sämtlichen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens ein.
Einer Umfrage zufolge, die im Februar dieses Jahres vom Zentrum für soziale und politische Studien Strategie durchgeführt wurde, stellt sich die Wählergunst für die Parteien Kasachstans wie folgt dar: Für Amanat würden 43,6 Prozent der Befragten stimmen, für Aq Jol 11,3 Prozent, für Aýyl 9,9 Prozent, für die Volkspartei 6,3 Prozent, für Respublica 6,2 Prozent, für die Sozialdemokraten 2,4 Prozent, und für Baıtaq 1,4 Prozent. Der Partei Respublica kam angesichts der Ermüdung eines gewissen Teils der Wählerschaft hinsichtlich des Vorgehens der anderen Parteien offensichtlich zugute, dass sie bei Wahlen ein Neuling ist. Dieser Faktor dürfte allerdings für die «Grünen» bislang keine entsprechende Wirkung haben.
Die oben beschriebene Konstellation spiegelt durchaus die zu erwartenden Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen wider. In der Májılıs könnten dem Zentrum Strategie zufolge vier oder fünf Parteien vertreten sein. Hierbei dürfte wohl auch eine Rolle spielen, wie die Unterstützung für die Kandidat*innen in den Direktwahlkreisen ausfällt. Amanat wird im Parlament wieder eine Mehrheit erringen.
Ähnliche Ergebnisse sind für die Wahlen zu den Gebietsparlamenten zu erwarten. Hier ist es möglich, dass neben den anderen Parteien auch Baıtaq, die Partei der Grünen, in Parlamenten vertreten sein wird. Die Sozialdemokraten, die an den Regionalwahlen nicht teilnehmen, riskieren damit, dass sie weder in den Regionalparlamenten noch in der Májılıs vertreten sein könnten.
Ungeachtet all dieser Prognosen werden die Anzahl und die Konstellation der agierenden Parteien kaum der sozialen Struktur der Gesellschaft und den aktuellen Voraussetzungen zur politischen Entwicklung des Landes entsprechen. So werden wohl soziale Gruppen wie kinderreiche Mütter, junge Menschen, die wissenschaftliche und künstlerische Intelligenzija oder «Landsleute» (kasach.: qandas, zuvor oralman – ethnische Kasachen, die aus anderen Ländern eingewandert sind) ihre Interessen nicht durch die Gründung entsprechender Parteien repräsentiert sehen. Hinzu kommt, dass es auf der politischen Bühne praktisch keine Parteien gibt, die in grundsätzlicher Opposition zum derzeitigen Regime stehen. Somit besteht in der Bevölkerung ein gewisses Bedürfnis nach neuen Parteien.
Auch die Kandidat*innen in den Direktwahlkreisen sind in diesem Wahlkampf recht aktiv. Bei den Wahlen zur Májılıs waren ursprünglich 609 Kandidat*innen nominiert, darunter 525 Unabhängige. Die meisten Kandidat*innen wurden in den Städten Almaty (143) und Astana (126) nominiert. Nach der Registrierungsphase sind 435 Kandidat*innen verblieben, darunter 359 Unabhängige – und das, obwohl um lediglich 29 Direktmandate gerungen wird.
Unter den unabhängigen Kandidat*innen sind einige Akteure herauszuheben, die der herrschenden Führung kritisch gegenüberstehen. Hierzu gehören auch Personen, die die Gründung einer neuen Partei oder Bewegung initiierten, zum Beispiel Muhtar Taıjan (Jer Qorģany), Sanjar Bokaev (Namys; dt.: «Ehre»), Toģjan Kojaly (Halyqqa adap qyzmet – HAQ, Ýalihan Kaısarov (Alásh Orda), Nurjan Altaev (El Tıregı), Rysbek Sarsenbaı (Bizdiń Tandau; dt.: «Unsere Wahl») und Inga Imanbaı (Demokratische Partei). Unter den Kandidat*innen für ein Mandat in der Májılıs sind auch bekannte Personen des öffentlichen Lebens sowie Journalist*innen wie Serık Abdrahmanov, Máls Eleýsızov, Ermurat Balı, Orazaly Erjanov, Arman Shuraev, Áset Mataev, Luqpan Ahmedjarov und Dınara Egeýbaeva.
Allerdings sehen sich diese Kandidat*innen Widrigkeiten gegenüber, etwa dem Umstand, dass ihr Wahlkreis großflächig oder bevölkerungsreich ist oder dort eine große Konkurrenz herrscht. Daher besteht die Gefahr, dass die Stimmen der Protestwählerschaft zwischen diesen Kandidat*innen gestreut sein werden und diese dadurch weniger Chancen haben, ins Parlament einzuziehen.
Darüber hinaus wurden auf unterschiedlichen Ebenen einige Kandidat*innen aus dem Rennen genommen, weil Kommissionen auf Wahlkreisebene deren Registrierung als Kandidat*in annullieren. Begründet wird das damit, dass in den Steuererklärungen der Betreffenden falsche Angaben festgestellt wurden. Von den Wahlen ausgeschlossen wurden Asylbek Kojahmetov, der Präsident der Management-Universität Almaty, Aıda Aljanova, die dem Gesellschaftlichen Rat Almatys angehört, und Aıgerım Tleýjan, die an den Protesten im Januar 2022 beteiligt war.
Insgesamt ist zu erwarten, dass sich die Regierung auf eine stärkere Vertretung von Parteien in der Májılıs einlassen wird, weil dadurch in Kasachstan wie auch international die Akzeptanz des Wahlergebnisses erhöht würde. In den Direktwahlkreisen könnten fünf bis sieben zivilgesellschaftliche Aktivist*innen gewählt werden. Die besten Chancen haben hier Ermurat Bapı, der Herausgeber der populären Zeitung Gesellschaftliche Position (DAT), Áset Mataev, der Mitbegründer der Nachrichtenagentur KazTAG, sowie Toģjan Qojaly, die Anführerin der Bewegung HAQ, die sich durch eine konstruktive Haltung gegenüber der Regierung abheben.
Es wird erwartet, dass ein Teil der 29 direkt zu wählenden Kandidat*innen Abgeordnete politischer Parteien sein dürften, die auch zu deren Fraktionen gehören werden. Der andere Teil dürfte aus parteilosen Bürger*innen bestehen, die sich dann bei ihrer Abgeordnetentätigkeit weitestgehend an den Interessen der Menschen der Region orientieren werden, in der sie gewählt wurden. Angesichts der Erfahrungen, die mit Abgeordneten dieser Art in den Parlamenten der ersten bis dritten Wahlperiode (1995–2007) gemacht wurden, ist zu erwarten, dass sie Themen aufgreifen werden, die nicht auf der Agenda der Parlamentsparteien stehen. Unter anderem dürften sie gegen die Regierung und die Fraktion von Amanat opponieren. Dabei wird angesichts ihrer Anzahl ihr Einfluss auf die Gesetzgebung wohl begrenzt bleiben. Daher ist nicht auszuschließen, dass die parteilosen Parlamentarier*innen entweder eine eigene Abgeordnetengruppe bilden oder aber sich jeweils derjenigen Fraktion anschließen werden, die ihnen am nächsten steht.
Übersetzt von Hartmut Schröder für Gegensatz Translation Collective
[1] Anmerkung des Übersetzers: In Kasachstan findet derzeit ein Übergang von einem kyrillisch basierten hin zu einem latinisierten Alphabet statt. Die Wiedergabe der kasachischen Namen und Bezeichnungen in diesem Beitrag erfolgt gemäß dem 2017 offiziell erlassenen Alphabet (in der geänderten Fassung von 2018). Eine Ausnahme bilden die Namen der beiden Präsidenten Nasarbajew und Tokajew, die in der deutschen Publizistik bereits etabliert sind.