Die Klimakonferenz im Badeort Sharm el-Sheikh im November 2022 war in vieler Hinsicht ein Erfolg für Ägypten. Trotz wiederholter Proteste wegen der Menschenrechtslage im Land konnte sich Präsident Abd El-Fattah As-Sisi am Ende als Gastgeber einer Konferenz geben, bei der die Verhandlungen – mal wieder – in letzter Minute vor dem Scheitern gerettet und zu einem «glücklichen» Ende geführt wurden. Vor allem aber war die Konferenz ein lukrativer Marktplatz für Geschäfte aller Art. Ägypten scheute keine Mühe, seinen zahlreichen Bau- und Infrastrukturprojekten im Vorfeld der Konferenz einen grünen Anstrich zu verpassen, um sich als Standort für grüne Investitionen attraktiv zu machen; schon in den Monaten vor der Konferenz gaben sich Energie- und Umweltminister*innen in Kairo die Klinke in die Hand. Deutschland machte keine Ausnahme: Im Mai 2022 schloss die ägyptische Regierung einen Vertrag mit Siemens über den Aufbau eines Schnellzugnetzes in Höhe von 8,1 Milliarden Euro – dem größten Deal in der Geschichte des Unternehmens – , im November unterzeichnete Ägypten einen Vertrag mit der Deutschen Bahn, deren internationale Tochterfirma das Netz betreiben soll.
Schon einige Tage vor Beginn der Klimakonferenz hatte Wirtschaftsminister Robert Habeck am 3. November 2022 zwei Absichtserklärungen mit Ägypten unterzeichnet. Darin ging es zum einen um den Aufbau einer Infrastruktur, um langfristig grünen Wasserstoff aus Ägypten nach Deutschland liefern zu können – und zum anderen um die Lieferung von mehr Flüssigerdgas.
Juliane Schumacher ist Wissenschaftlerin, freie Journalistin und Autorin. Sie lebt und arbeitet in Berlin.
Denn die EU, allen voran Deutschland, ist seit Monaten auf der Suche nach neuen Gasquellen. Seit dem weitgehenden Lieferstopp von russischem Gas muss die EU die fehlenden Gasmengen ersetzen, um vor dem nächsten Winter, wenn der Verbrauch am höchsten ist, genug Reserven aufgebaut zu haben. Neue Pipelines lassen sich so schnell nicht bauen. Daher soll die Versorgung zunächst vor allem über Flüssigerdgas gesichert werden, das gekühlt und komprimiert auf Schiffen transportiert und in entsprechenden Terminals wieder gasförmig gemacht werden kann. Aber der Markt für Flüssigerdgas ist eng – große Lieferanten wie Qatar sind über Langzeitverträge an ihre asiatischen Kunden gebunden und können frühestens ab 2026 Gas liefern. Und während sich Anladeterminals zum Import von Flüssigerdgas recht rasch bauen lassen, sind Exportterminals, wo das Gas unter hohem Energieaufwand verflüssigt wird, langfristige und aufwendige Projekte, die mehrere Jahre Bauzeit erfordern. So ging es im Vorfeld und während der Klimakonferenz für die EU auch viel um Gas – vor allem um die Frage, wo sie sich in den nächsten Monaten noch Lieferungen von Flüssigerdgas sichern kann.
Ägypten in der Krise
In Ägypten ist die EU fündig geworden. Denn Ägypten besitzt als einziges Land im östlichen Mittelmeerraum zwei LNG-Terminals. Und es verkauft Gas, und das anders als die Golfstaaten vor allem kurzfristig. Vor allem aber braucht Ägypten dringend Devisen: Das Land steckt seit Jahren in einer schweren Wirtschaftskrise, die sich zuletzt stark zugespitzt hat. Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg haben die Preise für Energie und Getreide in die Höhe schnellen lassen, was das Land, das in beiden Fällen auf Importe angewiesen, hart trifft. Die steigenden Preise, aber auch die Politik As-Sisis, der seit Jahren mit Krediten internationaler Geldgeber vor allem Großprojekte wie die neue Hauptstadt in der Wüste finanzierte, haben die Staatsverschuldung seit seinem Amtsantritt 2013 verdreifacht und zur Flucht von Investor*innen geführt, die einen drohenden Staatsbankrott fürchten. Die Devisenreserven werden knapp, und die mehrfache Abwertung des ägyptischen Pfundes – eine Bedingung des Internationalen Währungsfonds (IWF), um weitere Kredite auszuzahlen – führte dazu, dass die Währung über das letzte Jahr fast die Hälfte ihres Werts verloren hat. Viele Waren sind schwieriger zu bekommen, und wegen der hohen Inflation – im Februar ist sie offiziell auf über 40 Prozent gestiegen – , kommen vor allem die armen Ägypter*innen kaum noch über die Runden. In Kairo würden Metzgereien schließen, weil sich kaum noch jemand Fleisch leisten kann, berichtete die ägyptische Online-Zeitung Mada Masr im Januar. Die Auszahlung weiterer Kredite und Darlehen, unter anderem des IWF und von den Golfstaaten, kann die Situation kaum entspannen, da ein Großteil der Gelder direkt in den Schuldendienst geht.
So wundert es nicht, dass Ägypten um jeden Preis etwas von den lukrativen Erträgen aus dem Verkauf von Flüssigerdgas abbekommen will – und dafür notfalls auch Gas verkauft, das es gar nicht hat. Denn das Gas, das es künftig in großem Rahmen als Flüssigerdgas nach Europa exportieren will, soll zu einem großen Teil aus Israel kommen. Das ist ebenfalls Teil des Deals – im Gegensatz zu Ägypten hat Israel Gas, das es exportieren will, aber keine Terminals, um dieses zu verflüssigen.
Eine wechselhafte Geschichte
Israel, Ägypten und das Gas – das ist Teil einer langen und wechselvollen Geschichte. Denn zunächst war es Ägypten, das Gas nach Israel exportierte. Israel war wegen fehlender eigener Ressourcen lange Zeit abhängig von Importen, die Energieerzeugung basierte vor allem auf Kohle und Öl, bis die Regierung Ende der 1990er Jahre beschloss, verstärkt auf das umweltfreundlichere und weniger gesundheitsschädliche Gas umzusteigen. 2005 schloss die israelische Regierung einen Deal mit dem damaligen ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak: Ägypten, das über ausreichend Öl- und Gasvorkommen verfügte, sagte zu, über die nächsten 20 Jahre jährlich 1,7 Milliarden Kubikmeter Gas zu liefern. Die hierzu errichtete Arish-Aschkelon-Pipeline ging 2008 in Betrieb, darüber bezog Israel in den folgenden Jahren 40 Prozent seines Gasbedarfs – bis 2011. Der Gas-Deal mit Israel war ein kontroverses Thema während der ägyptischen Revolution, die im Januar 2011 begann und zum Sturz Mubaraks führte. Nicht nur, dass der Gründer der privaten Firma East Mediterranean Gas (EMG), die die Exporte abwickelte, ein enger Vertrauter des Präsidenten Mubarak war und der Deal erwiesenermaßen unter Korruption zustanden kam, stieß den Protestierenden bitter auf, sondern vor allem, dass Israel laut Berichten, die nach der Revolution veröffentlicht wurden, nur einen Bruchteil des Weltmarktpreises für das Gas zahlte. Mehrere Anschläge auf die Pipeline unterbrachen die Gaslieferungen nach Israel in den folgenden Monaten wiederholt, und 2012 kündigte die ägyptische Übergangsregierung den Deal auf. Die texanische Firma Excelerate Energy baute innerhalb weniger Monate ein schwimmendes LNG-Terminal vor Israels Küste, so dass Israel die fehlenden Gaslieferungen durch Flüssigerdgas ersetzen konnte.
In Ägypten sanken derweil die Erträge aus der Gasförderung über die folgenden Jahre stark, wegen der politisch unruhigen Situation und fehlender Investitionen, aber auch, weil die genutzten Gasvorkommen vor der Küste zunehmend erschöpft waren. Dass es immer wieder zu Energie- und Versorgungskrisen kam, sahen viele Beobachter*innen als einen Grund an, warum der 2012 gewählte Präsident, der Muslimbruder Mohamed Mursi, so rasch wieder stürzte. As-Sisi, schreibt der ägyptische Journalist und Autor Omar Robert Hamilton in einem Essay 2022, habe das verstanden und alles getan, damit ihm dasselbe nicht passiere. Nachdem ein Stromausfall 2015 weite Teile Kairos lahmlegte, darunter auch die Kairoer Metro, erklärte er Energie zur Chefsache: Die Energieversorgung sollte unter allen Umständen gesichert sein. Die Entdeckung des Zohr-Gasfelds 2015 vor der ägyptischen Küste durch den italienischen Energiekonzern ENI, das größte bis dahin entdeckte Gasfeld im Mittelmeer, half dabei nur eingeschränkt. Seither stieg zwar die Fördermenge an Gas wieder – aber der Bedarf stieg durch das weiterhin rasante Bevölkerungswachstum in Ägypten und den steigenden Energiekonsum noch schneller. Erneuerbare Energien spielen trotz einiger Vorzeigeprojekte weiterhin keine relevante Rolle – 2021 machte Solarstrom nur 2,4 Prozent der Stromproduktion aus, Windenergie 2 Prozent, Strom wurde zu über 70 Prozent aus Gas gewonnen. Importe waren dadurch unerlässlich – und diese kommen vor allem aus Israel.
Denn auch vor der israelischen Küste sind inwzischen immer mehr Gasfelder entdeckt worden. 2013 konnte Israel seinen eigenen Bedarf an Gas decken und begann in der Folge zunehmend Gas zu exportieren. Ägypten schloss 2018 einen Vertrag über Gaslieferungen, die 2020 begannen. Die Arish-Aschkelon-Pipeline, gebaut, um Gas von Ägypten nach Israel zu liefern, ist seither wieder in Betrieb – und liefert Gas von Israel nach Ägypten.
LNG aus importiertem Gas
Die plötzliche Nachfrage nach Gas in Europa nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat die Energieverhältnisse im östlichen Mittelmeerraum umgewälzt – und für einen wahren Gas-Hype gesorgt. Ägypten sah seine Chance für eine zusätzliche Devisenquelle. Im Juni 2022 traf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ägyptens Präsidenten As-Sisi, um eine Vereinbarung über eine Energiepartnerschaft zu unterzeichnen, die auf der COP27 im November bestätigt wurde. Auch wenn es vordergründig um nachhaltige Transformationen und langfristig grünen Wasserstoff geht, ist der zentrale Punkt zunächst ein anderer: Ägypten wird dringend benötigtes LNG nach Europa liefern. Beteiligt ist an der Partnerschaft auch Israel, das dafür über die Pipeline Gas bereitstellen soll. 2022 stiegen die ägyptischen LNG-Exporte um 14 Prozent auf acht Milliarden Kubikmeter, von denen der größte Teil nach Europa ging. Und Ägypten versucht alles, um diese Exporte weiter steigern zu können – trotz Bedenken angesichts der Tatsache, dass schon bei der derzeitigen Exportmenge das Gas nicht reicht, um die Nachfrage im Land zu decken, und eine gesteigerte Exportmenge zu neuen Energiekrisen führen könnte. Bei einem Ministertreffen im August 2022, zwei Monate nach Unterzeichnung der Vereinbarung mit der EU, kündigte der ägyptische Premierminister Mostafa Madbouly einen Plan zur Rationalisierung des Stromverbrauchs im Land an, für den öffentlichen wie den privaten Bereich, um Gas künftig vorrangig für den Export nutzen zu können. Stromkraftwerke in Ägypten werden nun wieder vermehrt mit Öl statt Gas betrieben, da für den Export von Gas höhere Preise zu erzielen sind als für Öl – was ökonomisch Sinn macht, ist für die Einhaltung der Klimaziele fatal. Zudem sucht Ägypten dringend nach neuen Gasfeldern. Im Dezember kündigte es die Vergabe von neuen Lizenzen für die Exploration von Gas- und Ölvorkommen an; im Januar meldeten die beteiligten Firmen, der US-amerikanische Energieriese Chevron, der italienische Konzern ENI und das deutsche Unternehmen Wintershall Dea, bereits die Entdeckung weiterer Gasfelder vor der ägyptischen Küste.
Gas-Hype im Mittelmeer
Ob Ägypten tatsächlich LNG in der von Europa gewünschten Menge liefern kann, hängt daher auch von Israel ab. Auch dort hat die Gaskrise in der EU eine politische Kehrtwende ausgelöst. Noch im Dezember 2021 erklärte die damalige Energieministerin Karine Elharrar, Israel werde keine neuen Lizenzen für Gasexplorationen vergeben, stattdessen werde sich das Land auf den Ausbau erneuerbarer Energien konzentrieren. Kurz nach dem russischen Angriff auf die Ukraine schwenkte die Regierung um, und nach der Vereinbarung mit der EU freute sich eben jene Ministerin, Israel sei nun zu einem «signifikanten Akteur im globalen Energiemarkt» geworden. Statt in erneuerbare Energien fließt jetzt wieder massiv Geld in den Gassektor, in den wegen der niedrigen Preise in den Jahren zuvor nur wenig investiert worden war. Große Energiekonzerne suchen seither vor der israelischen Küste nach weiteren Gasvorkommen. Die Betreiber des größten israelischen Gasfelds Leviathan, NewMed, Chevron und Ratio Energies haben angekündigt weitere 100 Millionen US-Dollar in den Ausbau der Förderung stecken zu wollen, möglicherweise inklusive des Baus eines schwimmenden LNG-Terminals, das in etwa drei Jahren Flüssigerdgas liefern könnte. Die hohen Gaspreise und der Nachdruck, mit denen die EU auf der Suche nach Lieferant*innen ist, machen die Suche nach neuen Gasquellen so attraktiv, dass sogar jahrzehntealte Konflikte auf einmal gelöst werden können. Im Oktober 2022 verkündeten Israel und Libanon in einem historischen Abkommen nach zwölf Jahren Verhandlungen überraschend eine Einigung auf eine Seegrenze – die beiden Länder befinden sich seit 1948 faktisch im Kriegszustand. Aber unter dem umstrittenen Küstenstreifen liegen Gasvorkommen, und an die kommen beide Länder nur heran, wenn der Verlauf der Grenze geklärt ist. Noch bevor die Übereinkunft offiziell bestätigt wurde, drängte der libanesische Übergangs-Präsident Najib Mikati den französichen Konzern Total Energies, mit dem es ein Abkommen geschlossen hat, so schnell wie möglich mit der Erkundung und Förderung des Gasfeldes zu beginnen.
Konfliktreiche Pläne
Und während der Hunger nach Gas in diesem Fall ein Schritt Richtung Frieden ist, droht er an anderer Stelle neue Konflikte zu schüren. Die Gaskrise in der EU hat dem zwischenzeitlich schon totgesagten Projekt EastMed erneut Aufwind gegeben: dem Bau einer unterseeischen Pipeline, die Gas von isralischen Offshore-Feldern über Zypern und Griechenland in die EU liefern soll, über 2000 Kilometer und in bis zu 3000 Metern Tiefe. 2020 hatten Israel, Zypern und Griechenland ein Abkommen über den Bau der Pipeline unterzeichnet. Doch nachdem die USA Ende 2021 dem Projekt die Unterstützung entzogen – vermutlich vor allem, um eine Annäherung an die Türkei nicht zu gefährden, die das Projekt strikt ablehnt – , galt es weitgehend als erledigt. Die EU hatte wegen der Baukosten von geschätzt 7 Milliarden Euro und der langen Bauzeit von bis zu zehn Jahren von Anfang an kritische Fragen an das Projkt. Dennoch steht es jetzt wieder auf der Vorschlagsliste für strategisch wichtige Infrastrukturprojekte (Projects of Common Interest, PCI) der EU-Kommission. Kein gutes Omen für friedliche Zeiten im Mittelmeer: Denn das Projekt ist regional höchst umstritten und würde durch Gewässer führen, die sowohl von der Türkei als auch von Griechenland und Zypern beansprucht werden; der Konflikt um die Hoheit in diesen Gebieten wäre schon 2020 fast eskaliert. Und es ist, wie all die anderen aufflammenden Gasförderprojekte im östlichen Mittelmeer, ein fatales Zeichen für den Klimaschutz: Statt unter dem Deckmantel von Energiepartnerschaften den Aufbau langfristiger Infrastruktur zum Export fossiler Brennstoffe in ihren Nachbarländern zu fördern, müsste die EU dringend eine wirkliche Transformation ihrer eigenen Energiesysteme anstoßen – und die Nachbarländern bei eben einer solchen unterstützen.