Nachricht | Deutsche / Europäische Geschichte - Kunst / Performance - Westafrika Mittel zum (deutschen) Zweck

Auch nach der Restitution der Benin-Bronzen will Deutschland sich nicht von seinen imperialen Ansprüchen lösen

Information

Autor

Elias Aguigah,

Altar der Königinmutter (Ikegobo), spätes 18. Jahrhundert, British Museum, London Foto: wikimedia, British Museum

Vergangenen Dezember reisten Kulturministerin Claudia Roth und Außenministerin Annalena Baerbock nach Nigeria, um 20 der mehr als 1.100 sogenannten Benin-Bronzen, die in deutschen Museen lagern, feierlich zurückzugeben. Britische Truppen hatten sie 1897 während eines Feldzuges aus dem Palast von Benin City geplündert und über den Kunstmarkt in die ganze Welt verscherbelt. Nach 125 Jahren afrikanischer Rückgabeforderungen und europäischer Ignoranz war dieser diplomatische Akt für viele ein Grund zum Feiern: Claudia Roth sprach von einem «historischen Moment» und einem Wendepunkt deutscher Kulturpolitik.

Die Zeremonie der Eigentumsübertragung stand ganz im Zeichen der «neuen Beziehungsethik» zwischen Europa und Afrika, die die in Berlin lebende französische Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und der senegalesische Ökonom Felwine Sarr in ihrem Bericht «Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain. Vers une nouvelle éthique relationnelle» (dt. Übersetzung: «Zurückgeben») über die Restitution geraubter afrikanischer Kulturgüter 2018 gefordert hatten. Die jahrelang aufgeschobene Auseinandersetzung Deutschlands mit seiner Vergangenheit als Kolonialmacht schien endlich echte Früchte zu tragen, und die erbittert geführten Debatten der letzten Jahre scheinen geklärt: Das Zeitalter der Rückgaben, der Restitution, der Wiedergutmachung ist angebrochen.

Elias Aguigah ist Studentischer Mitarbeiter beim Forschungsprojekt «The Restitution of Knowledge» am Fachgebiet Kunstgeschichte der Moderne der TU Berlin. Sein jüngster Artikel «Restitution of looted artefacts – a Marxist approach» erschien bei RoAPE.

Diese Rückgabe kolonialer Raubkunst an ein afrikanisches Land mag zwar ein historischer Moment für die Bundesrepublik sein, die Diskussionen um Restitution jedoch sind alles andere als abgeschlossen. In einem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung brandmarkte die Schweizer Ethnologin Brigitta Hauser-Schäublin die Restitution als «Fiasko», weil der scheidende nigerianische Präsident Muhammadu Buhari die zurückgegebenen Stücke an den Oba Ewuare II. von Benin übertragen hatte. Hauser-Schäublin kritisiert, die Bundesregierung hätte durch die Restitution einer Privatperson zum Machtgewinn verholfen, anstatt «dem nigerianischen Volk» zu dienen. Der Artikel fragt: «War das der Sinn der Restitution?». Anstatt aber zu hinterfragen, was sich die Bundesregierung von dieser Rückgabe zu diesem Zeitpunkt auf außenpolitischer Ebene erhofft, reiht der Text kolonialrassistische Stereotype, kolonialapologetische Floskeln und irrelevante Spekulationen über nigerianische Innenpolitik aneinander.

Seit es Rückgabeforderungen gibt, polemisieren deren Gegner*innen gebetsmühlenartig mit eben jenen Argumenten gegen Restitutionen: Hauser-Schäublin geht ohne Indiz davon aus, dass der Oba die Bronzen zu seiner privaten Bereicherung nutzen wird, und tut so, als hätten der deutsche sowie der nigerianische Staat sich die Bronzen von einer Privatperson stehlen lassen – ganz so, als wären die Bronzen nicht von Europäer*innen aus dem Palast des damaligen Oba geraubt worden. Wenn es nach ihr ginge, hätte Baerbock die Bronzen nur an Nigeria geben sollen, wenn sie dort auch öffentlich ausgestellt würden.

Eine nach Hauser-Schäublins Geschmack richtige Restitution wäre es demnach nur gewesen, wenn die Bronzen sich im gleichen Kontext befinden wie vorher: im Museum, nur eben in Afrika. Dabei führt es in die Irre, von den Benin-Bronzen grundsätzlich als «nationales Eigentum» oder «öffentliches Gut» auszugehen. Als Ethnologin könnte Hauser-Schäublin wissen, dass Eigentum ein komplexes Konstrukt ist, das über die Dichotomie privat vs. öffentlich hinaus geht. Gerade in postkolonialen Staaten wie Nigeria, in denen das Verhältnis zwischen Staat und nicht-staatlichen Autoritäten wie dem Oba in ständiger Verhandlung steht, ist die Frage nach dem rechtmäßigen Eigentümer eben vor allem dies: Verhandlungssache.

Denn, und das scheint Hauser-Schäublin zu vergessen, der Raub der Benin-Bronzen war kein Zufall, sondern Mittel zum Zweck: die Militäraktion der Briten gegen Benin City von 1897 diente in erster Linie dazu, die Macht des Obas zu brechen, um die Ressourcen seines Landes besser ausbeuten zu können. In ganz Afrika hatten Europäer*innen bestehende Machtstrukturen mit Gewalt zerstört, um das Kolonialsystem zu etablieren. Und während sich die politischen Strukturen auf dem Gebiet des damaligen Königreich Benin von Grund auf änderten, wandelte sich auch die Funktion der geraubten Stücke. Europäer*innen machten aus ihnen Trophäen, Studienobjekte, moderne Kunst – und nicht zuletzt Waren und Wertanlagen auf dem Kunstmarkt.

Wenn also Hauser-Schäublin davon ausgeht, die Bronzen seien öffentliches Gut, wenn der FAZ-Redakteur Patrick Bahners auf Twitter von «unserem Benin-Bestand» spricht, löschen diese Zuschreibungen die Geschichte der gewalttätigen Aneignung der Stücke einfach aus. Die Geschichte der Benin-Bronzen beginnt aber nicht in den Depots deutscher ethnologischer Museen – sie beginnt nicht einmal mit dem Raub 1897. Was tatsächlich 1897 beginnt, ist die Geschichte der Benin-Bronzen als Objektifizierung von kolonialem Unrecht, Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt. Der britische Raubzug ist Teil der Geschichte des europäischen Kolonialismus, der auch unsere heutige Welt noch mitstrukturiert.

Im Zuge der Restitutionsdebatten sind die Bronzen schließlich zu politischen Objekten geworden, anhand derer Fragen um Macht und Einfluss auf verschiedenen Ebenen ausgehandelt werden, nicht nur in Deutschland und Europa. Selbstverständlich sind die Benin-Bronzen auch innerhalb Nigerias Teil von Machtkämpfen, etwa zwischen dem Gouverneur des Bundesstaats Edo und dem Oba sowie breiteren gesellschaftlichen Debatten. Beispielsweise bietet die Restitution auch nigerianischen Akteur*innen die Gelegenheit, die Rolle der damaligen Obas im transatlantischen Sklavenhandel aufzuarbeiten. Doch wenn die Restitutionen Teil eines Aufarbeitungsprozesses der deutschen Kolonialgeschichte sein sollen, wäre es das falsche Signal, sie an Bedingungen zu knüpfen. Baerbock, Roth und selbst der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, haben das verstanden: Sie verteidigten die Rückgaben gegen die neu aufflammende Kritik, die die AfD in den Bundestag getragen hatte. Die Rückgaben seien bedingungslos.

Nun muss man die vermeintlich bedingungslosen Rückgaben trotzdem in ihren politischen Kontext rücken und kritisch hinterfragen. In einer Zeit, in der China und Russland Einfluss auf dem afrikanischen Kontinent gewinnen, ist es für Baerbock und die EU von Interesse, die Beziehungen zu afrikanischen Staaten auf kulturpolitischer Ebene aufrecht zu erhalten. Für die Bewältigung der Energiekrise könnten die Rohstoffe auf dem Kontinent notwendig sein, und für die menschenfeindliche Migrationspolitik der EU sind afrikanische Staaten wichtige Partner, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Die immense Masse an afrikanischem materiellen Kulturgut in europäischen Museen, die in den Ursprungsgemeinschaften teilweise von hoher Bedeutung sein könnten, stellen für die Bundesregierung dabei einen einflussreichen Hebel dar. Die anhaltend hohe Aufmerksamkeit für das Thema kann für die Bundesregierung von außerordentlichem Nutzen sein, sechzig Jahre nach der formalen Dekolonisierung Einfluss auf die Politik afrikanischer Staaten zu nehmen. Vor diesem Hintergrund wirkt der diplomatische Festakt weniger wie der Anfang einer «neuen Beziehungsethik», sondern eher wie EU-Imperialismus in neuem Gewand.

Diesbezüglich zeigen sich Kritiker*innen à la Hauser-Schäublin doch erfrischend ehrlich: Sie tun nicht einmal so, als würden sie sich aus innernigerianischen Angelegenheiten heraushalten wollen. Dass Nigerianer*innen mit den zurückgegebenen Bronzen machen könnten, was sie wollen (bzw. was sie verhandeln), ist mit Hauser-Schäublins Weltbild offenbar nicht vereinbar. Während jene, die auf diese Art gegen Restitution wettern, wie selbstverständlich davon ausgehen, sie könnten bestimmen, was mit den Bronzen geschieht, sprechen sie afrikanischen Gesellschaften auch ihr Recht auf Selbstbestimmung ab.

Dass die Diskussionen um die Benin-Bronzen weitergehen, ist also normal. Sie waren nie nur Kunstwerke – durch ihre Geschichte hat sich ihre Bedeutung immer wieder gewandelt - und heute sind sie Teil von politischen Machtspielen: Innerhalb Deutschlands, innerhalb Nigerias und zwischen Europa und Afrika. Alle, die sich in die Debatte darum einmischen, verfolgen ihre eigene Agenda. Baerbock weiß, wie sie die Debatte um Dekolonisierung im Allgemeinen und Restitution im Spezifischen für sich nutzen kann, um den Einfluss in Afrika nicht zu verlieren. Für Hauser-Schäublin jedoch genügt nicht einmal das: Für sie kann Restitution nur Mittel sein, offen den europäisch-imperialistischen Ansprüchen zu dienen.