Nachricht | International / Transnational - Europa «Neue emanzipatorische Kämpfe»

Volles Programm und volles Kino Europa. Internationale Konferenz in Zagreb lockte vom 15. bis 24. Mai täglich hunderte BesucherInnen an. Linksorientierte Theorie und Praxis stoßen in Kroatien auf großes Interesse.

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Das Programm war dabei nicht nur umfangreich, sondern auch inhaltsreich. Mit der Teilnahme von weltweit diskutierten Theoretikerinnen und Theoretikern wie Samir Amin, Zygmunt Bauman, Slavoj Žižek, David Harvey, Antonio Negri, Terry Eagelton und Gayatri Chakravorty Spivak wurde Zagreb für ein paar Tage ein globales Forum pluraler und kontroverser linker Debatten.

Die Konferenz stand im Kontext des jährlichen Subversive Film Festival, das von der Zagreber Gruppe Bjeli Val organisiert und u.a. von der Rosa Luxemburg Stiftung unterstützt wird. „Dekolonisation“ lautete das Motto des Festivals und der Konferenz. Die Organisatorinnen und Organisatoren versuchten damit, einen thematischen Bogen von aktuellen Kämpfen wie den Revolten in den arabischen Ländern, aber auch den sozialen Protesten auf dem Balkan, zur Erinnerung an die Gründung der Blockfreien Bewegung zu spannen. Die „Blockfreien“ wurden vor 50 Jahren im September 1961 in Belgrad formiert und verbanden das sozialistische Jugoslawien mit vielen postkolonialen Ländern in Asien und Afrika. Die „Blockfreien“ stellten sich gegen den Imperialismus der USA, aber auch die Hegemonialansprüchen der UdSSR über Osteuropa und sprachen sich für einen „Dritten Weg“ jenseits der Fronten des Kalten Krieges aus.

Im Zentrum der zahlreichen Vorträge standen einerseits die Analyse gegenwärtiger globaler Krisentendenzen des Kapitalismus und andererseits die Suche nach politischen Emanzipationsprojekten. Samir Amin vom Third World Forum analysierte in seinem Vortrag den widersprüchlichen Entstehungsprozess des kapitalistischen Weltsystems seit dem ausgehenden Mittelalter. Der Soziologe Zygmunt Bauman zeichnete die Krise des fordistischen sozialistischen und sozialdemokratischen Projektes im Westen Europa nach. Der marxistische Geograph David Harvey zeigte auf, wie im globalen Kapitalismus urbane Räume zur Arena von neuen Klassenkämpfen werden. Die Vorträge von Antonio Negri, Terry Eagleton und Gayatri Chakravorty Spivak kreisten um die Konzeptionen verschiedener marxistischer Theorieansätze und die Entwürfe emanzipatorischer Praxen.

Interessant waren vor allem auch die Diskussionsveranstaltungen. Im Kontext der Konferenz fand an drei Tagen ein Treffen des „Weltforum für Alternativen“ statt, an dem Mitglieder des Third World Forum aus Asien und Afrika sowie Mitglieder des Netzwerkes transform aus Europa teilnahmen. Im Zentrum der Debatten standen die aktuellen Krisentendenzen des Kapitalismus und ihre Auswirkungen. Kontroverse Diskussionen wurden unter anderem über die Rolle und die Funktion der Europäischen Union geführt. In zwei Veranstaltungen wurde die Lage in den arabischen Ländern und auf dem Balkan diskutiert. Mamdouh Habashi und Samir Amin vom „Weltforum für Alternativen“ betonten die soziale und potentiell antikapitalistische Ausrichtung vieler Revolten in den arabischen Ländern.

Die Konferenz stieß in Zagreb auf ein großes Interesse der Öffentlichkeit. Ein wesentlicher Grund dafür dürfte in der schwierigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Situation in Kroatien selbst liegen. Die Weltwirtschaftskrise hat Kroatien – sowie die anderen Staaten des ehemaligen Jugoslawiens – mit besonderer Wucht getroffen. Korruption und Klientelismus haben die regierende konservative Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) delegitimiert. In den vergangenen zwei Jahren hat sich gleichzeitig eine Reihe von bedeutenden sozialen Bewegungen und Protestbewegungen entwickelt. Vor allem die Protestbewegung der Studierenden hat sich zu einem Faktor bei der Neukonstituierung linksorientierter Politikansätze in Kroatien entwickelt.

Boris Kanzleiter, Leiter der Büros der RLS für Südost Europa