Bericht | Südasien - Sozialökologischer Umbau - Studienwerk Energiewende: Global denken, lokal handeln

Rena Eliz Hänel über Herausforderungen und Lösungsansätze in Vietnam und Deutschland

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Autor*in

Rena Eliz Hänel,

Egal ob in Deutschland, auf EU-Ebene oder in internationalen Verhandlungen: In der Debatte rund um den Ausbau erneuerbarer Energien fallen Fragen der Klimagerechtigkeit und der fairen Beteiligung von Bürger*innen oftmals zu kurz. Dabei sind sowohl die Klimakrise als auch die Energiewende untrennbar mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit verbunden. Fragen und Lösungsansätze zu einer gerechteren Energiewende überschneiden sich dabei über Grenzen und Kontinente hinaus.

Im Rahmen des Austauschprogramms «Sozial Ökologische Transformation» organisiert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Berlin, RLS South East Asia und Center for Community Initiative and Environment (Hanoi) hatten Studierende und junge Forscher*innen aus Deutschland und Vietnam die Chance, sich über die Entwicklung der Energiewende in Europa und Südostasien auszutauschen und gemeinschaftsorientierte Projekte zu erneuerbaren Energien kennenzulernen. Das Programm fand 2022 und 2023 über jeweils zwei Wochen vor Ort in Deutschland und Vietnam statt. Im Fokus standen dabei Fragen rund um die Partizipation von lokalen Communities im Ausbau von nachhaltigen Technologien, die kritische Analyse der historischen globalen Verteilung von Emissionen und der damit einhergehenden Verantwortung industrialisierter Länder, sowie die Verbindung zwischen der Energiewende und Themen wie Migration und Gentrifizierung.

Hintergrund

Im Hinblick auf die historische Verantwortung für die Klimakrise zeichnen sich klare Unterschiede zwischen der deutschen und der vietnamesischen Perspektive ab. Trotz seines grünen Images im Ausland liegt Deutschland auf Platz 6 der historischen Emissionen weltweit, mit ca. 4 Prozent aller globalen Treibhausgasemissionen seit 1850. Die Industrialisierung und das wirtschaftliche Wachstum Deutschlands seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts waren nur durch die massive Verbrennung von fossilen Brennstoffen und das damit verbundene Vorantreiben des Klimawandels möglich.

Auch heute noch schneidet Deutschland im weltweiten Vergleich nicht gut ab: 2020 war Deutschland für 1,85 Prozent der weltweiten Emissionen verantwortlich, obwohl nur 1,07 Prozent der Weltbevölkerung in Deutschland lebt. Bis heute ist Deutschland damit nicht nur der größte Emittent von Treibhausgasen in der EU, sondern liegt auch im weltweiten Vergleich nach wie vor auf Platz 6, nur noch überboten von China, den USA, Indien, Russland und Japan.

In Vietnam sieht die Lage etwas anders aus. Mit einer Bevölkerung von fast 100 Millionen landet Vietnam im weltweiten Vergleich nur auf Platz 29 der größten CO₂ Emittenten. Pro Kopf liegen die Emissionen in Vietnam bei 3,34 Tonnen pro Jahr, im Kontrast zu 8,09 Tonnen in Deutschland.

Obwohl Vietnam historisch wenig zur Klimakrise beigetragen hat, sind die voraussichtlichen Effekte des Klimawandels in Vietnam verheerend. Laut einer Studie der World Bank Group aus dem Jahr 2021 ist Vietnam unter den fünf am meisten durch den Klimawandel gefährdeten Ländern der Welt. Während sich starke Dürren und heftige Regenfälle bereits heute vermehrt bemerkbar machen, werden besonders die Bewohner von Vietnams 3.444 km langer Küste und des Mekong Deltas in den kommenden Jahren häufigen Überschwemmungen, Erdrutschen und der Versalzung ihres Trinkwassers ausgesetzte sein. In Folge dieser negativen Auswirkungen des Klimawandels könnten in den nächsten Jahrzehnten Millionen Vietnames*innen zu sogenannten «Climate Refugees» werden; alleine in der Mekong Region könnten bis 2050 mehr als 6 Millionen Menschen durch den Klimawandel dazu gezwungen werden, weiter ins Landesinnere zu ziehen.

Doch Klimaschutz ist nicht nur aufgrund der wahrscheinlich verheerenden Auswirkungen auf die Region ein wichtiger Punkt auf der Agenda der vietnamesischen Regierung. Trotz seiner vergleichsweise niedrigen historischen und pro-Kopf Emissionen spielt Vietnam regional sowie auch weltweit eine wichtige Rolle in Sachen Klimawandel und Energiewende, denn mit dem Wachstum der vietnamesischen Wirtschaft sind in den letzten Jahren auch die Treibhausgasemissionen signifikant gestiegen.  Ohne weitere effektive Emissionsminderungen könnte Vietnam 2030 bereits 977,1 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr produzieren, weitaus mehr als Deutschland momentan.

Net Zero und falsche Lösungen für die Energiewende

Sowohl Deutschland als auch Vietnam streben bis 2050 «Net Zero» an, also das Ziel von «Netto Null» Emissionen oder Klimaneutralität. Beide Länder waren historisch stark von der Kohlekraft abhängig und haben in den letzten Jahren angefangen, vermehrt, wenn auch noch unzureichend, in erneuerbare Energien zu investieren. Dies ist nicht zuletzt dem starken und anhaltenden öffentlichen Druck von Forscher*innen, NGOs und Aktivist*innen zu verdanken.

Im Rahmen des Austausches stellten die Teilnehmenden daher verschiedene Formen des Umweltaktivismus vor und besprachen ihre Relevanz im Kontext der Energiewende in den beiden Ländern. Während des Austauschprogramms in Deutschland standen dabei besonders ziviler Ungehorsam und Initiativen wie Ende Gelände im Fokus.

Trotz des sehr unterschiedlichen politischen Systems in Vietnam spielte auch dort Umweltaktivismus eine entscheidende Rolle in dem Entschluss der Regierung, bis spätestens Mitte der 2040er Jahre komplett aus der Kohlekraft auszusteigen. Obwohl der Kohleausstieg damit noch etwas später angesetzt ist als in Deutschland, stellt dieser geplante Entschluss des bevorstehenden achten vietnamesischen Energieplans einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung dar.  

Der 2021 veröffentlichte Entwurf sah noch vor, die Kapazität der Kohlekraft in Vietnam bis 2030 zu verdoppeln. Auf den Druck wichtiger Handelspartner, die Bedenken von Forscher*innen und den Protest von Einwohner*innen vieler von Luftverschmutzung betroffener Städte hin wurde diese Strategie überarbeitet und die Pläne für zahlreiche neue Kohlekraftwerke auf Eis gelegt. Der endgültige achte Energieplan der vietnamesischen Regierung wurde bis heute noch nicht veröffentlicht. Doch es scheint klar, dass eine weitere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen, und insbesondere von Kohle, sowohl von Expert*innen, als auch von breiten Teilen der vietnamesischen Bevölkerung abgelehnt wird.

Kohleausstieg hin oder her, Net Zero scheint sowohl in Deutschland als auch in Vietnam noch weit entfernt. In Deutschland kamen im Jahr 2020 43,8 Prozent der Bruttostromerzeugung aus erneuerbaren Energien, in Vietnam waren es rund 31 Prozent. Während in Deutschland Windkraft den Großteil der erneuerbaren Energieträger ausmacht, liegt in Vietnam mit 26 Prozent der gesamten Energieerzeugung Energie aus Wasserkraft ganz klar vorne. Im Jahr 2020 machten andere erneuerbare Energieträger wie Wind- und Solarenergie zusammen nur 5 Prozent der gesamten Energieerzeugung aus.

Diese Gegebenheit ist an sich nicht überraschend, denn geografisch bedingt hat Vietnam ein großes Potenzial für die Erzeugung von Strom aus Wasserkraft. Über die letzten Jahre sollte der Ausbau dieses namentlich erneuerbaren Energieträgers das rapide wirtschaftliche Wachstum des Landes ermöglichen und dabei gleichzeitig die Treibhausgasemissionen langfristig senken. Doch erneuerbar heißt nicht gleich nachhaltig. Inzwischen ist jedoch bekannt, dass Wasserkraftanlagen durch den Bau von groß angelegten Dämmen nicht nur wichtige Ökosysteme und oftmals die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung zerstören, sondern auch im großen Maße Methan ausstoßen- ein Treibhausgas, das ca. 30-mal potenter ist als CO₂.  

Der aktuelle Entwurf des achten vietnamesischen Energieplans sieht daher eine schrittweise Reduzierung der Energiegewinnung aus Wasserkraft vor. Bis 2050 sollen nur noch 7,2 bis 9,7 Prozent der gesamten Energieerzeugung durch Wasserkraft gedeckt werden. Andere Energieträger, vor allem Windkraft, sollen von 5 Prozent auf bis zu knapp 60 Prozent ausgebaut werden. Der Umstieg von Wasserkraft auf ausgereiftere erneuerbare Technologien wird daher eine wesentliche Herausforderung für die Umsetzung des kommenden Energieplans werden.

In Deutschland und weiten Teilen Westeuropas gilt das Potenzial der Wasserkraft bereits heute als größtenteils ausgeschöpft. Mit dem Fortschreiten des Klimawandels und den zunehmenden Trockenperioden wird diese Art der Energieproduktion in den kommenden Jahren vermutlich nur noch weniger erträglich werden. Doch trotz dessen, und entgegen der Meinung von Umweltexpert*innen und Aktivist*innen investieren die Europäische Investitionsbank, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau, sowie verschiedene in Deutschland ansässige Firmen, weiterhin in Wasserkraft im Ausland. Innerhalb von Europa konzentrieren sich diese Investitionen meist auf den westlichen Balkan, vor allem Bosnien und Herzegowina, Albanien und Montenegro.

In einem Workshop zum Thema Energiewende und Migration tauschten sich die Teilnehmenden zu den Zusammenhängen zwischen diesen Investitionen in Wasserkraft und der Enteignung und unfreiwilligen Umsiedlung von Anwohner*innen aus. In vielerlei Hinsicht  spiegelt der Ausbau der Wasserkraft im Balkan, finanziert mit deutschen und europäischen Mitteln, die Enteignungen und undemokratische Entscheidungsfindung vieler vergangener fossiler Projekte innerhalb von Deutschland wider, wie beispielsweise in den Dörfern rund um den Tagebau Garzweiler II in Nordrhein-Westfalen. Eine wirklich nachhaltige Energiewende muss daher klar eine Demokratisierung der Energiegewinnung anstreben und über vereinfachte Kategorien wie «erneuerbar» hinausdenken, und darf nicht an den Grenzen der Europäischen Union aufhören.

Nachhaltige Bildung für eine gerechtere Energiewende

Während des Austausches tauschten die Teilnehmenden sich jedoch nicht nur über die Probleme von falschen Lösungen in der Energiewende aus, sondern lernten gleichzeitig auch verschiedene alternative Ansätze aus erster Hand kennen.

In Lübow, einem kleinen Ort in Mecklenburg-Vorpommern, bekamen die Teilnehmenden einen Einblick in die Geschichte eines kleinen unabhängigen Windparks, der Anfang der 2000er Jahre auf Initiative einiger Einwohner*innen des kleinen Ortes ins Leben gerufen wurde. Die größten Hürden für die Realisierung des Projektes stellten schon damals nicht die Verfügbarkeit von erneuerbaren Technologien an sich dar, sondern der erschwerte Anschluss an das von wenigen Energiefirmen kontrollierte Stromnetz und die fehlenden finanziellen Mittel für kleine Initiativen, wie den aus nur drei Windrädern bestehenden Windpark. Heute, nach vielen Jahren des Engagements von lokalen Initiator*innen, Kleininvestor*innen und der weiteren örtlichen Gemeinschaft, produzieren die Windräder noch immer Strom für die Einwohner*innen von Lübow und die umliegende Region. Inzwischen schmücken Kunstwerke örtlicher Künstler*innen die hohen Türme der Windräder, die ein fester Teil des Landschaftsbildes geworden sind. Darüber hinaus organisieren die Initiator*innen für das Solarzentrum Mecklenburg-Vorpommern verschiedene Workshops und Führungen zum Thema erneuerbare Energien, beispielsweise für Schüler*innen, Studierende und Forscher*innen.

Trotz ihrer unterschiedlichen Rollen in der Weltwirtschaft und der Geschichte des Klimawandels stehen Menschen in Deutschland und Vietnam in der Energiewende vor vielen ähnlichen Herausforderungen. In einer sozial-ökologischen Energiewende müssen falsche Lösungen auf Kosten lokaler Communities und Ökosysteme, wie beispielsweise der groß angelegte Umstieg von Kohle- auf Wasserkraft in Vietnam und den westlichen Balkanländern, vermieden werden. Stattdessen sollte die Energiewende nicht nur Emissionen reduzieren, sondern soziale Interessen mit einbeziehen und dezentrale, verbrauchernahe Stromerzeugung fördern.  Das Programm zur sozial-ökologischen Transformation war dabei ein erster wichtiger Anhaltspunkt in einem hoffentlich langen Austausch zu sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit auf lokaler und globaler Ebene zugleich.