Nachricht | Parteien / Wahlanalysen - Osteuropa Anhänger der polnischen Linken gegen Kindergelderhöhung

Warum der Wahlkampf mit linken, sozialen Themen so schwierig ist

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Achim Kessler,

Kundgebung der polnischen Linkspartei am 1. Mai 2023 in Warschau
«Gute Arbeit»
«Ein menschenwürdiges Leben» Kundgebung der polnischen Linkspartei am 1. Mai 2023 in Warschau, Foto: IMAGO / NurPhoto

Immer offensichtlicher wird, dass die national-konservative Partei «Recht und Gerechtigkeit» das Thema Migration ins Zentrum der heißen Phase ihres Wahlkampfs stellen wird. Letzte Woche hat der Sejm eigens ein Gesetz verabschiedet, dass es ermöglicht, zugleich mit den Parlamentswahlen ein Referendum durchzuführen. Bei diesem Referendum soll es um die Übereinkunft der EU zum Umgang mit Geflüchteten gehen. Laut dem Vorsitzenden von PiS, Jarosław Kaczyński, soll die Frage des Referendums lauten: «Akzeptieren Sie die Politik der Regierung, die die Zwangsumsiedlung illegaler Einwanderer ablehnt?». Dies nicht etwa im Interesse der Geflüchteten, sondern mit dem erklärten Ziel, keine Flüchtlinge in Polen aufzunehmen. Denn Jarosław Kaczyński und die PiS lehnen den EU-Kompromiss ab, weil er ihnen nicht hart genug ist.

Achim Kessler leitet das Regionalbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung für Polen, Litauen, Lettland und Estland

Die linke Opposition vertritt dagegen die Interessen von Geflüchteten und selbstverständlich auch von Frauen und queeren Menschen, weshalb auf beiden Seiten im Wahlkampf Themen im Zentrum stehen, die sich auf die Identität von Menschen beziehen. Diese Auseinandersetzung ist wichtig, weil das reaktionäre Menschen- und Familienbild das Leben vieler Menschen schwer belastet. Aber sie wird für einen möglichen Wahlsieg der Opposition nicht ausreichen. Denn auch in Polen ist die soziale Lage sehr angespannt durch eine Inflation von 18 Prozent, durch steigende Lebenshaltungskosten, geringe Löhne und hohe Mieten.

Warum tut sich die polnische Linke mit sozialen Wahlkampfthemen so schwer?

Angesichts dieser sozialen Probleme stellt sich die Frage, warum sich die polnische Linke schwertut, soziale Probleme im Wahlkampf zu thematisieren. Denn abgesehen von der Wohnungspolitik sind soziale Themen bislang in diesem Wahlkampf von linker Seite nicht wirklich wahrnehmbar. Eine mögliche Erklärung liefert eine Umfrage, die die Zeitung «Gazeta Wyborcza» gemeinsam mit dem «Forum Długiego Stołu Stiftung» beauftragt hat[1].

Ihre vergangenen Wahlerfolge verdankt die PiS zum Teil dem Kindergeldprogramm «500 plus»: Eltern erhalten für jedes Kind 500 Zloty monatlich, mehr als 100 Euro. PiS hat angekündigt, das Kindergeld im nächsten Jahr auf 800 Zloty zu erhöhen. Während dies von fast der Hälfte der Anhänger*innen von PiS befürwortet wird und sich 16 Prozent für die Beibehaltung des Kindergeldes in Höhe von 500 Zloty aussprechen (zusammen fast zwei Drittel), sprechen sich in der Umfrage 34 Prozent der Wähler*innen der Linken für eine Kürzung des Programms aus, 38 Prozent sind gar für seine völlige Abschaffung.

Ähnlich sieht es bei der Frage nach einer Erhöhung des Haushaltsdefizits aus: 82 Prozent der linken Wähler*innen sind der Meinung, dass der Haushalt durch Kürzungen ausgeglichen werden sollte und nur 12 Prozent plädieren für eine weitere Verschuldung. Jedoch nur die Hälfte der Wähler*innen von PiS befürworten Haushaltskürzungen, während sich 29 Prozent für eine weitere Verschuldung und zehn Prozent für die Deckung der Ausgaben durch höhere Steuern aussprechen. 86 Prozent der linken Wähler*innen sprechen sich gegen Wirtschaftsunternehmen im Eigentum des Staates aus, während 82 Prozent der Anhänger von PiS staatliches Eigentum von Wirtschaftsunternehmen befürworten.

Leidet die polnische Linke unter Fehlern der Vergangenheit?

Selbstverständlich, die Ergebnisse dieser Umfrage, sind mit Vorsicht zu interpretieren. Denn allein durch die Auswahl und Formulierung der Fragen, lassen sich Ergebnisse leicht beeinflussen. Und selbst die «Gazeta Wyborcza» merkt an, dass die Wähler*innen der Linken, die sich gegen die Erhöhung des Kindergeldes aussprechen, es vorziehen, «das Geld aus dem 500-plus-Programm für andere Zwecke zu verwenden, und sie denken dabei wahrscheinlich nicht an den Kauf von Abrams-Panzern oder den Bau von Zentralen Verkehrskontenpunkten, sondern eher an größere Finanzierung von öffentlichen Dienstleistungen wie Gesundheitswesen oder Bildung, und Qualitätssteigerung dabei»[2].

Aber dennoch stellt sich die Frage, warum linke Wähler*innen sich mehrheitlich gegen die Erhöhung sozialer Leistungen und die Finanzierung durch Schulden und Steuererhöhungen aussprechen. Eine Antwort auf diese Frage ist schwer zu finden. Es mag sein, dass andere soziale Probleme wie die privatisierte und unterfinanzierte öffentliche Daseinsvorsorge bei vielen ein höheres Gewicht haben. Dafür würde sprechen, dass viele der linken Wähler*innen nicht zum armen Teil der Bevölkerung zählen.

Es mag aber auch sein, dass sich viele ehemals linke Wähler*innen abgewandt haben, weil sie sich daran erinnern, dass nicht nur die liberale «Bürgerplattform», sondern auch die sozialdemokratische Partei «Bund der Demokratischen Linken» – Nachfolgepartei der polnischen kommunistischen Partei («Polnische Vereinigte Arbeiterpartei») und Vorgängerpartei der 2021 gegründeten «Neuen Linken» – an den Sozialkürzungen im Zuge der Transformation beteiligt war. Viele ehemals linke Wähler*innen sind deshalb zur PiS mit ihren sozialen Versprechungen gewandert. Und möglicherweise ist nur der kleine Teil von Wähler*innen bei der Linken geblieben, der persönlich nicht auf soziale Leistungen angewiesen ist. Dafür spricht, dass die sozialdemokratische Partei, die einstmals Regierungen stellte und anführte, heute in den Umfragen gemeinsam mit anderen linken Parteien nur rund 10 Prozent der Wähler*innen erreicht.

Es bleibt spannend, wie die Linke sich im Wahlkampf zu diesem Problem verhalten wird. Wird sie der PiS die Stirn nicht «nur» im Bereich der Rechte von Frauen, von geflüchteten und queeren Menschen bieten, sondern auch die soziale Frage offensiv aufgreifen? Wird sie die Kraft und den Mut haben, mit einem wirklich radikalen Programm für soziale Gerechtigkeit in den Wahlkampf einzugreifen, das neben armutsfesten Sozialleistungen auch die ausreichende Finanzierung eines wieder vollständig öffentlichen Gesundheits- und Bildungswesens, die Stärkung der Verhandlungsposition der Gewerkschaften und die gerechte Besteuerung der Superreichen und Konzerne umfasst?


[1] Durchgeführt von «Kantar» vom 12. bis 18. Juni 2023.

[2] Andrzej Machowski: Sozialorientiertes Recht und Gerechtigkeit, liberale Opposition. Die zweite Bürgerbefragung zeigte die ideologischen Profile der Bürgerschaft. «Gazeta Wyborcza», 3. Juli 2023.