Nachricht | Mario Keßler: "Historia magistra vitae? Über Geschichtswissenschaft und politische Bildung", Berlin 2010

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In dieser Publikation versammelt Keßler zwölf Aufsätze und Rezensionen aus den letzten fünf, sechs Jahren, die hier wiederveröffentlicht werden. Thematischer Kern des Bandes sind Beiträge zur Geschichtspolitik, darum ranken sich Texte zu einigen Geschichtswissenschaftlern, ihren Biografien und Werken.

Der 1955 geborene Keßler ist einer der wenigen HistorikerInnen mit DDR-Biografie, die eine halbwegs annehmbare Position im Universitätsbetrieb haben und nicht verschweigen, dass sie einem erneuerten demokratischen Sozialismus zuneigen. Keßler ist als Professor wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam und zugleich zum Beispiel Mitglied der Historischen Kommission beim Parteivorstand der LINKEN. In den letzten Jahren arbeitete er zu den zu „Ketzern des Kommunismus“, zu jüdischen Intellektuellen - wie er auch schon Anfang der 1990er Jahre zum Antisemitismus der Arbeiterbewegung publizierte.

Aber zurück zum Buch: Keßler untersucht den personellen Neuanfang in der Geschichtswissenschaft beider deutscher Staaten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der auch durch den Kalten Krieg strukturiert wurde, oder er erzählt den Deutungswandel nach, dem die Novemberrevolution in der Geschichtswissenschaft der DDR im Laufe der Zeit unterlag, auch als Reaktion auf Forschungen im Westen.

Ein Schwerpunkt von Keßlers Arbeit sind Biografien, in dem hier vorliegenden Buch stellt er sowohl unorthodox-marxistische wie auch DDR-Historiker vor: Den 1909 geborenen Ernst Engelberg, der in der DDR lehrte, oder den schon 1943 verstorbenen Arthur Rosenberg. Die der Generation von Engelberg angehörenden und allesamt aus dem Exil zurückgekehrten und dann vor allem in Westdeutschland wirkenden Ossip K. Flechtheim, Arkadij Gurland, Helmut Hirsch und Alfred Kantorowicz werden in einzelnen Beiträgen ausführlich gewürdigt. Diese vier waren in gewissem Sinne, wie auch Wolfgang Abendroth, an den Keßler ebenfalls erinnert, Außenseiter. Er richtet damit in diesen Texten den Fokus auf einzelne Menschen, die zwar intellektuell und sozial nicht unabhängig von ihrer Umwelt sind, genau sowenig wie Diskurse ganz ohne ihre Träger auskommen, bettet aber ihr Wirken in die Zeitläufe ein. Sein Buch kann zwar den Charme der Zweitverwertung nicht ganz verleugnen, die Qualität der Text macht dies aber allemal mehr als wett. Denn die Leserin hat hier eines der wenigen Bücher in der Hand, die sich ausdrücklich als Beitrag zu einer kritischen Geschichtswissenschaft verstehen und deren Publikationsort auch die Randständigkeit der kritischen HistorikerInnen dokumentiert.

Mario Keßler: "Historia magistra vitae? Über Geschichtswissenschaft und politische Bildung"; 255 Seiten, trafo Verlag Berlin 2010 [Hochschulschriften, Band 30], 24,80 EUR

Manuskript einer in Forum Wissenschaft, Heft 2/2011 veröffentlichten Rezension.