Nachricht | Staat / Demokratie - Arbeit / Gewerkschaften Gründungstreffen des GK Gewerkschaften

Am 8. Juli gründete sich in Kassel der Gesprächskreis Gewerkschaften der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

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Fanny Zeise,

Am 8. Juli gründete sich in Kassel der Gesprächskreis Gewerkschaften der RLS. Florian Weis, Geschäftsführer der RLS, begrüßte die über 50 angereisten Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Beschäftigtenvertreterinnen und -vertreter sowie Gewerkschaftsforscherinnen und Gewerkschaftsforscher aus dem gesamten Bundesgebiet. Mit Blick auf das große Interesse am Gesprächskreis und seiner spannenden Zusammensetzung, erhoffe sich die RLS Anstöße für interessante Diskussionen, Projekte und Studien.

Ein wichtiges Thema des Gründungstreffens war die Diskussion über Arbeitsweise und Ziele des Gesprächskreises. Fanny Zeise, Referentin für Arbeit, Produktion, Gewerkschaften, stellte - in Anbetracht des eklatanten Mangels an strategischem Austausch von kritischer Wissenschaft und linker Gewerkschaftspraxis - ihre Vision vor: Ein Strategiekreis, der die bisher nur vereinzelt geführten Debatten in Gewerkschaft und Wissenschaft mit Blick auf Potentiale grundlegender gesellschaftlicher Veränderung aufgreift, bündelt und weiterentwickelt.

Antonia Kühn vom DGB in NRW bekräftigte, dass strategische Fragen in der Alltagsarbeit stets zu kurz kämen. Allerdings müsse der Gesprächskreis auch einen Nutzen für die gewerkschaftliche Praxis bringen. Dabei sollte es jedoch immer eine besondere Herangehensweise an Gewerkschaftsthemen verfolgt werden, so Christina Kaindl von der RLS. Als linke Stiftung müsse die RLS die Transformationsfrage im Fokus behalten und dürfe nicht einfach die Arbeit der Gewerkschaftsstiftungen übernehmen. Stefan Schmalz von der Universität Jena stellte den Arbeitskreis Strategic Unionism, ein Netzwerk junger Gewerkschaftsforscherinnen und –forscher, vor und erinnerte damit an die wichtige Funktion des Gesprächskreises, junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu unterstützen und in Diskussionen einzubeziehen. In der Debatte wurde deutlich, dass die Selbstverständigung des Gesprächskreises nicht abgeschlossen ist und sich im Laufe der gemeinsamen Arbeit weiter entwickeln wird.

Die anstehenden Themen und Vorhaben des Gesprächskreises standen daher im Mittelpunkt der Diskussion. Fanny Zeise und Florian Wilde, der ab September als Elternzeitvertretung die Stelle für Gewerkschaften für ein Jahr übernimmt, machten den engen Zusammenhang der Arbeit des Gesprächskreises mit ihrer Arbeit deutlich. Sie stellten einige ihrer Projekte des nächsten Jahres vor und baten um Anregungen: Neben der Diskussion über Wirtschaftsdemokratie und einer Tagung zu Protesten der Gewerkschaften in Europa, planen sie, aktuelle Entwicklungen im Bereich des Arbeitskampfes - Tertiarisierung, Feminisierung und neue Formen des Arbeitskampfes – in den Blick zu nehmen.
Viel diskutiert wurde insbesondere das Themenfeld Euro-Krise. Axel Gerntke und Horst Schmitthenner von der IG Metall sprachen sich dafür aus, neben den Generalstreiks in Europa auch die Politik der EU, wie den Euro-Plus-Pakt oder die europäische Schuldenbremse, zum Thema einer Tagung zu machen.

Andreas Keller, GEW-Vorstand, und Sabine Reiner, Abteilung Wirtschaftspolitik bei ver.di, schlugen vor, den Dienstleistungsbereich und die dortigen Entwicklungen immer mit zu denken. Gerade der öffentliche Dienst stehe angesichts der Schuldenbremse vor enormen Auseinandersetzungen. Möglich seien weitere Privatisierungen und Lohnsenkungen, über die auch Tarifstandards im gewerblichen Bereich abgesenkt werden könnten. Sabine Leidig, MdB DIE LINKE, regte an, den öffentlichen Dienst insbesondere beim Thema Wirtschaftsdemokratie einzubeziehen.
Auch in Bezug auf Streiks gebe es im Dienstleistungsbereich mit der Gebäudereinigung, den Kindertagesstätten und der Auseinandersetzung viele neue Entwicklungen zu beobachten.

Neben der Diskussion über Selbstverständnis und Themen des Gesprächskreises wurde die Frage nach Möglichkeiten gewerkschaftlicher Revitalisierung - ein Schwerpunktthema des Kreises - aufgeworfen. Klaus Dörre und Ingo Matuschek von der Universität Jena sowie Richard Detje von WISSENTransfer stellten zunächst ihre Studien zum Beschäftigtenbewusstsein vor und arbeiteten anschließend Differenzen gegenüber den Befunden der jeweils anderen Forschergruppe heraus. Sie waren sich einig, dass die Mehrheit der Beschäftigten das Gesellschaftssystem für die Wirtschaftskrise und den andauernden Druck in den Betrieben verantwortlich macht. Allerdings drücke sich diese Ablehnung nicht in betrieblichen Protest aus. Detje sieht die Ursache in der „adressatenlosen Wut“ der Beschäftigten, weil diese von der relativen Hilflosigkeit des Managements gegenüber den Systemzwängen ausgingen. Dörre erklärte die Ruhe in den Betrieben mit dem überwiegend positiven Bezug der Beschäftigten auf ihren Betrieb. Die Einschätzungen beider Wissenschaftler über die Anforderungen der Belegschaften an ihre Gewerkschaften, die von der ausschließlichen Interessenvertretung der Stammbelegschaft bis zu der Wiederbelebung des politischen Mandats reichten, wurden kontrovers diskutiert.

Im zweiten Teil der Veranstaltung standen konkrete Projekte gewerkschaftlicher Revitalisierung im Fokus. Jan de Vries, ver.di-Niedersachsen, stellte das Konzept der bedingungsgebundenen Tarifarbeit vor, bei dem Tarifverhandlungen nur geführt werden, wenn ein gewisser Organisationsgrad erfüllt und damit Durchsetzungsfähigkeit gewährleistet ist.
Susanne Kim, aus der IG Metall Vorstandsverwaltung, berichtete von den Organizing-Aktivitäten der IG Metall, die im Funktionsbereich des zweiten Vorsitzenden der IG Metall, Detlef Wetzel, angesiedelt sind. Wetzel hatte im Jahr 2008 Thesen für eine Erneuerung der Gewerkschaftsarbeit veröffentlicht und damit die Orientierung auf Organizing begründet. Neben größeren Erschließungsprojekten wie beispielsweise in der Windenergiebranche sollen mit kleineren Projekten in den Verwaltungsstellen und gezielten Schulungen von Haupt- und Ehrenamtlichen, Organizing-Elemente in die Gewerkschaftspraxis zu integrieren.

Im Mittelpunkt der Diskussion stand die Frage, ob es sich bei den Projekten nur um neue und effektive Formen von Mitgliederwerbung bzw. Tarifarbeit handelt, oder ob damit weitergehende emanzipatorische Prozesse verbunden sind. Linke Gewerkschaftspolitik müsse den Fokus auf den Prozess des „Empowerment“ legen, der Befähigung der Beschäftigten ihre Interessen selbst zu vertreten, so Oliver Nachtwey von der Universität Trier. Wer sich beteilige, wolle meist auch mitentscheiden, stellte Franz Uphoff von der IG BAU in Bezug auf eine stärkere Beteiligungsorientierung fest. Dies könne zu Konflikten führen, mit denen offensiv umgegangen werden müsse. Abschließend plädierte Jan de Vries dafür, sich weiter intensiv damit zu befassen, wie Gewerkschaftsarbeit demokratischer und partizipativer werden könne.

Programm des Gründungstreffens des GK Gewerkschaften


Unterlagen zu den Vorträgen der ReferentInnen