Nachricht | International / Transnational - Asien Wahlen in Thailand: Ein Sieg für die Rothemden?

Thailand hat am 3. Juli 2011 gewählt und der regierenden Demokratischen Partei unter Premier Minister Abhisit Vejjajiva eine klare Niederlage verpasst. Gewinnerin ist die Pheu-Thai-Partei unter der bisher in politischen Gefielden unbekannten Spitzenkandidatin Yingluck Shinawatra.

Information

Autorin

Nadja Charaby,

Ob dieses Wahlergebnis die allseits ersehnte Rückkehr zu demokratischen Prinzipien und zu politi-scher Stabilität bringt, wird sich in den kommenden Monaten zeigen. Die voraussichtlich erste Frau im Chefamt der Regierung, Yingluck Shinawatra, selbst könnte dieser Hoffnung zum Verhängnis wer-den. Sie ist die Schwester des sich im Ausland auf der Flucht vor dem eigenen Gerichtverfahren be-findenden Ex-Premiers Thaksin Shinawatra. Dieser hat sich maßgeblich an Yingluck‘s erst im Mai be-kannt gegebenen Aufstellung als Kandidatin beteiligt und bezeichnete sie sogar als seinen Klon. Yingluck hingegen, erfolgreiche Geschäftsfrau – in den Unternehmen ihres Bruders groß geworden – agiert bisher schlau und könnte durch ihre angedachte 5-Parteien-Koalition eine breit gestützte Regierung bilden.

Das bislang unbestätigte Wahlergebniss

Die Wahlbeteiligung lag bei ca. 74%, was 34,8 Mio. Wähler_innen unter insgesamt 47 Mio. Wahlberechtigten entspricht. Es kursiert der Vorwurf, dass viele, v. a. in Bangkok ansässige Wähler_innen, aufgrund fehlender logisitischer Vorbereitung (Zugausfälle und –verspätungen) nicht rechtzeitig in ihren Heimatorten erscheinen konnten, um dort zu wählen.

ParteiAnzahl der Sitze im neu gewählten ParlamentBemerkung
Pheu-Thai-Partei (Spit-zenkandidatin Yingluck Shinawatra)265Partei des sich im Ausland auf der Flucht vor der thailändischen Gerichtsbarkeit be-findenden Ex-Premiers Thaksin
Demokratische Partei (Spitzenkandidat Abhisit Vejjajiva)159Derzeitige Regierungspartei
Bhumjai Thai34
Chart Thai Pattana19Angekündigter Koalitionspartner der Pheu-Thai-Partei
Chart Patana Puea Pandin7Angekündigter Koalitionspartner der Pheu-Thai-Partei
Phalong Chon7Angekündigter Koalitionspartner der Pheu-Thai-Partei
Rak Thailand4
Matubhum2
Rak Santi1
Mahachon1Angekündigter Koalitionspartner der Pheu-Thai-Partei
Neue Demokratische Partei1
Gesamtzahl der Sitze im Parlament500

Yingluck steht hoch in der Gunst der Rothemden. In ihren Wahlversprechungen setzt sie die Linie ihres Bruders, die als Thaksinomie bezeichnete Neugestaltung des Wirtschaftssystems, fort. Ein we-sentlicher Bestandteil sind die oftmals als populistisch dargestellten Maßnahmen zur Armuts-minderung, mit denen Thaksin 2001 die Wahlen gewonnen hatte. Die sonst in der politischen Welt Thailands kaum gehörten Armen eroberte Thaksin somit als politisch einsetzbare Kraft. Eine Kraft, die der alten, oft eng mit dem Königshaus verbundenen Politelite sowie dem politisch schwergewichtigen Militär, nicht gefiel.

Die Zuspitzung der politischen Krise Thailand’s in den vergangenen Jahren

Der ehemalige Premierminister Thaksin Shinawatra wurde 2006 durch einen royalistischen Militärputsch des Amtes enthoben und seine Thai-Rak-Thai-Partei verboten. Die Wahl nach 15 Monaten Militärregierung im Dezember 2007 gewann die Nachfolgepartei der Thai-Rak-Thai-Partei, die Phak Phalang Prachachon (Partei der Macht des Volkes, PPP). Nach massiven Protesten der Anhänger der Volksallianz für Demokratie (PAD)1 wurde die PPP 2008 ebenfalls verboten und verlor somit ihre Position als Regierungspartei. Trotz Verbots der Regierungspartei wurden keine Neu-wahlen durchgeführt. Angeblich durch Druck des Militärs auf ehemalige Mitglieder der PPP im Parlament wurde die Demokratische Partei unter Abhisit Vejjajiva in einer Parlamentssitzung zur Regierungspartei gewählt. Seither befindet sich Thailand in einem krisenartigen Zustand. Der Regie-rung Abhisits wurde das Verletzen demokratischer Grundsätze unterstellt. Die tiefen sozialen und politischen Spannungen kumulierten im vergangenen Jahr in der gewaltsamen Unterdrückung der Proteste der sogenannten Rothemden2 mit über 90 Todesfällen.

Thaksin war und ist kein Robin Hood

Thaksins Wirtschaftspolitik, aber auch seine Günstlingsbeziehungen, die ihn und seine Anhänger bereicherten und welche die Medien zunehmend unter seine Kontrolle brachten, sowie die eben erstarkte politische Mitsprache sozial benachteiligter Gruppen, wurden von der etablierten Machtelite als Bedrohung wahrgenommen. Der Putsch, der Thaksin 2006 aus dem Amt verbannte, war der 18. Putsch des Militärs, seitdem Thailand 1932 zu einer konstitutionellen Monarchie gewor-den war. Bisher hat jeder Putsch zu Neuwahlen geführt. Thaksin, der sich seither auf der Flucht vor einer drohenden zweijährigen Haftstrafe wegen Korruption und Amtsmissbrauch befindet, bestimmt dennoch weiterhin das politische Geschehen in Thailand mit. Während der Straßenkämpfe im vergangenen Jahr, wurde gemutmaßt, dass er den Rothemden wichtige Finanzen zur Verfügung stellte. Einen für den weiteren Verlauf der thailändischen Politik wichtigen Faktor stellt daher die Frage dar, inwiefern Thaksin die Geschäfte seiner Schwester beeinflusst, ob ihm durch die neue Regierung Amnestie gewährt wird und ob er nach Thailand zurückkehrt. Bisher schließt Yingluck die individuelle Amnestie für ihren Bruder aus.

Thaksin selbst lebt inzwischen in Dubai, wo der Milliardär neben dem Exilpolitikerdasein v. a. mit Investitionsgeschäften, darunter auch in Minen in Afrika, seine Zeit verbringt. Auch nicht in Vergessenheit geraten sollte die autoritäre Handschrift Thaksins in seiner Anti-Drogenpolitik, bei der tausende sogenannte Drogenhändler umgebracht wurden. Ebenso zeigte sein massives Vorgehen gegen die muslimische Minderheit im Süden des Landes, unter dem Deckmantel der Ter-rorismusbekämpfung, den autoritären Führungsanspruch der Person Thaksin auf. Thaksin ist ein Machtmensch, der sich das System zu Nutze machte, um sich und seine Anhänger zu bereichern. Die Robin-Hood-Kappe steht ihm daher schlecht. Die vielen Armen, die im vergangenen Jahr in rote Hemden gekleidet auf die Straße gingen, haben sicherlich unter Thaksin profitiert und werden dies auch unter seiner Schwester tun. Sie sind politisiert und das Ergebnis der Wahl am 3. Juli hat gezeigt, dass die Demokratische Partei, diese Menschen nicht überzeugen konnte, mit ihren quasi-sozialen Wahlversprechen. Dennoch wird dieses Aufstehen und Einfordern politischer Mitsprache überschattet vom Beigeschmack des ‚instrumentalisiert Werdens‘ ganz anderer Interessen. Was dem thailändischen Volk fehlt, ist eine Alternative, die die politischen Bedürfnisse der vielen Armen und Benachteiligten ernst nimmt.

Das Dilemma der thailändischen Demokratie und das Fehlen von linken Alternativen

Thailand gilt als „das“ demokratische Land Südostasiens. Dennoch hat die letzte Regierung unter Abhisit Vijjeja es ausgezeichnet verstanden, demokratische Prinzipien auszuhebeln. Die Anzahl der sogenannten Verhaftungen wegen Majestätsbeleidigung stieg massiv an. Die ‚lèse majesté‘ macht jegliche Kritik am Königshaus unmöglich und sie bedeutet eine erhebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die Regierungspartei machte sich dies zu Nutzen und schaltete kritische Stimmen aus. Es ist also unmöglich, eine öffentliche Diskussion um echte Alternativen zu führen.

Durch das Militär gestützt regierte Abhisit basierend auf einer Parlamentsentscheidung, eine demokratische Legitimation fehlte seiner Regierung. Die Protete der Rothemden forderten diese ein. Sie fühlten sich um ihre Mitsprache betrogen. Trotz der vermeintlichen Rückkehr zu einer demokratisch legitimierten Regierung, ist es nachwievor wichtig, dass das Militär das Wahlergebnis vom 3. Juli anerkennt und verspricht, politisch nicht einzuschreiten. Das ist eines der Dillemata der thailändischen Demokratie. Während General Proyut, Chef der Armee, sich mit Kommentaren bedeckt hielt, verkündete der sich derzeitig noch im Amt befindende Verteidigungsminister, General Prawit, benevolent, dass das Militär die Entscheidungen des Volkes akzeptieren würde. Ob dieses Versprechen allderdings eine gesamte Legislaturperiode andauern wird, ist unklar. Schließlich sind Yingluck‘s Wahlversprechen, wie z. B. einen Mindestlohn von 1.000 Baht (entspricht ca. 23 EUR) pro Tag einzuführen oder jedem Dorf einen Fond von 25.000 EUR auszuzahlen, teuer – und somit sicher-lich ein Dorn im Auge der Reichen und Mächtigen, dem Militär und sicherlich auch der Demokratischen Partei. Yingluck muss sich bereits jetzt dem Vorwurf des Wahlbetrugs durch die unabhängige Wahlkommission stellen. Möglicher Weise einer von den vielen Steinen auf ihrem Weg. Allerdings muss sich auch der noch-Premier Abhisit den gleichen Vorwurf gefallen lassen. Gemäß der thailändischen Verfassung muss das neugewählte Parlament innerhalb von 30 Tagen zusammenkom-men. Vor Ablauf dieser Frist werden die Betrugsvorwürfe zu klären sein.

Was fehlt, ist eine Alternative. Die thailändische Linke ist isoliert, sie hat ihren Anschluss an die Bewegung der Rothemden nicht gefunden. Auch sind ihre Handlungsfelder durch die o. g. ‚lèse majesté‘ begrenzt. Der im englischen Exil lebende thailändische Sozialist und Intellektuelle Giles Ji Ungpakorn, verfasste 2010 das ‚Rote Siam Manifest‘. Darin rief er seine Landsleute auf, auf die Straßen zu gehen, für Gerechtigkeit und politische Mitbestimmung zu kämpfen. Gleichzeitig warnte er sie vor den Bestrebungen Thaksins und dessen Anhängern, die mehr ihr eigenes als das Interesse des Volkes im Kopf hätten. In diesem Wahlkampf jedoch rief Giles Ji Ungpakorn zur Unterstützung der Pheu-Thai-Partei auf, als einzig derzeitig existierende Alternative zur bisherigen Regierung und als Hoffnungsträger für eine Rückkehr zu Demokratie.

Inwiefern diese Aufrufe bei seinen Landsleuten Eindruck hinterlassen, ist schwer einzuschätzen. Es ist jedoch klar, dass Yingluck die Gunst der Rothemden bewahren muss. D. h. sie wird ihre Versprechen zu Armutsminderung und mehr sozialer Gerechtigkeit halten müssen. Eine Regierungsbeteiligung von Anführer_innen der Rothemden hat ein anderes Parteimitglied der Pheu-Thai-Partei jedoch ausgeschlossen. Sicherlich soll diese Aussage die rozalistischen Kräfte besänftigen, vielleicht wäre dies Thaksins Anhängern aber auch bereits zu viel Beteiligung der Massen am politischen Geschehen.

Reaktionen aus der Region

Als in den vergangenen Jahren die Straßen Bangkoks besetzt waren, kursierten Mutmaßungen, dass dies Einfluss auf die südostasiatischen Nachbarn haben könnte. Das sozialistische Vietnam verurteilte die Gewalt und sorgte sich um die Stabilität des thailändischen Staates. Auswirkungen für die innen-politische Situation Vietnams jedoch können ausgeschlossen werden. In der vietnamesischen Bevölkerung sorgten die Proteste weites gehend für Unverständnis. Deshalb verwundert die Reaktion der Sprecherin des vietnamesischen Außenministeriums nicht, die Thailand zu einer erfolgreich durchgeführten Wahl am 3. Juli gratulierte, und die den Wunsch nach Frieden und Stabilität betonte.

Kambodscha hingegen, unmittelbares Nachbarland im Osten, bekundete offen seine Befürwortung der Siegerpartei. Thaksin und der Kambodschanische Premier Hun Sen sind Golffreunde und Thaksin arbeitete 2009 sogar als Regierungsberater in Kambodscha. Ein weiterer Faktor ist der eskalierte Konflikt um die Tempelanlage Preah Vihear, auf welche Thailand und Kambodscha territoriale Ansprüche erheben. Die UNESCO hatte die Tempelanlage 2008 zum Weltkulturerbe erklärt, was zu einer Entfachung nationalistischer Ambitionen v. a. unter thailändischen Royalisten führte. Der thailändische Premier Abhisit folgte dieser Linie, auf das Wohlwollen seiner Anhänger und Wähler bedacht, so dass eine friedliche Lösung des Konflikte derzeit kaum möglich scheint. Sicherlich wird auch dieser Konflikt und dessen Lösung ein Indikator für die neue Regierung unter der Phau-Thai-Partei angeführten Koalition. Eine Verstimmung der Nationalisten könnte ihr zum Verhängnis werden.

Anmerkungen

1Die PAD, d. h. die sogenannten Gelbhemden sind dem royalistischen Lager zuzuordnen. Die Allianz setzt sich vor allem aus Mitgliedern der Mittel- und Oberschicht Bangkoks und Südthailands zusammen. Die PAD wurde während der Proteste 2009 von einigen konservativen Kräften des Militärs und der aktuell regierenden Demokratischen Partei unterstützt.

2Die Bewegung der Rothemden ist eine breite Massenbewegung aus ländlichen und städtischen Armen. Die Bewegung entzündete sich entland der Verbote der Parteien von Thaksin und seinen Anhängern, was das Ende derer belibter Armutsminderungspoiltik bedeutete, aber auch aufgrund der fehlenden demokratischen Legitimierung der Regierung unter Abhisit. Die Rothemden sind zwar eine stark fraktionierte Bewegung, sie stellt jedoch inzwischen eine erhebliche Macht dar, auch jenseits des Einflusses von Thaksin.