Nachricht | Jugendbildung Mauerbau am 13. August 1961. Innovative Wege und Methoden der Vermittlung am Lernort Schule

Biographische Projektarbeit ist ein Weg der Auseinandersetzung mit der deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte. Ergebisse eines Workshops der RLS.

Information

Landesweit wird beklagt, dass heutige Schüler_innen-Generationen über nur wenige oder gar keine Kenntnisse zur DDR-Geschichte und zur geteilten deutsch-deutschen Nachkriegsgeschichte verfügen. Gemeinsam mit Schulen initiiert die Rosa-Luxemburg-Stiftung deshalb konkrete themenbezogene Projekte, die es Schüler_innen leichter machen, sich diesen Themen zu nähern, sich für Zeitgeschichte zu interessieren.

Mit „einfach leben. hüben wie drüben“ konnten wir für das Herbst-/Winterhalbjahr 2010/11 Hannoveraner Schüler_innen gewinnen, sich im Unterricht und bei einem Bildungswochenende in Berlin mit dem Leben der Menschen in beiden Teilen Deutschlands zu beschäftigen.

Ausgangspunkt war eine Publikation von Erika Maier aus dem Jahr 2007 „einfach leben. hüben wie drüben. zwölf doppelbiographien“. Über ihre Motivation zu diesem Buch schreibt und erklärte sie den fragenden Schüler_innen: „Hüben wie drüben? Ich hätte nicht nach Meiningen und Augsburg fahren müssen, nicht nach Chemnitz und Hamburg, um zu erfahren, dass die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen in Ost und West das Leben von Ärztinnen, Handwerkern und allen anderen ganz wesentlich beeinflusst haben – und fast zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer noch immer beeinflussen! In diesem Sinne war es weder damals, noch ist es heute: Hüben wie drüben.

Es gibt aber auch eine andere Wahrheit. Was die Menschen hier in diesem Buch erzählen, ist etwas ganz Persönliches. Sie offenbaren ihre Lebenspläne, Ideale und Träume – und ob sich diese im Beruf, in der Familie und für ihr Land erfüllt haben. Warum hat sich die Ärztin aus Meiningen ebenso wie die Ärztin aus Augsburg für diesen Beruf entschieden? Wie war der Alltag der Architektin, der Bäuerin in der DDR, wie der Alltag der Architektin, der Bäuerin in der alten Bundesrepublik? Was hat sie behindert, was gefördert; was lag an den gesellschaftlichen Verhältnissen, was an ihnen selbst? Wie leben sie heute, und was denken sie inzwischen über ihr Land?

Da gab es Chancen und Grenzen – hüben wie drüben. Der eine konnte die Chancen nutzen und seine individuellen Lebensentwürfe verwirklichen. Der andere ist an Grenzen gestoßen und hat unter ihnen gelitten.“

Gemeinsam mit Erika Maier haben wir während des Workshops Ergebnisse der biographischen Auseinandersetzungen der  Hannoveraner Schüler_innen mit DDR- und geteilter deutsch-deutscher Nachkriegsgeschichte diskutiert. Die Schüler_innen aus Hannover haben den Workshop-Teilnehmer_innen ihrerseits ein besonders gelungenes Ergebnis ihrer biographischen Annäherungen präsentiert – ein einstudiertes, fiktives  Interview mit den Journalistinnen Maria Moese, Berlin-Ost und Anita Rehm, Berlin-West.

Mit Biographien und Zeitzeug_innen zu Geschichtsthemen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die RLS langjährige Erfahrungen in der Projektkooperation mit Schulen gesammelt. Bei der jüngeren Zeitgeschichte knüpfen wir an diese Erfahrungen an. Lesungen zu den zwölf Doppelbiographien, die Erika Maier veröffentlicht hat, hat die RLS nicht nur in Berlin angeboten. Neben zahlreichen Städten in den nach zwei Jahrzehnten nicht mehr als ganz „neu“ zu bezeichnenden Bundesländern waren auch schon Kooperationspartner_innen in München und Dortmund beteiligt. Letztgenannte Stadt war auch Ausgangspunkt für das zweite Schulprojekt in Kooperation mit der RLS, das während des Workshops am 18.6.2011 vorgestellt und diskutiert wurde.

„DDR-Geschichte an Grundschulen – geht denn das?“ wurde im Herbst-/Wintersemester 2009/2010 als Projekt gemeinsam mit Lehramtsstudent_innen der Technischen Universität Dortmund/Institut für deutsche Sprache und Literatur ins Leben gerufen. Beteiligt waren 20 Student_innen, die erst während ihres Lehramtsstudiums begonnen hatten, sich  mit DDR- und geteilter deutsch-deutscher Nachkriegsgeschichte auseinander zu setzen. Begleitet wurden sie von ihrer Dozentin, Maria Becker. Der Beitrag des Lehramtsstudenten Michael Preuß für den Workshop am 18.6.2011 mit dem Titel „Berliner Impressionen oder `wer bildet eigentlich wen`?“ hat vieles von dem artikuliert, was Kinder aus den alten Bundesländern 1989 gedacht haben mögen:

 „Als in der Nacht zum 10. November 1989 die innerdeutsche Grenze geöffnet wurde und die ersten Bürger der DDR nach Westberlin reisen konnten verstand ich, gerade sechs Jahre alt, - wie vermutlich die meisten meiner Altersgenossen – den Vorgang als rein architektonisches Problem: `Die Mauer ist gefallen!` tönte es allerorts und so blieb auch mir nicht verborgen, dass, obgleich nicht in meinem direkten Lebensumfeld, irgendetwas vor sich ging. In meinem kindlichen Verständnis, das zu diesem Zeitpunkt in jeglicher Hinsicht keine Grenzen kannte, war dies nicht anders zu begreifen, als das irgendwo eine Mauer einfach umgefallen ist. Die Euphorie und die Freude darüber, die auch in meiner Familie deutlich spürbar war, konnte ich weder teilen noch verstehen, auch wenn ich meine Bedenken darüber nicht geäußert habe: Was war das nur, das alle Menschen so unglaublich glücklich darüber machte, dass irgendjemand eine Mauer gebaut hat, die so instabil ist und einfach so umfällt? Ich dachte sogar an den Architekten der Mauer und brachte Mitgefühl für ihn auf. Muss er nicht unglaublich enttäuscht gewesen sein, als sein Werk zugrunde ging? Lange bekam ich darauf keine Antworten. Ich habe auch nie gefragt, denn mir war bewusst, dass es Vorgänge gibt in dieser Welt, die sich mit meiner derzeitlichen Lebenswirklichkeit, in der Mauern und Grenzen nur aus bunten Plastiksteinen bestanden, nicht vereinbaren ließen.“

Erprobt wurde das Projektkonzept „DDR-Geschichte an Grundschulen – geht denn das?“ im Sommer 2010: Im Juni 2010 haben 10 Student_innen an einer Berliner Grundschule einen ganzen Projekttag „DDR- und geteilte deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte“ gestaltet; im Juli dann 10 weitere Student_innen an einer Grundschule in Hattingen (NRW).

Nachdem eigene, persönliche Lernprozesse reflektiert, Methoden der Vermittlung für Grundschüler_innen entwickelt und sogar Modelle gebaut worden waren, eine Vielzahl an themenbezogener Kinderliteratur studiert und für die Unterrichtsplanung aufbereitet war, stand endlich auch der Plan für einen ganzen Projekttag zur Realisierung an.

Ob nun für die Lehramtsstudent_innen, ihre Dozentin oder die Projektpartnerin der RLS, für uns alle waren es Erfahrungen, die uns bei der gemeinsamen Suche nach Wegen und Methoden der Vermittlung von DDR- und geteilter deutsch-deutscher Nachkriegsgeschichte ermutigt haben, sie beim Workshop für Lehrer_innen/Multiplikator_innen historisch-politischer Jugendbildung am 18.6.2011 vorzustellen.

 

Die Teilnehmer_innen dieses Workshops haben sich abschließend geeinigt, dass

  • die Ergebnisse des  Projekts “DDR-Geschichte an Grundschulen – Geht denn das ?” in einem Manuskripteband allen Interessent_innen zugänglich gemacht werden sollen (geplantes Erscheinen: 2012);
  • Lesereisen mit Erika Maier zu ihrer Publikation „einfach leben. hüben wie drüben. zwölf doppelbiographien“ auch künftig allen interessierten Kooperationspartner_innen der RLS angeboten werden sollen;
  • der kulturelle Höhepunkt des Workshops vom 18.6.2011  – eine Führung des Vereins „Berliner Unterwelten e.V.“  zum Thema „Mauerdurchbrüche“  - einen Bildungstag zum Thema „DDR- und geteilte deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte“ hervorragend begleitet und abgerundet hat;
  • auch andere Methoden, wie die Arbeit mit historischen Sachcomics (angeboten z.B. beim Seminar „Allgemeine Didaktik politischer Bildung“ im April 2010 in Schöneiche) geeignet sind, Schüler_innen für jüngere und jüngste Zeitgeschichte zu interessieren.