In einem Sketch, der den ivorischen Komiker Agalawal bekannt machte, verglich dieser das Präsidentenamt mit einem Aufenthalt im Gefängnis. Er verwies dafür auf Nelson Mandela, der vom Gefangenen auf Robben Island nach dem Ende der Apartheid zum Präsident Südafrikas wurde. Beim «Vater» des neuen Südafrikas dauerte dieser Übergang vier Jahre. Ohne die beiden Männer, ihre Heimatländer und deren Geschichte vergleichen zu wollen, so teilen Mandela und Bassirou Diomaye Faye doch ein ähnliches Schicksal: Faye, der am 24. März zum fünften Präsidenten Senegals seit der Unabhängigkeit gewählt wurde, wurde erst zehn Tage zuvor, in der Nacht vom 14. auf den 15. März, nach elf Monaten aus der Haft entlassen. Der bis vor wenigen Monaten bei der breiten Bevölkerung weitgehend unbekannte Politiker hält jetzt die Zügel eines Landes in der Hand, das schwierige Zeiten hinter sich hat. Noch vor wenigen Wochen, als der Ex-Präsident Macky Sall entschied, die auf den 25. Februar 2024 angesetzten Wahlen zu verschieben, stand das Land am Rande einer institutionellen Krise.
Ein unangefochtener Wahlsieg für Bassirou Diomaye Faye
Laut der senegalischen Wahlkommission erhielt der neue Präsident im ersten Wahlgang 54,3 Prozent der Stimmen. Er übertraf damit den bisherigen Premierminister Amadou Ba, der 35,8 Prozent errang. Die übrigen Stimmen waren auf die restlichen 17 Kandidat*innen verteilt. Die Wahlbeteiligung fiel mit 61 Prozent um fünf Prozentpunkte geringer als 2019 aus, aber höher als 2012 (51,6 Prozent) und ähnlich wie 2000 (61,2 Prozent). Dies ist umso bemerkenswerter, als dass das Datum der Wahl äußerst kurzfristig bekanntgegeben wurde und es bis zuletzt unsicher war, ob sie überhaupt stattfinden würde. Die Wahlbehörden leisteten gute Arbeit: Trotz der politischen Ränkespiele verliefen die Wahlen reibungslos.
Dr. Félix Atchadé, Mediziner, ist Redakteur von seneplus.com und des Blogs chroniquesenegalaises.com.
Das Wahlergebnis verdeutlicht zunächst ein West-Ost-Gefälle. An der stark urbanisierten Atlantikküste, Heimat eines Großteils der Senegales*innen, konnte Faye die meisten Stimmen gewinnen. Außerdem beeinflussten die jungen Senegales*innen die Wahlen maßgeblich. Die Jugend steht seit einigen Jahren im Fokus der von Parteiführer Ousmane Sonko entworfenen Strategie der seit Ende Juli 2023 verbotenen Partei PASTEF (Patriotes africains du Sénégal pour le travail, l'éthique et la fraternité), zu der auch Faye gehört. Obwohl Sonko nicht zur Wahl antreten konnte, spielte er während des Wahlkampfs eine wichtige Rolle und wandte sich bei jedem seiner Auftritte speziell an die jungen Wähler*innen. Doch ihre Stimmen allein waren nicht wahlentscheidend: Denn auch wenn die unter 35-Jährigen 70 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind sie wegen zahlreicher Hindernisse im Wählerverzeichnis unterrepräsentiert (Pigeaud/Sylla 2024).
Die PIT (Parti de l'Indépendance et du Travail), Schwesterpartei von Die Linke, spielte weder bei der Wahl noch im Wahlkampf eine Rolle. Seit 2012 hat sie sich in einer «Strategie des großen Zusammenschlusses» verstrickt, wie es die Parteiführung nennt. Dieser konzeptuelle Überbau beschönigt eine weitaus weniger erfreuliche Realität: die Unterwerfung unter die Interessen der herrschende Klasse und der Liberalen. Die PIT geht geschwächt und gespalten aus der Präsidentschaftswahl hervor. Ohne einen eigenen Plan für den Wahlkampf hat es die PIT versäumt, entscheidende Begriffe wie Linkssein, Arbeit und Unabhängigkeit neu zu denken. Sie befindet sich somit in einer strukturellen und parteitheoretischen Sackgasse. Um sich aus dieser Situation zu retten, muss die PIT sich einer radikalen Selbstkritik unterziehen, ihr politisches Denken erneuern und auf jene linken und fortschrittlichen Kräfte zugehen, die sich tatsächlich für die Rechte der Arbeiter*innen und der prekarisierten Bevölkerung einsetzen.
Absage an den Status quo
Der Wahlkampf war bereits in vollem Gange, als Bassirou Diomaye Faye aus der Haft entlassen wurde. Faye wurde als Plan B für die Präsidentschaft aufgestellt, falls Sonko, wie seit Monaten erwartet, nicht zugelassen würde. Bereits einige Monate zuvor lancierten Sonko und Faye den Slogan «Sonko ist Diomaye und Diomaye ist Sonko». Der hatte sich beim Beginn des Wahlkampfs zwar etabliert, jedoch fehlte es an frischem Wind, um die Wähler*innen und die Straße zu mobilisieren.
Entscheidend dafür, dass sich das Blatt wendete, war das vom senegalesichen Parlament am 6. März verabschiedete Amnestiegesetz. Damit wurde das Duo Faye-Sonko am 14. März freigelassen. Einen Tag später hielten die beiden eine Pressekonferenz vor mehreren hundert Journalist*innen und aufgekratzten Sympathisant*innen ab. Die Strategie, die sie präsentierten, war überraschend simpel: Aus Fayes und Sonkos Sicht stellte Amadou Ba die größte Konkurrenz dar, also sollte er das Ziel der «Attacken» sein. Ein umso geeigneteres Ziel, als dass der Kandidat der Regierungskoalition für all das steht, was die PASTEF seit Jahren bekämpft: schlechte Regierungsführung und Korruption. Ba wird nachgesagt, Milliardär zu sein, obwohl er sein gesamtes Berufsleben für den Staat gearbeitet hat; daher sein Spitzname «der Mililiardärfunktionär». Während die Kampagne des schlussendlichen Wahlsiegers an Fahrt gewann, schien die seines größten Gegners aufgrund der Passivität der Regierungsspitzen zu versanden. Aus bisher unbekannten Gründen war von der Partei des scheidenden Präsidenten (Alliance pour la République, APR) kaum etwas zu sehen. Erst nachdem Präsident Sall auf dessen Ersuchen hin erneut seine Unterstützung für Ba beteuerte, rührten sich die APR und die Regierungskoalition.
Ab dem 16. März 2024 waren Faye und Sonko mit einer Autokarawane inklusive Lautsprecherwagen unterwegs. Bei jedem Halt vollzogen sie dasselbe Ritual: Am Eingang des Ortes begrüßte sie ein Empfangskomitee, dann zogen sie durch die Hauptverkehrsstraßen bis zum größten öffentlichen Platz. Den ganzen Weg dröhnten aus dem Lautsprecherwagen Parolen und Songs, die vom Ruhm des Tandems kündeten. Auf dem Platz angekommen, erklärten die wichtigsten PASTEF-Köpfe das politische Programm und verteilten Seitenhiebe in Richtung des gegnerischen Lagers. Erst ganz zuletzt sprachen Sonko und Faye.
Fayes Wahlversprechen bestand letztlich im Bruch mit einem Status Quo, dessen «Kontinuität» sein Hauptgegner Ba verteidigte, der jedoch für die Mehrheit der Senegales*innen den Fortbestand ihrer schwierigen Lage bedeuten musste. Mehr als ein Drittel der Bevölkerung (6,3 Millionen Menschen) lebt von weniger als 2.000 Franc CFA (etwa 3 Euro) pro Tag. Von den tausenden jungen Menschen, die jedes Jahr auf den Arbeitsmarkt drängen, findet nur eine verschwindende Minderheit Arbeit. Wer eine formale Anstellung findet, erhält einen gewissen Schutz vor Risiken (wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Arbeitsunfälle) und sichert sich eine Rente. Alle anderen können von Glück sprechen, wenn sie im informellen Sektor Arbeit finden, wo das Einkommen unregelmäßig und der Sozialschutz auf ein Minimum beschränkt ist. In Westafrika kämpfen Länder wie Mali, Burkina Faso und Niger mit aufständischen dschihadistischen Terrorgruppen, die dank sozialer Spannungen, Einmischung von außen und fehlender staatlicher Präsenz ein leichtes Spiel haben. In einigen abgelegeneren Gegenden Senegals herrschen ähnliche Bedingungen, sodass die Sorge wächst, dass es auch hier zu einer vergleichbaren Gewaltspirale kommen könnte.
Für Demokratie und ein Ende von «Françafrique»
Eines der meistdiskutierten Wahlkampfthemen war das Verhältnis zu Frankreich, vor allem im Zusammenhang mit der Währung Franc CFA – ein Thema, das symbolisch für den Graben steht, der zwischen Faye und Ba liegt. Ersterer tritt für die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit Senegals und eine Ablösung vom Franc CFA ein; letzterer steht für Kontinuität und eine Wahrung des Status Quo. Doch mit dem Franc CFA sichert sich Frankreich seine Vormachtstellung in den ehemaligen afrikanischen Kolonien. Da Frankreich als Garant der Währung fungiert, kann es sich als «Währungspolizei» aufspielen und hält so die Wirtschaft fest im Griff. Der Franc CFA begünstigt eine Verlagerung der Wertschöpfung mit Rohstoffen ins Ausland und hemmt den Handel mit den anderen Ländern der CFA-Zone. De facto ermöglicht er es multinationalen Konzernen und willfährigen afrikanischen Eliten, ihr Geld nach Europa zu schaffen. Die Zentralbanken der CFA-Zone verfolgen eine äußerst restriktive Geldpolitik, die eine echte Entwicklung der Industrie und Landwirtschaft sowie den sozialen Fortschritt verhindert. Mehr wirtschaftliche Unabhängigkeit und Eigenständigkeit sind also nur möglich, wenn der Franc CFA abgeschafft wird.
Auch Fayes Pläne für Ernährungs- und Energiesouveränität wurden vielfach kommentiert und analysiert. Der Schutz der natürlichen Ressourcen durch einen Stopp von ausländischen Fischereilizenzen hätte spürbare Folgen für die Gesellschaft. In Senegal leben sehr viele Menschen von der Fischerei. Die Überfischung durch europäische, chinesische oder russische Trawler führt zu Ressourcenknappheit und lässt viele lokale Fischer*innen verarmen. Um ihr Überleben zu sichern, arbeiten manche im Mittelmeer als Schlepper. In seinem Wahlprogramm verspricht Faye, den Fischereisektor «profitabel und nachhaltig» zu gestalten. Auch eine Neu-Verhandlung der Verträge mit Öl-, Gas- und Bergbaufirmen wird diskutiert.
Die Wahlkampfthemen des PASTEF-Kandidaten griffen in vielerlei Hinsicht – insbesondere bei den Themen Rechtstaatlichkeit, Demokratie und gute Regierungsführung – die Wünsche der Senegales*innen auf. Der Afro-Barometer-Umfrage von Anfang Juni 2023 zufolge waren 53 Prozent der Senegales*innen der Ansicht, dass Senegal «keine Demokratie» oder «eine Demokratie mit großen Problemen» sei.
Ein Erdbeben in der Region und für die Beziehungen zu Europa
Die Wahl von Bassirou Diomaye Faye kommt einem politischen Erdbeben nicht nur in Senegal, sondern in der gesamten Region gleich. Erstmals in der Geschichte Senegals gelang es einem so jungen Kandidaten (er wurde am Tag nach der Wahl 44 Jahre alt), bereits bei seinem ersten Versuch Präsident zu werden. Faye hat keinerlei Erfahrung als Minister oder Abgeordneter, dafür kann er auf eine Karriere als Funktionär und Gewerkschaftsführer zurückblicken. Als neuer senegalesischer Präsident muss er seine Versprechen halten: demokratische Erneuerung, die Ablösung von Frankreich und dem Westen allgemein sowie ein Wirtschaftswachstum, das mehr Menschen zugutekommt.
In Mali, Burkina Faso und Niger nutzen die Militärregierungen die Abwendung von Frankreich als ideologische Rechtfertigung. Von dem her ist die Wahl für die Gesamtregion von Bedeutung: Sie zeigt, dass ein Umbruch auch mit demokratischen Mitteln gelingen kann. Radikale Forderungen, die Kritik des Franc-CFA und die Infragestellung der Unterordnung unter die wirtschaftlichen und politischen Interessen Frankreichs finden bei Wähler*innen Anklang. In diesem Sinne ist das Geschehen in Senegal revolutionär. Linke europäische Parteien stehen bisher wenig bis gar nicht in Verbindung mit diesen neuen Kräften. Es ist höchste Zeit, dass sie ihre Sichtweise auf die politischen Konstellationen in Afrika aktualisieren und die gesellschaftlichen Veränderungen ernstnehmen.
Bassirou Diomaye Faye ist bewusst, dass er ein Ersatz für Ousmane Sonko war, der aufgrund einer Verleumdungsklage nicht zur Wahl antreten durfte. Fayes Wahlsieg stellt insofern einen politischen Triumph für Sonko dar, der dadurch einmal mehr seine Führungsqualitäten unter Beweis stellt. Sonko hat sein politisches Ansehen und seine Bekanntheit in die Waagschale geworfen: Er engagierte sich im Wahlkampf, als kandidiere er selbst – und verhalf so dem neuen Präsidenten zum Sieg. Anfang April ernannte Faye in seiner ersten Amtshandlung Sonko zum Premierminister.
Viele Beobachter*innen und Senegales*innen treibt die Frage um, wie sich diese Beziehung in Zukunft entwickeln wird. Ein ivorisches Sprichwort besagt: «Das Präsidentschaftsamt ist keine Sitzbank, sondern ein Sessel – es hat nur ein Hintern Platz». Entsprechend betrachten manche eine Trennung des Duos lediglich als Frage der Zeit. Aber das ist alles andere als klar: Eine häufige Kritik des politischen Systems Senegals ist seine starke Betonung der Präsidialherrschaft. Sollte das Tandem mit den angekündigten Reformen der demokratischen Institutionen Ernst machen und diese ausgewogener gestalten, könnte es vielleicht Bestand haben. Ein Weg wäre, die Macht des Präsidenten zu reduzieren und jene des Parlaments und des Premierministers auszuweiten, jedoch ohne das Präsidialamt zu einer rein repräsentativen Funktion verkommen zu lassen.
Übersetzung von Tabea Magyar für Gegensatz Translation Collective.