Analyse | Kapitalismusanalyse - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Rosalux International - UK / Irland - Europa2024 Großbritanniens Wirtschaft am Abgrund

Innenpolitische Krisen und globale Turbulenzen decken Mängel des britischen Wirtschaftsmodells auf

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James Meadway,

Der britische Premierminister Rishi Sunak kündigt auf einer Pressekonferenz vor dem Gebäude Downing Street 10 Neuwahlen an, 22.05.2024. Foto: IMAGO / SOPA Images

Der britische Premierminister Rishi Sunak hat die Parlamentswahlen für den 4. Juli angesetzt. Auch wenn der frühe Zeitpunkt viele überrascht hat, bestehen am Ausgang der Wahl kaum Zweifel: Labour verfügt in den Umfragen über einen deutlichen Vorsprung von 20 Prozentpunkten und dürfte aller Voraussicht nach eine Mehrheit im Parlament gewinnen; nur die Höhe des Sieges scheint derzeit offen. Der große Vorsprung hat allerdings mehr mit der weit verbreiteten Verachtung der Konservativen zu tun als mit echter Begeisterung für Keir Starmers Labour-Partei. Das aktuelle Programm von Labour bleibt weit hinter den Anforderungen zurück, vor denen Großbritanniens Wirtschaft aufgrund eines langfristigen institutionellen Versagen steht.

James Meadway ist Host des wöchentlichen Wirtschaftspodcasts «Macrodose» und Ratsmitglied des Progressive Economy Forum.

Großbritannien ist eine Volkswirtschaft mit niedrigen Löhnen, niedrigen Investitionen und niedriger Produktivität, einer bröckelnden Infrastruktur, versagenden nationalen Wirtschaftsinstitutionen und – in einer Zeit wachsender globaler Unsicherheit – einer ausgeprägten Anfälligkeit für Krisen im Rest der Welt. Viele Jahre lang hat sich das Land auf die Ressourcen verlassen, die einer großen entwickelten Volkswirtschaft zur Verfügung stehen, und auch auf das historische Erbe des Empire in Form seines mächtigen Finanzsystems. Aber viel mehr tat es nicht.

Die verschiedenen Krisen – von der Finanzkrise über den Brexit bis hin zur Pandemie – haben die Mängel des Wirtschaftsmodells offengelegt. Ohne einen radikalen Kurswechsel kann es bestenfalls so weitergehen wie bisher – mit hohen Kosten für die meisten Menschen, die hier leben. Im schlimmsten Fall wird es in Zukunft zu einem größeren Ausfall und möglicherweise zum Zerfall des Staates selbst kommen, da die Forderungen nach nationaler Unabhängigkeit in Schottland und Wales immer lauter werden.

Die Investitionsschwäche und ihre Folgen

Die Ursachen für den relativen wirtschaftlichen Niedergang des Vereinigten Königreichs sind nicht schwer zu finden und lassen sich auf ein einziges Problem reduzieren: Großbritannien ist seit Jahrzehnten eine chronisch investitionsschwache Volkswirtschaft. Wie die folgende Abbildung zeigt, hatte das Vereinigte Königreich zwischen 1995 und 2022 in fast jedem Jahr die niedrigsten Investitionsausgaben unter den großen entwickelten Volkswirtschaften. Ohne Investitionen werden Maschinen nicht ersetzt, neue Gebäude nicht gebaut, Kraftwerke nicht errichtet und die Infrastruktur einer modernen Volkswirtschaft verfällt allmählich.

Abbildung 1: Investitionsausgaben (öffentlicher und privater Sektor) in Prozent des BIP, 1970–2022.
 
 

 

 

Quelle: IPPR, 2024

Dies zeigt sich im Vereinigten Königreich sehr deutlich. Schulgebäude mit einer Lebensdauer von wenigen Jahrzehnten, die vor den 1990er Jahren billig gebaut wurden, sind inzwischen marode: An drei Schulen stürzten kurz vor Beginn des neuen Schuljahres 2023 die Dächer ein. Der Sanierungsstau im nationalen Gesundheitssystem beläuft sich inzwischen auf 11,6 Milliarden Pfund. Wie jeder Reisende außerhalb Londons schnell feststellt, ist der öffentliche Nahverkehr in weiten Teilen des Landes in einem erschreckend schlechten Zustand.

Aufgrund niedriger öffentlicher Investitionen haben sich auch die Investitionsanreize für Unternehmen verringert. Der Anteil der Unternehmensinvestitionen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist zwischen 1990 und 2020 von 12 auf 9 Prozent gesunken. Die Ausgaben für neue Anlagen und Maschinen, einschließlich Informationstechnologie, sanken besonders stark von durchschnittlich 8 Prozent des BIP in den 1980er Jahren auf weniger als 4 Prozent ab 2009.

Ohne neue Investitionen bleibt der wichtigste Motor für Produktivitätszuwächse über einen längeren Zeitraum aus, nämlich Investitionen in neue Anlagen, Fabriken, Transportsysteme usw. Das Ergebnis ist ein dramatisch niedriges Produktivitätswachstum, das seit der Finanzkrise praktisch bei null liegt. Dies wiederum war ein entscheidender Faktor für den Lohndruck: Bei einem so geringen Produktivitätszuwachs hatten die Unternehmen, zumindest vor der Pandemie, wenig Spielraum für Lohnerhöhungen.

Die Dominanz des Finanzsektors

Die Investitionsschwäche reicht Jahrzehnte zurück, konnte aber eine Zeit lang kaschiert werden. Zumindest vor der Finanzkrise 2007/08 wurden die Investitionsschwäche und das niedrige Produktivitätswachstum durch eine Kombination aus expandierenden Finanzdienstleistungen, steigenden Immobilienpreisen, billigen, so genannten «flexiblen» Arbeitskräften und der nur teilweisen Integration Großbritanniens in die EU-Strukturen kompensiert. Mit der dominanten internationalen Position des britischen Finanzsektors als Eckpfeiler sorgten die Regierungen unter Tony Blair für ein relativ schnelles Wirtschaftswachstum, steigende Reallöhne und beträchtliche Erhöhungen der öffentlichen Ausgaben in dem günstigen weltwirtschaftlichen Umfeld der 2000er Jahre.

Der Zugang zu den EU-Märkten ohne Mitgliedschaft in der Eurozone bot den Finanzdienstleistern vorübergehend das Beste aus beiden Welten – ein Offshore-Finanzzentrum für Europa und den Rest der Welt mit privilegiertem Zugang zum größten Binnenmarkt der Welt. Die Regierung Blair stellte die neoliberale Ausrichtung der britischen Wirtschaftspolitik, die spätestens seit Margaret Thatcher auf Privatisierung und Deregulierung setzte, nicht ernsthaft in Frage und sah auch keine Notwendigkeit dazu.

Leider stand dieser Erfolg auf tönernen Füßen: Als die globale Finanzkrise 2007/08 ausbrach, war das Vereinigte Königreich aufgrund der großen Bedeutung seines Finanzsystems besonders betroffen. Die Rezession war gravierend und trieb die Staatsverschuldung in die Höhe, und nach einer kurzen Phase steigender Investitionsausgaben unter Gordon Brown nahm die 2010 gewählte Koalitionsregierung aus Konservativen und Liberaldemokraten umgehend Kürzungen öffentlicher Ausgaben vor – einschließlich realer Kürzungen von 20 Milliarden Pfund bei den ohnehin niedrigen Investitionsausgaben. Es erfolgten die gravierendsten Einschnitte bei den Sozialausgaben seit der Großen Depression.

Die Wirtschaftsstrategie der Regierung bestand darin, den Status des Finanzsystems so schnell wie möglich wiederherzustellen, die Insider-Outsider-Beziehung Großbritanniens zu Europa aufrechtzuerhalten und das Land so nah wie möglich an das schnell wachsende China heranzuführen – insbesondere, um ihm seine Dienste als Finanzdienstleister anzubieten. Austeritätspolitik war dabei ein entscheidendes Element: Durch Ausgabenkürzungen in der Gegenwart sollte die Staatsverschuldung für die Zukunft reduziert und damit dem Finanzsystem glaubhaft versichert werden, dass es in Zukunft geschützt werden könne.

Die Sparmaßnahmen bei den Sozialleistungen haben zu einem katastrophalen Anstieg der Armut geführt.

Es waren allerdings die Sparmaßnahmen selbst, die den zweiten Aspekt der ökonomischen Strategie torpedierten. Die verständliche Verbitterung über die Ausgabenkürzungen war ein entscheidender Faktor für die Zustimmung zum EU-Austritt beim Brexit-Referendum 2016. Ironischerweise ist es für London nach dem EU-Austritt schwieriger geworden, eine von Washington unabhängige außenpolitische Position zu vertreten. Der scharfe antichinesische Kurs der US-Regierungen seit Donald Trump bedeutete das Aus für das vermeintliche «goldene Zeitalter» der britisch-chinesischen Beziehungen.

Dieses strategische Versagen der Koalitionsregierung und der nachfolgenden Tory-Regierungen ist ein wesentlicher Faktor für die derzeitige schwierige Gesamtlage Großbritanniens. Denn die Kürzungen bei den öffentlichen Investitionen wurden nicht durch eine Flut chinesischer Investitionen – oder Investitionen aus anderen Ländern – ausgeglichen.

Die Sparmaßnahmen bei den Sozialleistungen haben zu einem katastrophalen Anstieg der Armut geführt, wobei die Inanspruchnahme von Tafeln, den kostenlosen Lebensmittelausgaben durch karitative und kirchliche Einrichtungen, von 60.000 Bedürftigen im Jahr 2010 auf 2,99 Millionen im Jahr 2023 angestiegen ist. Im Vergleich zu den Staatsausgaben der vorherigen Labour-Regierung beläuft sich der Verlust für die britische Wirtschaft durch die Sparmaßnahmen auf insgesamt 500 Milliarden Pfund. Die Reallöhne stagnierten sofort und sind seither weiter gesunken.

Abbildung 2: Durchschnittlicher Reallohnindex für entwickelte G20-Volkswirtschaften, 2008–2022.
 
 

 

 

Quelle: Internationale Arbeitsorganisation, Global Wage Report 2022–2023

Da die Versäumnisse jedoch bereits seit langem bestehen, reicht es nicht aus, die Verantwortung den jeweiligen konservativen Regierungen zuzuschieben (wie es die Labour-Partei erwartungsgemäß tut). In Großbritannien gibt es ein tiefgreifendes institutionelles Versagen, das mit der führenden Rolle des Finanzsystems und den engen Beziehungen zwischen dem mächtigen Finanz- und Wirtschaftsministerium, dem Treasury, und der (zunehmend dominanten) Zentralbank, der Bank of England, zusammenhängt.

Wie bereits erwähnt, war die vermeintliche Notwendigkeit, das riesige Finanzsystem aufrechtzuerhalten, die treibende Kraft hinter den Sparmaßnahmen der letzten 14 Jahre, wobei das Finanzministerium seine Aufgabe darin sieht, die Stärke des britischen Finanzsystems zu sichern. Dies ist auch der Grund für die starke Konzentration auf London, da die interne Entscheidungsfindung Gebiete und Sektoren begünstigt, die bereits wirtschaftlich erfolgreich sind.

Die Bank of England hat mit ihrer Geldpolitik der quantitativen Lockerung dazu beigetragen, die Sparmaßnahmen zu ermöglichen, indem sie die Wirtschaft stützte, während die Staatsausgaben gekürzt wurden. Durch die Begünstigung steigender Immobilienpreise förderte sie die wachsende Ungleichheit im Land. Im September 2022 intervenierte die Bank aggressiv gegen die britische Regierung und befeuerte die Finanzpanik, um die Regierung von Liz Truss unter Druck zu setzen.[1]

Die Folgen der Pandemie

Als die Pandemie Anfang 2020 ausbrach, reagierten sowohl das Finanz- und Wirtschaftsministerium als auch die Bank schnell und unterstützten die Lockdowns und Staatsausgaben auf hohem Niveau, einschließlich eines (relativ) großzügigen Arbeitsplatzerhaltungssystems, das denjenigen, die in einem regulären Arbeitsverhältnis standen, aber nicht arbeiten konnten, ihr volles Einkommen bis zu einer großzügig bemessenen Obergrenze zahlte. Davon ausgenommen waren etwa 3,8 Millionen Menschen, die aufgrund des «flexiblen» britischen Arbeitsmarktes nicht in einem konventionellen Beschäftigungsverhältnis standen und nun auf das erschreckend lückenhafte herkömmliche Sozialsystem angewiesen waren.

Die Bank of England nutzte ihre Befugnisse zur Geldschöpfung in Form der quantitativen Lockerung, um die immensen Kosten der Hilfsmaßnahmen in den Jahren 2020 und 2021 zu decken. Die langfristigen Kosten der Pandemie sind, wie überall, hoch, einschließlich geschätzter Zusatzkosten für das staatliche Gesundheitssystem (NHS) und 1,9 Millionen Long-Covid-Patient*innen in Höhe von 10 Milliarden Pfund pro Jahr.

Als die Lebensmittelpreise nach den verschiedenen ökologischen Krisen in die Höhe schnellten, wurde auch die massive Importabhängigkeit Großbritanniens deutlich.

Wahrscheinlich mehr als in jeder anderen großen Industrienation haben die Pandemie und ihre Folgen die Abhängigkeit Großbritanniens von überlasteten Grundversorgungssystemen deutlich gemacht. Obwohl der Anteil erneuerbarer Energien deutlich gestiegen ist – was eher der wirtschaftlichen Logik sinkender Kosten zu verdanken ist als den Regierungen, die vor Boris Johnson über den «grünen Mist» der Energiewende spotteten –, erzeugt das Vereinigte Königreich immer noch 35 Prozent seines Stroms aus Gas, von dem mehr als die Hälfte importiert wird.

Die Auswirkungen der Energiepreisschocks in den Jahren 2021 und 2022 trafen Haushalte und Unternehmen aufgrund des stark «liberalisierten» und privatisierten Energieversorgungssystems, das kurzfristige Erhöhungen der Spot-Preise für Energie direkt an die Verbraucher*innen weitergab, unmittelbar. Die Regierung Truss reagierte mit der Bereitstellung von 150 Milliarden Euro für eine Energiepreisgarantie; sie brach mit der jahrzehntelangen neoliberalen Doktrin, um eine Preisobergrenze einzuführen, die sich jedoch als höchst ineffizient und ungerecht erwies.

Als die Lebensmittelpreise nach den verschiedenen ökologischen Krisen in die Höhe schnellten, wurde auch die massive Importabhängigkeit Großbritanniens deutlich. Das Land ist für 80 Prozent seiner Nahrungsmittel auf Importe aus dem Ausland angewiesen, wenn man neben den direkten Käufen auch Düngemittel und andere Betriebsmittel berücksichtigt. Steigende Weltmarktpreise, die wiederum durch ein stark «liberalisiertes», von wenigen monopolistischen Supermarktketten dominiertes Lebensmittelsystem gefiltert werden, führen zu einem rapiden Anstieg der Lebenshaltungskosten. Infolge dieser Preissteigerungen sind die Reallöhne drastisch gesunken, obwohl die Arbeitskämpfe in der Industrie nach der Pandemie wieder auflebten. Jüngsten Prognosen zufolge werden die Realeinkommen wahrscheinlich nicht vor 2028 wieder das Niveau von 2008 erreichen – dies würde einen Verlust von zwei Jahrzehnten bei der Verbesserung des Lebensstandards bedeuten, was in der modernen Geschichte Großbritanniens beispiellos wäre und in keinem anderen G7-Land zu verzeichnen ist.

Die Labour-Partei und die Zukunft

Dieses Versagen in Verbindung mit aufeinanderfolgenden Krisen führte zu mehr als einem Jahrzehnt politischer Turbulenzen im Vereinigten Königreich. Dazu gehören das schottische Unabhängigkeitsreferendum von 2014, die Wahl des Linkspolitikers Jeremy Corbyn zum Vorsitzenden der Labour-Partei, seine knappe Niederlage bei der Wahl 2017, das Austritts-Votum von 2016, die Schwierigkeiten bei der Aushandlung des Brexit-Abkommens und die Wahl des konservativen Premierministers Boris Johnson im Dezember 2019.

Johnson hatte ein vages, aber klares Mandat für Veränderungen, die über den Brexit hinausreichten und sich auf «Ausgleichsmaßnahmen» (Investitionen außerhalb Londons) und eine deutliche ökologische Wende konzentrieren sollten. Seine und die folgende Regierung haben diese Ziele weitgehend verfehlt. Rishi Sunak ist kaum mehr als ein Kandidat der Institutionen, und es ist ihm nicht gelungen, das Schicksal der Konservativen in irgendeiner Weise zu wenden. Die Partei ist heute extrem unpopulär und fällt in den jüngsten Umfragen auf 19 Prozent – ihr schlechtestes Ergebnis seit dem Zweiten Weltkrieg –, sodass ein Sieg der Labour-Partei bei den nächsten Wahlen so gut wie sicher ist.

Dies würde die Stabilisierung der grundlegenden Strukturen und Institutionen des Landes gewährleisten. Die Labour-Partei von Keir Starmer versucht nun offen, genau dies zu erreichen, indem sie sich bewusst als Partei des «kompetenten» Managements dieser Strukturen präsentiert. Sie hat ihren früheren progressiven Radikalismus aufgegeben, einschließlich des Versprechens eines sehr umfangreichen 28-Milliarden-Programms für grüne Investitionen, und ist entschlossen, die Pläne der Konservativen für weitere Ausgabenkürzungen beizubehalten und sogar auszuweiten. Sie hat sich wiederholt dazu verpflichtet, die führende Rolle des Finanzsektors in der britischen Wirtschaft beizubehalten.

In einer unsicheren Welt, die von geopolitischen und in zunehmendem Maße ökologischen Krisen heimgesucht wird, ist das Vereinigte Königreich unter den großen entwickelten Volkswirtschaften am verwundbarsten.

In einem deutlichen Bruch mit der vorausgehenden Praxis spricht die Parteiführung von Labour (ohne sich auf eine Erhöhung der Staatsausgaben festzulegen) von der Notwendigkeit staatlicher Maßnahmen zur Unterstützung der Schlüsselsektoren, insbesondere zur Rückverlagerung der verarbeitenden Sektoren in Regionen außerhalb des Südostens. Wie dies ohne substanzielle Ausgabenerhöhungen erreicht werden soll, ist unklar, aber die eingeschlagene Richtung deutet zumindest auf eine fortgesetzte Abkehr vom Neoliberalismus hin.

Da aber langfristige Probleme wie chronisch niedrige Investitionen auf institutionelles Versagen hindeuten, kann der Versuch, diese versagenden Institutionen kompetent zu managen, eigentlich nur bedeuten, das Versagen kompetent zu verwalten. Darüber hinaus haben die Pandemie und die Zeit danach noch grundlegendere Probleme der britischen Wirtschaft ans Licht gebracht: die starke Abhängigkeit von importierten Gütern, insbesondere Energie und Nahrungsmitteln, und vor allem den zunehmend desolaten Zustand der öffentlichen Versorgung. Die Labour-Partei hat weder einen substanziellen Plan zur Lösung dieser Probleme, noch, soweit erkennbar, ein klares Verständnis für das Ausmaß der Probleme Großbritanniens.

In einer unsicheren Welt, die von geopolitischen und in zunehmendem Maße ökologischen Krisen heimgesucht wird, ist das Vereinigte Königreich aufgrund seiner internationalen Abhängigkeit, seiner bröckelnden öffentlichen Versorgung und der sich verschlechternden Qualität seiner institutionellen Steuerung unter den großen entwickelten Volkswirtschaften am verwundbarsten. Auch wenn die Labour-Partei die nächste Wahl voraussichtlich – und vielleicht sogar deutlich – gewinnen wird, scheint es unwahrscheinlich, dass es für sie eine erfolgreiche Regierungszeit wird. Ihre Wählerschaft ist bereits zersplittert, insbesondere in Bezug auf den Gazastreifen, und neue Krisen sind quasi vorprogrammiert.

Wie Boris Johnson bewiesen hat, ist unter den gegenwärtigen Umständen eine klare Mehrheit bei einer Wahl keine Garantie für einen Wahlsieg bei der nächsten. Es gibt reale Chancen für die Kräfte links von der Labour-Führung, aber derzeit ist es – wie auch im übrigen Europa – die radikale Rechte, die in Gestalt von Reform UK vom Scheitern der Labour-Partei zu profitieren droht.

Übersetzung von Camilla Elle und Margarete Gerber für Gegensatz Translation Collective.


[1] Vereinfacht dargestellt, generiert die Bank of England im Rahmen der quantitativen Lockerung (QE) wie andere Zentralbanken neues Geld (in Höhe von 800 Milliarden Pfund seit 2009), das sie bei großen Finanzinstituten gegen Staatsschulden eintauscht. Diese Institute verwenden das neue Geld in der Regel zum Erwerb von Vermögenswerten mit höheren Renditen – in Großbritannien sind das Immobilien. So werden die Immobilienpreise durch QE in die Höhe getrieben. – Zur Intervention gegen die britische Regierung vgl. die außerordentliche Maßnahme des Gouverneurs der Bank of England, Andrew Bailey, der nach der «Mini-Budget»-Krise im September 2022 damit drohte, den Pensionsfonds die finanzielle Unterstützung zu entziehen. Dieser Punkt wurde vom ehemaligen Gouverneur der Federal Reserve Bank of Minneapolis Narayana Kocherlakota angesprochen.