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Während Chişinău schnellstmöglich der EU beitreten will, ist die Bevölkerung zurückhaltender gegenüber Brüssel

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​​​​​​​Teilnehmer*innen einer vom moldawischen Präsidenten Maia Sandu organisierten pro-europäischen Kundgebung in Chişinău, 21. Mai 2023.
Teilnehmer*innen einer vom moldawischen Präsidenten Maia Sandu organisierten pro-europäischen Kundgebung in Chişinău, 21. Mai 2023. Foto: IMAGO / SNA

Am 14. Dezember 2023 beschloss der Europäische Rat die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine und der Republik Moldau. Diese Entscheidung kam keineswegs überraschend, sondern war durchaus vorhersehbar, da Moldaus Beitritt im Paket mit dem der Ukraine verhandelt wird, und die dortigen Entwicklungen das Verfahren direkt beeinflussen.

Vitalie Sprînceană lebt in Chişinău und ist Soziologe, Aktivist und Redakteur bei PLATZFORMA.

Im selben Zug vertagte der Rat weitere Beitrittsverhandlungen mit Bosnien und Herzegowina, Nordmazedonien und den Westbalkanstaaten (Albanien, Montenegro und Serbien) auf einen unbestimmten Termin in der Zukunft, «sobald das erforderliche Maß an Erfüllung der Beitrittskriterien erreicht ist». Gleichzeitig behauptete aber auch niemand, die Republik Moldau erfülle die offiziellen Kriterien einer EU-Mitgliedschaft, die nach den Gründungsverträgen die Durchführung komplexer Reformen erfordert und mit der Einhaltung strenger Auflagen einhergeht. Im Zeitraum seit der Verleihung des Beitrittskandidatenstatus durch den Europäischen Rat am 23. Juni 2022 hat die Regierung keine Wunder auf den Gebieten der Rechtsstaatlichkeit, der Wirtschaft sowie der Bekämpfung von Korruption und organisiertem Verbrechen vollbracht. Fragt man Expert*innen, Aktivist*innen und Journalist*innen vor Ort, berichten sie eher das genaue Gegenteil.  

Die Geschwindigkeit, mit der die EU im Falle Moldaus von der Gewährung des Kandidatenstatus zu Beitrittsverhandlungen überging, hat offensichtlich nichts mit tatsächlichen Fortschritten zu tun, sondern verdankt sich ausschließlich Erwägungen, die in Brüssel hinter verschlossenen Türen angestellt werden (Funktionär*innen führen häufig «geostrategische Gründe» an, obwohl auch hier die Bedeutung nicht ganz klar ist). Dies beschädigt auch die offizielle Darstellung des Beitrittsverfahrens als leistungsbasiertem Prozess. In serbischen Ohren muss das wie Hohn klingen, da sich das Land seit 2012 im Kandidatenstatus befindet und sich in seinem Verhältnis zur EU seit Kriegsbeginn in der Ukraine nichts bewegt hat.

Jenseits der politischen Elite hält sich die Begeisterung über einen EU-Beitritt aber eh in Grenzen. Nur die Hälfte der Bevölkerung spricht sich dafür aus, während viele die geopolitischen Konsequenzen eines solchen Schritts fürchten. Angesichts seiner geographischen Lage und Geschichte wäre es ein Irrtum anzunehmen, Moldau werde einfach die Entwicklung seiner osteuropäischen Nachbarstaaten wiederholen, die der EU in den 2000er Jahren beitraten.

Allgemeiner Mangel an Informationen

Nach dem Beschluss des Europäischen Rates änderte sich in Chişinău wenig. Die Politiker*innen gingen zum Tagesgeschäft über (das von Korruptionsskandalen dominiert wird), und auch die Bevölkerung scheint die Frage des EU-Beitritts kalt zu lassen.

Die wenigen seit 2022 erhobenen Umfragen verzeichnen keinen Begeisterungsschub. Im «Barometer der Öffentlichen Meinung», einer bereits seit 2001 regelmäßig durchgeführten Meinungsumfrage, gaben etwa 51 Prozent der Befragten drei Monate nach Gewährung des Kandidatenstatus an, in einem etwaigen Referendum für einen EU-Beitritt abstimmen zu wollen. Ein Jahr später fiel dieser Wert leicht auf 49,7 Prozent ab. Tatsächlich wurde der Spitzenwert mit 65 Prozent im Juni 2021 erzielt, bevor Moldau überhaupt Kandidatenstatus erreicht hatte. In einer anderen Umfrage von Februar 2024 lagen die Zustimmungswerte mit 54,5 Prozent auf einem spürbar niedrigeren Niveau.

Einheimische wie internationale Beobachter*innen wollen in Moldau eine «Zerrissenheit» zwischen «Ost» und «West» wahrnehmen. Nahezu jeder Artikel, der in der ausländischen Presse über das Land erscheint, greift auf dieses journalistische Klischee zurück. Unterdessen changiert die Bedeutung dieser Begriffe – manchmal umfasst der Westen die USA und schließt dabei Viktor Orbáns Ungarn oder Alexander Vučićs Serbien aus, während der Osten sich in der Regel auf Russland und Belarus, nicht jedoch auf die Ukraine bezieht.

Die Lage vor Ort ist natürlich komplizierter. Moldau ist entlang mannigfaltiger Linien gespalten (Ethnizität, Sprache, Klasse, Territorium), wobei diese Trennungen oftmals seit Jahrzehnten bestehen und durch einen EU-Beitritt nicht einfach aufgehoben werden können. Darüber hinaus ist die EU als supranationale politische und wirtschaftliche Vereinigung aus 27 Mitgliedsstaaten eine extrem komplexe Einrichtung, die nur wenige Moldauer*innen durchschauen. Gleichwohl scheint niemand daran interessiert zu sein, den Menschen die Bedeutung und die Funktionsweise der EU zu erklären.

Die Delegation der Europäischen Union in Moldau, Brüssels offizielle «Botschaft» in Chişinău, informiert die Öffentlichkeit nicht über die EU, ihre inneren Konflikte, Krisen und Herausforderungen, sondern agiert mehr wie eine Werbeagentur und preist lediglich die Vorteile der europäischen Integration. Den Leser*innen EU-finanzierter moldauischer Medien muss ein Leben im Staatenverbund nur aus Besichtigungen historischer Schlossanlagen, touristischen Attraktionen und der Verkostung lokaler Spezialitäten bestehend erscheinen. Die Moldauer*innen erfahren kaum etwas über die großen Probleme der EU: das Demokratiedefizit, die unverhältnismäßige Macht der Wirtschaftslobbys, die Schwierigkeiten kleiner landwirtschaftlicher Betriebe, Deindustrialisierung oder die Auswirkungen der Krise von 2008/9, insbesondere auf die südeuropäischen Mitgliedsstaaten.  

Es scheint beinahe, als wollten EU-finanzierte Medien in Moldau lediglich eine Marke verkaufen, statt die Bürger*innen sachlich darüber zu informieren, was ein Beitritt zur EU bedeuten würde. Doch das wäre wichtig, weil nur ein komplexes Bild der EU mit all ihren Krisen und Problemen, Vorteilen und Beschränkungen zukünftigen Enttäuschungen und Unmut vorbeugen kann.  

Kaum Transparenz und noch weniger Teilhabe

Es mag banal klingen, aber Transparenz ist eine der größten Herausforderungen eines moldauischen EU-Beitritts.

Die Verhandlungen über die Vertiefte und umfassende Freihandelszone (DCFTA) und über das im Juni 2014 unterzeichnete Assoziierungsabkommen der Republik Moldau mit der EU verliefen wenig transparent. Die Vertragsinhalte wurden erst im letzten Moment öffentlich bekanntgegeben und die Moldauer*innen blieben somit im Unklaren darüber, was ihre Vertreter*innen aushandelten. Auf Außenstehende wirkten diese überstürzten Verhandlungen eher wie eine Kapitulation, bei der die moldauische Delegation alles zu unterschreiben bereit war, um die Gunst ihrer europäischen Amtskolleg*innen in höhere Erfolgschancen bei den bevorstehenden Wahlen umzumünzen. Mit Blick auf das abschließende DCFTA-Abkommen werden wir wohl nie erfahren, was bei den Verhandlungen hätte erreicht werden können, wären sie in anderer Art und Weise geführt worden.       

Der EU-Beitritt Moldaus geht nicht auf eine Graswurzelbewegung zurück, sondern ist das Projekt eines Teils der politischen Elite, mit allenfalls geringer zivilgesellschaftlicher Teilhabe. Daher sind Bedenken gerechtfertigt, mangelnde Transparenz und fehlende Einbindung der Zivilgesellschaft könnten auch den gegenwärtigen Verhandlungen ihren Stempel aufdrücken, was einmal mehr eher einer Kapitulation als einem Dialog ähneln würde, bei dem beide Seiten Kompromisse eingehen müssten.

Es ist sicher richtig, dass Moldau ein armes Land mit einer wenig diversifizierten Wirtschaft ist und daher wenig Verhandlungsmacht besitzt. Das macht Transparenz und zivilgesellschaftliche Teilhabe (in Form von öffentlichen Anhörungen und Bürgerkontrolle) jedoch umso dringlicher. Einige Aspekte der moldauischen Ökonomie und Gesellschaft sind zudem äußerst diffizil. So ist Moldau wahrscheinlich das einzige Land in Europa mit einer ländlichen Bevölkerungsmehrheit und die Beschlüsse dürfen weder die Interessen der Kleinbauernschaft verletzen noch die Bedingungen der moldauischen Arbeiter*innen verschlechtern. Dies kann nur garantiert werden, wenn der Beitrittsprozess vor den Augen der Öffentlichkeit stattfindet.

Soll der EU-Integrationsprozess in Moldau an Popularität gewinnen, so dürfen nicht ausschließlich «geostrategische Gründe» im Zentrum stehen, sondern es müssen auch Arbeitnehmerrechte, sowie Fragen der Landwirtschaft und der sozialen Sicherheit einbezogen werden – auch mit Blick auf eine Million Landsleute, die gegenwärtig bereits in der EU arbeiten und von denen die meisten informell in der Bau- und Pflegebranche beschäftigt sind.

Das Vertrauen der Minderheiten gewinnen

Am 7. März 2024 reiste Moldaus Präsidentin Maia Sandu nach Paris, um dort mehrere bilaterale Abkommen zur wirtschaftlichen und verteidigungspolitischen Zusammenarbeit zu unterzeichnen, deren Inhalt der weiteren Öffentlichkeit verborgen blieb. Auch Sandus Statement auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Emmanuel Macron waren keine weiteren Details zu entnehmen. Die Präsidentin teilte lediglich mit, die Vereinbarungen enthielten «die kraftvolle Botschaft, dass Moldau stärker wird und Frankreich dabei an seiner Seite hat».

Teile der moldauischen Gesellschaft sind zurecht besorgt über ein moldauisch-französisches Militärabkommen. Diese Sorge erhielt zuletzt neue Nahrung durch Macrons Äußerungen über eine Entsendung von NATO-Truppen in die Ukraine. Sie gaben Anlass zu der Befürchtung, das Abkommen könnte Bestimmungen enthalten, die Moldau in den Schauplatz eines möglichen Krieges zwischen Russland und der NATO verwandeln würden.

Beinahe zeitgleich reiste die Gouverneurin (Başkan) der Autonomen Territorialen Einheit Gagausien innerhalb der Republik Moldau, Evghenia Guțul, in die entgegengesetzte Richtung – nach Moskau – um dort ihrerseits von Wladimir Putin Schutz zu erbeten. Bei einem kurzen Treffen mit dem russischen Präsidenten ersuchte Guțul Schutz vor den «illegalen Machenschaften der moldauischen Autoritäten, die uns dafür bestrafen, dass wir unsere Bürgerrechte wahrnehmen und für unsere nationalen Interessen einstehen». Mutmaßlich soll Putin seine volle Unterstützung zugesagt haben (wir müssen den Angaben der Gouverneurin Glauben schenken, da die offizielle Homepage der russischen Präsidentschaft nichts über den Gehalt der Unterredung verlauten lässt).

Dies hat wiederum in anderen Teilen der moldauischen Gesellschaft die Angst befördert, Moskau könnte nach dem Angriff auf die Ukraine nun versuchen, Moldau zu destabilisieren und die inneren Spannungen, vor allem zwischen Gagausien und der Zentralregierung, anheizen. Einige sehen in Guțuls Vorstoß den Versuch, es Sandus Suche nach machtvoller internationaler Unterstützung gleichzutun, indem sie Putin ermuntert, über eine Militärintervention im Namen Gagausiens (oder wenigstens über die Androhung einer solchen) nachzudenken. Transnistrien, ein völkerrechtlich nicht anerkannter, de facto aber unabhängiger Staat, der sich in den frühen 1990er Jahren von Moldau gelöst hat und von russischer Protektion abhängig ist, stellt ein weiteres Risiko für die regionale Sicherheit dar.

All diese Entwicklungen schüren Ängste, die wiederum Verdacht und Misstrauen in der Gesellschaft säen. In den Augen der Zentralregierung ist die gagausische Bevölkerung stark prorussisch eingestellt und nicht bereit, zusammen mit dem Rest des Landes der EU beizutreten. In einem 2014 abgehaltenem Referendum stimmten etwa 98 Prozent der Teilnehmer*innen für einen Beitritt Gagausiens zu Russlands Eurasischer Wirtschaftsunion sollte Moldau aufhören, als souveräner Staat zu existieren. In ihren Augen besteht die Regierung in Chişinău aus prorumänischen Nationalist*innen, die eifrig auf eine Vereinigung mit Rumänien hinarbeiten.

Beide Ängste sind größtenteils unbegründet und verdanken sich eher wechselseitigem Misstrauen, als der Gefahr einer wirklichen Einmischung fremder Mächte. Mehrere moldauische Regierungen sind nacheinander daran gescheitert, eine Strategie zur Einbindung Gagausiens zu entwickeln und beargwöhnten sowohl die beachtliche steuerliche, politische und ökonomische Autonomie der Region, als auch ihre Unterstützung durch mächtige russische und türkische Förderer*innen. Langfristig angelegte Projekte des moldauischen Staates zur Bildung von Vertrauen und sozialem Zusammenhalt waren rar (einzig ausländische Geldgeber wie die EU, das Vereinigte Königreich oder die USA scheinen daran Interesse zu haben). Teile der moldauischen Elite bezeichnen Gagaus*innen als ausländische Agent*innen, oder noch schlimmer als «Gäste auf moldauischem Territorium».  

Abgesehen davon hat Gagausien jedoch selbst mit zahlreichen hausgemachten Problemen zu kämpfen. Die regionale Autonomie wurde von zynischen und korrupten Politunternehmer*innen für den wirtschaftlichen und politischen Machtgewinn auf Kosten der einfachen Leute missbraucht, die (mindestens) genau so arm sind wie der Rest der moldauischen Bevölkerung. Darüber hinaus hat die wachsende «prorussische» Orientierung der Region den eigenen vorgeblichen Existenzzweck untergraben, nämlich die gagausische Identität zu hegen und zu pflegen. Eine 2022 durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, dass die gagausische Sprache in der Region auf dem Rückzug ist, da sie nur im Privaten und überwiegend mündlich gebraucht wird, während Russisch in der öffentlichen Kommunikation überhandnimmt.

Aufschlussreich hinsichtlich des fehlenden Rückhalts für den EU-Beitritt in Gagausien sind Umfragedaten, so unzuverlässig sie bisweilen sein mögen. Tatsächlich fallen die entsprechenden Zustimmungsraten unter ethnischen Minderheiten durchgehend niedriger aus, während engere Beziehungen mit Russland sich hier umgekehrt größerer Beliebtheit erfreuen. Eine im Februar 2024 durchgeführte Umfrage fand heraus, dass unter jenen Befragten, die nicht rumänische Muttersprachler*innen waren, lediglich 24,6 Prozent in einem Referendum für den EU-Beitritt stimmen würden, 56,3 Prozent jedoch dagegen. Würde über einen Beitritt zur Eurasischen Wirtschaftsunion abgestimmt, so votierte dieselbe Teilgruppe der Befragten zu 69,8 Prozent dafür, nur 13,6 Prozent wären dagegen. In Bezug auf eine Unterstützung der NATO zeigt sich in dieser Teilgruppe das gleiche Muster: 81,3 Prozent würden dagegen stimmen, wobei auch 47,3 Prozent der Befragten aus der ethnischen Mehrheitsbevölkerung diese Meinung kundtaten.

Könnte es somit sein, dass die spezielle Herausforderung, die gagausische Minderheit einzubinden und zu integrieren, in Wirklichkeit Teil einer viel größeren Herausforderung ist, vor die Moldau sich im Umgang mit Minderheiten wie den Rom*nja, Bulgar*innen oder Ukrainer*innen gestellt sieht? Beispielsweise erhalten ethnische Minderheiten insbesondere in Gagausien unzulänglichen Rumänischunterricht. Es herrscht Lehrermangel und die Regierung unternimmt wenig, damit Minderheiten ihre Sprache und Kultur erlernen, bewahren und weiterentwickeln können. Daher ist es kein Wunder, dass ethnische Minderheiten sich vernachlässigt fühlen und sich andernorts nach Unterstützung und Hilfe umsehen. Wer ihnen dafür Vorwürfe macht, übertüncht diese Probleme nur, statt sie zu lösen.

Einen nationalen Konsens schaffen

Die Verlautbarungen der gegenwärtigen moldauischen Regierung zu Sicherheit und Aufrüstung, interpretieren viele als bedrohliche Anzeichen für eine engere Zusammenarbeit mit der NATO, die von einer Mehrheit in allen ethnischen Gruppen abgelehnt wird.

Moldaus Militärausgaben haben sich in den letzten zehn Jahren mehr als vervierfacht und dieser Prozess hat sich nach der russischen Invasion in der Ukraine 2022 noch beschleunigt. 2023 stiegen die Ausgaben im Vergleich zum Vorjahr um 68,2 Prozent und machen nun 0,55 Prozent des BIP aus. Für 2024 wird ein Anstieg um weitere 262 Millionen Leu (etwa 14 Millionen Euro) vorhergesagt, wonach das Militärbudget 0,65 Prozent des BIP betragen würde. Diese Zahlen sind zwar recht niedrig (zumindest im Vergleich mit den Nachbarstaaten), doch das Verteidigungsministerium drängt darauf, den Anteil der Militärausgaben am Haushalt auf mindestens 1 bis 2 Prozent des BIP zu erhöhen. Letztes Jahr schaffte Moldau mit dem Luftraumüberwachungsradarsystem Ground Master 200 aus der französischen Waffenschmiede Thales erstmals ernstzunehmende moderne Militärausrüstung im Wert von 14 Millionen Euro an, und die Armee plant den Ankauf mindestens zweier weiterer Systeme ähnlichen Typs.

Moldau als kleines und relativ armes Land wird sich militärisch nicht selbst gegen Russland oder andere schlagkräftige Nachbarstaaten verteidigen können. Deswegen sind nicht horrende Militärausgaben (die ohnehin die Mittel des Landes übersteigen) um den Preis des inneren sozialen Friedens die beste Lösung, sondern ein international anerkanntes Neutralitätsabkommen, das es Moldau erlauben würde, seine Ressourcen dort einzusetzen, wo sie am nötigsten gebraucht werden. 

Geld in das Militär zu investieren, bedeutet, es aus anderen, heute bereits unterfinanzierten Bereichen abzuziehen: aus der sozialen Daseinsvorsoge, von den Renten und Löhnen, aus der Kultur sowie dem Bildungs- und Gesundheitswesen. Da sich derzeit kein Wirtschaftswunder am Horizont abzeichnet, läuft die moldauische Obrigkeit Gefahr, die soziale Sicherheit auf dem Altar der militärischen zu opfern. Eine solche Entscheidung ist weder ratsam noch wäre sie vernünftig, da sie das gesellschaftliche Gefüge schwächen und es Menschen erschweren würde, weiterhin in dem Land zu leben, das die neuen, teuren Waffen angeblich verteidigen sollen. 

Einen vernünftigen Ausweg aus dieser verfahrenen Situation könnte ein politischer Kurs bieten, der die EU-Integration mit einer Beibehaltung der Neutralität des Landes verbindet, da es für beide Positionen anscheinend Mehrheiten gibt. Dem Einwand, dass kein anderes osteuropäisches Land EU-Mitglied geworden ist, ohne zugleich der NATO beizutreten, wäre ein Ausspruch Vaclav Havels entgegenzuhalten, der die Politik einmal als «Kunst des Unmöglichen» bezeichnete. Ungewöhnliche Zeiten, wie es die unseren fraglos sind, erfordern ungewöhnliche Maßnahmen. Der EU-Beitritt einer neutralen Republik Moldau könnte eine solche Maßnahme sein.

Das Ergebnis wird selbstverständlich nicht allen Moldauer*innen ideal erscheinen – die proeuropäisch Eingestellten unter ihnen werden einige Kompromisse eingehen und die europäische Integration von der NATO-Mitgliedschaft entkoppeln müssen. Gleichzeitig könnten sich jene Gruppen, die Angst vor der NATO und Großmachtrivalitäten haben, in einigermaßen enthusiastische EU-Befürworter*innen verwandeln, wenn der neutrale Status des Landes verbürgt wäre. So könnte ein nationaler Konsens zur EU-Integration Moldaus in Umrissen aussehen.
 

Übersetzung aus dem Englischen von Maximilian Hauer und Sabine Voß für Gegensatz Translation Collective.