Analyse | Wirtschafts- / Sozialpolitik - Stadt / Kommune / Region - Wohnen Neuer Mietspiegel in Berlin: Letzter Gruß von Rot-Rot-Grün

Eine Atempause für die Mieter*innen, aber keinesfalls eine Entwarnung

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Philipp Möller,

«Die Miete ist zu hoch!» Demonstration gegen Mietenwahnsinn, Verdrängung und Wohnungsnot in Berlin, 1. Juni 2024
«Die Miete ist zu hoch!»
Demonstration gegen Mietenwahnsinn, Verdrängung und Wohnungsnot in Berlin, 1. Juni 2024 Foto: Stefan Thimmel

Berlin hat einen neuen Mietspiegel. Entgegen vieler Befürchtungen fällt dessen durchschnittliche Steigerungsrate mit 0,7 Prozent vergleichsweise moderat aus. Die Medianmieten steigen lediglich um sechs Cent von 7,16 €/m² auf 7,21 €/m². Gleichzeitig erreichen die Mieten im Neubau Rekordwerte und die Zahl an günstigen Wohnungen sinkt weiter. Politisch belegt der moderate Anstieg des Mietspiegels die Wirksamkeit der mietenpolitischen Eingriffe der rot-rot-grünen Regierungszeit von 2016 bis 2021.

Für Mieter*innen ist die Veröffentlichung eines neuen Mietspiegels in der Regel kein guter Tag. Zurecht als «Mieterhöhungsspiegel» gebrandmarkt, folgt häufig kurz danach für viele ein Schreiben ihrer Vermieter*innen, die versuchen den Mietzins auf das Niveau der «ortsüblichen Vergleichsmiete» anzupassen. Der Mietspiegel gilt für zwei Jahre und soll das «ortsübliche» Mietniveau angeben, das an einem Stichtag erhoben wird. Dabei wird in einzelnen Mietspiegel-Feldern nach Lage, Wohnungsgröße, Alter des Gebäudes und Ausstattung von Wohnung sowie Gebäude differenziert, wobei letztere Ab- und Aufschläge auf den Mietzins erlauben. Dabei spricht man von der «Spanneneinordnung». In die Erhebung fließen alle veränderten und neuabgeschlossenen Mieten der vergangenen sechs Jahre ein. Davon ausgenommen sind öffentlich geförderte Mieten, etwa im sozialen Wohnungsbau. Der Mietspiegel im Vergleichsmietensystem bildet damit nicht die tatsächliche, sondern die «marktorientierte modifizierte Durchschnittsmiete» ab, weil lediglich die veränderten oder neuvereinbarten Mieten der letzten sechs Jahre einfließen. Er orientiert sich am «Marktgeschehen». Günstige Mieten, die über den Zeitraum hinweg konstant blieben und damit oftmals vergleichsweise günstig sind, fließen nicht mit in die Erhebung ein.

Philipp Möller ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sprechers für Mieten&Wohnen der Linksfraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, freier Journalist und Co-Host von «Schöner Wohnen – Der Podcast zur Wohnungsfrage»

Mietspiegel werden erstellt, um für Rechtsfrieden zu sorgen. Vermieter*innen können mit ihnen Mietsteigerungen begründen, Mieter*innen können auf ihrer Basis Mieterhöhungsverlangen prüfen und gegebenenfalls gegen sie vorgehen. Die Spanneneinordnung sorgt dennoch häufiger für Streit, denn die Einschätzung der Ausstattung ist nicht ganz einfach und je nach Ausstattungszustand liegen die untere und obere Spanne der Mietpreise in den einzelnen Mietspiegel-Feldern deutlich auseinander. Neben der Begründung von Mieterhöhungen dient der Mietspiegel auch zur Anwendung der Mietpreisbremse, die grundsätzlich eine Vermietung zu maximal zehn Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete erlaubt.

Beim Berliner Mietspiegel 2024 handelt es um einen qualifizierten Mietspiegel, das heißt er wurde mittels statistischer Methoden erfasst, was ihn besonders gerichtsfest macht. Um den Mietspiegel zu erstellen, erhob ein vom Berliner Senat beauftragtes Institut insgesamt 16.000 Daten zu Mieten und Ausstattung bei Mieter*innen wie Vermieter*innen. Seit der letzten Mietspiegelreform im Jahr 2021 sind sowohl Mieter*innen als auch Vermieter*innen auskunftspflichtig, wenn sie für die Befragung kontaktiert werden. Für die Erhebung wurden im Rahmen der Mietspiegel-Reform erstmals einheitliche Kriterien definiert. Das hat zur Folge, dass die neue Mietspiegel-Tabelle etwa die Baualtersklassen und Größen deutlich differenzierter auflistet und damit genauere Auskünfte über das ortsübliche Vergleichsmietniveau erteilen kann. Die Mietpreis-Spannen sind durch die neue Erhebungsmethode deutlich größer geworden, in einigen Feldern trennen den unteren und oberen Spannenwert mehr als vier Euro. So liegen etwa die Werte im Mietspiegel-Feld für 60 Quadratmeter große Wohnungen mit Baujahr 1919 bis 1949 in guter Wohnlage zwischen 6,47 €/m² und 11,16 €/m².

Mit einer durchschnittlichen Steigerung um lediglich sechs Cent bzw. 0,7 Prozent liegt der Mietspiegel 2024 unter dem Durchschnitt der vergangenen Jahre. Seit 2019 betrug die durchschnittliche Steigerung etwa 1,3 Prozent pro Jahr. Der letzte Mietspiegel 2023 erlaubte sogar eine Steigerung von 5,4 Prozent. Doch auch wenn sich die Durchschnittswerte im neuen Berliner Mietspiegel nur leicht nach oben entwickelt haben und in vereinzelten Feldern sogar leicht gesunken sind, sticht bei genauerem Hinsehen ins Auge, dass sich insbesondere die Oberwerte in einzelnen Baualtersklassen und für kleine Wohnungen deutlich nach oben entwickelt haben. Der Berliner Mieterverein weist in seiner Pressemitteilung zum Mietspiegel darauf hin, dass die Nachfrage nach kleinen Wohnungen besonders groß ist, da mehr als Hälfte der Berliner Haushalte Einpersonenhaushalte sind und solche Wohnungen suchen. «Auf dem angespannten Berlin Wohnungsmarkt wird die Situation der Wohnungssuchenden ausgenutzt, um teilweise völlig überhöhte Mieten zu vereinbaren», so Wibke Werner, Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. Das verweist auf ein Problem bei der Erhebungsmethodik. Denn auch Mieten, die unter Verstoß gegen die Mietpreisbremse vereinbart wurden oder anderweitig rechtswidrig sind, fließen in die Erstellung von Mietspiegeln mit ein. Deshalb fordern Mieterorganisationen bereits seit Langem gesetzeswidrige Mieten aus der Mietspiegeln herauszufiltern.

Mit dem Mietspiegel 2024 wird eine neue Baualtersklasse für Neubauten eingeführt, die zwischen 2016 und 2022 fertiggestellt wurden. Sowohl in mittleren als auch in guten Wohnlagen überschreiten einzelne Oberwerte hier die Marke von 20 Euro pro Quadratmeter und knacken fast die Marke von 25 €/m². Diese Werte sind einerseits ein Ausweis für die seit Jahren explodierenden Baukosten, die die Neubaumieten immer weiter in die Höhe treiben. Gleichzeitig verweisen sie auf die hohen Renditeerwartungen in der privaten Projektenwicklung. Diese Entwicklung dürfte sich aufgrund der gestiegenen Bauzinsen in den kommenden Jahren weiter zuspitzen. Mit Durchschnittswerten von deutlich über 13 Euro pro Quadratmeter in einfachen Wohnlagen und knapp 17 €/m² in guten Wohnlagen belegen die Neubaumieten des neuen Mietspeigels die fehlenden Entlastungseffekte des freifinanzierten Wohnungsbaus auf angespannten Wohnungsmärkten. Dort fehlen vor allem günstige Wohnungen für Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen, die sich solche Mieten nicht leisten können. Dem Credo der Bundesregierung sowie des Berliner Senats die Wohnungskrise durch «Bauen, Bauen, Bauen» zu lösen, stehen diese Zahlen deutlich entgegen. Stattdessen verweisen sie auf die Notwendigkeit, gezielt den bezahlbaren, das heißt den kommunalen und geförderten Wohnungsbau anzukurbeln, der gegenüber dem freifinanzierten Neubau tatsächlich zur sozialen Wohnraumversorgung beiträgt. Zugleich belegen die hohen Durchschnittswerte im Neubau, dass die soziale Wohnraumversorgung im Wesentlichen aus dem Bestand erfolgen muss.

Um einschätzen zu können, wie es um die Wohnraumversorgungslage bestellt ist, reicht der Blick auf die Entwicklung der einzelnen Mietspiegelfeldern allein nicht aus. Der Elefant im Raum ist vielmehr die Frage: Wie viele Wohnungen verbergen sich hinter den einzelnen Tabellenwerten? Der Stadtsoziologe Andrej Holm hat die Daten genauer analysiert. Beim Vergleich der Mietspiegel 2013 und 2024 stellt er fest, dass die Zahl an Wohnungen, die für untere Einkommensgruppen leistbar sind, kontinuierlich abschmilzt. Gab es 2013 berlinweit noch 915.000 Wohnungen mit Mieten zwischen vier und sechs Euro pro Quadratmeter, sind es heute nur noch etwas mehr als 300.000. Der Bestand an günstigem Wohnraum hat sich also in elf Jahren um knapp zwei Drittel verringert. Gleichzeitig stieg die Zahl von Wohnungen mit Mieten über neun Euro pro Quadratmeter von etwas mehr als 2.000 auf rund 142.000 Wohneinheiten. Hinzukommt die Aufwertung von immer mehr Kiezen, deren Wohnlage von «einfach» auf «mittel» oder sogar «gut» herausgestuft wurde, was mit deutlichen Sprüngen der ortsüblichen Vergleichsmiete einhergeht. Insbesondere in den Bezirken Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg sind im Vergleich zu 2023 mittlerweile große Areale rot eingefärbt, was sie als «gute» Wohnlagen kennzeichnet. Im Vergleich zum Mietspiegel 2023 sticht vor allem Marzahn-Hellersdorf am Stadtrand heraus, wo viele einfache Wohnlagen zu mittleren und mittlere zu guten Wohnlagen heraufgestuft wurden. Insgesamt ist das Bild jedoch differenziert, da etwa im Bezirk Lichtenberg auch Areale herabgestuft wurden.

Politisch stellt sich die Frage, wie sich der im Vergleich zu früheren Jahren geringere Anstieg der Durchschnittsmieten im neuen Mietspiegel erklären lässt. Dafür lassen sich eine ganze Reihe an Erklärungsansätzen finden: Die Mietspiegelreform auf Bundesebene von 2021 hat offenbar Wirkung gezeigt. Durch die Ausweitung des Betrachtungszeitraums fließen nun auch Mieten in den Mietspiegel ein, die zuletzt vor fünf oder sechs Jahren verändert wurden und damit oftmals unter dem Niveau von erst kürzlich erhöhten Mieten liegen dürften. Die Auskunftspflicht bei der Erhebung hat die Datenlage für die Stichprobe verbessert. Landespolitisch dürften vor allem zwei Maßnahmen der rot-rot-grünen Koalition sowie der rot-grün-roten Koalition, die zwischen 2016 und 2023 Berlin regierten, einen dämpfenden Effekt erzielt haben: Erstens die im Jahr 2021 vorgenommene Indexierung des Mietspiegels. Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel im Jahr 2021 kassierte und das Land Berlin zunächst ohne Mietspiegel dastand, schrieb der Senat den alten Mietspiegel von 2019 in Anlehnung an die allgemeine Preisentwicklung fort. Die damals geringe Inflationsrate erlaubte dabei eine pauschale Erhöhung aller Mietspiegelfelder um lediglich 1,1 Prozent und schränkte damit die Mieterhöhungsspielräume für Vermieter*innen deutlich ein. Zweitens wirkte sich offenbar die durch die Landesregierung verhängte Mietregulierung des öffentlichen Wohnungsbestands dämpfend auf die Gesamtentwicklung des Wohnungsmarktes aus. Durch die politischen Vorgaben mit ihren heute knapp 365.000 Wohnungen galten für die landeseigenen Wohnungsunternehmen zwischen 2017 und Ende 2023 scharfe Mietbegrenzungen. Durch die Kooperationsvereinbarung durften die Mieten seit 2017 bis zur Einführung des Mietendeckels nur um maximal zwei Prozent pro Jahr steigen. Nachdem das Bundesverfassungsgericht den Mietendeckel kassierte, beschloss der Senat dessen wesentliche Elemente im Mietendimmer für den öffentlichen Wohnungsbestands weiterzuführen. Neuvermietungen bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen durften nur zu maximal zehn Prozent unter der ortsüblichen Vergleichsmiete erfolgen. Durch den Mietendeckel abgesenkte Mieten konnten nicht ad hoc auf das Vor-Mietendeckel-Niveau angehoben werden. Für den übrigen Bestand galt ein temporärer Mietenstopp. Nach dessen Auslaufen durften die Mieten maximal um ein Prozent pro Jahr steigen. Wie Marek Schauer, der die Berliner Mietergemeinschaft in der Mietspiegelrunde vertritt, erläutert, versuchten die Vermieterverbände in den Mietspiegel-Verhandlungen die gedeckelten Mieten bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen aus der Mietspiegel-Erhebung herauszuhalten, blieben damit aber erfolglos.

Die niedrige, durchschnittliche Steigerung des Mietspiegels ist ein Beleg für die mietpreisdämpfende Wirkung stark regulierter, öffentlicher Wohnungsbestände und bietet gute Argumente für deren Ausweitung durch kommunalen Neubau, Ankäufe und die Vergesellschaftung von Wohnraum. Die jederzeit mögliche Indexierung des Mietspiegels in Zeiten niedriger Inflation zeigt, dass es auch bei der Mietspiegel-Erhebung Spielräume gibt, die sich im Sinne der Mieter*innen nutzen lassen. Gleichzeitig zeichnet sich bereits ab, dass die seit 2023 regierende schwarz-rote Koalition die moderate Steigerung des Mietspiegels für Liberalisierungen in der Wohnungspolitik nutzen werden. Als eine der ersten wohnungspolitischen Maßnahmen deregulierte der CDU/SPD-Senat die landeseigenen Wohnungsunternehmen. Die neue Kooperationsvereinbarung eröffnet ihnen große Spielräume für Mieterhöhungen im Bestand und die Vorgaben bei den Neuvermietungsmieten wurden gestrichen. In der Folge verschickten die landeseigenen Unternehmen zu Beginn des Jahres 2024 rund 130.000 Mieterhöhungen in Höhe von bis zu elf Prozent. Weitere Mieterhöhungen auf Basis des neuen Mietspiegels könnten in den kommenden Wochen folgen. Damit verliert der öffentliche Wohnungsbestand seine mietpreisdämpfende Wirkung. Schritt für Schritt sollen die Mieten bei den landeseigenen Wohnungsunternehmen an das allgemeine Marktniveau herangeführt werden.

Zwar kann die moderate Entwicklung des Mietspiegels durchaus als Atempause für Mieter*innen gesehen werden. Als Entwarnung ist das aber keinesfalls anzusehen. Vielmehr geht die Schere zwischen Bestandsmiete und Angebotsmiete, die bei Neu- und Wiedervermietungen aufgerufen wird, immer weiter auseinander. Die durchschnittliche Angebotsmiete liegt laut IBB-Wohnungsmarktbericht mittlerweile bei rund 14 €/m². Damit tut sich zwischen Angebots- und Bestandsmiete eine Verwertungslücke auf, die den Verdrängungsdruck im verhältnismäßig günstigen Wohnungsbestand deutlich erhöht. Umzüge werden durch die auseinanderklaffende Schere deutlich erschwert. Damit bleibt die Notwendigkeit von weiteren regulatorischen Eingriffen in Bestands- und Neuvermietungsmieten sowie in einen Ausbau von sozial-regulierten Wohnungsbeständen durch Neubau, Re-Kommunalisierung und Vergesellschaftung weiter auf der Tagesordnung.