Nachricht | International / Transnational - Krieg / Frieden Im Schatten von 9/11

Dossier zum zehnten Jahrestag der Anschläge auf die Türme des World Trade Center beleuchtet Aspekte der «War on Terror»-Kampagne.

Zum zehnten Jahrestag der Anschläge des 11. September 2001 drängt sich ein Rücklick auf. Der dramatische Auftakt zum neuen Jahrtausend bestimmte des Denken und Handeln weltweit. In seinem Schatten folgte ein Jahrzehnt internationaler Kriege. Rechtsnormen wurden aufgekündigt und bald schon ergänzten andere Symbole die Bilder der brennenden Hochhäuser in New York: die orangenen Anzüge der Gefangenen in Guantanamo, Männer mit Stromkabel an den Händen in Abu Ghraib.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung bilanziert mit einem Dossier diese vergangen zehn Jahre aus unterschiedlichen Perspektiven. Die Texte verfolgen den Weg einer neuen Weltordnung, vom Fall der Berliner Mauer, über die Etablierung einer einzigen verbliebenen Supermacht bis zum Niedergang der Wirtschaftsmacht USA.

In dieser Entwicklung ließ sich die Neu-Erfindung einer westlichen Welt beobachten. In Abgrenzung zu einem als archaisch und terroristisch beschriebenen Islam entwarf sich eine Wertegemeinschaft neu: Als Mittelpunkt seines Selbstbildes erwählte «der Westen» paradoxerweise eben jene Menschenrechte, die durch die eigene Politik für große Teile der Weltbevölkerung erneut suspendiert wurden.

Die ganze Tragweite der Veränderungen, eng verbunden mit einer Krise des neoliberalen Wirtschaftmodells, sprengen den Rahmen dessen, was hier erörtert werden kann. Die vorliegenden Texte und Dokumentationen sollen eine Anregung bieten, zu erinnern und zu reflektieren, wie nach einem allseits als missraten eingeschätzten Start die kommenden zehn Jahre für eine sozial gerechtere und demokratischere Entwicklung genutzt werden können.  

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Rainer Rilling: «Eleven nine und US-Decline»

Dynamo des American Empire

9/11 - wenige Ereignisse hinterlassen solche Spuren. Die Zerstörung der Türme war ein neues Kapital, dessen Ausbeutung kein Ende nehmen wird – schließlich stehen sie für einen massiven Schub der Entgrenzung von Gewalt. Differenz, Asymmetrie und Ungleichheit werden Gewaltgründe und –techniken. Das Alphabet der politischen Feindschaft wurde neu buchstabiert. Die neuen Kriegsarrangements nach 1989 bekamen erst mit 9/11 ihr normales Gesicht: Afghanistan, Irak, Libyen. Für die USA fanden sich alte und neue Wörter: Supermacht, Unipolarität, Empire. Die Macht einer neuen Rechten, deren Aufstieg im USA der 60er begonnen und zwei Jahrzehnte später in der Administration Reagan seinen ersten Höhepunkt erreicht hatte, kumulierte in der Zeit der Bush, Cheney und Rice. Für sie war 9/11 gleichsam der Dynamo des Projekts eines American Empire, das in immer neuen Varianten und Schüben im letzten Jahrhundert von der ruling class der USA verfolgt wurde. Die Rückkehr des Liberalismus an die Regierungsmacht unter Obama hat keine dauerhafte Umgruppierung im politischen Kräftespektrum der USA gebracht. Die Bewegungsrechte ist vor allem in Form der Tea Party wieder erstarkt, eine machtfähige Bewegungslinke oder ein aussichtsreiches Parteiformierungsprojekt auf der Linken gibt es nicht. Dank höchstrichterlicher Rechtssprechung ist Politik mehr denn je finanzgesteuert.

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Erhard Crome: «9/11 – historische Umstände und Folgen»

General David Petraeus, der als Militärplaner und Kommandeur maßgeblich an den Kriegen der USA in Irak und Afghanistan beteiligt war, wurde am 6. September 2011 im Weißen Haus in Washington als neuer CIA-Chef vereidigt. In einer Ansprache erklärte er, Amerikas Krieg gegen den Terrorismus sei nicht zu gewinnen, sondern werde „ewig“ dauern.  Damit wurde die strategische Perspektive, welche die Administration des Präsidenten George W. Bush der weltweiten Kriegsführungsstrategie der USA gegeben hatte – nämlich von einem permanenten Krieg der USA auszugehen, der räumlich, zeitlich und von den eingesetzten Mitteln her unbegrenzt ist –, von der Obama-Administration übernommen. Diese Aussage vom Vorabend des 10. Jahrestages der Ereignisse des 11. September 2001 hat unübersehbar eine politische Symbolik. Die imperiale Kontinuität ist größer, als es Barack Obamas «Yes, we can»-Wahlkampagne 2008 hatte vermuten lassen.

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Sebastian Horn: «So also stirbt die Freiheit»

Auf die Frage, wie die Terroranschläge vom 11. September auf ihn gewirkt hätten, antwortete der Komponist Karlheinz Stockhausen wenige Tage nach den Anschlägen:“ Also was da geschehen ist, ist natürlich - jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen - das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat…“. Die Bemerkung löste erwartungsgemäß einen Sturm der Entrüstung aus, auch wenn Stockhausen eigentlich gar nicht so weit von dem entfernt war, was seit den Anschlägen immer wieder zu hören war. Während wohl kaum jemand in diesem Verbrechen Kunst entdecken wollte, lag die Assoziation zum Spektakel des Katastrophenfilms doch nahe. „Wie in einem Hollywood Film“ wurde nahezu ein geflügeltes Wort nach den Anschlägen.
Auch wenn es vielleicht nicht immer dezidiert so formuliert wurde, drückte diese Äußerung doch die Einsicht aus, dass die Anschläge ein mediales Ereignis ersten Ranges darstellten und auch gezielt als solches inszeniert worden waren, eine Geiselnahme des Ereignisses durch das Bild wie Baudrillard so treffend anmerkte . Die amerikanische Regierung hatte aber nicht vor, sich die mediale Deutungshoheit in dem sich nun entwickelnden Konflikt entreißen zu lassen und wandte sich direkt an „ihre“ Medienspezialisten: die großen Hollywood Studios. Und die Studios hörten den Ruf, auch wenn das Ergebnis vielleicht nicht dem entsprach, was die Regierung sich vorgestellt hatte.

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Koray Yılmaz-Günay: «Antimuslimischer Rassismus: Ein neues Phänomen nach dem 11. September 2001»

Die deutschen Debatten über «den Islam» sind geprägt von einer verkürzten Wahrnehmung und Deutung der «Muslime». Es sind Fragen wie: Ist die Frau mit Kopftuch freier oder unfreier als die ohne? Ist der islamistische Terror dem Westen die neue Sowjetunion? Gibt es eine neue Blockkonfrontation, in der Grün ist, was Rot vorher war? Sind Muslime schwulenfeindlicher als die Menschen im Westen? Der Streit um Minarette in der Schweiz, die sozialräumlichen Auseinandersetzungen um bestehende Moscheen wie in Hamburg-St. Georg oder ihren Neubau wie in Berlin-Heinersdorf werden in einen Topf geworfen mit einer EU-Mitgliedschaft der Türkei, der Situation von Christen in Ägypten oder Syrien, der Frage nach Religionsunterricht an Schulen in Berlin und einer schier end- und grenzenlosen Debatte über «Integration» – ein Begriff, der zwar nirgends verbindlich definiert ist, dafür aber eine unübersehbare Anzahl von Zeitungsartikeln, Sonntags- und Wochentags-Reden sowie interreligiöse Dialoge in Stadtteilen, zivilgesellschaftlichen Netzwerken und selbst staatliche Verwaltungen produziert.
Es ist grundsätzlich eine defitizorientierte Debatte, die zu Lasten der Muslime und Musliminnen und häufig genug über sie geführt wird. Das hat Gründe. Nicht nur schrecken «Unwilligkeits-» und «Unfähigkeits-» Debatten ab. Der Menschenschlag «die Muslime» hat bis vor kurzem gar nicht existiert. Es war der 11. September 2001, der hier einen Wandel eingeleitet hat, international wie auch auf bundesrepublikanischer Ebene. Die Anschläge in New York City und Washington D.C. sind selbst kein Grund und keine Ursache – und doch können sie heute als Symbol für die neue Weltordnung stehen, wie sie seit den frühen 1990er Jahren vorbereitet worden ist.

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Dokumentationen: