Analyse | Parteien / Wahlanalysen - Rosalux International - USA / Kanada - Brennpunkt USA Die Doppelkrise der US-amerikanischen Außenpolitik

Die USA am Wendepunkt zwischen liberalen Internationalismus und illiberalen Nationalismus

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Autor

John Feffer,

Joe Biden und Donald Trump in einer Debatte auf einem Bildschirm
Im November steht die US-Außenpolitik vor einem Wendepunkt: Internationalismus oder Isolationismus Foto: IMAGO / ZUMA Press Wire

Im Vorfeld der folgenreichen Wahlen im November 2024 steht den USA eine heftige Diskussion über die geopolitische Rolle des Landes ins Haus. Folgt man der gängigen Darstellung in den Medien, so gibt es hier zwei grundsätzlich unterschiedliche Positionen: den von Joe Biden vertretenen Internationalismus und den Isolationismus eines Donald Trump. Der derzeitige Präsident hebt die Bedeutung von internationalen Verträgen wie dem Pariser Klimaabkommen hervor, während sein Vorgänger einen Großteil seiner Amtszeit damit verbrachte, entlang der südlichen Grenze zu Mexiko eine Mauer – und sogar einen Graben – errichten zu lassen, um irreguläre Einwanderung abzuwehren. Bestand Bidens Versprechen darin, unter seiner Präsidentschaft die USA in die internationale Gemeinschaft zurückzuführen, insistierte Trump darauf, «Amerika wieder zu alter Größe zu verhelfen», völlig unabhängig davon, was andere Länder und Regierungen denken oder tun.

John Feffer ist Direktor des Programms «Foreign Policy In Focus» des Institute for Policy Studies (IPS) in Washington DC.

In Wirklichkeit sind jedoch die außenpolitischen Haltungen der beiden Präsidentschaftskandidaten gar nicht so klar voneinander zu trennen. Biden hat viele der sogenannten isolationistischen Positionen und Politiken von Trump übernommen – beispielsweise höhere Zölle und schärfere Grenzkontrollen –, während der Republikaner eine ganz eigene, wenn auch illiberale Internationalismus-Variante vertritt. Inzwischen versuchen beide Kandidaten eine Antwort auf das allgemeine Unbehagen zu finden, das die außenpolitische Elite der USA erfasst hat: Wie können die Vereinigten Staaten, die unter einem relativen Statusverlust leiden, ihre globale Hegemonie bewahren?

Der Ausgang der Präsidentschaftswahl wird wahrscheinlich nicht von außenpolitischen Präferenzen abhängen, auch wenn der Gaza-Konflikt gerade die Schlagzeilen beherrscht. Die Amerikaner*innen tendieren bekanntlich dazu, sich bei ihrer Wahlentscheidung von den persönlichen Eigenschaften der Präsidentschaftskandidaten und dem Zustand der einheimischen Wirtschaft leiten zu lassen. Das Ergebnis der Wahl im November wird jedoch auf jeden Fall einen erheblichen Einfluss auf die zukünftige Ausrichtung der US-Außen- und Sicherheitspolitik haben – selbst wenn bei einigen wichtigen Themen wie Handel und Einwanderung gewisse Konvergenzen zwischen Biden und Trump zu erkennen sind.

Das allgegenwärtige Unbehagen

Der relative Machtverlust der USA seit den 1990er Jahren – infolge des Aufstiegs Chinas und weiterer Staaten des Globalen Südens wie Indien und Brasilien sowie die Herausbildung bzw. Verhärtung eines Blocks autokratisch regierter Länder, der informell von Russland angeführt wird – hat der US-Außenpolitik eine doppelte Krise beschert. Zum einen wird die «globalistische» Elite in Washington von der Frage gequält, ob und wie es den USA gelingen kann, innerhalb der liberalen Weltordnung der primus inter pares zu bleiben (und damit auch von der Sorge, dass ebendiese Ordnung vom Zusammenbruch bedroht ist). Diese Furcht treibt in erster Linie die Demokraten um, auch wenn ein schwindender Teil der «traditionellen» Republikaner und einige Unabhängige diese teilen.

Die zweite Krise hat mit der Verunsicherung hinsichtlich der Fähigkeit der USA zu tun, ihren Sonderstatus in der Welt zu behaupten. Das betrifft ihre militärische Vormachtstellung, die Kontrolle der eigenen Außengrenzen, das Festhalten an fossilen Brennstoffen und die Missachtung des Völkerrechts. Diese Besorgnis hat vor allem die Republikanische Partei erfasst, die von Donald Trump gekapert worden ist, obwohl sie bereits bei früheren Parteiführern (wie Ronald Reagan) und Möchtegern-Anführern (wie Barry Goldwater) zu finden war. Auch einige der Falken in der Demokratischen Partei empfinden diese Verunsicherung.

Früher einmal verwies der Kampf zwischen diesen beiden Lagern und Orientierungen – Globalisten vs. Exzeptionalisten, Erster unter Gleichen vs. «America First» – auf einen klaren Gegensatz zwischen (liberalem) Internationalismus und (engstirnigem) Nationalismus. Aber die Welt hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten dahingehend verändert, dass illiberaler Nationalismus inzwischen die Geopolitik dominiert. Die Regierungspolitik kommunistischer Staaten wie Nordkorea und China wird heute von dieser Spielart des Nationalismus bestimmt; das Gleiche gilt für nichtkommunistische autoritäre Regime wie Ägypten oder Aserbaidschan und sogar für einige formal demokratische Staaten wie El Salvador und Ungarn. Dieser illiberale Nationalismus beherrscht heute weite Teile der Erde: Russland, China, Indien, große Teile des Nahen Ostens sowie etliche Länder in Afrika und Lateinamerika und zunehmend auch die Europäische Union. Die Regierungschefs dieser Staaten betonen ihr souveränes Recht, innerhalb der eigenen Grenzen tun und lassen zu können, was sie wollen – ohne sich dabei um die Vorgaben oder Interventionen irgendwelcher hegemonialer Mächte, internationaler Institutionen oder liberaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs) scheren zu müssen. Die Programmatik dieser «Souveränisten» deckt sich oft mit denen der exzeptionalistischen Kräfte in den Vereinigten Staaten.

Sollte Donald Trump also im November die Wahl gewinnen, stünde er mit seinem Nationalismus nicht länger isoliert da. Er wäre kein Außenseiter mehr, der gegen die internationale Gemeinschaft wettert, sondern eine Art neuer Internationalist, der mit seinen Glaubensbrüdern und -schwestern in aller Welt an einem gemeinsamen Projekt arbeitet. Er könnte sich mit all den anderen «Souveränisten» zusammentun, um die bestehende Weltordnung auf allen denkbaren Ebenen anzugreifen: das Freihandelsregime, das Recht auf Asyl, das Pariser Klimaabkommen und andere Bemühungen um einen Ausstieg aus dem fossilen Brennstoffzeitalter. Vermutlich würde die Zusammenarbeit mit anderen illiberalen Nationalist*innen an gewisse Grenzen stoßen, wie wir es bereits bei den rechtsextremen Kräften in Europa sahen, die Schwierigkeiten hatten, sich grenzüberschreitend zu verständigen. Es wird ideologische Differenzen geben (etwa zu Israel und Russland), Handelskonflikte und das allgemeine Problem rivalisierender Exzeptionalismen. Aber der geteilte Wunsch, die Regeln der Nachkriegsordnung neu zu schreiben, könnte diesen sehr unterschiedlichen Akteuren dabei helfen, ihre Differenzen beizulegen.

Sollte der Sieger im November Biden heißen, dann lassen sich einige Rückschlüsse aus seiner ersten Amtszeit auf seine zukünftige Außenpolitik ziehen. Sein Ansatz wird demnach vermutlich nicht so stark von dem Trump’schen abweichen, wie es die unterschiedlichen Temperamente und ideologischen Rhetoriken der Kandidaten erwarten lassen. So hat Biden die von Trump eingeführten Sonderzölle gegenüber China nicht nur beibehalten, sondern 2024 sogar noch erhöht. Obwohl Biden bekanntlich das größte Finanzierungsprogramm für saubere Energien in der Geschichte der USA auf den Weg gebracht hat, ist seine Regierung gleichzeitig für eine alle Rekorde brechende Fördermenge von Erdöl und Erdgas verantwortlich – etwas, wofür sich auch Trump eingesetzt hätte. Biden steigerte die Rüstungsausgaben, unterstützte Israel militärisch (und diplomatisch) beim Kampf gegen die Hamas, beschnitt die Rechte von Asylsuchenden und verschärfte das Grenzregime – all dies sind Maßnahmen und politische Zielvorgaben, die die Trump-Ära auszeichneten.

Zum Gesamtbild gehört aber auch, die Unterschiede zwischen Bidens Haltung zu diesen konfliktreichen Politikfeldern und der Art und Weise zu benennen, wie Trump wahrscheinlich auf die bestehenden Herausforderungen reagiert hätte. Bidens Zollerhöhungen richten sich speziell gegen China, während Trump alle möglichen Importe mit Zöllen belegen will. Mit der verstärkten Produktion fossiler Brennstoffe reagierte die Biden-Regierung nicht zuletzt auf den Ukraine-Krieg und den steigenden Versorgungsbedarf ihrer europäischen Verbündeten im Übergang hin zu erneuerbaren Energien. Die Unterstützung der Netanjahu-Regierung vonseiten der USA fiel nicht ganz so vorbehaltlos aus wie während Trumps Amtszeit. Und die neuen Einwanderungsbestimmungen, wonach die Bearbeitung von Asylanträgen ausgesetzt werden soll, wenn die Zahl der Grenzübertritte eine Woche lang über 2.500 pro Tag liegt, sind sowohl drakonisch als auch illegal (sie verstoßen gegen US-amerikanische Gesetze und gegen das Völkerrecht). Sie sind aber längst nicht so scharf wie Pläne von Trump, der wiederholt angekündigt hat, die Grenze zu Mexiko komplett dichtmachen zu wollen und zwischen 15 bis 20 Millionen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus des Landes zu verweisen.

Unterstützung der Ukraine und der NATO

Bei anderen Themen zeigen sich die politischen Divergenzen noch deutlicher, etwa beim Verhältnis zur Ukraine. Nach Darstellung der Biden-Regierung geht es bei diesem Konflikt um das große Ganze, um die Verteidigung der Demokratie und liberaler Werte am Rande von Europa. Trump und seine Verbündeten dagegen vertreten die Meinung, die USA hätten dort nichts verloren, eine Argumentation, die man bereits aus den frühen 1990er Jahren kennt, als der damalige US-Außenminister James Baker das Gleiche über den Bosnienkrieg sagte.

Der Krieg in der Ukraine hat außerdem die NATO wiederbelebt, die jetzt sogar von der extremen Rechten in Europa unterstützt wird, angefangen bei Polen (wo die Rechte schon immer NATO-freundlich war) bis hin zu Italien (dass Giorgia Meloni sich so engagiert hinter die NATO stellen würde, hat dann doch eher überrascht). Trump besteht unterdessen weiterhin auf einer stärkeren «Lastenteilung», was in eher traditionelleren außenpolitischen Kreisen schon immer gut ankam – insbesondere in Zeiten, in denen man auch in den USA den Gürtel enger schnallen musste.

Trumps Vorhaben, die europäischen Mitgliedsländer dazu zu bringen, einen größeren Teil der Kosten der NATO-Operationen zu übernehmen, hat nicht nur mit finanziellen Überlegungen zu tun. Es sei hier nur an Trumps berühmt-berüchtigte Äußerung in Richtung Russland erinnert, dieses solle mit allen «NATO-Staaten, die nicht mitziehen», machen, «was es wolle». Hinter Trumps «neutraler» Haltung verbirgt sich – genauso wie bei den mitteleuropäischen Staatschefs Robert Fico (Slowakei) und Viktor Orban (Ungarn) – eine ideologische Affinität zum russischen Staatschef Wladimir Putin und dessen Autoritarismus. Putin setzt auf eine uneingeschränkte Gewalt der Exekutive, die Unterdrückung sämtlicher Opposition in Politik und Medien und schränkt unter der Vorgabe, «familienfreundliche» Werte fördern zu wollen, die Rechte von Frauen ein und bekämpft die LGBTQ-Community.

«Project 2025», eine von der Heritage Foundation geleitete Initiative, die eine Art Regierungsplan für die nächste Amtszeit von Trump vorgelegt hat, verfolgt einen etwas traditionelleren Ansatz in Bezug auf die NATO und die transatlantischen Beziehungen. Die Autor*innen, die alle aus Trump nahestehenden Thinktanks und Einrichtungen kommen, versuchen, aus den verschiedenen Haltungen gegenüber Europa einen gemeinsamen Nenner herauszufiltern: Sie befürworten eine größere «Lastenteilung», eine weitere Unterstützung der Ukraine und im Fall von Handelskonflikten mit EU-Ländern differenzierte Einzellösungen. Mit Blick auf die Post-Brexit-Realitäten empfehlen die Autor*innen der US-Regierung außerdem, «die Entwicklungen innerhalb der EU aufmerksamer zu verfolgen und zugleich nach neuen Verbündeten zu suchen – insbesondere in den mitteleuropäischen Staaten an der Ostflanke der EU, die am anfälligsten für weitere Aggressionen Russlands sind». Ohne es so zu nennen, drängt hier die extreme Rechte in den USA auf ein neues transatlantisches Bündnis, das auf illiberalen Prinzipien beruht, wie sie von Fico, Orban und der langjährigen Regierungspartei Polens PiS vertreten werden.

Die Aussicht auf einen Sieg Trumps im November hat die derzeitige US-Regierung sowie andere NATO-Mächte dazu veranlasst, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die finanzielle und militärische Unterstützung für die Ukraine «trumpfest» zu machen. Zu den ergriffenen Maßnahmen gehört die Einrichtung eines Fünfjahresfonds in Höhe von 100 Milliarden US-Dollar, der praktischerweise die Amtszeit Trumps überdauern würde, sowie die Entscheidung, die (bislang amerikanische) Leitung der Ukraine Defense Contact Group, die die Hilfslieferungen koordiniert, der NATO zu übertragen. Auch innerhalb der NATO sind selbstverständlich nicht alle einer Meinung. Der Widerstand der ungarischen Regierung gegen eine konsequente und langfristige Unterstützung der Ukraine stellt ein fast genauso großes Problem dar wie eine zweite drohende Trump-Präsidentschaft. Aber Orban kann die NATO-Politik sicherlich nicht auf die gleiche Weise blockieren wie vor kurzem die EU-Hilfspakete.

Am Ende könnten sich Trumps Versuche, die Fortsetzung der bisherigen Ukraine-Politik zu verhindern, als aussichtslos erweisen. Trotz Verzögerung bei der Abstimmung unterstützte eine überwältigende Mehrheit im Repräsentantenhaus das Gesetz, mit dem ein neues Hilfspaket für die Ukraine auf den Weg gebracht wurde – selbst 106 republikanische Abgeordnete stimmten dafür (112 dagegen). Immer mehr Republikaner trauen sich inzwischen, sich für die Ukraine einzusetzen. So hat der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des US-Repräsentantenhauses, Michael McCaul (ein Republikaner aus Texas), die Biden-Regierung geradezu bedrängt, gegenüber der ukrainischen Regierung die Beschränkungen für den Einsatz von US-Waffen auf russischem Gebiet aufzuheben. McCauls Vorstoß deutet darauf hin, dass die Mandarinen seiner Partei selbst im Falle eines Sieges von Donald Trump im November die Make-America-Great-Again-Fraktion in der Frage der Ukraine-Hilfe übergehen und sich mit den Demokraten zusammenschließen könnten, um etwaige Vetos des Präsidenten zu überwinden.

Gaza und der Nahe Osten

Seit Jahrzehnten pflegen die USA eine enge Beziehung zu Israel. Unter der Regierung von Donald Trump hatte sich das weitgehend freundschaftliche Verhältnis jedoch zwischenzeitlich in eine Art Liebesbeziehung verwandelt, in der man sich bedingungslose Unterstützung zusagte. Diese Entwicklung hing sicherlich zu einem großen Teil mit dem Einfluss von Trumps Schwiegersohn Jared Kushner und Geldgebern wie dem Kasinomagnaten Sheldon Adelson zusammen. Aber sie ist auch auf Trumps ideologische Verbundenheit mit dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu zurückzuführen. Während seiner Amtszeit überschritt er in seinem Bestreben, es Netanjahu in jeglicher Hinsicht recht zu machen, eine Reihe informeller (außenpolitischer) roter Linien: Er erkannte Jerusalem als Hauptstadt und die Golanhöhen als israelisches Territorium an, er unterstützte den Ausbau der israelischen Siedlungen im Westjordanland, veranlasste den Rückzug der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran und machte sich für die diplomatische Anerkennung Israels durch die mehrheitlich muslimischen Länder der Region stark.

Trumps pro-israelische Interventionen wurden von einer ausdrücklich anti-palästinensischen Politik begleitet. Seine Regierung strich die Mittel für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) und beendete damit eine 70-jährige parteiübergreifende Unterstützung der US-Bundesregierung. Er hat das Büro der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) in Washington DC schließen lassen und präsentierte einen «Friedensplan», in dem kein unabhängiger palästinensischer Staat mehr vorgesehen war, sondern lediglich ein stark reduziertes und völlig von Israel abhängiges Territorium. Trump hat sich nicht nur für eine uneingeschränkte Unterstützung des israelischen Staates und Militärs bei der aktuellen Intervention im Gazastreifen ausgesprochen, sondern auch für die Abschiebung von ausländischen Studierenden, die auf einem Universitätscampus in den USA gegen Israels Krieg in Gaza protestieren.

Auf den ersten Blick mag Bidens Umgang mit dem Nahostkonflikt als eine Trump-Light-Variante erscheinen. In seiner Amtszeit wurde die Unterstützung des israelischen Militärs fortgesetzt, er befürwortete eine Ausweitung der sogenannten Abraham-Abkommen (mit denen einige arabische Nachbarstaaten Israel diplomatisch anerkannten), und die USA standen bei Abstimmungen der Vereinten Nationen weiterhin grundsätzlich auf der Seite Israels. Aber Biden hat keine ideologische Nähe zu Netanjahu. Kürzlich hat er versucht, Druck auf die israelische Regierung auszuüben, um sie dazu zu bewegen, ihre Taktik im Gaza-Krieg zu ändern und einem vorübergehenden und irgendwann einem dauerhaften Waffenstillstand zuzustimmen. Außerdem hat er die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland kritisiert. Unter Biden erhält die UNRWA wieder Geld aus den USA, und es wird darüber verhandelt, unter welchen Bedingungen das PLO-Büro in Washington wiedereröffnet werden kann.

Biden und die Demokratische Partei insgesamt sind bemüht darum, von der Fixierung der USA auf den Nahen Osten wegzukommen. Es gab Versuche, dort Kriege zu beenden, den militärischen Fußabdruck der USA zu verringern und einige Konflikte (beispielsweise mit dem Iran) diplomatisch zu regeln. Trump dagegen scheint entschlossen zu sein, die Vereinigten Staaten in der Region zu halten, indem er die Feindseligkeiten gegen den Iran verschärft und die Unterstützung für Israel bekräftigt. Die «Project-2025»-Autor*innen empfehlen einer neuen Trump-Regierung, den Iran mit allen Mitteln zu bekämpfen, alle Beziehungen der USA zu iranischen Verbündeten (Irak, Libanon und Palästina) abzubrechen und gleichzeitig die Verbindungen zu autokratischen Regimen in Saudi-Arabien, in den Golfstaaten, Ägypten und der Türkei zu stärken.

In einer zweiten Amtszeit könnte Biden eine ernsthafte Überprüfung der engen Allianz seines Landes mit Israel in die Wege leiten – nicht zuletzt, weil der Druck der öffentlichen Meinung diesbezüglich zunimmt. Hier hat sich ganz offensichtlich ein Wandel vollzogen. Vor die Wahl gestellt, sich zwischen Liberalismus und Zionismus zu entscheiden, erteilen immer mehr US-Amerikaner*innen letzterem eine Absage. Einer Gallup-Umfrage von 2023 zufolge sympathisieren jetzt mehr Anhänger*innen der Demokraten mit den Palästinenser*innen (49 Prozent) als mit den Israelis (38 Prozent). Früher hatten Umfragen immer eine breitere Unterstützung Israels widergespiegelt. In der Demokratischen Partei zeichnet sich zudem ein deutlicher Generationenkonflikt ab: Bei den Demokraten unter 35 Jahren bekennen sich 74 Prozent zur Sache der Palästinenser*innen, während es bei den über 65-Jährigen nur 25 Prozent sind. In einer ebenfalls im letzten Jahr durchgeführten Ipsos-Umfrage antwortete eine Mehrheit der Republikaner (64 Prozent) und Demokraten (80 Prozent) auf die Frage, ob sie – angenommen, Israel würde weiterhin die Kontrolle über das Westjordanland und den Gazastreifen behalten – einen demokratischen Staat einem jüdischen Staat vorziehen würden, mit Ja. Selbst ein überzeugter Zionist wie Biden könnte dazu gedrängt werden, die zukünftige Unterstützung Israels an Bedingungen zu knüpfen und – sollte die Netanjahu-Regierung ihren eindeutig antidemokratischen und militaristischen Kurs fortsetzen – sich auf bilateraler Ebene und im Rahmen der UNO sogar gegen sie zu stellen.

Unabhängig davon, in welche Richtung sich die Beziehungen zwischen den USA und Israel entwickeln werden, sind sich Demokraten und Republikaner in einer Hinsicht jedoch einig: Der Nahe Osten ist aus geopolitischer Perspektive für die USA einfach nicht mehr so zentral wie früher. Der Konsens in Washington besteht darin, sich stattdessen auf die Konfrontation mit China zu konzentrieren und zu versuchen, dessen Einfluss einzudämmen.

Die «neuen Bedrohungen» in Asien

Als Joe Biden im Jahr 2021 seine Präsidentschaft antrat, erwarteten viele, er würde die von Donald Trump verhängten Strafzölle gegen China zurücknehmen. Damals, bei der Einführung, hatte er Trumps Schritt noch als «kurzsichtig» kritisiert und erklärt, Trump begehe den Fehler zu denken, seine Zölle würden von China bezahlt. Dabei wisse doch jeder angehende Wirtschaftsstudent an der Iowa State University, dass die amerikanische Bevölkerung für seine Zölle zahlen müsse.

Aus ökonomischer Sicht lag Biden damit völlig richtig. Einer Schätzung zufolge belaufen sich die Kosten für Trumps Zölle auf 48 Milliarden US-Dollar, von denen die Hälfte von den Herstellern getragen wird. Von der Aufhebung dieser Zölle würden, neben den US-amerikanischen Verbraucher*innen, auch viele Landwirt*innen und Arbeitnehmer*innen in all jenen Branchen profitieren, die derzeit von chinesischen Gegensanktionen betroffen sind.

Aber die Biden-Regierung hat wenig getan, um sich von Trumps Politik gegenüber China abzusetzen. Biden toppte sogar noch Trumps handelspolitischen Ansatz, als er im Mai 2024 zusätzliche Zölle auf chinesische Produkte ankündigte, darunter Stahl und Aluminium, sowie eine Vervierfachung der Zölle auf Elektroautos aus China. Auf der einen Seite war dieser Schritt eindeutig machtpolitisch motiviert: Er will damit die Stimmen der Arbeiter*innen in den sogenannten Swing States im «Rust Belt» (der ältesten und größten Industrieregion im Nordosten der USA) für sich gewinnen. Andererseits schwimmt Biden einfach mit auf einer populistischen Welle. Die allgemeine Stimmung im Land ist chinafeindlich und pro-protektionistisch.

Die Motive für die Eindämmung Chinas, die beide politischen Parteien in den USA verfolgen, sind nicht nur wirtschaftlicher Natur. Die Biden-Regierung hat die von Trump eingeführte Struktur des Quadrilateralen Sicherheitsdialogs (Quad-Gruppe) zwischen den USA, Indien, Australien und Japan übernommen. Sie hat zudem die Militärausgaben weiter in die Höhe getrieben, wobei auch hier nach Aussage des US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die «strategische Konkurrenz» mit China eine wichtige Rolle spielte. So wurden die Mittel der «Initiative zur Abschreckung im pazifischen Raum» im letzten Haushalt um volle 40 Prozent auf über neun Milliarden US-Dollar aufgestockt. Der überwiegende Teil des Pentagon-Etats ist inzwischen auf China ausgerichtet. Das zeigen die gesteigerten Ausgaben für die Seestreitkräfte, die zunehmende Konzentration auf Forschung und Entwicklung und die verstärkten Bemühungen, die Präsenz des US-Militärs (und seiner Stützpunkte) im Pazifikraum auszubauen.

Das Kalkül einer Trump-Regierung würde daran nichts ändern. Wenn überhaupt, dann würde es in seiner zweiten Amtszeit eine gewisse Verschiebung geben: weg von der reinen Eindämmung Chinas hin zu einem Zurückdrängen seines wachsenden Einflusses in der Welt. Der «Regierungsplan» des «Project 2025» empfiehlt, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China ganz einzustellen (und nicht lediglich neu zu überdenken); darüber hinaus sollten die USA nicht nur ihre «defensiven» Kapazitäten stärken, sondern vor allem an ihren «offensiven» Fähigkeiten arbeiten (Stichwort: Weltraum- und Cyberkrieg).

Beim Verhältnis zu Nordkorea, einem engen Verbündeten sowohl Chinas als auch Russlands, zeigt sich eine Besonderheit von Trump: Er hat tatsächlich ein Faible für skrupellose Diktatoren. Während seiner Amtszeit kam ihm ferner die Idee, dass, wenn es ihm gelänge, einen Friedensvertrag zwischen den USA und Nordkorea auszuhandeln, er dafür vielleicht mit dem Friedensnobelpreis belohnt und auf diese Weise mit seinem Erzfeind Barack Obama gleichziehen würde. Bei seinen bisherigen drei bilateralen Treffen mit Kim Jong-un hat Trump nicht wirklich etwas erreicht, dafür aber seine politische Naivität und sein mangelndes Wissen über die koreanische Halbinsel zur Schau gestellt. Trotz des ausbleibenden Erfolgs ist er bereit, es erneut zu versuchen, diesmal mit einem Plan, der es Nordkorea erlauben soll, sein derzeitiges Atomwaffenarsenal zu behalten, und finanzielle Anreize vorsieht, damit es auf einen weiteren Ausbau verzichtet. Für die außenpolitischen Experten in den entsprechenden Ministerien in Washington ist ein solcher Plan ein Anathema. Aber ein an realistischen Zielen orientiertes Abkommen mit Nordkorea wäre ein wichtiger Durchbruch und käme der gesamten Region zugute. Es wird nicht leicht werden, Japan und Südkorea zu einer Zustimmung zu einem solchen Abkommen zu bewegen. Selbst China ist von Nordkoreas Atomwaffen nicht begeistert. Aber dies ist einer der wenigen Fälle, in denen Trumps heterodoxe Ansichten (oder zumindest Impulse) einen positiven Beitrag zur Geopolitik leisten könnten (auch wenn er dafür wohl kaum mit einem Nobelpreis rechnen kann).

Die Zukunft der US-Außenpolitik

Die Biden-Regierung hat versprochen, sich auch in Zukunft an internationale Verträge zu halten und entsprechende Institutionen zu stärken. Eine zweite Trump-Regierung könnte sich noch entschlossener zeigen, diese Institutionen zu untergraben oder gar zu zerstören. Dabei ist klar: Auch Biden und sein Kabinett haben eine Neigung zum Exzeptionalismus und zum Protektionismus, wollen die militärische Vormachtstellung der USA aufrechterhalten, missachten Völkerrecht und Organisationen wie den Internationalen Strafgerichtshof und halten sich nicht an internationale Vereinbarungen wie etwa die Safe Schools Declaration. Zudem gilt: Auch eine künftige Trump-Regierung müsste wohl Abstriche an ihrem Make-America-Great-Again-Programm vornehmen angesichts der Machtverhältnisse im Kongress und des zu erwartenden Widerstands im mit Außenpolitik befassten Staatsapparat in Washington.

Trotz alledem: Im November steht die US-Außenpolitik vor einem Wendepunkt. Ein Sieg Trumps könnte das Lager der «Souveränisten» ermutigen, dem Weg der Euroskeptiker*innen zu folgen. Deren Strategie besteht ganz offensichtlich nicht länger darin, die von ihnen verhassten internationalen Institutionen abzuschaffen oder zu zerstören, sondern sie zu übernehmen. Die internationale Staatengemeinschaft und ihre Strukturen würden weiterhin existieren, wären aber zunehmend vom Geist eines illiberalen Nationalismus geprägt. Mit dem Sieg Bidens ginge vermutlich der Fortbestand einer bestimmten Variante des liberalen Internationalismus einher, wobei Biden in einer zweiten Amtszeit einige der eher illiberalen Positionen, die die er aus machtpolitischen Gründen in den ersten Jahren seiner ersten Präsidentschaft eingenommen hat, aufgeben oder zumindest abmildern könnte. Nicht völlig auszuschließen ist zudem ein etwas radikalerer Ansatz, der sich um ein Auskommen mit China bemüht, sich für mehr Klimagerechtigkeit im Sinne des Globalen Südens einsetzt oder und die neoliberalen Elemente des Freihandels abschwächt.

Mit anderen Worten: Trump steht für einen radikalen Umbruch, Biden für Kontinuität mit einigen Anpassungen. Allerdings hat keiner der beiden Kandidaten eine Antwort auf das doppelte Unbehagen, das das außenpolitische Establishment in den USA derzeit umtreibt und die Frage nach der künftigen Stellung der USA im Weltgefüge betrifft. Denn die ehemalige Hegemonie der USA wird immer brüchiger, während der US-amerikanische Exzeptionalismus immer weniger haltbar ist. Unabhängig vom Ausgang der Wahlen im November wird der US-Außenpolitik keine Quadratur des Kreises gelingen – sie wird nicht verhindern können, dass die relative Macht der USA in einer multipolaren, immer illiberaler werdenden Welt abnimmt.
 

Dieser Text erschien zuerst in «nd.aktuell» im Rahmen einer Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.