Trotz hoher Wahlenthaltung und diskursiver Verrohung bleibt das US-amerikanische Zweiparteiensystem eine der stabilsten Regierungsformen der Welt. Demokraten und Republikaner genießen einen scheinbar unerschütterlichen Zugriff auf den Staat. Denn die Kombination aus absichtlichen Ausschlussmechanismen und den Eigenarten des US-amerikanischen Föderalismus macht es einer dritten Partei nahezu unmöglich, wahlpolitisch Fuß zu fassen. Wähler*innen, die mit der Regierungspolitik unzufrieden sind, haben daher – neben der Wahlenthaltung – nur eine realistische Möglichkeit, ihre Frustration zum Ausdruck zu bringen: Sie wählen die andere Partei, ob sie nun mit ihr politisch einverstanden sind oder nicht.
Loren Balhorn arbeitet als leitender Redakteur von rosalux.org.
In den letzten zwei Jahrzehnten wechselte das Präsidentenamt in den USA dreimal von den Republikanern zu den Demokraten und wieder zurück. George W. Bush, der mit zwei katastrophalen Kriegen den US-Staatshaushalt ruinierte, wurde von Barack Obama abgelöst, dem ersten Schwarzen Präsidenten, dessen Botschaft des Wandels, so nebulös sie auch war («Yes, we can!»), Wähler*innen aus beiden Lagern begeisterte. Obama gewann auch die Wiederwahl, aber sein Versprechen des Wandels erwies sich als hohl. Seine designierte Nachfolgerin Hillary Clinton, die sich in den Vorwahlen gegen den demokratischen Sozialisten Bernie Sanders durchsetzte, verlor anschließend gegen den Reality-TV-Star Donald Trump. Dieser wiederum unterlag nach vier chaotischen Regierungsjahren in einem knappen Rennen Joe Biden, dem Vizepräsidenten Obamas. Diese Wahl verstanden bereits damals viele als Schlacht zur Rettung der amerikanischen Demokratie.
Doch nur vier Jahre, nachdem der Rechtspopulist besiegt wurde und seine von ihm aufgehetzten Anhänger*innen in kollektiver, ohnmächtiger Wut das US-Kapitol stürmten, steht Trump kurz vor der Rückkehr ins Weiße Haus. Hohe Inflation, explodierende Mieten und der Streit um die Migrationspolitik hatten Joe Bidens Wiederwahlchancen bereits getrübt; seine katastrophale Performance bei der ersten Präsidentschaftsdebatte im Juni und das Attentat auf Trump bescherten den Republikanern zusätzlichen Aufwind. Biden hat zwar jetzt seine Kandidatur aufgegeben, ob aber eine neue Präsidentschaftskandidatin – wie die ebenfalls unpopuläre Vizepräsidentin, Kamala Harris – bessere Chancen besitzt, scheint durchaus fraglich.
Aktuellen Umfragen zufolge wird Trump nicht nur die Präsidentschaft, sondern auch Mehrheiten im Senat und im Repräsentantenhaus erringen. Sollte dieser Fall eintreten, würden die Republikaner angesichts der bereits in Trumps erster Amtszeit ausgebauten konservativen Mehrheit im Obersten Gerichtshof alle drei Zweige der US-Regierung unter ihre Kontrolle bringen. In diesem Szenario könnten sie nicht nur die bescheidenen Reformen der Biden-Regierung rückgängig machen, sondern dem amerikanischen Wohlfahrtsstaat insgesamt schweren Schaden zufügen.
Brot und Spiele
Der Parteitag der Republikaner Mitte Juli in Milwaukee war selbst für US-Verhältnisse wunderlich. Was ohnehin schon als Zurschaustellung des Trump’schen Alleinherrschaftsanspruchs geplant war, wurde nach dem Attentatsversuch noch einmal zugespitzt. Tausende Delegierte, von denen viele zu Ehren ihres Anführers improvisierte Pflaster am Ohr trugen, feuerten eine endlose Prozession rechter Prominenz und Trump-Familienmitglieder an, die zwischen hochtrabenden Appellen zur nationalen Einheit und apokalyptischen Visionen eines Landes im Niedergang wechselten, das angeblich von einer unheilvollen Allianz aus irregulären Migrant*innen, «woken» Linken und der Kommunistischen Partei Chinas zerstört zu werden drohe.
Doch auch wenn der 45. Präsident der Vereinigten Staaten derzeit die Umfragen anführt, scheinen das Attentat und die anschließende Machtdemonstration außerhalb seiner Kernanhängerschaft keinen großen Eindruck hinterlassen zu haben. Umfragen zufolge wird Trump nach wie vor von mehr als der Hälfte der Amerikaner*innen nicht gemocht – eine Zahl, die sich seit dem Ende seiner Präsidentschaft nicht wesentlich verändert hat. Sein möglicher Sieg im November würde also keineswegs, wie die Republikaner glauben machen, auf Trumps überwältigende Popularität zurückzuführen sein, sondern vielmehr auf die politische Erschöpfung seines Gegners, die durch die verzerrende Wirkung des Mehrheitswahlrechts – und die antiquierte Präsidentschaftswahl über das Electoral College – noch verstärkt wird.
Ob man ihn nun mag oder nicht, Trumps besondere Art der charismatischen Führung hat ihn an die Spitze einer Koalition aus typischen republikanischen Mittelschichtswähler*innen, bestimmten Segmenten der Kapitalistenklasse (neben der Ölbranche auch einer wachsenden Zahl von Silicon-Valley-Größen), fanatischen Christ*innen und sogar Teilen der (meist, aber nicht ausschließlich weißen) Arbeiterklasse gebracht. Ihre Interessen und Erwartungen liegen oft weit auseinander, aber sie sind durch das vereint, was die Financial Times kürzlich den «Trump-Faktor» nannte: Mehr als alle anderen amerikanischen Politiker*innen seit Generationen spricht er die Wähler*innen auf einer emotionalen Ebene an, die jenseits der politischen Ebene liegt und Loyalitäten schmiedet, die über einzelne politische Maßnahmen oder Trumps zahlreiche charakterliche Schwächen hinausgehen.
Das macht ihn, wie andere charismatische rechte Führer zuvor, zu einem hervorragenden Vehikel für eine aggressive Politik im Interesse der Bosse. Tatsächlich verbirgt sich hinter der aufrührerischen Rhetorik und dem oft bizarren Spektakel der Trump-Kampagne die übliche republikanische Agenda mit Steuersenkungen für Reiche, höheren Rüstungsausgaben und drastischen Kürzungen bei Sozialprogrammen, die vielen seiner eigenen Anhänger*innen schaden würden. Eine zweite Trump-Präsidentschaft dürfte dazu führen, dass der Repressionsapparat des Staates ausgebaut wird (mehr Polizei, mehr Gefängnisse, mehr Grenzzäune), während alle anderen Staatsausgaben gekürzt werden. Trumps reiche Anhänger*innen werden noch reicher, der Rest wird sich mit seinen (unbestreitbar unterhaltsamen) Massenauftritten begnügen müssen.
Linke zwischen Hammer und Amboss
Trumps mögliche Wiederwahl träfe auf eine US-Linke, die nach ihrem kometenhaften Aufstieg im Gefolge der beiden Präsidentschaftskampagnen von Bernie Sanders zuletzt, während Bidens Präsidentschaft, in einer Warteschleife festsaß.
Nachdem die demokratische Elite sich 2020 um Biden geschart hatte, um die Linke zu besiegen, blieb Sanders und seinen Mitstreiter*innen in der Demokratischen Partei keine andere Wahl, als Biden zu stützen, um Trump aus dem Amt zu entfernen. Biden machte seinerseits einige bedeutende Zugeständnisse an den Sanders-Flügel der Partei; in seinen ersten Jahren im Weißen Haus kam es zu erheblichen Ausgabenerhöhungen und einer – wenn auch zaghaften – Rückkehr zu einer staatlich gelenkten Industriepolitik, die von den Demokraten seit den 1980er Jahren immer abgelehnt worden war. Dies markierte durchaus einen Fortschritt für die gesellschaftliche Linke in den USA, doch konnte er viele kaum über die Enttäuschung der Sanders-Niederlage hinwegtrösten.
Gleichzeitig haben Sanders und andere linke Parlamentarier*innen wie Alexandra Ocasio-Cortez (AOC) ihre Rhetorik und Forderungen gedrosselt, um nicht den Zorn des Parteiestablishments zu provozieren und einen offenen Angriff zu riskieren – wie es kürzlich dem New Yorker Abgeordneten Jamaal Bowman widerfuhr, der zur Zielscheibe einer heftigen, von der Israel-Lobby AIPAC finanzierten Kampagne wurde und schließlich Anfang dieses Sommers in der Vorwahl seinem Konkurrenten aus dem Parteiestablishment unterlag.
In den letzten Wochen hielten Sanders und Co. an Biden fest, obwohl in der gesamten Partei der Druck auf ihn wuchs, zugunsten eines dynamischeren Kandidaten zurückzutreten. Diese Unterstützung für Biden wurde von vielen radikaleren Linken als Verrat, Feigheit oder schlicht als Naivität kritisiert; nur selten unterbreiteten diese Kritiker*innen indes Vorschläge, was denn anders gemacht werden sollte. Zu diesem späten Zeitpunkt wird jede*r Ersatz-Präsidentschaftskandidat*in unweigerlich vom Establishment ausgewählt und könnte politisch sogar rechts von Biden stehen. Aber hätten sich Sanders, AOC oder andere frühzeitig gegen den Präsidenten gestellt, wären sie zweifellos für einen möglichen Trump-Sieg im November verantwortlich gemacht worden – mit der Folge, dass sie noch weiter marginalisiert worden wären. Indem sie ihre Loyalität nach außen hin zum Ausdruck brachten, erhöhten sie hingegen ihr zukünftiges politisches Kapital für den Fall, dass die Demokraten die Wahl im November doch noch gewinnen sollten. Dann könnten sie weiterhin von links Druck auf das Establishment ausüben, wo immer dies möglich ist.
Dennoch ist die linke Unterstützung für das demokratische Establishment, auch wenn sie alternativlos gewesen sein mag, nicht ohne Schattenseiten. Die Stärke der beiden Sanders-Kampagnen lag in der Authentizität des Kandidaten, in seiner Bereitschaft, den Mächtigen den Kampf anzusagen – und dies unabhängig davon, welche Partei gerade regierte. Weil er inzwischen (zumindest bis zu einem gewissen Grad) Teil des Establishments geworden ist, ging auch ein Teil dieses oppositionellen Glanzes verloren. Dadurch wird es viel schwieriger, eine sozialistische Bewegung auf Bundesebene aufzubauen. Besonders deutlich wurde dies im Zusammenhang mit dem anhaltenden israelischen Angriff auf den Gazastreifen, der in den letzten Monaten Hunderttausende Amerikaner*innen auf die Straße getrieben hat. Obwohl Sanders und andere linke Demokraten die Unterstützung Israels durch die USA scharf kritisieren, sahen sie sich gezwungen, sich aus taktischen Überlegungen um einen Präsidenten zu scharen, der weiterhin Waffen in Milliardenhöhe für Israels Kriegführung genehmigt.
Sollte Trump die Wahl gewinnen, sind die Auswirkungen einer zweiten Trump-Präsidentschaft auf die Linke bereits jetzt in Umrissen erkennbar. Trumps erste Wahl im Jahr 2016 katalysierte zwar das Wachstum einer neuen Linken, die bereits durch die erste Sanders-Kampagne vorbereitet war; sie führte dazu, dass linke Organisationen – allen voran die Democratic Socialists of America – ihre Mitgliederzahl kurzfristig verzehn- oder verzwanzigfachten. Aber die US-Linke hat sich seitdem schwergetan, diese Mitgliederzahlen in politische Schlagkraft umzuwandeln. Ohne die Sanders-Kampagne als gemeinsamen Nenner haben sich viele in die Routine der Zeit vor 2016 zurückgezogen, in der es primär um ideologische Streitereien und symbolische Straßenmobilisierungen ging, die sich zwar bisweilen gut anfühlten, aber kaum zu bedeutsamen Veränderungen führten. Hinzu kommt: Im Falle von Trumps Wiederwahl dürfte sich die noch 2020 spürbare Aufbruchsstimmung kaum wiederholen.
Die unmittelbare Reaktion auf einen Sieg Trumps dürfte voraussichtlich dennoch ähnlich ausfallen wie 2016: Massenmobilisierungen, die größtenteils organisch entstehen, gepaart mit moralischer Empörung seitens der liberalen Eliten, die auf diese Weise versuchen, die Anti-Trump-Stimmung in sichere, von den Demokraten kontrollierte Bahnen zu lenken.
Angesichts der strukturellen Hindernisse für die Gründung einer dritten Partei wird die Herausforderung für die Linke darin bestehen, ihrerseits aus dieser Empörung Kapital zu schlagen und so viel davon wie möglich in den Aufbau einer kämpferischen Linken in- und außerhalb der Demokratischen Partei zu übertragen. Diese Art von langfristiger Politik, wie sie von Bernie Sanders verkörpert wird, mag nicht besonders glamourös sein, aber sie hat die US-Linke politisch relevanter gemacht, als sie es zuvor mindestens zwei Generationen lang gewesen war. Sofern es nicht zu unvorhergesehenen Veränderungen in der amerikanischen politischen Landschaft kommt, bleibt dies die beste Chance für demokratische Sozialist*innen, ihre Relevanz und politische Schlagkraft in der Zukunft auszubauen – unabhängig davon, wer Präsident oder Präsidentin ist.