Die breiten Straßen in Kigali sind sauber und in einem guten Zustand, der Verkehr läuft flüssig. Überhaupt erscheint die Stadt sehr gepflegt, modern und aufgeräumt. In der Innenstadt sind keine Armut, keine Bettler*innen und nicht einmal kleinere Handelsstände am Straßenrand zu sehen, wie sie in vielen ostafrikanischen Großstädten üblich sind. Die modernen Glasfassaden der Hochhäuser blitzen in der Sonne.
Katrin Voß ist Leiterin des Regionalbüros in Daressalam, Tanzania.
Genau dies ist das positive Bild, das Image, das das Regime der Weltöffentlichkeit präsentieren will. Und diese Öffentlichkeit richtet den Blick derzeit verstärkt auf das kleine Land. Denn Ruanda hat am 15. Juli gewählt und nach offiziellen Angaben den Präsidenten, Paul Kagame, erneut im Amt bestätigt.
An der dritten Wiederwahl des seit dem Jahr 2000 regierenden Präsidenten überraschte nichts – nicht einmal die über 99 Prozent der Stimmen, die für ihn ausgezählt wurden. Denn Kagame erfährt, trotz seines autokratischen Führungsstils, eine relativ breite Unterstützung innerhalb der Bevölkerung, präsentiert er sich doch als starker Führer, der die ruandische Nation in eine moderne und friedliche Zukunft führt. Viele Ruander*innen betonen in Gesprächen, dass das Land eine starke Führungsperson benötige, um nicht zurück in die Vergangenheit zu fallen – ins kollektive Gedächtnis eingebrannt ist hier das Trauma des Genozids von 1994. Auf die Sorge vor einem Rückfall in diese finstere Zeit gründet Kagame seine Herrschaft.
Ein gutes Beispiel seines autoritären Stils bietet der Umuganda-Tag: Am jeweils letzten Samstag im Monat müssen alle Einwohner*innen zwischen 8 und 11 Uhr vor die Tür treten, um die Straßen zu reinigen. Diesem kollektiven Säuberungseinsatz kann man sich nur mit Sondergenehmigung entziehen; das gesamte Land liegt zu dieser Zeit lahm. Ein ähnliches Konzept wird derzeit für einen monatlichen Sporttag erwogen, um auf diese Weise die allgemeine Gesundheit der Bevölkerung zu verbessern. Diese Maßnahmen illustrieren, dass es in Kagames Ruanda keineswegs um den emanzipatorischen Entwicklungsprozess einer Nation geht, sondern um ein zutiefst autokratisches Modell.
Insofern ist fraglich, ob das Wahlergebnis primär eine überwältigende Zustimmung zu Kagames Politik reflektiert oder eher aus Angst vor Repressionen zustande kam. Für letzteres spricht die bemerkenswert hohe Wahlbeteiligung; laut Wahlkommission gaben 98 Prozent der rund 9,5 Millionen registrierten Wähler*innen ihre Stimme ab. Damit hält Ruanda den Wahlbeteiligungs-Weltrekord – es übertrifft damit sogar jene Länder, in denen eine gesetzliche Wahlpflicht besteht.
Der inzwischen 66-jährige Kagame ist nunmehr fast ein Vierteljahrhundert im Amt. Er regiert als Autokrat und lässt kaum Opposition zu. Die zwei bei dieser Wahl erlaubten Oppositionskandidaten waren von vornherein chancenlos.
Kagame ließ 2015 die verfassungsmäßige Amtszeitbeschränkung ändern, sodass er nach derzeitiger Rechtslage noch bis 2034 regieren könnte. Er hat in Interviews zwar immer wieder betont, dass er gerne an einen Nachfolger übergeben würde; nur stehe derzeit niemand zur Verfügung, der diese große Verantwortung tragen könne und wolle. In Wirklichkeit zeigen diese Ausführungen, wie sehr Kagame an der Macht klebt. Kritische Stimmen, die auf mangelnde demokratische Teilhabe oder die starken Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit (Ruanda belegt Platz 144 von 180 im weltweiten Index verweisen, kommen in seinem Weltbild ausschließlich von außen bzw. von den Feinden des Landes.
Kreative Devisenbeschaffung
Der ruandische Präsident kann jedoch als eindimensionaler Autokrat nicht hinreichend beschrieben werden. Denn er besitzt, neben seinem umfassenden Machtanspruch, auch eine klare Vision der Entwicklung seines Landes, in deren Mittelpunkt dessen sozioökonomische Entwicklung steht. Besonders jungen Menschen sollen Jobs und eine Lebensperspektive geboten werden. Ruanda soll sich bis 2035 in ein Land mit mittlerem Einkommen und bis 2050 mit hohem Einkommen entwickeln. Darüber hinaus soll es eine bevorzugte Finanzdrehscheibe für Investitionen in Afrika werden und eine Schlüsselrolle bei den Bestrebungen für die afrikanische kontinentale Freihandelszone (AfCFTA) spielen.
Die Umsetzung dieser Vision wird jedoch alles andere als einfach, da das Land vor zahlreichen Herausforderungen steht. Die Bevölkerung wächst rasch, bereits jetzt liegt die Bevölkerungsdichte mit 582 Einwohner*innen pro Quadratkilometer sehr hoch. Die Landschaft besteht überwiegend aus nährstoffarmen Böden, die zudem der Korrosion ausgesetzt sind. Bei größtenteils kleinbäuerlicher Landwirtschaft ist das Land nicht in der Lange, die Ernährungssicherheit der Bevölkerung zu gewährleisten, und ist daher auf Lebensmittelimporte angewiesen. Weit über die Hälfte der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze.
Die Binnen-Nation kann weder auf nennenswerte Rohstoffe zurückgreifen, noch besitzt sie eine eigene Industrie. Den üblichen Weg, Staatseinahmen über die Ausbeutung der eigenen Rohstoffe zu generieren, wie es viele Nachbarländer tun, kann Ruanda daher nicht einschlagen. Es bedarf also eines besonderen Einfallsreichtums, um Devisen ins Land zu schaffen.
Und eine derartige Kreativität hat Kagame mit seiner Regierung in den langen Jahren seiner Amtszeit bewiesen. So konnte sich beispielsweise die Hauptstadt Kigali, wie eingangs beschrieben, in relativ kurzer Zeit herausputzen und als wichtigstes internationales Konferenzzentrum in Ostafrika etablieren. Sie bietet alle infrastrukturellen Notwendigkeiten: einen modernen Flughafen, unkomplizierte Einreisebedingungen, kurze Wege, niedrige Kriminalitäts- und Korruptionsrate und internationalen Standards entsprechende Hotels. Und so bringen die vielen internationalen Gäste nicht nur die benötigten Devisen ins Land, sondern tragen auch zur Schaffung vieler Arbeitsplätze im Servicebereich bei.
Versöhnung und Frieden als Einnahmequelle
Eines der wichtigsten Verdienste Kagames ist es, das Land seit dem Genozid 1994 stabil zu halten und den inneren Frieden zu bewahren. Das ist keine geringe Leistung, denn die Angst vor erneuten Gräueltaten ist immer noch sehr präsent. Kagames Rolle im Friedensprozess wird dabei allgemein anerkannt und wertgeschätzt.
Aus der Not, die erforderliche Aufarbeitung und den damit verbundenen Versöhnungsprozess gestalten zu müssen, hat Kagame eine Tugend machen können. Die Bereitschaft internationaler Organisationen – auch aus Deutschland –, für Aufarbeitungs- und Versöhnungsprojekte großzügig Gelder zur Verfügung zu stellen, ist weiterhin ungebrochen. Man kann mittlerweile sogar von der Herausbildung eines eigenen Industriezweiges sprechen, der die Geschichtsaufarbeitung am Leben hält. Federführend in diesem Aufarbeitungsprozess ist neben dem Präsidenten seine Ehefrau, Jeanette Kagame.
Um den Frieden in der unruhigen Region stabil zu halten, benötigt Ruanda ein loyales und gut ausgebildetes Militär. Auch hier folgte Kagame dem Muster, das Notwendige mit dem Nützlichem zu verbinden. Er baute eine Armee auf, die zu den einsatzfähigsten Streitkräften Afrikas zählt. Die Streitkräfte Ruandas sind ein wesentlicher Akteur bei verschiedenen multinationalen UN-Missionen (beispielsweise der UNAMID im sudanesischen Darfur), wurden zuletzt aber auch verstärkt für bilaterale Missionen eingesetzt, wie etwa beim Militäreinsatz in Mosambik. Mit diesem strategischen Schachzug gelingt es Kagame, die nationale Sicherheit zu gewährleisten und zugleich seinen Einfluss in der Region zu erweitern. Dabei kann er sich mit dem neu gewonnenen Narrativ präsentieren, in dem sich Ruanda als Friedensnation inszeniert. Dass über solche Einsätze Devisen generiert und junge Männer mit Einkommen versorgt werden, ist wohl mehr als ein willkommener Nebeneffekt.
Das Geschäft mit Flüchtlingen
In seinem Willen, das Land wirtschaftlich zu entwickeln, geht Kagame auch unkonventionelle Wege. Ein prominentes Beispiel hierfür bietet der jüngst ausgehandelte – inzwischen jedoch auf Eis gelegte – Deal mit dem Vereinigten Königreich, bei dem es darum ging, Aufnahmeverfahren für Asylsuchende aus Europa nach Ruanda zu verlagern. Mit Abschluss des Deals wären große Mengen Devisen ins Land geflossen. Für Kagame hätte ein solches Abkommen jedoch noch einen weiteren Erfolg bedeutet. Denn klar ist: Wer einen solchen Deal mit Kigali eingeht, wird auch die Politik des Landes nicht mehr kritisieren können, ohne sich selbst zu diskreditieren.
Trotz der Entwicklung, die das Land seit dem Völkermord genommen hat, bleibt es weiterhin wichtig, dass die internationale Gemeinschaft Ruanda kritisch beobachtet. Denn Kagame schreckt weiterhin nicht davor zurück, abweichende Meinungen zum Schweigen zu bringen. Menschenrechtsorganisationen beklagen immer wieder schwerwiegende Menschenrechtsverstöße im Land. Berichtet wird von außergerichtlichen Hinrichtungen, Folter und dem Verschwinden von Systemkritiker*innen. Auch tauchen immer wieder Berichte darüber auf, wie die Kagame-Regierung bis in die unterste Ebene durchregiert. Dabei geht es vor allem um die Kontrolle über das Narrativ. Denn nur mit dem vom Kagame geschaffenen Image eines «Vorzeige-Entwicklungslandes», das Gelder sinnvoll einsetzt, wird die dringend benötigte internationale Unterstützung eine Fortsetzung finden.
In diesem Sinne muss Kagame auch außenpolitisch den immer schwierigeren Balanceakt wagen, möglichst vielen Akteur*innen in einer multipolaren Welt gerecht zu werden. Das bedeutet, sich nicht vereinnahmen zu lassen, um andere nicht zu brüskieren, und sich gleichzeitig als eigenständigen globalen Player zu präsentieren.
Die Person Kagame und der mit ihm verbundene Politikstil ist zu komplex für eine eindimensionale Bewertung. Sein Vorgehen, das tief traumatisierte und zerstörte Land zu einen und das Überleben der Bevölkerung zu sichern, ist in jedem Falle ungewöhnlich. Zugleich jedoch erzeugt sein autoritärer Regierungsstil immer wieder menschenrechtliche Probleme im In- und Ausland. Ob Kagame in seiner nächsten Amtsperiode den autokratischen Politikstil zementiert oder mehr Raum für Opposition zulässt, muss deshalb genau beobachtet werden.