Nachricht | Die RAF als postfaschistisches Phänomen? (Annotation)

Nein, wirklich neue Erkenntnisse enthält dieses schmale Büchlein nicht. Die im Titel angekündigte Problematisierung der Roten Armee Fraktion (RAF) als ein Phänomen des sog. Postfaschismus erfolgt unvermittelt und nur an einigen wenigen Stellen. Stattdessen wird im weitesten Sinne chronologisch, und sauber mit Quellen versehen, die Geschichte der RAF nacherzählt: Ihre Entstehung aus einer bestimmten Lesart des Endes oder der Niederlage der Sozialrevolte von 1967/68, ihr manichäischer Antiimperialismus, das Avantgardedenken, das verkürzte Verständnis von Theorie und Praxis, all daserzählt Kowalski nach und diskutiert es auch. Nebenbei skizziert er die Kette von Ereignissen grob. Sein Tenor: Die „unterkomplexe“ Faschismusdiagnose der RAF legitimiert ihren eigenen minoritären Kampf. Der freilich auch gegen Akteure des Apparates geführt wird, die im Nationalsozialismus ausgebildet worden waren. Politische Motive spricht Kowalski der RAF ab, ihr Handeln sei vielmehr von einer zutiefst christlich geprägten Sehnsucht nach Erlösung, Schuld- und Ambivalenzfreiheit bestimmt, ihr als Antizionismus ein verbrämter Antisemitismus gewesen. Diese Thesen werden nicht auseichend begründet.

Zeitlicher Schwerpunkt des Textes ist vor allem die erste Generation, bzw. der Zeitraum bis Herbst 1977. Wer sich schon mit der Geschichte der RAF beschäftigt hat, wird in dem Buch nichts neues erfahren. Dagegen ist es für diejenigen, die sich noch nicht so sehr damit beschäftigt haben, eine annehmbare Einführung in diesen Abschnitt der deutschen Nachkriegsgeschichte – und der der Linken. Über die diskussionbedürftigen Thesen des Autors, etwa zum Antisemitismus der RAF, muss dann aber schon ein bisschen hinweggesehen werden.


Bernd Hüttner


Martin Kowalski: Die RAF als postfaschistisches Phänomen, Vergangenheitsverlag, Berlin 2011, 124 S., 16,90 EUR


Diese Annotation erschien auch in der Ausgabe 564 von analyse und kritik. Diese Nummer von ak hat den Schwerpunkt "DDR und Geschichtspolitik".

Zwei Hinweise auf wichtige Online-Ressourcen zum Thema:

Rote Armee Fraktion - Documents

A collection of 1.161 digitized documents by and on the Rote Armee Fraktion (Red Army Faction, 'RAF'). The RAF was founded in 1970 as a group of urban guerilla in West Germany. The collection includes all publications, interviews, communiqués and other public statements of the group. The original documents are held at the Rote Armee Fraktion Collection of the International Institute of Social History, Amsterdam.

http://labourhistory.net/raf/index.php


Jan-Hendrik Schulz: Zur Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF) und ihrer Kontexte: Eine Chronik (59 Seiten!!)

http://www.zeitgeschichte-online.de/portals/_rainbow/documents/pdf/raf/ChronologieRAF.pdf