Nachricht | Sozialökologischer Umbau - Industrieumbau - Klimagerechtigkeit Woher kommt der grüne Wasserstoff?

Der «Champagner der Energiewende» ist knapp und teuer

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Uwe Witt,

Wasserstoff-Tankstelle in Niebüll, Schleswig-Holstein: Caetano Bus mit Wasserstoff-Antrieb, betrieben im öffentlichen Nahverkehr von der DB Tochterfirma Autokraft, der grüne Wasserstoff aus Windenergie wird von GP Joule geliefert.
«Grüner» Wasserstoff kann weltweit nur mit hohem Aufwand hergstellt werden, der Bedarf ist hoch. Er ist deshalb nur dort sinnvoll zu nutzen, wo er nicht anders zu ersetzen ist. In Pkws oder in Gebäudeheizungen beispielsweise hat er nichts zu suchen. Wasserstoff-Tankstelle in Niebüll, Schleswig-Holstein: Caetano Bus mit Wasserstoff-Antrieb, betrieben im öffentlichen Nahverkehr von der DB Tochterfirma Autokraft, der grüne Wasserstoff aus Windenergie wird von GP Joule geliefert., Foto: IMAGO / Joerg Boethling

«Grüner» Wasserstoff ist energieintensiv und teuer in der Herstellung. Muss er verflüssigt per Schiff transportiert werden, wird es noch aufwändiger, was mögliche Importe aus Übersee stark einschränkt. Auf der Suche nach Lieferländern hat Deutschland auch europäische Nachbarn im Blick, zum Beispiel Finnland. Pipelines könnten den Transport dann vereinfachen. Doch der zur Herstellung notwendige Ökostrom ist ein wertvolles Gut und manche Länder sind sich noch nicht sicher, ob und wieviel sie überhaupt exportieren wollen. Einige denken auch darüber nach, emissionsarmen Wasserstoff zu nutzen, um eigene neue Wertschöpfungsketten aufzubauen. Vielleicht sogar zu Lasten deutscher Arbeitsplätze. Ein Überblick über die Debatte.

Uwe Witt ist Referent für Klimaschutz und Strukturwandel der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Emissionsarmer Wasserstoff (H2) und seine Folgeprodukte werden künftig eine wichtige Rolle bei der Dekarbonisierung der Volkswirtschaften spielen, hauptsächlich in fünf Einsatzgebieten:

  1. Wo der deutlich effizientere direkte oder batteriegestützte Stromeinsatz nicht oder nur unter enormem Aufwand möglich wäre (etwa im Flug- und Seeverkehr). Hier kann Wasserstoff über zwei Wege zum Einsatz kommen: Zum einen über Brennstoffzellen, zum anderen - in Verbindung gebracht mit Kohledioxid (CO2) - in flüssigen oder gasförmigen synthetischen Kraftstoffen (Synfuels).
  2. Wasserstoff wird auch als Langzeit-Speichermedium dienen, vor allem, um die Energieversorgung über Wasserstoff-Gasturbinen in jenen Zeiten des Winters abzusichern, in denen kein Wind weht und keine Sonne scheint («Dunkelflaute»).
  3. In der Industrie wird Wasserstoff Erdgas als Brennstoff in Hochtemperaturprozessen ablösen, wo deutlich effizienter Wärmepumpen an ihre Grenzen stoßen.
  4. Wasserstoff wird gebraucht, um jene Treibhausgase zu vermeiden, die in der Industrie nicht energiebedingt entstehen, sondern aufgrund von stofflichen Prozessen, etwa in der Roheisenerzeugung als Ersatz für Kohlekoks (siehe unten). Emissionsarmer Wasserstoff kann auch eingesetzt werden, um die Ammoniakproduktion klimaneutral zu machen. Bislang wird der dafür benötigte Wasserstoff aus Erdgas gewonnen, wobei CO2 emittiert wird.
  5. Aus Wasserstoff und Kohlenstoff erzeugte Kohlenwasserstoffverbindungen werden (neben biogenen Rohstoffen, die aber ein sehr begrenztes Potenzial haben) Erdgas und Erdöl als Grundstoff in der chemischen Industrie ersetzen, etwa bei der Produktion von Plastikerzeugnissen.

Alle diese Anwendungen müssen – wenn sie nachhaltig sein sollen – auf Wasserstoff basieren, der mittels Ökostrom aus Elektrolyseuren gewonnen wird. Gegebenenfalls kann dieser grüne Wasserstoff anschließend mit Kohlenstoff verbunden werden, um sogenannte Synfuels herzustellen (synthetische Kraftstoffe, grünes Methan). Das dafür benötigte CO2 lässt sich klimaneutral allerdings nur (aufwändig) aus der Atmosphäre gewinnen. Alle anderen denkbaren Quellen würden dagegen letztlich Kohlenstoff aus der Erdkruste in die Atmosphäre transportieren (etwa CO2 aus fossilen Quellen oder aus Müllverbrennung). Sie sind somit ausgeschlossen, denn über solche Wege würde kein CO2-Kreislauf einstehen.

Grüner Wasserstoff - Champagner der Energiewende

Die Herstellung von «grünem» Wasserstoff über einen Elektrolyse-Prozess mittels Ökostrom ist enorm energie- und kostenintensiv – und dies wird auf absehbare Zeit so bleiben. Wird Wasserstoff nicht in reiner Form verwendet, sondern mit Kohlenstoff in flüssige oder gasförmige Stoffe eingebaut, so benötigen diese Prozesse noch einmal zusätzlich große Mengen Energie. Ökostrom ist jedoch ein wertvolles Gut. Verfügbare Flächen und benötigte Rohstoffe dafür sind knapp und häufig konfliktbeladen – sowohl hierzulande als auch im Ausland.

In der Wissenschaft herrscht deshalb große Einigkeit darüber, dass grüner Wasserstoff und darauf basierende synthetische Kraft- und Brennstoffe (Power to Liquid, PtL) nur dort eingesetzt werden sollten, wo es absehbar nicht anders möglich ist. Priorität muss grundsätzlich die direkte Elektrifizierung und Energieeinsparung haben, also batterieelektrische Antriebe, Oberleitungen und Verkehrsverlagerungen auf die Schiene sowie Wärmepumpen und hohe Sanierungsstandards im Gebäudebereich. Das sieht im Grundsatz auch die deutsche Bundesregierung so, sie hält jedoch bislang die Möglichkeit des Einsatzes von Wasserstoff auch im Pkw-Bereich und im Gebäudesektor zumindest offen. Die FDP als Teil der Bundesregierung sowie die Oppositionsparteien CDU und BSW kämpfen sogar proaktiv für synthetische Kraftstoffe und Wasserstoff-Heizungen, um populistisch Verbrennungsmotor und Gasheizungen zu retten. Dieser verlustreiche Weg würde aber für die gleiche Dienstleistung (eine bestimmte Strecke Mobilität oder eine Einheit Wärme) um den Faktor 5 bis 10 mehr Ökostrom erfordern, als Elektroautos oder Wärmepumpen.

Als die Debatten um die Herstellung von grünem Wasserstoff vor einigen Jahren begannen, zeichnete sich schnell ab, dass dieser knapp und teurer sein wird. In Deutschland sprechen die kritischen Teile von Wissenschaft und Politik deshalb auch vom «Champagner der Energiewende». Obgleich die Schätzungen über die Höhe des künftigen deutschen Wasserstoffbedarfs noch sehr auseinandergehen, gibt es eine Konstante: Langfristig müssten 70 bis 80 Prozent davon importiert werden, weil innerhalb Deutschlands die Flächen für Ökostromanlagen zur Herstellung grünen Wasserstoffs genauso begrenzt sind wie deren Ausbeute.

Zwar gäbe es mit so genannten blauen Wasserstoff auch einer Alternative ohne Ökostrom. Hierbei würde Wasserstoff wie heute üblich durch Dampfreformierung von Erdgas gewonnen, indem bei Temperaturen von bis zu 1000 °C in Wasserstoff und CO2 getrennt wird. Das anfallende CO2 würde anschließend jedoch nicht wie bislang in die Atmosphäre geblasen, sondern unter dem Meeresboden verpresst werden (Carbon Capture and Storage – CCS). Die Technologie ist in Deutschland aber höchst umstritten. Ob sie einen relevanten Anteil an einer emissionsarmen Wasserstoffproduktion haben wird, ist fraglich.

Deutschland auf Einkaufstour

Die Bundesrepublik hat mit potentiellen Lieferländern, die günstigere klimatische Bedingungen zur Herstellung grünen Wasserstoffs aufweisen, Wasserstoffabkommen unterzeichnet. Auf der Liste stehen momentan Ägypten, Australien, Chile, Indien, Kanada, Namibia, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Algerien. Allerdings stehen die Vorhaben bislang nur auf dem Papier oder sind winzig. Überdies stellen sich insbesondere bei Importen aus dem Globalen Süden Fragen nach wirksamen sozialökologischen Leitplanken. In Bezug auf Länder Westafrikas und Marokko hat Arepo Consult dazu im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung eine Studie erarbeitet und Vorschläge unterbreitet (engl.).

Sowohl für die Elektrolyseleistung in Deutschland wie in den Partnerländern gilt zudem: Gebaut wurde bislang fast nichts, selbst endgültige Investitionsentscheidungen (Final Investment Decision - FID) wurden bislang kaum gefällt. Die Internationale Energieagentur (IEA) veröffentlichte im April ihren «Northwest European Hydrogen Monitor 2024». Er soll zeigen, wie weit Wasserstoff-Projekte in dieser Region (NWE) bisher vorangekommen sind. Untersucht wurden Vorhaben von grünem und blauem Wasserstoff. Die NWE umfasst zehn Länder, darunter Deutschland, Benelux, Frankreich, Norwegen und Großbritannien. Auch hier ein ähnlicher Befund: Nach einer Analyse dieses Berichts vom Energieanalysten Steffen Buckhold könnten die bisher relativ sicher absehbaren Mengen an grünem Wasserstoff (Anlagen gebaut oder FID, ohne Importe) im Jahr 2030 in NWE nur etwa fünf Prozent der bisherigen fossilen Wasserstoffproduktion ersetzen. Für den zusätzlichen Bedarf an grünem Wasserstoff, etwa aus der Stahlindustrie, der Grundstoffindustrie oder des Luft- und Seeverkehrs, gäbe es da noch nicht ein einziges Kilogramm. Insgesamt werden die 27 EU-Mitgliedstaaten und Großbritannien bis 2050 mindestens 700 Terawattstunden (TWh) an gasförmigem Wasserstoff benötigen, so eine Analyse des deutschen Forschungsprojekts «TransHyDe».

Weltweit nicht anders: Nur etwa vier Prozent der bis 2030 angekündigten 38 Millionen Tonnen emissionsarmer Wasserstoff im Jahr 2030 sind gegenwärtig im Bau oder mit FID untersetzt. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 wurden weltweit 69 Millionen Tonnen grauer Wasserstoff hergestellt und verbraucht, fast ausschließlich (klimaschädlich mit CO2-Emissionen) aus Erdgas. Bis zum Jahr 2030 könnten global nach gegenwärtigem Projektstand also gerade einmal zwei Prozent des jetzigen fossilen Wasserstoffbedarfs klimafreundlich ersetzt werden. Die IEA sieht beim Bau von Wind- und Solaranlagen für die Wasserstoffelektrolyse für die nächsten vier Jahre sogar einen Rückgang von knapp 35 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Hauptgrund: Unsicherheiten über Preisentwicklungen, Förderbedingungen und regulatorisches Umfeld im Zusammenhang mit Wasserstoff.

Transportprobleme: Pipeline statt Schiff

Grüner Wasserstoff ist demnach eher Goldstaub als Champagner. Darüber hinaus gibt es weiteren Unbill aus physikalischen Gründen: Wasserstoff lässt sich in reiner Form verflüssigt per Schiff nicht wirtschaftlich transportieren, was mögliche Importe aus Übersee stark einschränkt. Das liegt daran, dass man ihn dafür auf minus 243 Grad herunterkühlen müsste und je Schiff nur geringe Mengen transportiert werden könnten. Kein Wunder, dass bislang weltweit nur ein einziger H2-Carrier existiert. Der Wasserstofftanker von der überschaubaren Größe eines Binnenschiffes verkehrt als Pilotprojekt zwischen Australien und Japan.

Mittlerweile ist sich die Studienlandschaft weitgehend einig: Die einzige realistische Option, treibhausgasarmen Wasserstoff zu verschicken, ist gasförmig mittels Pipelines.

Wasserstoff-Importe aus fernen Ländern per Schiff könnten nur in Form von Wasserstoff-Derivaten (Folgeprodukten) stattfinden, die deutlich besser transportabel sind als reiner Wasserstoff. Als Ammoniak etwa oder als Methanol, beides hergestellt auf Basis grünen oder blauen Wasserstoffs. Bei der Herstellung dieser Derivate wird jedoch viel Energie gebraucht, bei der Rückumwandlung zu reinem Wasserstoff in Zentraleuropa gingen nochmals enorme Mengen verloren. Deshalb macht diese Technologie-Route nur Sinn, wenn die Derivate so verwendet werden, wie sie in den Zielländern ankommen. Also als Ammoniak oder Methanol – eine Aufspaltung zur Rückgewinnung molekularen Wasserstoffs wäre viel zu verlustreich.

Finnland will H2-Exporteur werden

Hier kommt Finnland ins Spiel. Das Land will ein bedeutender Wasserstoffakteur in Europa werden und hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: 2030 sollen zehn Prozent des in der EU hergestellten emissionsfreien Wasserstoffs aus Finnland stammen. Je nach Szenario könnte das Land nach einem Bericht von Germany Trade & Invest 2030 zwischen 16 und 23 TWh Wasserstoff exportieren, und zwar effizient per Pipeline, auch nach Deutschland. Dabei würden die in die Bundesrepublik über den so genannten D-Korridor des geplanten Europeane Hydrogen Backbon erfolgen. Zu diesem Korridor zählen derzeit drei geplante Pipelines: die Nordic Hydrogen Route, der Nordic-Baltic Hydrogen Corridor und der Baltic Sea Hydrogen Collector (BHC). Der BHC würde direkt durch die Ostsee führen und böte den geografischen Vorteil einer direkten Verbindung nach Deutschland ohne Transitstaaten. Solche hätte die anderen beiden Röhren, da sie in Finnland vereinigt nach Süden über Estland, Lettland, Litauen und Polen nach Deutschland geführt würden. Die geplante Nordic Hydrogen Route wäre zudem «durch die deutsche Brille betrachtet» eine «Konkurrenzpipeline», wie es der genannte Bericht formuliert, weil sie nördlich auch die Wasserstoffwirtschaft im Bothnian Bay, also Nordfinnland und Nordschweden, miteinander verbinden würde. Und die nordschwedische Industrie, vor allem die dortige Stahlindustrie, habe einen großen Bedarf an Wasserstoff, sie könne mit deutschen Abnehmern um finnischen Wasserstoff konkurrieren.

Doch nicht nur aus Schweden lauert Konkurrenz. So plant das norwegische Unternehmen Blastr Green Steel, im finnischen Inkoo ein grünes Stahlwerk mit integrierter Wasserstoff-Produktionsanlage zu errichten. Das Werk soll jährlich 2,5 Millionen Tonnen hochwertigen warm- und kaltgewalzten Stahl produzieren. Grüner Wasserstoff ersetzt dort den ansonsten eingesetzten klimaschädlichen Koks bei der Roheisenherstellung. Bislang zieht der Koks den Sauerstoff aus dem Eisenerz, wobei viel CO2 frei wird.

Für die alternative klimafreundliche Direktreduktion (direct reduced iron, DRI) suchen Stahl-Manager weltweit händeringend nach grünem Wasserstoff. Allerdings stellen sich gerade jene Staaten, die günstige Voraussetzungen zur grünen Wasserstoffproduktion haben, die Frage, ob sie das Zukunftsgas nicht besser selbst nutzen sollten als es zu exportieren. Etwa um neue Produktionslinien aufzubauen, inklusiver hochwertiger Jobs – zu Lasten der alten Produktionsländer. So beispielweise für die Herstellung grünen Ammoniaks und grünen Roheisens (in Namibia geplant) oder eben gleich für die komplette Stahlwertschöpfungskette (was Finnland vorhat, siehe oben). Höher veredelte Erzeugnisse und Zwischenprodukte exportieren statt Rohstoffe, ist die Devise, die deutschen Stahlunternehmen und Gewerkschaften Kopfschmerzen bereiten dürfte.

Technisch-ökonomische Vorteile für Finnland

Im Jahr 2023 lag in Finnland der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Nettostromerzeugung bei rund 45,4 Prozent, Atomenergie lieferte 44,2 Prozent. Das ermöglicht dem Land, seine Ökostromanlagen ohne weitere Nachweise zur Produktion von Wasserstoff einzusetzen, der das EU-Label «grüner Wasserstoff» erhält. Dies ist nach einer EU-Vorschrift unter anderem bei «Netzen mit geringen Emissionen» der Fall. Der Hintergrund: Die EU-Logik geht davon aus, dass Ökostrom nur einmal genutzt werden kann. Die stromfressende Wasserstoffproduktion in einem Land könnte deshalb zu Lasten der Ablösung fossiler Stromerzeugung gehen, weil der Ökostrom dann dafür fehlen würde. Diese Ablösung sollte aber Priorität haben, da sie effizient und billig ist. Entsprechend werden (vereinfacht) Nachweise gefordert, dass die Wasserstoffproduktion mit zusätzlichen (neuen) Anlagen erfolgt. Diese Nachweise entfallen jedoch bei Staaten, die kaum noch fossile Erzeugung haben. Das Kriterium wird erfüllt, wenn der landesweite Stromemissionsfaktor im Netz unter 18 g CO2-Äquivalent pro Megajoule liegt (entspricht rund 65 g CO2 Äq/kWh). Finnland liegt sogar leicht darunter, unter anderem weil zur Erfüllung dieses Kriteriums auch Atomstrom anrechenbar ist, wenngleich dieser selbst nicht zur «grünen» H2-Produktion genutzt werden darf. Die Elektrolyseure zur H2-Produktion müssen vielmehr Lieferverträge mit Ökostromanlagen abschließen. Diese Pflicht dürfte – neben den extrem hohen Kosten für Atomkraft-Neubauprojekten (zu denen aus Sicht der deutschen Umweltbewegung und der LINKEN hohe Risiken kommen) – ein wichtiger Grund sein, warum die installierte Leistung an finnischen Wind- und Solarkraftanlagen in den kommenden Jahren massiv steigen soll. Neue Ökostromprojekte in Finnland, die sich in verschiedenen Entwicklungsstadien befinden, umfassten im Mai 2022 mehr als 120 Gigawatt. Das Bild wird abgerundet damit, dass das Land der tausend Seen auch über ausreichend Süßwasser für die Wasserstoffproduktion verfügt und auch über wichtige Mineralien für den Aufbau dieser Wasserstoffwirtschaft verfügt.

Hohe Kosten für Wasserstoffnutzer und öffentliche Haushalte

Grüner Wasserstoff wird teurer. Die erste Auktion der Europäischen Wasserstoffbank im April hat auf Basis von 132 Geboten aus unterschiedlichen EU-Ländern für das Jahr 2030 erwartete durchschnittliche Produktionskosten je Kilogramm zwischen 5,80 und 13,50 Euro (174 bis 405 Euro/Megawattstunde) offengelegt. An der deutschen Börse EEX werden gegenwärtig grüne Wasserstoff-Kontrakte für 6 bis 8 Euro je Kilogramm gehandelt. Wasserstoff auf fossiler Basis mittels Erdgasreformierung (grauer Wasserstoff) kostet dagegen nur zwischen 1 bis 2 Euro je Kilogramm. Auch wenn man ganze Produktionsprozesse vergleicht, die mittels grünen Wasserstoffs dekarbonisiert werden sollen, müsste dieser für eine Kostenparität zur herkömmlichen Herstellungsmethode deutlich billiger werden. Nach einer Studie im Auftrag des Norddeutschen Reallabors müssten die Produktionskosten sinken auf 2,13 Euro je Kilogramm grüner Wasserstoff bei der Herstellung Stahl, auf 2,86 Euro bei Kupfer, auf 3,01 Euro bei Methanol und auf 4,40 Euro bei Ammoniak (alles ohne Transportkosten).

Ob die enorme Kostenschere mittels technologischer Entwicklung jemals vollständig geschlossen werden kann, ist fraglich. Verkleinert wird sie im Übergang (oder auf Dauer?) mit gigantischen staatlichen Subventionen für die Errichtung von Anlagen zur Wasserstoffherstellung und -nutzung sowie zur Senkung von Betriebskosten. So beteiligen sich die Bundesregierung und die jeweiligen Bundesländer mit rund 4,6 Mrd. Euro an den deutschen Wasserstoffinfrastrukturprojekten. Die Partei DIE LINKE fordert hier als Gegenleistung von deutschen Unternehmen öffentliche Anteile und «Gute Arbeit» (Beschäftigungsgarantien, Tarifbindung, erweiterte Mitbestimmung).

Darüber hinaus soll die Refinanzierung mit der Schaffung von so genannten grünen Leitmärkten gefördert werden. Sie sollen eine höhere Zahlungsbereitschaft der Abnehmer für CO2-arme Produkte erzeugen (etwa der Low emission Steel Standard - LESS). Der Staat kann auch erzwingen, mehr Geld für solche Produkte zu zahlen und sie einzusetzen. Das geschieht in der EU beispielsweise mit vorgeschriebenen Mindestquoten zur Beimischung von synthetischen oder biogenen Kraftstoffen in Flugbenzin ab 2025. Zumindest in Europa wird auch der EU-Emissionshandel grünen Stahl erzwingen. Schließlich werden im Jahr 2038 die letzten Emissionsberechtigungen versteigert, danach darf im Produktionsprozess kein CO2 mehr anfallen.

Schlussbetrachtung

Der Einsatz von grünem Wasserstoff und seinen Folgeprodukten ist zur Dekarbonisierung der Volkswirtschaften unabweislich. Grüner Wasserstoff wird aber extrem knapp und teuer sein. Dichtbesiedelte und stark industrialisierte Staaten wie Deutschland werden den überwiegenden Teil davon importieren müssen. Finnland könnte eines der Lieferländer sein, wenngleich in einem überschaubaren Umfang. Vorteilhaft ist insbesondere, dass das Land reinen Wasserstoff günstig per Pipeline liefern könnte, der hierfür unwirtschaftliche Seeweg also umgangen werden kann. Zudem wird Finnland in naher Zukunft – im Gegensatz zu vielen als potentielle Lieferländer bezeichnete Staaten des Globalen Südens – durch den Ausbau der erneuerbaren Energien dauerhaft Stromüberschüsse erzeugen. Dabei wäre es wünschenswert, wenn in diesem Zug Atomstrom durch Ökostrom ersetzt würde. Finnland könnte darüber hinaus neue Wirtschaftszweige aufbauen, die künftig auf günstige grüne Wasserstofflieferungen angewiesen sind, etwa – wie offensichtlich geplant – die Stahlproduktion. Dies könnte zu Lasten klassischer Produzenten in Europa gehen.

Aus dem weltweit hohen Bedarf an grünem Wasserstoff, dem voraussichtlich geringen Produktions-Kapazitäten gegenüberstehen, sowie aus den Transport-Limitierungen für Wasserstoff könnten internationale Verteilungskonflikte um grünen Wasserstoff und um Flächen für Ökostromanlagen zur dessen Herstellung entstehen. Insbesondere besteht die Gefahr neokolonialer Importstrategien aus den Ländern des Globalen Südens. All diese Gefahren werden reduziert, wenn grüner Wasserstoff nur dort eingesetzt wird, wo er nicht anders zu ersetzen ist. In Pkws oder in Gebäudeheizungen beispielsweise hat er nichts zu suchen. Zudem müssen ökosoziale Guidelines faire Lieferbedingungen bei dennoch notwendigen Importen von Wasserstoff bzw. dessen Derivaten garantieren (die jedoch erfahrungsgemäß löchrig sein werden). Auf der anderen Seite könnten künftig weltweit stark auf grünen Wasserstoff basierende Produktionslinien der Grundstoffindustrie (Stahl, Chemie, Düngemittel) ihre Standorte dorthin verlagern, wo Wasserstoff günstig zu produzieren ist. Das könnte auch Staaten des Globalen Südens nutzen.