Nachricht | Rassismus / Neonazismus - Parteien / Wahlanalysen Sachsen hat gewählt

Übersicht der Wahlergebnisse und erste Deutungen

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Steven Hummel,

Steven Hummel ist Politikwissenschaftler. Er arbeitet im Bereich Bildungsarbeit bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen und ist ehrenamtlich bei der Dokumentations- und Rechercheplattform chronik.LE aktiv. Sein Schwerpunktthema ist die extreme Rechte.

03.09.2024, Datenstand: vorläufiges Endergebnis

Die sächsische Landtagswahl 2024 hat deutliche politische Verschiebungen mit sich gebracht. Der vorliegende Text wirft einen ersten Blick auf die Wahlergebnisse und ordnet diese ein. Was bedeuten die Ergebnisse für linke Politik in Sachsen in den nächsten Jahren? Die Anmerkungen und Thesen am Ende des Textes sind als Diskussionsaufschlag zu verstehen. Widerspruch, andere Einschätzungen und Ergänzungen sind erwünscht.

Eine erste Diskussion über die Auswirkungen der Landtagswahl führen wir am 03.09. in unserer Veranstaltung "Wie weiter nach der Landtagswahl?".

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick

  • Die stärkste Partei ist in Sachsen nach wie vor die CDU (31,9%), dicht gefolgt von der AfD (30,6%); die CDU verliert minimal (-0,2%), die AfD gewinnt moderat hinzu (+3,1%).

  • Die größte Wahlgewinnerin ist das Bündnis Sarah Wagenknecht. Die erst im Januar 2024 gegründete Partei erreicht aus dem Stand 11,8% der Stimmen und kann damit 15 Sitze im neuen Landtag besetzen.

  • SPD (7,3%) und Bündnis 90/Die Grünen (5,1%) schneiden erwartungsgemäß schlecht ab, die Grünen schaffen es nur sehr knapp über die 5%-Hürde.

  • Die größte Wahlverliererin ist Die Linke (4,5%), die nur wegen zweier gewonnener Direktmandate überhaupt noch im Landtag vertreten ist. Dank der Grundmandatsklausel kann sie 6 Sitze besetzen und somit eine Fraktion bilden.

  • Die aktuelle Regierungskonstellation aus CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen kommt lediglich auf 44,3% (-3,7%) der Stimmen und 58 Sitze (Landtagsmehrheit bei 61 Sitzen). Eine Fortführung der Koalition ist somit nicht möglich und wird von Ministerpräsident Kretschmer auch nicht gewünscht.

  • Als wahrscheinlichste Koalition kann der Zusammenschluss von CDU, BSW und SPD (zusammen 66 Sitze) gelten.

  • Linke Politik wird nach der Landtagswahl noch schwieriger als sie in Sachsen ohnehin schon ist. Besonders die Wahlniederlage der Partei Die Linke, versehen mit einem leichten Hoffnungsschimmer  (weniger als 5% der Zweitstimmen, aber Gewinn zweier Direktmandate) ist auch für die außerparlamentarische Linke von Bedeutung.

Allgemeiner Überblick

Wahlbeteiligung

Bei der sächsischen Landtagswahl waren 3.181.013 Menschen (2019: 3.288.643) zur Wahl des Sächsischen Landtags aufgerufen. An der Wahl teilgenommen haben 74,4% (2019: 66,5%), die Wahlbeteiligung ist damit deutlich gestiegen. So viele Menschen wie nie seit 1990 haben sich an der Landtagswahl beteiligt. Die meisten bisherigen Nichtwähler*innen konnten BSW (46.000) und CDU (40.000) mobilisieren. Nicht alle Menschen, die in Sachsen leben, sind wahlberechtigt, Voraussetzung ist die deutsche Staatsbürgerschaft, ein Hauptwohnsitz in Sachsen und die Volljährigkeit – ca. 700.000 Menschen dürfen nicht wählen.

Erst- und Zweitstimmenergebnisse

Wie auch bei anderen Landtags- und Bundestagswahlen haben Wähler*innen zwei Stimmen, die sogenannte Erst- und Zweistimme. Die Zweitstimme bestimmt das Gesamtverhältnis der Sitzverteilung und ist daher relevanter. Mit der Zweitstimme wird eine Partei gewählt (Verhältniswahl). Stärkste Kraft wird die CDU (31,9%), dicht gefolgt von der AfD (30,6%). Weiterhin zeihen BSW (11,8%), SPD (7,3%), Bündnis 90/Die Grünen (5,1%) und Die Linke (4,5%) in den Landtag ein. Dem Landtag gehören damit wie bereits zwischen 2004 und 2024 sechs Parteien an.

Die Erststimme wird an die Direktkandidat*innen (der Parteien) in den 60 Wahlkreisen vergeben, eine relative Mehrheit reicht für das jeweilige Mandat. Mit der Erststimme wird also eine Person gewählt (Persönlichkeitswahl). Die AfD erringt die meisten Direktmandate (28), dicht gefolgt von der CDU (27). Einige wenige Direktmandate können auch Bündnis 90/Die Grünen (2), Die Linke (2) sowie die Freien Wähler (1) verbuchen. Für Die Linke sichern die Direktmandate den Einzug in den Landtag. Die entsprechende Regelung nennt sich Grundmandatsklausel (§6 Abs. 1 Sächsisches Wahlgesetz) und gesteht einer Partei mit zwei Direktmandaten einen Einzug in Zweitstimmenstärke in den Landtag zu.

Die besten Ergebnisse bei den Erststimmen erreichen Frank Peschel (49,1%, AfD, Wahlkreis 52 – Bautzen 1/Budyšin 1) und Michael Kretschmer (47,2%, CDU, Wahlkreis 58 – Görlitz 2); die schlechtesten Ergebnisse Wolf-Dieter Rost (29,8%, CDU, Wahlkreis 27 – Leipzig 3) und Dr. Claudia Maicher (29,2%, Bündnis 90/Die Grünen, Wahlkreis 30 – Leipzig 6).

Beim Blick auf die Direktmandate wird deutlich, dass grüne und linke Direktmandate lediglich in Leipzig und Dresden gewonnen wurden. Alle anderen Wahlkreise teilen CDU und AfD unter sich auf (mit Ausnahme Leipzig Land 3 – Freie Wähler) - wobei die AfD kein Direktmandat in einer Großstadt erringen kann.

Regulär vergeben werden bei der Landtagswahl in Sachsen 120 Sitze. Da keine Partei mehr Direktmandate auf sich vereinen kann als ihr anteilig nach Zweistimmen zustünden, werden keine Überhangmandate vergeben.

Offen bleibt ob der Spitzenkandidat der Freien Wähler, Matthias Berger, sein Landtagsmandat annehmen wird. Vor der Wahl hatte er verkündet nicht als Einzelkämpfer in den Landtag ziehen zu wollen. Sofern Berger sein Mandat nicht annimmt wird der Landtag um einen Sitz verkleinert. Das pikante daran: damit erhielte die AfD eine Sperrminorität.

Regierungsbildung

Die aktuelle Regierungskonstellation aus CDU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen kommt lediglich auf 44,3% (-3,7%) der Stimmen und damit 58 Sitze (-9). Für eine Landtagsmehrheit werden 61 Sitze benötigt. Bereits vor der Wahl hatte Ministerpräsident Kretschmer deutlich gemacht, dass er am liebsten ohne die Grünen weiterregieren würde. Da er ebenfalls eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen hat, ist das rechnerisch und politisch einzig mögliche Bündnis das zwischen CDU, BSW und SPD. Dieses käme zusammen auf 66 Sitze.

Abzuwarten bleibt, ob eine Regierungsbildung mit dem neugegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht gelingt. Die Parteivorsitzende hatte angekündigt bei Koalitionsverhandlungen selbst mit am Tisch sitzen zu wollen. Weiterhin sei eine klare Positionierung im Ukraine-Krieg (gegen Waffenlieferungen) Voraussetzung für eine Koalition.

Eine Minderheitsregierung unter CDU-Führung wäre zwar denkbar, ist aber unwahrscheinlich. Eine Koalition zwischen CDU und Die Linke ist per Beschlusslage der CDU nicht möglich.

Das Abschneiden der einzelnen Parteien

CDU

Abbildung 4: Kompetenzen der CDU, erstellt mit Datawrapper

Die CDU verliert minimal (-0,2%) und erreicht 31,9% (Zweitstimmen) sowie 27 Direktmandate (Erststimmen). Damit wird sie 41 Sitze (-4) im nächsten Landtag besetzen. Sie ist damit wie immer seit 1990 stärkste Partei, erreicht aber nach 2019 erneut ihr schlechtestes Ergebnis. Im Wahlkampf fokussierte die Partei stark auf den amtierenden Ministerpräsidenten und Spitzenkandidaten Michael Kretschmer. Für ihn wurden auf Wahlplakaten die Attribute „Energisch“, „Kämpferisch“ und „Optimistisch“ gewählt, Kretschmer sei „Ministerpräsident aller Sachsen“. Mit Blick auf die Regierungsbildung äußerte Kretschmer mehrfach, dass er lieber ohne die unliebsamen Grünen regieren würde, grenzte sich aber auch immer wieder von der AfD ab. Im Wahlprogramm („Regierungsprogramm“) „Weil es um Sachsen geht“ fokussiert die CDU schwerpunktmäßig auf die Themen Sicherheit und Versorgung sowie Heimat (worunter bei der CDU unter anderem auch Regionalentwicklung, Digitalisierung, Kultur und Medien fallen).

Der CDU werden in Sachsen vor allem Kompetenzen im Bereich Wirtschaft und Arbeitsplätze zugeschrieben, allerdings verliert sie hier deutlich im Vergleich zur letzten Landtagswahl. Eine grafische Aufbereitung rings um die Fragestellung "Wer wählte die CDU - und warum?" bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Die CDU kann zwar sowohl Nichtwähler*innen mobilisieren (40.000), als auch Wähler*innen von Bündnis 90/Die Grünen (31.000), Die Linke (19.000) und SPD (18.000) dazugewinnen, dies gleicht aber nicht die Verluste an BSW (43.000) und AfD (44.000) aus. Eine grafische Aufbereitung zur Wählerwanderung bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Hörtipp: Deutschlandfunk (2024): Landtagswahl in Sachsen – Wie die CDU AfD-Wähler auf dem Land gewinnen will, online abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/landtagswahl-in-sachsen-wie-die-cdu-afd-waehler-auf-dem-land-gewinnen-will-dlf-6128b171-100.html

AfD

Abbildung 5: Kompetenzen der AfD, erstellt mit Datawrapper

Die extrem rechte AfD gewinnt moderat hinzu (+3,1%) und erreicht 30,6% (Zweitstimmen) sowie 28 Direktmandate (Erststimmen). Damit wird sie 40 Sitze (+2) im nächsten Landtag besetzen. Sie setzt damit einerseits ihren Erfolgskurs fort (bestes Ergebnis), bleibt aber hinter den eigenen Erwartungen zurück und erreicht nach aktuellem Stand keine Sperrminorität. Spitzenkandidat war der Landes- und Fraktionsvorsitzende Jörg Urban. Zuletzt kämpfte die AfD energisch gegen „verschenkte Stimmen“. Mit der Zweitstimme sollten nicht Kleinstparteien wie „Bündnis Deutschland“, „WerteUnion“, „Freie Sachsen“ und „dieBasis“ gewählt werden, stattdessen brauche die AfD beide Stimmen. Dies führte zu Verdruss und Streit im extrem rechten Lager. Im Wahlprogramm „Damit Sachsen Heimat bleibt“ breitet die Partei Altbekanntes aus, der thematische Schwerpunkte ist das Themenfeld Flucht/Migration/Asyl.

Der AfD werden in Sachsen wenig überraschend vor allem Kompetenzen im Bereich Asyl- und Flüchtlingspolitik sowie Kriminalitätsbekämpfung zugeschrieben. Bemerkenswert ist, dass die AfD bei allen abgebildeten Kompetenzen im Vergleich zur letzten Landtagswahl hinzugewonnen hat.
Eine grafische Aufbereitung rings um die Fragestellung "Wer wählte die AfD - und warum?" bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Die AfD kann deutlich Wähler*innen der CDU hinzugewinnen (44.000), ebenso erstaunlicherweise bei den drei Parteien Die Linke (8.000), Bündnis 90/Die Grünen (4.000) und SPD (5.000). Weiterhin gelingt ihr die Mobilisierung von Nichtwähler*innen (10.000). Verluste muss die AfD lediglich an das neugegründete BSW (23.000) verkraften. Eine grafische Aufbereitung zur Wählerwanderung bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Lesetipp: Otto-Brenner-Stiftung (2024): „Falsche Propheten“ in Sachsen. Extrem rechte Agitation im Landtag, online abrufbar unter: https://www.otto-brenner-stiftung.de/falsche-propheten-in-sachsen/

Hörtipp: Landtagswahl in Sachsen – Wie der AfD-Spitzenkandidat Wahlkampf macht, online abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/landtagswahl-in-sachsen-wie-der-afd-spitzenkandidat-wahlkampf-macht-dlf-f9233368-100.html

BSW

Abbildung 6: Kompetenzen des BSW, erstellt mit Datawrapper

Das erst im Januar 2024 offiziell gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht – Für Vernunft und Gerechtigkeit, kurz BSW, kann als Wahlgewinner bezeichnet werden. Aus dem Stand heraus erreicht die Partei 11,8% (Zweitstimmen), kann aber keine Direktmandate (Erststimmen) gewinnen. Damit wird sie 15 Sitze (+15) im nächsten Landtag besetzen. Dies ist umso beachtlicher, als dass das BSW in Sachsen erst 60 Parteimitglieder hat. Für den Aufbau der sächsischen Partei zeichnet die Vorsitzende und Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann (2005-2021 MdB Die Linke) verantwortlich. Wichtigstes Zugpferd der Partei ist allerdings ihre Vorsitzende Sahra Wagenknecht, deren Bild von zahlreichen Plakaten blickte – auch wenn sie gar nicht zur Wahl stand. Auch das Wahlprogramm „Sachsens Zukunft: friedlich, vernünftig, gerecht“ kommt nicht ohne Vorwort der Parteivorsitzenden aus, den größten Teil nimmt die Themen Sicherheit, Bürgernähe und freie Meinungsäußerung ein (u.a. „unkontrollierte Migration stoppen“, „Aufarbeitung der Corona-Zeit“ und „Demokratische Teilhabe“). Bei möglichen Verhandlungen zur Regierungsbeteiligung will die Bundesvorsitzende persönlich mit am Tisch sitzen und machte unter anderem deutlich, dass die Positionierung zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine eine entscheidende Rolle spiele. Grundsätzlich sei eine Koalition mit der CDU denkbar. Mit der AfD soll es zwar keine Koalition geben, möglicherweise aber gemeinsames Abstimmungsverhalten.

Dem BSW werden vor allem Kompetenzen im Bereich Politik gegenüber Ukraine und Russland, soziale Gerechtigkeit und ostdeutsche Interessen zugeschrieben – alles allerdings lediglich auf einem niedrigen zweistelligen Niveau. Eine grafische Aufbereitung rings um die Fragestellung "Wer wählte das BSW - und warum?" bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Das BSW kann von allen Parteien hinzugewinnen, am deutlichsten von der Partei Die Linke (73.000), mit deutlichem Abstand folgen CDU (43.000), AfD (23.000), SPD (16.000) und Bündnis 90/Die Grünen (10.000). Ebenso kann das BSW Nichtwähler*innen (46.000) mobilisieren. Eine grafische Aufbereitung zur Wählerwanderung bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Lesetipp: Rosa-Luxemburg-Stiftung (2024): Nach der Trennung. Eine Anti-Establishment-Partei? Zur Verortung des «Bündnis Sahra Wagenknecht» im Parteiensystem, online abrufbar unter: https://www.rosalux.de/publikation/id/51665/nach-der-trennung

Hörtipp: Deutschlandfunk (2024): BSW in Sachsen – Jörg Scheibe im Schatten von Wagenknecht, online abrufbar unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/bsw-in-sachsen-joerg-scheibe-im-schatten-von-wagenknecht-laenderreport-dlf-kultur-78bfc724-100.html

SPD

Abbildung 7: Kompetenzen SPD, erstellt mit Datawrapper

Die SPD verliert minimal (-0,4%) und erreicht 7,3% (Zweitstimmen), kann aber keine Direktmandate gewinnen. Damit wird sie 10 Sitze (+-0) im nächsten Landtag besetzen. Die SPD erlangt damit ihr bisher schlechtestes Ergebnis - war aber in Sachsen schon immer schwach. Die Partei setzte stark auf ihre Spitzenkandidatin Petra Köpping, Sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie sei „die Richtige für dich und Sachsen“. Köpping wirbt seit Jahren für Zuhören und Dialog. Ein vielbeachtetes Wahlplakat zeigte sie zusammen mit Michael Kretschmer sowie dem Slogan „Hinter dem Erfolg von diesem Mann … … steckt eine starke Frau, die es kann.“ Die SPD will nach Möglichkeit in der Regierungsverantwortung bleiben – in einer Koalition mit der CDU. Das Wahlprogramm („Regierungsprogramm“) „Von Arbeit bis Zusammenhalt“ ist zweigeteilt. Neben einem ersten Teil, der eine Art Zukunftsvision formuliert, findet sich im zweiten Teil zu jedem Buchstaben im Alphabet ein inhaltlicher Kernpunkt.

Der SPD werden vor allem Kompetenzen im Bereich soziale Gerechtigkeit und Bildungspolitik zugeschrieben – allerdings lediglich auf einem niedrigen zweistelligen Niveau. Bei allen abgebildeten Kompetenzen verliert die SPD im Vergleich zur letzten Landtagswahl. Eine grafische Aufbereitung rings um die "Fragestellung Wer wählte die SPD - und warum?" bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Die SPD kann zwar Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen (21.000) und der Partei Die Linke (8.000) gewinnen sowie Nichtwähler*innen mobilisieren (8.000), verliert aber mehr Stimmen an CDU (18.000), BSW (16.000) und AfD (5.000). Eine grafische Aufbereitung zur Wählerwanderung bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Lesetipp: Tagesschau (2024): Ruhe vor dem möglichen Debakel, online abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/spd-landtagswahlen-108.html

Hörtipp: Deutschlandfunk (2024): Landtagswahl – Wie Sachsens SPD um ihren Platz im Landtag kämpft, online abrufbar unter: https://www.deutschlandfunkkultur.de/landtagswahl-wie-sachsens-spd-um-ihren-platz-im-landtag-kaempft-laenderreport-dlf-kultur-a3669146-100.html

 

Bündnis 90/Die Grünen

Abbildung 8: Kompetenzen Bündnis 90/Die Grünen, erstellt mit Datawrapper

Die Partei Bündnis 90/Die Grünen verliert moderat (-3,5%) und erreicht 5,1% (Zweitstimmen) sowie 2 Direktmandate (Erststimmen). Damit wird sie 7 Sitze (-5) im nächsten Landtag besetzen. Mit diesem Ergebnis bewegt sich die Partei auf vergleichbarem Niveau wie immer. Die Grünen setzten als einzige Partei auf drei Spitzenkandidat*innen, geworben wurde neben den beiden Minister*innen Katja Meier (Sächsische Staatsministerin der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung) und Wolfram Günther (Sächsischer Staatsminister für Energie, Klimaschutz, Umwelt und Landwirtschaft) auch mit Franziska Schubert (Fraktionsvorsitzende). Das von allen Parteien umfangreichste Wahlprogramm „Sachsen gemeinsam bewegen“ rückt wenig überraschend die Themen Klimawandel, Ökologie und Umwelt in den Fokus.

Bündnis 90/Die Grünen werden lediglich Kompetenzen im Bereich Klima- und Umweltpolitik zugeschrieben, allerdings hat sich der Wert im Vergleich zur letzten Landtagswahl halbiert. Eine grafische Aufbereitung rings um die Fragestellung "Wer wählte die Grünen - und warum?" bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Die Partei kann keine neuen Wähler*innen hinzugewinnen und verliert vor allem an die CDU (31.000) und SPD (21.000) sowie weiterhin an BSW (10.000), AfD (4.000) und Die Linke (3.000). Einige frühere Grünen-Wähler*innen sind mittlerweile Nichtwähler*innen (3.000). Eine grafische Aufbereitung zur Wählerwanderung bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Lesetipp: Zeit (2024): "Es sind nicht alle gegen uns", online abrufbar unter: https://www.zeit.de/politik/deutschland/2024-08/gruene-sachsen-landtagswahl-franziska-schubert-wahlkampf

Die Linke

Abbildung 9: Kompetenzen Die Linke, erstellt mit Datawrapper

Die Linke verliert deutlich (-5,9%) und erreicht lediglich 4,5% (Zweitstimmen) sowie 2 Direktmandate. Die Partei zieht damit über die Grundmandatsklausel in den Landtag ein und kann 6 Sitze (-8) besetzen. Die Linke ist die größte Wahlverliererin, sie erzielt das schlechteste Ergebnis seit 1990. Die Partei fokussiert mit ihrem Wahlprogramm „Durch und durch sozial“ vor allem auf soziale Themen. Diese werden auch durch die beiden Landesvorsitzenden und Spitzenkandidat*innen Susanne Schaper und Stefan Hartmann transportiert. Die durchaus ansprechende Plakatwerbung für eine ostdeutsche, sächsische und linke Perspektive hat offenbar nicht ausreichend Wähler*innen angesprochen. Der Einzug in den Landtag gelang lediglich durch den Gewinn zweier Direktmandate: Juliane Nagel (Wahlkreis 28 - Leipzig 4) und Nam Duy Nguyen (Wahlkreis 25 - Leipzig 1). Dabei führten offensichtlich unterschiedliche Wege zum Erfolg: Juliane Nagel ist seit längerem fest im Leipziger Süden verankert und durch basisorientierte Politik bekannt. Sie gewann ihr Direktmandat 2014 zum ersten Mal und verteidigte es nun zum zweiten Mal. Nam Duy Nguyen hat einen umfangreichen und ressourcenaufwändigen Haustürwahlkampf geführt und gewinnt damit das Mandat zum ersten Mal.

Die zugeschriebenen Kompetenzen sind bei der Partei Die Linke am geringsten ausgeprägt und erreichen lediglich einstellige Werte. Alle Werte verschlechtern sich massiv im Vergleich zur letzten Landtagswahl. Am stärksten schneidet noch soziale Gerechtigkeit ab. Eine grafische Aufbereitung rings um die Fragestellung "Wer wählte die Linke - und warum?" bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Die Partei kann lediglich Wähler*innen der Grünen hinzugewinnen (3.000) sowie einige Nichtwähler*innen mobilisieren (2.000). Sie verliert deutlich Wähler*innen an das BSW (73.000) sowie weiterhin an CDU (19.000), SPD (8.000) und AfD (8.000). Eine grafische Aufbereitung zur Wählerwanderung bietet die Tagesschau auf ihrer Website.

Lesetipp: »Die Ostdeutschen brauchen einen Mitstreiter im Kampf für ihre Anliegen«, online abrufbar unter: https://www.jacobin.de/artikel/landtagswahl-sachsen-die-linke-nam-duy-nguyen

Hörtipp: Wahlkampf in Sachsen – Die Linke Susanne Schaper kämpft gegen den Abstieg, online abrufbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/wahlkampf-in-sachsen-die-linke-susanne-schaper-kaempft-gegen-den-abstieg-dlf-4e5d90b5-100.html

Sonstige

Neben den bisher genannten traten weitere Parteien an, die unter Sonstige zusammengefasst werden. Hier erreichten mit Freie Wähler (2,3%, -1,1%), Freie Sachsen (2,2%, +2,2%) und TIERSCHUTZ hier! (1,0%, 2019 nicht angetreten) drei Parteien mindestens 1% der Stimmen, scheitern aber an der 5%-Hürde. Weitere elf Parteien verblieben unter 1% (u.a. FDP).

Ausgewählte empirische Befunde

Die Gründe für die konkrete Wahlentscheidungen einzelner Personen (und damit indirekt auch das Abschneiden einzelner Parteien) sind nicht monokausal, sondern vielfältig. Nachwahlbefragungen können hier neben der soziodemographischen Verteilung (Wahlentscheidung hinsichtlich z.B. Alter, Geschlecht, Einkommen) auch erste inhaltliche Anhaltspunkte (Wahlentscheidung hinsichtlich z.B. zugeschriebener Kompetenz) geben. Nachfolgend einige ausgewählte empirische Befunde.

Geschlecht

Abbildung 10: Stimmanteile nach Geschlecht, erstellt mit Datawrapper, Quelle: gleft.de/5K0

Blickt man auf die Unterschiede im Wahlverhalten zwischen Männern und Frauen (der dritte gesetzliche Geschlechtseintrag divers wird entweder nicht statistisch erhoben oder nicht gesondert ausgegeben), so lässt sich vor allem ein signifikanter Unterschied bei der Wahl der AfD feststellen: diese wird von 35% der Männer, aber nur von 26% der Frauen gewählt. Überraschend ist allerdings, dass bei dieser Wahl linke Parteien bei Frauen nicht deutlich besser abschneiden. Die geringere Wahl der AfD verteilt sich anteilig ungefähr gleichmäßig auf CDU, BSW, SPD und Die Linke. Bei anderen Wahlen in der Vergangenheit schnitten linke Parteien bei Frauen besser ab.

Schrumpfende und wachsende Wahlkreise

Abbildung 11: Wahlverhalten in Wahlkreisen, die stark schrumpfen/wachsen, erstellt mit Datawrapper, Quelle: gleft.de/5K0

Mit Blick auf Strukturdaten der Wahlkreise sticht ins Auge, dass die AfD deutlich stärker sowie CDU und BSW etwas stärker in stark schrumpfenden Wahlkreisen punkten können. Bei SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ist es hingegen umgekehrt, sie schneiden in wachsenden Wahlkreisen deutlich besser ab. Es ist davon auszugehen, dass damit ein sich selbst verstärkender Prozess beschrieben werden kann: dort, wo Regionen schrumpfen (Wegzug, Sterbeüberschuss) haben konservative und extrem rechte Parteien eine deutliche Mehrheit, diese werden für progressivere Milieus unattraktiver, weswegen sie eher in urbane Zentren und damit wachsende Regionen ziehen. Mit Blick auf Strukturdaten der Wahlkreise sticht ins Auge, dass die AfD deutlich stärker sowie CDU und BSW etwas stärker in stark schrumpfenden Wahlkreisen punkten können. Bei SPD, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ist es hingegen umgekehrt, sie schneiden in wachsenden Wahlkreisen deutlich besser ab. Es ist davon auszugehen, dass damit ein sich selbst verstärkender Prozess beschrieben werden kann: dort, wo Regionen schrumpfen (Wegzug, Sterbeüberschuss) haben konservative und extrem rechte Parteien eine deutliche Mehrheit, diese werden für progressivere Milieus unattraktiver, weswegen sie eher in urbane Zentren und damit wachsende Regionen ziehen. Der Prozess verstärkt sich somit wechselseitig.

Ostdeutsche Interessenvertretung

Abbildung 12: Ostdeutsche Interessenvertretung, erstellt mit Datawrapper, Quelle: gleft.de/5K4

Lange Zeit galt Die Linke als Vertreterin ostdeutscher Interessen, seit einigen Jahren läuft ihr allerdings die AfD den Rang ab. Schockierend ist jedoch, dass Die Linke nochmal massiv verliert und nur noch 7% der Wähler*innen ihr zutrauen am ehesten die Interessen der Ostdeutschen zu vertreten. Das ist ein Minus von 18%-Punkten im Vergleich zur letzten Wahl. AfD und CDU erreichen deutlich mehr Zustimmung in dieser Frage. Bei den im Landtag vertretenen Parteien liegen nur Bündnis 90/Die Grünen (nicht aufgeführt) hinter der Partei Die Linke. Dies ist umso bitterer, da aufgrund der westdeutschen Dominanz in Politik, Wirtschaft und Medien sowie anhaltender Ungleichheiten ein ostdeutsches Korrektiv umso nötiger wäre.

Wahlentscheidendes Thema

Abbildung 13: Nachwahlbefragung, „Welches Thema spielte für Ihre Wahlentscheidung die größte Rolle?“, erstellt mit Datawrapper, Quelle: gleft.de/5K5

Mit der Grafik wird deutlich, dass es kein einzelnes Thema gab, welches bei der Wahl beziehungsweise der Wahlentscheidung eine herausragende Rolle gespielt hat. Vielmehr sind die Themen soziale Sicherheit, Zuwanderung, Kriminalität und innere Sicherheit sowie wirtschaftliche Entwicklung von fast gleichrangiger Bedeutung. Hier gilt es natürlich zu beachten, dass die Ergebnisse nach Parteien sehr unterschiedlich ausfallen. Dies hängt auch mit der zugeschriebenen Kompetenz durch die Wähler*innen zusammen.

Anmerkungen und Thesen für linke Politik in Sachsen

Die sächsische Landtagswahl 2024 führt den bereits seit längerem vonstatten gehenden Niedergang der Partei Die Linke in Sachsen fort. Nach dem größten Wahlerfolg 2004 mit 23,6% der Stimmen ging es stetig bergab, bei der Landtagswahl 2019 erreichte Die Linke mit 10,2% zumindest noch ein zweistelliges Ergebnis. Dieses Mal sind es lediglich 4,5%, die Partei kann nur über zwei gewonnene Direktmandate in den Landtag einziehen. Dies gilt es den gewählten Direktkandidat*innen Juliane Nagel und Nam Duy Nguyen (und ihren Wahlkampfteams) hoch anzurechnen.

Aufarbeitung des Abschneidens

Am schlechten Abschneiden der Linken hat sicherlich die Parteineugründung von Sahra Wagenknecht einen Anteil, immerhin wechselten 73.000 Wähler*innen, die bei der letzten Landtagswahl Die Linke gewählt haben, diesmal zum BSW. Allerdings lässt sich damit allein nicht der enorme Einbruch erklären. Es gilt das Abschneiden selbstkritisch aufzuarbeiten. Eine Debatte über den Gebrauchswert einer sozialistischen Partei muss bundesweit, gemeinsam und solidarisch geführt werden. Dabei gilt es zahlreiche bereits aufgeworfene Fragen zu Inhalten und Strategien produktiv miteinander ins Verhältnis zu setzen. Die Zeit dafür drängt. Wenn Die Linke nicht wieder in den Bundestag einzieht, droht ihr das endgültige Scheitern. Erste Ansätze für die notwendige Debatte sind bereits auf der Webseite der Zeitschrift Luxemburg (https://zeitschrift-luxemburg.de/tag/wie-weiter-linke/) erschienen.

Linke Politik in der Defensive I

Die gesellschaftliche Linke (parlamentarisch und außerparlamentarisch) „wird nicht untergehen, aber sie wird für mindestens ein Jahrzehnt oder länger eine defensive Position einnehmen und kaum Gestaltungsraum haben.“ (https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/wir-leben-in-keiner-offenen-situation-mehr/). Diese Ausgangsposition gilt es anzuerkennen und neue Formen und Ideen für linke Politik zu entwickeln.

Denkbar wären in Sachsen eine räumliche oder thematische Fokussierung. Eine Konzentration beispielsweise auf die einzig verbleibende Linken-Hochburg Leipzig würde allerdings all den progressiven Akteur*innen in den anderen Großstädten sowie im ländlichen Raum nicht gerecht werden. Doch kann Die Linke noch ganz Sachsen flächendeckend bespielen? Auch eine thematische Konzentration beispielsweise auf das Thema Wohnen wie bei der KPÖ in Österreich kann den vielfältigen Problemlagen einerseits sowie Linken-Kompetenzen andererseits nicht gerecht werden. Klar ist: über diese (und weitere) Punkte braucht es eine Auseinandersetzung. Eine Auseinandersetzung, die über die Partei hinausgeht und progressive Akteur*innen beispielsweise der Zivilgesellschaft mit einbezieht.

Linke Politik in der Defensive II

Doch nicht nur die Partei Die Linke muss sich Gedanken um die Zukunft machen. Auch die außerparlamentarische Linke (Gewerkschaften, Klimagerechtigkeitsbewegung, Demokratiearbeit, Antifa, …) wird mehr als zuvor aus einer Defensiv-Position agieren. Die Mehrheit der Sächs*innen ist aktuell nicht für eine progressive Politik zu gewinnen, ein knappes Drittel wählt gar eine extrem rechte Partei.

Dabei sind parlamentarische und außerparlamentarische Linke miteinander verwoben. Sinkende Zustimmung an der Wahlurne bedeutet weniger Möglichkeit sich seinen Lebensunterhalt durch linke Politik zu verdienen und bereitgestellte linke Infrastruktur zu nutzen. Weiterhin werden die Mittel für die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen deutlich sinken – bereits ab dem nächsten Jahr.

Deutlich schwerer wird es auch für die kritische Zivilgesellschaft, beispielsweise im Bereich Integrations- und Demokratiearbeit. Es ist zu erwarten, dass die entsprechenden Fördermittel mittelfristig sinken werden.

Hoffnungszeichen

Die zwei gewonnenen Direktmandate von Nam Duy Nguyen (Wahlkreis 25 – Leipzig 1) und Juliane Nagel (Wahlkreis 28 – Leipzig 4) sind ein Hoffnungsschimmer. Ins Auge fällt dabei die Unterschiedlichkeit der Vorgehensweisen. Juliane Nagel (36,5% Erststimmen) ist ein Urgestein linker Politik im Leipziger Süden. Seit jeher ist sie in politischen Initiativen und Basisarbeit aktiv. Sie ist mit ihrem offenen Projekt- und Abgeordnetenbüro Linxxnet in Stadtteil Connewitz fest verankert. Das Büro wird durch zahlreiche Gruppen, Initiativen und Einzelpersonen genutzt. Sie gewann 2014 erstmals das Landtagsmandat, seitdem verteidigt sie es. Nam Duy Nguyen (39,8% Erststimmen) war als erstmalig Kandidierender deutlich weniger im Wahlkreis verankert. Dies machten er und sein riesiges Team durch einen umfangreichen und ressourcenaufwändigen Haustürwahlkampf mit Organizing-Elementen wett. An seinem Erfolg konnten auch Sticheleien der drittplatzierten Grünen nichts ändern. Er wird weiterhin der erste BIPoC im sächsischen Landtag sein.