Feature | Südliches Afrika - Sozialökologischer Umbau - Ernährungssouveränität Deutscher Agrarinvestor in Sambia: Amatheon Agri in der Kritik

Über schreiende Ungerechtigkeiten und das Schweigen zuständiger Behörden

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Autorin

Kathrin Hartmann,

In Sambia hat der deutsche Investor Amatheon Agri seit 2012 eine Fläche fast so groß wie der Bodensee auf 99 Jahre gepachtet und baut dort vor allem Mais und Soja in Monokulturen an. 
In Sambia hat der deutsche Investor Amatheon Agri seit 2012 eine Fläche fast so groß wie der Bodensee auf 99 Jahre gepachtet und baut dort vor allem Mais und Soja in Monokulturen an. Es ist die größte deutsche Agrarinvestition auf dem afrikanischen Kontinent. Foto: Kathrin Hartmann

Mumbwa/Berlin. «Habt ihr gesehen, wie die Menschen rennen?», fragt uns Teddy Mumba.* «Euer Geländewagen sieht aus wie der von Amatheon Agri. Wenn der kommt, rennen wir vor Angst, sogar unsere Alten.» Zehn Männer und sieben Frauen sitzen zwischen einfachen Lehmhütten und Laubbäumen. Sie nicken. Es ist November 2023. Zusammen mit Mutinta Nketani vom zivilgesellschaflichen Netzwerk Zambia Alliance for Agroecology and Biodiversity (ZAAB) besuche ich Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, die in Chembe im Distrikt Mumbwa in Sambia leben. Dort hat der deutsche Investor Amatheon Agri seit 2012 eine Fläche fast so groß wie der Bodensee auf 99 Jahre gepachtet und baut dort vor allem Mais und Soja in Monokulturen an. Es ist die größte deutsche Agrarinvestition auf dem afrikanischen Kontinent und seit vielen Jahren gibt es dort Konflikte um Wasser und Land. Zwei Wasserläufe, die zuvor gemeinschaftlich genutzt wurden, fließen durch Amatheons Land, außerdem hat die Firma am Kapwashe-Fluss zwei Staudämme gebaut, die dafür sorgen, dass andernorts das Wasser knapp oder der Zugang dazu fehlt.

Kathrin Hartmann ist Journalistin und Buchautorin in München. Ihre Bücher «Aus kontrolliertem Raubbau» und «Die grüne Lüge» sind im Blessing Verlag erschienen. Mit Werner Boote hat sie den Greenwashing-Film «The Green Lie» gemacht. Im Juli 2024 erscheint ihre neues Buch «Öl ins Feuer» bei Rowolth.

Chembe liegt westlich des Staudamms Kapwashe I. Der Flusslauf, erzählen uns die Menschen, sei die einzige Wasserquelle für sie, Brunnen hätten sie nicht. Doch Amatheon würde sie gewaltsam daran hindern, dieses Wasser zu nutzen. «Wir werden bedroht und bestraft, wenn wir zum Fluss gehen», berichtet Oidy Choongo, «aber wir sind abhängig davon.» Sie selbst sei von Amatheons Sicherheitsleuten festgenommen und von der Polizei ins Gefängnis gesteckt worden. Mary Mawele* erzählt uns ebenfalls eine beunruhigende Geschichte: «Ich habe am Fluss gewaschen, als ich einen Schuss hörte. Hinter mir stand ein Mann in Polizeiuniform. Ich wurde zum Amatheon-Gebäude gebracht und musste darin acht Stunden bleiben.» Oidy Choongo zog bereits 2009, drei Jahre vor der Ankunft von Amatheon, an diesen Ort westlich des Flusses Kapwashe. Wie die anderen Bäuerinnen und Bauern pflanzt sie zur Regenzeit Mais und Soja. Ist es trocken, sichern ihnen Gemüsegärten am Flussufer Nahrung und Einkommen, von dem sie ihre Kinder zur Schule schicken.

Jetzt im November beginnt eigentlich die Regenzeit, doch wegen des Folgen des Klimawandels ist es nun trockener. «Unsere Ernten sind schlecht bisher», sagt Oidy. Umso mehr wären die Familien hier auf ihre Gemüsegärten angewiesen, die sie ganzjährig bewässern müssen. «Aber das können wir nicht mehr». 2019 hätten Mitarbeiter von Amatheon ihre Tomatenpflanzen ausgerissen, Herbizide auf Blattgemüse geschüttet und dann angezündet. Der Bezirksvorsitzende, der dann die Situation vor Ort begutachtete, habe schließlich festgestellt, dass der Gemüseanbau am Ufer rechtens sei. Doch Oidy traut sich das nicht mehr. «Wir hungern», sagt sie. Ihre Mahlzeiten hätte sie auf zwei am Tag reduziert und die Kinder aus der Schule genommen, weil sie sich die Schulgebühren nicht mehr leisten kann.

In Sambia sind zwei Drittel der Bevölkerung arm, die Hälfte hungert. Seit Monaten herrscht Dürre, laut Welthungerindex belegt das Land im südlichen Afrika Platz 110 von 125. Die Vorwürfe gegen Amatheon Agri wiegen schwer: sie betreffen die Menschenrechte auf Nahrung, Wasser und Bildung. Der Investor streitet die Vorwürfe allesamt ab. Doch Amatheon-Geschäftsführer Max Sturm gibt zu: «Es kommt gelegentlich vor, dass unser Sicherheitspersonal auf Bitten der örtlichen Polizei Personen festnimmt und überführt, die auf unserem Land wildern, Bäume fällen oder illegal Holzkohle herstellen. Diese Personen werden dann von unserem Sicherheitsdienst an die Polizei in Mumbwa übergeben.» Jedoch habe es «zu keinem Zeitpunkt eine Vereinbarung gegeben, die den Zugang der Gemeinschaft zum privaten Damm von Amatheon Agri Sambia für Viehtränken gestattete», betroffene Gemeinden seien entschädigt worden. Die Menschen, die wir in Sambia getroffen haben, hätten sich wohl nach dem Bau des Damms dort angesiedelt und spekulierten nun auf Entschädigung, mutmaßt die Firma. «Die Konflikte zwischen Amatheon Agri und den lokalen Gemeinschaften in Sambia sind symptomatisch für eine Vielzahl von Land- und Wasserkonflikten, die sich in vielen Ländern beobachten lassen», sagt Jan Urhahn, Leiter des Programms Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die schon lange mit ZAAB und anderen Organisationen in Sambia zusammenarbeitet. Heute kontrollierten nur 1 Prozent der größten landwirtschaftlichen Betriebe 70 Prozent des vorhandenen Ackerlandes und Akteure wie Amatheon Agri verstärkten diese Tendenzen zum Leidwesen der Menschen und der Natur vor Ort. 

Rund 20 Kilometer nördlich von Chembe ist die Schule zu Ende, Kinder in Schuluniform tummeln sich am Brunnen und kühlen dort ihre Füße. Davor haben sich ein weiteres Dutzend Bäuerinnen und Bauern versammelt. Sie leben nordwestlich und nördlich des Amatheon-Gebiets und betreiben traditionelle Weidewirtschaft. Auch sie erzählen von Konflikten, seit die Firma die Dämme gebaut hat: «Das war einmal die Wasserquelle für unsere Ziegen und Rinder», sagt John Nkala.* «Jetzt müssen wir weit laufen, um sie zu tränken». Würde Vieh Land von Amatheon betreten, konfisziere es die Firma. 500 Kwacha (ca.19 US-Dollar) pro Tier müssten sie zahlen, um sie wiederzubekommen. Das ist eine Menge Geld: Laut Bundeministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Sambia von weniger 1,90 US-Dollar pro Tag, besonders kritisch sei die Situation auf dem Land. «Ein Kalb ist gestorben, weil der Bauer die Kuh nicht freikaufen konnte», erzählt John, «Familien verlieren ihr Einkommen oder geben die Viehaltung auf.» Auch hier widerspricht Amatheon Geschäftsführer Sturm: «Die Behauptung, dass Viehbesitzer misshandelt oder ungerecht behandelt wurden» sei unwahr. Erst bei «wiederholtem unbefugtem Betreten» der Tiere würde die Gebühr erhoben. «Amatheon Agri hält sich strikt an die sambischen Gesetze», schreibt Sturm. Die Menschenrechtsorganisation FIAN Sambia hat deshalb ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben: danach seien die Beträge, die das sambische Gesetz vorsieht, wenn Tiere Grenzen überschreiten, um ein Vielfaches geringer. Wenn das Gelände nicht eingezäunt ist, sei es womöglich fraglich, ob die Tiere überhaupt beschlagnahmt werden dürfen und die Bauern und Bäuerinnen mit einem Bußgeld belegt werden dürfen Einen Zaun gibt es aber nicht, wo die Bäuerinnen und Bauern sich über das Vorgehen des deutschen Investors beklagen.

Laston Mwinga lebt seit 2005 südlich von Chembe an der Grenze zu Amatheon. «Ich habe schon sehr viel Geld an die Firma bezahlt», sagt er und zeigt Fotos von mehr als einem Dutzend Amatheon-Quittungen. «An den Brandzeichen sieht man, dass die Tiere mir gehören, sie hätten anrufen können.» Das sei nicht geschehen. 2019 hätte er seine 65 Rinder auslösen wollen, 24 Tiere hätten gefehlt. Er habe sie nicht bekommen. Stattdessen sei er bedroht und ins Gefängnis gesteckt worden.

Im Juni 2024 reisen Oidy und Laston nach Berlin. Sie sind dort zur Konferenz «Politik gegen Hunger» eingeladen, die die deutsche Bundesregierung anlässlich 20 Jahre «Freiwillige Leitlinien für das Recht auf angemessene Nahrung» veranstaltet. Sie hoffen, dass sie bei dieser Gelegenheit auch mit Amatheon sprechen können. Der Agrarinvestor, der 2011 von Spekulant Lars Windhorst und Carl Heinrich Bruhn, Ex-Manager der Molkerei Müller, gegründet wurde, hat seinen Sitz in der deutschen Hauptstadt. Doch Amatheon lehnt ein Treffen mit den Gästen aus Sambia ab. Ein Gespräch mit den Auswärtigen Amt verläuft ebenfalls enttäuschend. Man sehe keine Handlungsmöglichkeit, heißt es dort. Dabei wäre Deutschland verpflichtet, hier aktiv zu werden: «Die Vertragsstaaten müssen Schritte unternehmen, um zu verhindern, dass ihre eigenen Staatsbürger und Firmen das Recht von Einzelnen oder Gemeinschaften in anderen Ländern verletzen», heißt es in einem Rechtskommentar des UN-Sozialausschusses zum Recht auf Wasser. Dem Auswärtigen Amt ist die Deutsche Botschaft in Sambia unterstellt, der die Vorwürfe gegen Amatheon bekannt sind. Zwar pflegt die Botschaft einen guten Kontakt zu Amatheon in Sambia. Doch weder die Botschafterin Anne Wagner-Mitchell selbst noch Mitarbeitende der Botschaft haben bislang die von Konflikten betroffenen Bäuerinnen und Bauern vor Ort getroffen und sich ihre Sicht der Dinge angehört. Ein im Jahr 2022 geplantes Treffen unter dem Vorsitz der Distriktverwaltung mit 30 Betroffenen, Amatheon und der Deutschen Botschaft sagte erst Amatheon ab, dann die Botschaft.

Im Juli landet ein Hubschrauber auf staubigem Sandboden, Hakainde Hichilema betritt einen dort ausgerollten roten Teppich. Der sambische Präsident besucht Amatheon Agri in Mumbwa. Begleitet wird er von Amatheon-Gründer Lars Windhorst. Er ist Geschäftsführer der Tenor Holding, die wiederum größter Shareholder von Amatheon Agri ist. Windhorst ist eine schillernde Figur und seine Geschäftspraktiken sind umstritten und gelten als undurchsichtig, die Finanzaufsichtsbehörde BAFIN ermittelte gegen ihn. Kurz bevor Windhorst nach Sambia reist, wird ein Haftbefehl gegen ihn aufgehoben. In Mumbwa lässt sich Windhorst als Gründer von Amatheon feiern. Anlass des Spektakels: eine weitere Investition von 50 Millionen US-Dollar. Zu den Begleitern von Hichilema und Windhorst gehört auch Bernhard Trautner von der Deutschen Botschaft. Trautner dankt der Firma für ihre «Errungenschaften in ökonomischer, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit.» Dabei droht längst ein neuer Konflikt: Auf Initiative von Landbesitzern, darunter Amatheon, erhalten mehrere Haushalte eine Räumungsaufforderung. Laut FIAN Sambia sind davon möglicherweise mehrere Tausend Menschen betroffen. Es gibt Videos von abgebrannten Hütten, Menschen berichten von Gewalt. Amatheon-Geschäftsführer Sturm spricht jedoch von rund 500 illegalen Siedlern, Wilderern und Holzfällern, umgesetzt werde die Räumung mit gerichtlichem Beschluss von offiziellen Behörden. Einen Tag nach dem medienwirksamen Ereignis mit dem Präsidenten tritt eine gerichtliche Verfügung in Kraft, die Amatheon untersagt, das umstrittene Land zu betreten. Der lokale Chief Kaindu soll die Klage auf den Weg gebracht haben. Sturm schreibt, jener habe in einer formellen Erklärung die Beteiligung an der Klage von sich gewiesen. Laut FIAN Sambia habe es kurz davor ein Treffen zwischen dem Chief und Amatheon gegeben. Direkt danach sei die Einstweilige Verfügung zurückgezogen worden «Land ist nicht einfach nur die Erde unter unseren Füßen, sondern die Grundlage für unsere Ernährungssysteme, die uns alle ernähren. Und Wasser ist die Essenz des Lebens! Es ist endlich an der Zeit, dass die politischen Entscheidungsträger*innen in Sambia Schritte unternehmen, um lokale Gemeinschaften, insbesondere Frauen, vor Enteignungen zu schützen und den Besitz von Land zu demokratisieren. Nur so können wir eine nachhaltige Zukunft für die Natur, die Nahrungsmittelerzeugung und die lokalen Gemeinschaften sicherstellen», sagt Mutinta Nketani von ZAAB.

Das Auswärtige Amt lässt den Fragebogen der Autorin zu den Konflikten und ihren Recherchen vor Ort unbeantwortet.

*Name geändert

Der Beitrag ist in leicht abgewandelter Form zuerst in der Frankfurter Rundschau erschienen.

Die Reise der Autorin wurde vom «Programm Ernährungssouveränität» der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt. Mehr von den Recherchen vor Ort gibt es in Kathrin Hartmanns Buch «Öl ins Feuer. Wie eine verfehlte Klimapolitik die globale Krise vorantreibt», Rowohlt Verlag.