Hans Litten war ein bedeutender Strafverteidiger in der Weimarer Republik. Seine Bekanntheit als «Anwalt gegen Hitler» und «Anwalt der Roten Hilfe» hat in der Populärkultur unlängst zugenommen. Hans Litten wurde 1903 in Halle/Saale geboren. Sein zum Christentum konvertierter und stramm deutschnationaler Vater Fritz Litten (1873–1940) befand sich damals inmitten eines rasanten beruflichen Aufstiegs. Im Zuge dessen neuer Anstellung als Ordinarius, später Dekan der juristischen Fakultät und Rekto, an der Albertus-Universität zog die Familie Litten 1908 nach Königsberg. Seine Mutter Irmgard Litten (1879–1953) entstammte einer Professorenfamilie. Sie umsorgte ihre insgesamt drei Kinder und legte Wert auf eine vor allem schöngeistige Erziehung – oft im Gegensatz zum ansonsten über alles thronendem Vater. Nach 1933 wird sie es sein, die mutig für die Freilassung ihres Sohnes aus der Haft kämpft. Ihrem bereits 1940 veröffentlichten Zeugnis (engl. «Beyond Tears» / dt. «Die Hölle sieht Dich an» bzw. 1947 «Eine Mutter kämpft») verdankten wir lange Zeit einen Großteil des Wissens, das die Rezeption Littens fortan nachhaltig beeinflussen sollte.
Das Buch ermöglicht uns, tiefer einzutauchen, in Littens ausgeprägtes Kunstverständnis und es entschlüsselt ebenso die ihn formenden Jugendjahre. Zu erfahren ist, wie der Gymnasiast, der unter anderem Sanskrit und Chinesisch lernte, sich in vielfältigen Suchbewegungen ab Frühjahr 1921 dem nicht-zionistischen deutsch-jüdischen Wanderbund «Kameraden»anschloss, sich darin religiös zum Judentum bekannte, sich politisch weit nach links orientierte und gleichzeitig entschieden gegen alles «Alte» aufbegehrte. Durch seine Intelligenz, sein außergewöhnliches Wissen und einen zielstrebigen Willen dominierte er schnell die Königsberger Ortsgruppe des Wanderbundes, wie dann auch den «Schwarzen Haufen», die bekannteste Strömung innerhalb des Wanderbundes. Mit Margot und Max Fürstfand er dabei in libertärer Gemeinschaft enge Freunde für das weitere Leben. Margot wird später nominell auch seine Rechtsanwaltsgehilfin sein. Nach Auflösung des «Schwarzen Haufen» 1928 hatten sich viele seiner Mitglieder sozialistischen und kommunistischen Organisationen angeschlossen. Ob Hans Litten zuvor ebenfalls für kurze Zeit der KPD angehörte, kann nicht belegt werden. Seine politische Herkunft und Prägung werden im ersten Drittel des Buches als Teil einer autonomen Jugendbewegung gezeichnet. Litten habe einen «antiautoritären Aktivismus, statt autoritärer Parteilichkeit» (S. 126) entwickelt, der auch sein späteres Auftreten als Strafverteidiger charakterisieren sollte. Er schien von einem «mystischen Kommunismus» getragen zu sein, der für seine Arbeit keineswegs an Parteigrenzen Halt machte. Ein weiteres, aus den Jahren in der Jugendbewegung angenommenes Erbe, blieben sein Utopismus sowie sein lebenslanger Verzicht auf Alkohol- oder Nikotinkonsum.
1927 zog Hans Litten nach Berlin, bestand seine Prüfungen mit exzellenten Noten, wurde allerdings – entgegen anderslautenden Darstellungen – nie promoviert. In Berlin kümmerte er sich zunächst um die unhaltbaren Zustände in Jugendfürsorgeeinrichtungen sowie um Fälle von Polizeigewalt gegenüber Jugendlichen, für die sich sonst niemand interessierte. Einen ersten explizit politischen Fall übernahm er 1929 mit der Verteidigung von Ernst Friedrich(1894–1967), dem Gründer des Anti-Kriegsmuseums, nachdem dieser Gustav Noske (1868–1946) bezichtigte, ein «Lump» und ein «Schurke» zu sein. Hier sei bereits die «typische Handschrift» Littens erkennbar geworden, «aus der Verteidigung zum Angriff gegen die Rechtslastigkeit der Justiz überzugehen, mit intellektueller Schärfe das juristische Verfahren selbst auseinanderzunehmen und den jeweiligen Fall als Politikum in die Öffentlichkeit zu tragen» (S. 102). Litten betrieb eine Anwaltskanzlei mit Ludwig Barbasch(1892–1967) und in fast atemloser Reihe folgten die juristische Aufarbeitung des «Blutmai» 1929, bei der er den sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Karl Zörgiebel(1878–1961) anklagte, für die Toten verantwortlich zu sein sowie die teils spektakulären und im Buch ausführlicher behandelten Berliner Edenpalast-, Felseneck-, Richardstraßen- und Röntgenstraßen-Prozesse. Litten litt immer wieder unter chronischer Geldnot und absolvierte zwischen den Verhandlungen regelmäßig Auftritte bei öffentlichen Veranstaltungen, um auch jenseits der Gerichtssäle zu informieren – das letzte Mal am 31. Januar 1933.
Die 28 knapp gehaltenen und detailliert erzählten Kapitel des Buches beruhen auf Prozessakten, zeitgenössischen Presseartikeln, Briefen und Erinnerungen. Sie sind aus einer kollektiven Schreibarbeit hervorgegangen. Das Buch selbst ist eine erweiterte Neuauflage der biographischen Annäherungen, die die drei Autor*innen erstmals 2008 im gleichen Verlag unter dem Titel «Denkmalsfigur» publizierten. Wir dürfen dankbar über diese Neuerscheinung sein. Denn nicht nur gibt es heute – vor allem durch seine Sympathie erregende Darstellung in der Fernsehserie «Babylon Berlin» – ein ganz neues Interesse an Littens Person. Keine fünfzehn Jahre nach ihrem erstmaligen Erscheinen trifft die Lektüre der Neuauflage in der Bundesrepublik auf einen ganz anderen gesellschaftlichen Resonanzboden. In den von Hans Litten geführten Prozessen ist mit fast mikroskopischer Genauigkeit zu erfahren, was es bedeutet, wenn der «Parteiangestellte» Adolf Hitler einen strengen Legalitätskurs steuert oder die mörderischen Überfälle des berüchtigten Berliner «SA-Sturms 33» juristisch vor Gericht aufbereitet werden – mit ganz persönlichen Folgen nicht zuletzt für Hans Litten selbst. Denn den Hass erntete er persönlich und wurde so – neben seinem Freund Erich Mühsam(1878–1934) und dem Publizisten Carl von Ossietzky(1889–1938) – zu einem der namhaftesten Opfer der ersten Verfolgungswelle der deutschen Faschisten nach der Machtübertragung auf die NSDAP.
In beklemmender Weise erinnert das Buch daran, dass es «auch und gerade Polizisten und Juristen [waren], die sich 1933 den neuen Machthabern zur Verfügung stellten – aus Karrieresucht, Opportunismus und nicht zuletzt aus Überzeugung» (S. 168). Dem anschließenden Leidensweg Littens durch das Polizeipräsidium am Berliner Alexanderplatz, das Militärgefängnis Spandau, das KZ Sonnenburg, das Zuchthaus Brandenburg, das KZ Esterwegen, das KZ Lichtenburg, das KZ Buchenwald sowie den «jüdischen» Block im KZ Dachau wird im letzten Drittel des Buches auf einfühlsame Weise nachgegangen. Zum Invaliden geprügelt, halbblind, halbtaub und beraubt von jeglicher Hoffnung, noch einmal befreit zu werden, nimmt sich Hans Litten mit nur 34 Jahren in der Nacht auf den 5. Februar 1938 das Leben. Das Buch ist jenen gewidmet, die in der DDR, der Bundesrepublik wie auch in israelischen Kibbuzim die Erinnerung an Hans Litten wachgehalten haben. Es ist nun selbst auch ein gewichtiger Teil davon.
Knut Bergbauer/ Sabine Fröhlich/ Stefanie Schüler-Springorum: Hans Litten – Anwalt gegen Hitler. Eine Biographie, Wallstein Verlag, Göttingen 2022, 348 Seiten, 30 Euro
Diese Rezension erschien zuerst in Heft 3/24 der historischen Zeitschrift «Arbeit - Bewegung - Geschichte». Diese Ausgabe hat den Schwerpunkt100 Jahre Rote Hilfe. Praktiken der Solidarität.