Hintergrund | Parteien / Wahlanalysen - Rosalux International - USA / Kanada - Brennpunkt USA Der Showdown: Harris versus Trump

Den Kampf ums Weiße Haus analysiert der US-Journalist John Nichols

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John Nichols,

Plakatwand mit Harris-Postern in Downtown Chicago während der Democratic National Convention, August 2024
«Kamala Harris die Verkörperung all der Versprechen und Geschichten, die wir uns über dieses Land erzählen». Michelle Obama Plakatwand in Downtown Chicago während der Democratic National Convention, August 2024, Foto: Erwin Anders, RLS

Noch nie haben die Vereinigten Staaten eine solche Kandidatur und einen solchen Wahlkampf wie die des ehemaligen Präsidenten Donald Trump erlebt. Der zweimal im Amt und 34-mal als Privatperson angeklagte republikanische Kandidat wirbt für sich ganz offen mit Plänen, nach einem Sieg wie ein Diktator regieren zu wollen, die Bundesregierung zu seinem persönlichen Lehen umzugestalten, die präsidentielle Macht zur Bestrafung politischer Rivalen und kritischer Medien zu nutzen und massenhaft Migrant*innen abzuschieben. Darunter befinden sich auch haitianische Amerikaner*innen, denen er vor laufender Kamera fälschlicherweise vorwarf, sie würden die Katzen und Hunde ihrer Nachbarn in Springfield/Ohio verspeisen – einer ehemaligen Industriestadt, die vorher kaum jemand kannte. All das ist, um den Ausdruck von Tim Walz, dem demokratischen Kandidaten für die Vizepräsidentschaft, zu verwenden, weird, also höchst seltsam, und zutiefst beunruhigend für zig Millionen Amerikaner*innen.

Dennoch ist Trump ein ernsthafter Anwärter auf eine zweite Amtszeit als US-Präsident. Von den Medien wird dieser zu Theatralik neigende Milliardär, der von sich behauptet, der beste Wirtschaftspolitiker zu sein, weiterhin mit Aufmerksamkeit überhäuft. Und seine glühenden Anhänger*innen aus dem rechten Lager scheren sich wenig um seine vielen Skandale und strafrechtlichen Verurteilungen. Sie halten gerade wegen Trumps Ankündigung, gegen unliebsame Wahlergebnisse vorzugehen und wie ein Diktator regieren zu wollen, an ihm fest.

John Nichols ist Washington-Korrespondent der Wochenzeitung The Nation.

Was dem ehemaligen Präsidenten jedoch am meisten Zulauf beschert, ist sein Appell an die vermeintlich gute alte Zeit, an das naive Nostalgiebedürfnis in Teilen der US-Bevölkerung. Trump pflegt seine Reputation als Kandidat der Vergangenheit. Diese Rückwärtsgewandtheit teilt er mit seinen Anhänger*innen insbesondere im Süden und im Mittleren Westen der USA, wo er bei den Wahlen 2016 und 2020 in den meisten Bundestaaten mit Leichtigkeit gewann und wahrscheinlich auch in diesem November wieder die Nase vorn haben wird. Als relativ betagter weißer Mann ist er für die USA ein eher typischer Präsidentschaftskandidat. Alle 46 Präsidenten der USA waren Männer und alle – mit Ausnahme von Barack Obama – weiß.

Wie die meisten seiner Vorgänger ist Trump überaus wohlhabend und bekannt für seine engen persönlichen und finanziellen Verbindungen zu den Eliten, die das wirtschaftliche und politische Leben der USA seit ihrer Gründung als Republik bestimmen – einer Nation, in der mehr als ein Fünftel der Bevölkerung versklavt war, in der allen Frauen und People of Color das Wahlrecht verweigert wurde und in manchen Bundesstaaten darüber hinaus auch religiösen Abweichlern und Besitzlosen. Trump ist auch nicht der erste ehemalige Präsident, der nach einer umstrittenen Wahlniederlage ein Comeback versucht. Im 19. Jahrhundert wurde Grover Cleveland zweimal zum Präsidenten gewählt, zwischen seinen beiden Amtszeiten lagen vier Jahre. 1912 bewarb sich der ehemalige Präsident Theodore Roosevelt ein drittes Mal, aber diesmal erfolglos, um das höchste Amt in den USA. Und der bei der Präsidentschaftswahl 1960 knapp unterlegene Vizepräsident Richard Nixon kam zurück und regierte zwischen 1969 bis 1974 das Land.

Trump steht aufgrund seiner zahlreichen Gerichtsprozesse und seines großspurig geführten Wahlkampfs jeden Tag im medialen Rampenlicht. Dabei gebührt eigentlich Kamala Devi Harris die größere Aufmerksamkeit. Denn sie ist für die USA in mehrfacher Hinsicht eine wirklich einmalige Präsidentschaftskandidatin. Sie ist die erste Schwarze Frau, die von einer der beiden großen Parteien für das nach allgemeiner Auffassung mächtigste Amt der Welt nominiert wurde. Als Tochter von Einwanderern aus Indien und Jamaika machte sie ihren Abschluss an einer «Historically Black University». Dann schlug sie eine bemerkenswerte politische Laufbahn ein – von der gewählten Staatsanwältin zur Generalstaatsanwältin, US-Senatorin und schließlich zur Vizepräsidentin. Sie verkörpert das oft geäußerte, aber selten eingehaltene Versprechen, dass jedes in den USA geborene Kind Präsident*in des Landes werden kann.

Aber etwas macht Harris mehr als alles aus: Sie ist eine der kulturell und intellektuell engagiertesten und inspirierendsten Persönlichkeiten, die sich jemals um das Präsidentenamt beworben haben. In der Vergangenheit wurden in den USA Machtpositionen nicht immer, aber häufig mit Beamtentypen besetzt, die eher dazu tendieren, politische Plattitüden von sich zu geben, als die Bevölkerung herauszufordern und dazu zu ermutigen, in neuen Bahnen zu denken. Sollte Harris gewinnen, würde dies einen nicht zu unterschätzenden Bruch mit alten Mustern bedeuten – auch wenn sie mit den Demokraten eine Partei vertritt, die zu Kompromissen zulasten von visionären Perspektiven neigt. Mit Harris’ Wahl wäre auch ein ehrgeiziges Ziel für die Zukunft vorgegeben: die USA als eine diverse und multiethnische Nation positiv wiederzubeleben, im besten Fall als ein Labor der Demokratie, von dem die Menschheit lernen kann. Kamala Harris, so die ehemalige First Lady Michelle Obama, ist «die Verkörperung all der Versprechen und Geschichten, die wir uns über dieses Land erzählen».

Vergangenheit oder Zukunft

Die Vizepräsidentin, die ich in den zurückliegenden Jahren mehrfach interviewen durfte, hat erkannt, dass die Präsidentschaftswahl 2024 einen kritischen Scheidepunkt in der Geschichte der USA darstellt, einen Punkt, an dem sich die Wähler*innen entscheiden müssen zwischen der Vergangenheit und der Zukunft. Trump zeigt sich ganz offen und unverfroren rückwärtsgewandt, im Zentrum seines diesjährigen Wahlkampfes steht erneut sein Aufruf «Make America Great Again!», der zu seinem Dauerslogan geworden ist. Harris, die genau weiß, was auf dem Spiel steht, hat dagegen versprochen: «Es wird mit uns kein Zurück in die Vergangenheit geben!»

Diese gegensätzlichen Wahlkampfslogans verdeutlichen, wie tief die politische Kluft in den USA inzwischen ist. Das Land trägt schwer an seinem Erbe, ist voller unerfüllter Verheißungen und Perioden der Grausamkeit, sodass selbst heute noch heftig darüber gestritten wird, wie die US-Geschichte in den öffentlichen Schulen gelehrt werden soll. Zwar stand am Anfang der Vereinigten Staaten im 18. Jahrhundert eine Revolution gegen den Kolonialismus und gegen die imperialistischen Bestrebungen Europas, wobei sich ihre Gründer den Idealen der Aufklärung verpflichtet fühlten und das «göttliche Recht der Könige» ablehnten. Aber soziale Bewegungen für mehr wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit und gegen rassistische Diskriminierung stießen während eines Großteils der Geschichte der USA als unabhängige Nation bestenfalls auf Ignoranz und schlimmstenfalls auf offene Feindseligkeit. Es wurden Bollwerke der Unterdrückung im eigenen Land errichtet und aufrechterhalten, die teilweise noch heute wirkmächtig sind – darunter in den Jahrzehnten nach der Staatsgründung die Versklavung afrikanischer Arbeitskräfte, nach dem Bürgerkrieg, der eigentlich die Überbleibsel menschlicher Knechtschaft beseitigen sollte, der Aufbau eines Systems der Apartheid und Rassentrennung in den Südstaaten, Genozid und Vertreibung indigener Völker und eine brutale Politik gegen Immigrant*innen, die Abschiebungen und – während des Zweiten Weltkriegs – die Inhaftierung von Staatsbürger*innen japanischer Herkunft in Konzentrationslagern umfasste. Dazu kam die Bevormundung von Frauen, die so hartnäckig ist, dass 2024 die Frage, ob Frauen Kontrolle über ihren eigenen Körper haben sollen, wieder ein aktuelles Wahlkampfthema ist.

Eine Geschichte von Engagement und Protest

Harris weiß um all das. Sie hat ein generationenübergreifendes politisches Bewusstsein. Sie wurde 1964 im kalifornischen Oakland als das Kind progressiver Bürgerrechts- und Friedensaktivist*innen geboren und kann sich daran erinnern, wie ihre Eltern sie in den 1960er Jahren in den Kinderwagen setzten und mit auf Demonstrationen nahmen. Harris verbrachte die ersten Lebensjahre in der San Francisco Bay Area, einer Hochburg des politischen Aktivismus. Der Campus der Universität von Berkeley gilt als die Geburtsstätte der Bewegung für freie Meinungsäußerung und der gegenkulturellen Revolte, mit der junge Menschen auf die Selbstgefälligkeit der US-Gesellschaft in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg reagierten. Berkeley war auch der Schauplatz einiger der größten Proteste gegen den Vietnamkrieg und ganz allgemein gegen die Kalte-Kriegs-Politik der USA in einer Zeit, in der sich antikoloniale und antiimperialistische Bewegungen und Kämpfe auf allen Kontinenten ausbreiteten: von Lateinamerika bis Afrika und Asien.

Harris’ Eltern kannten diese Kämpfe aus erster Hand. Ihre Mutter, Shyamala Gopalan, wurde im damaligen Madras (heute Chennai) in Indien geboren, ein Jahrzehnt bevor Mahatma Gandhi, Jawaharlal Nehru, Rukmini Lakshmipathi und andere Führer der indischen Unabhängigkeitsbewegung das Land von der britischen Kolonialherrschaft befreiten. Als Tochter einer Frauenrechtlerin und eines bekannten Staatsbeamten aus dem südindischen Tamil Nadu kam Gopalan 1958 im Alter von 19 Jahren an die Universität von Berkeley, um dort zum Thema Ernährung und Endokrinologie zu promovieren. Dort lernte sie Donald Harris kennen, der unter britischer Kolonialherrschaft in Jamaika geboren und Anfang der 1960er Jahre nach Berkeley gekommen war, um dort einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften zu erwerben. Kamala Harris sagt, ihre Eltern hätten sich «auf die amerikanischste Art und Weise, die man sich vorstellen kann, ineinander verliebt: Seite an Seite auf Demonstrationen der Bürgerrechtsbewegung marschierend, im gemeinsamen Kampf für mehr Gerechtigkeit.»

Das Paar begann, miteinander auszugehen, und heiratete schließlich, nachdem es sich bei einer Versammlung der Afro-American Association an der Universität Berkeley näher kennengelernt hatte. Man feierte dort die 15 Jahre zurückliegende nationale Unabhängigkeit Indiens und die gerade von Jamaika errungene. Harris zitiert die Erinnerungen ihres Vaters: Sie hätten damals viel diskutiert, dann ihre Gespräche bei vielen weiteren Treffen fortgesetzt. «Sie waren davon überzeugt, dass es wichtig ist, die eigene Stimme zu erheben», sagt Harris über ihre Eltern und erläutert, wie bereits in ihrer Kindheit ihr Verständnis von Staatsbürgerschaft und politischem Engagement geprägt wurde. «Wenn ich an all diese Bewegungen denke, dann wird mir klar, dass der Kampf für die Ideale unseres Landes ein Ausdruck von Patriotismus ist. Unterschwellig gab es bei mir immer den Glauben an diese Verheißung, die Verheißung von Amerika. Andernfalls würde man einfach nur sagen: ‹So sind die Verhältnisse nun mal›, man würde zynisch werden, die Dinge tun, die man eben tun muss, aber nicht daran glauben, dass sich wirklich etwas ändern lässt. Aber wenn man an das Versprechen Amerikas glaubt, dann entsteht daraus dieses besondere Engagement, das wir bis heute sehen können: Menschen, die uns als Nation und einander an diese Ideale erinnern und an ihnen messen.»

Harris wuchs also in Zentren des politischen Engagements und des Protestes auf – zunächst in und um Berkeley und später in der Nähe des Campus der Universität von Wisconsin in Madison, wo ihre Eltern lehrten und forschten. In Madison saß die fünfjährige Kamala im Wohnzimmer ihres Elternhauses auf dem Schoß ihres Vaters vor dem Plattenspieler und hörte mit ihm Blue-Note-Records-Musik. «Sie lief den ganzen Tag, ich ging quasi mit Jazzmusik ins Bett», erzählte mir die Vizepräsidentin, «Mingus, Coltrane und die unvergessliche Alice Coltrane.» Harris erinnert sich sogar noch an die Lieblingstitel ihrer Kindheit, die von Miles Davis stammten. Als ich anmerkte, dass sie anscheinend schon vor der Politik von Jazzmusik fasziniert war, unterbrach sie mich und sagte: «Ich bin mir sicher, dass ich beides zur selben Zeit kennenlernte.» «War das so, weil Politik für Ihre Eltern eine so große Sache war?», fragte ich. «Eine sehr große Sache», entgegnete sie. So groß, dass es den Rest ihres Lebens beeinflussen sollte.

Es gab neben Harris noch andere Präsidenten und Präsidentschaftskandidaten, die in Familien aufgewachsen sind, in denen Politik eine maßgebliche Rolle spielte. Zwei US-Präsidenten, John Quincy Adams und George W. Bush, waren die Söhne ehemaliger Präsidenten. Ein anderer, Benjamin Harrison, war der Enkel eines ehemaligen Präsidenten. Andere wie John F. Kennedy und Franklin D. Roosevelt hatten etliche Vorfahren, die als führende Staatsbeamte und Diplomaten tätig waren. Aber diese Präsidenten gehörten mit ihren Familien zum politischen Establishment.

Harris’ frühes politisches Engagement

Das ist bei Harris anders. Obwohl sie eine beachtliche politische Karriere hingelegt hat und in viele verschiedene Ämter gewählt wurde – wie so etliche andere Präsidentschaftskandidat*innen der beiden großen Parteien vor ihr –, liegen Harris' politische Wurzeln außerhalb dieses Milieus. Die Menschen, die sie mit ihren Erfahrungen und moralischen Grundsätzen am stärksten beeinflussten, sind solche, die die meiste Zeit in Opposition zur herrschenden Politik standen. In ihrer Jugend, lange bevor sie eine Parteikarriere ins Auge fasste, war sie politisch engagiert: Als Gewerkschaftsanhängerin unterstützte sie Arbeitskämpfe, als Bürgerrechts- und Menschenrechtsaktivistin kritisierte sie das Apartheidregime in Südafrika und die Kooperation der USA mit diesem. Und sie hatte die Chance, schon als junger Mensch die Welt zu sehen, und zwar nicht als Touristin, nicht als geschäftliche oder politische «Partnerin» ausländischer Regierungen, sondern als Tochter von Emigrant*innen, die häufig die südasiatischen, afrikanischen und karibischen Länder besuchten, in denen ihre Großeltern lebten und arbeiteten und in die ihr Vater – ein linker Wirtschaftswissenschaftler, der an der Universität von Wisconsin und dann in Stanford lehrte – nach Ende seiner akademischen Karriere zurückkehrte.

«Ich bin mir bei einem ganz sicher: Der Umstand, dass ich so vielen verschiedenen Kulturen ausgesetzt war, hatte einen erheblichen Einfluss auf meine Weltsicht», sagte Harris zu mir, als wir über ihr kosmopolitisches Aufwachsen sprachen. «Wenn ich sage – und ich tue das oft –, dass die meisten Menschen mehr gemeinsam haben, als sie voneinander trennt, dann ist das für mich eine selbstgemachte Erfahrung. Ich weiß einfach, dass das stimmt.» Und weiter: «Es gibt gewisse universelle Eigenschaften, die unabhängig von Kultur, Sprache, Religion, Geografie und Alter existieren. Und auch hier weiß ich, dass das wahr ist, weil ich es persönlich erfahren habe.»

Diese Weltanschauung versucht Harris bei ihren Wahlkampfauftritten zu vermitteln und bei ihren Bemühungen, ein breites Bündnis aus Frauen, People of Color und jungen Wähler*innen zu schmieden und auch solche zu mobilisieren, die sich bei den zurückliegenden Wahlen enttäuscht von der Demokratischen Partei abgewandt haben. «Sie ist politisch klug», so die Einschätzung von Nancy Pelosi, langjährige demokratische Sprecherin des US-Repräsentantenhauses. «Wenn sie das nicht wäre, wäre sie heute nicht da, wo sie ist.»

Harris’ politisches Bewusstsein und Verständnis entwickelten sich im Laufe der Zeit. Aber diese Entwicklung begann lange bevor sie in den 1980er Jahren ihr Jurastudium an der Howard University aufnahm. Sie erzählte mir einmal, dass sie bis zu ihrem 20. Lebensjahr keine Weintrauben aß, weil sie seit ihrer Kindheit den Boykott der kalifornischen United Farm Workers unterstützt habe, angeführt von den Gewerkschaftslegenden Cesar Chavez und Delores Huerta. (Als sich Harris 2020 an der Vorwahl der demokratischen Präsidentschaftskandidat*innen beteiligte, war Huerta eine ihrer ersten offiziellen Unterstützerinnen, zusammen mit der kalifornischen Kongressabgeordneten Barbara Lee, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York und das Pentagon in Washington D.C. als Einzige gegen die Ermächtigung von Präsident George W. Bush gestimmt hat, ohne Billigung des Parlaments Militärschläge anzuordnen. Sowohl Huerta als auch Lee haben stehen auch dieses Jahr wieder voll hinter der Kandidatur der Vizepräsidentin).

Harris entschied sich für ein Studium an der Howard University, einer sogenannten historisch Schwarzen Universität in Washington D.C., weil diese eng mit der Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre verbunden ist. Wichtig für die angehende Juristin und spätere Politikerin war wohl auch, dass der ehemalige Richter am Obersten Gerichtshof Thurgood Marshall, der federführend an den bahnbrechenden Urteilen jener Zeit zur Abschaffung der Rassentrennung beteiligt war, seinen Abschluss an der Howard University gemacht hatte. Sie habe «von Anfang alles richtig machen wollen. Und was wäre ein besserer Start gewesen, als an der Alma Mater von Thurgood Marshall zu studieren?»

Dieser Hintergrund ist es, der Harris von allen Präsidentschaftskandidat*innen der etablierten Parteien vor ihr unterscheidet – auch von Barack Obama, mit dem sie von politischen Analyst*innen und anderen Politiker*innen gern verglichen wird. Obama, das Kind einer US-Amerikanerin und eines kenianischen Vaters, wuchs ebenfalls in einem Akademikerhaushalt auf und reiste bereits in seiner Jugend viel in der Welt herum. Aber er kam aus einem nicht annähernd so politischen und engagierten Umfeld wie Harris. Aus diesem Grund stellt Kamala Harris’ überraschende Präsidentschaftskandidatur als Vertreterin der Demokraten in der Wahlkampfgeschichte der USA eine Besonderheit dar.

Ein neuer Kurs?

Und damit erklärt sich auch der spezifische Kurs, den sie gegen ihren Rivalen Trump eingeschlagen hat. Anders als Hillary Clinton, die in ihren Wahlkampagnen 2008 und 2016 hervorhob, dass sie bei einem Sieg die erste Frau im Präsidentenamt gewesen wäre, macht Harris kein großes Aufheben darum, dass sie als Frau antritt, und genauso wenig darum, dass sie, sollte sie im November gewinnen, die zweite Schwarze Oberbefehlshaberin in der Geschichte des Landes sein würde. Sie hat nicht vergessen, dass Clinton zweimal verloren hat. Hinzu kommt, dass Trump und seine republikanischen Verbündeten einen Großteil des Monats September damit verbrachten, rassistischen Hass und Vorurteile zu schüren, indem sie mit der falschen Geschichte hausieren gingen, dass haitianische Einwanderer in Ohio die Haustiere ihrer Nachbar*innen essen würden. Deswegen hat Harris dem Druck, ihre Rhetorik auf den historischen Charakter ihrer eigenen Kandidatur zu konzentrieren, nicht nachgegeben, sondern eine ganz andere Botschaft und Erkenntnis, die sie bereits während ihrer Präsidentschaftskandidatur 2020 für wichtig befand, ins Zentrum ihrer Kampagne gestellt: «Es gibt bestimmte selbstevidente Wahrheiten.»

Die Wähler*innen haben keine Zweifel daran, dass Harris eine Frau und Schwarz ist – auch wenn Trump in einem seiner vielen bizarren Angriffe auf sie etwas anderes zu suggerieren versuchte. Die Demokratin begeistert nicht nur Schwarze Wähler*innen, sondern punktet auch gerade unter jungen Frauen jeglicher Herkunft. Sie setzt mit Blick auf das von ihr angestrebte breite Bündnis also auf eine universelle Ansprache. Sie verweist darauf, in einer Mittelschichtsfamilie aufgewachsen zu sein, und erwähnt, dass ihre Mutter nach der Scheidung ihrer Eltern Schwierigkeiten hatte, ein Haus zu kaufen. Sie lässt die Wähler*innen wissen, dass sie früher einmal bei McDonald’s gearbeitet hat – eine Erfahrung, die viele US-Amerikaner*innen mir ihr teilen, die aber im krassen Gegensatz zu Trumps Biografie steht, der unter äußerst privilegierten Umständen aufwuchs.

Harris’ Ansatz scheint zu funktionieren. Seitdem Präsident Joe Biden nach einer desaströsen TV-Debatte mit Trump im Juni seinen Plan einer erneuten Kandidatur aufgegeben und den Weg für Harris freigemacht hat, sind die Umfragewerte in den Kerngruppen der demokratischen Wählerschaft, die seit Jahrzehnten liberale Kandidat*innen bevorzugen, deutlich gestiegen. Zugleich spricht sie auch eher konservative Wähler*innen, darunter viele Republikaner, an. Die Kandidatin hat sowohl die Rückdeckung von Progressiven wie Bernie Sanders, dem Senator von Vermont und bekanntesten Sozialisten der Nation, und dessen jungen Verbündeten wie den Kongressabgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez aus New York und Ilhan Omar aus Minnesota, als auch von der ehemaligen republikanischen Kongressabgeordneten Liz Cheney aus Wyoming und ihrem Vater, dem ehemaligen Vizepräsidenten Dick Cheney.

«Republicans for Harris»

Tatsächlich haben sich Dutzende prominenter Republikaner*innen in diesem Jahr für die Wahl der demokratischen Kandidatin ausgesprochen. Harris, die seit Jahrzehnten eine scharfe Kritikerin der konservativen Sozial- und Wirtschaftspolitik ist, teilt sich nun die Bühne mit republikanischen Politikern wie dem Bürgermeister von Mesa/Arizona, John Giles. Alle wissen, diese Unterstützung von republikanischer Seite hat weniger mit Sympathien für ihre Person als mit der Ablehnung von Trump zu tun. Giles hat sich landesweit mit der wiederholten öffentlichen Aufforderung an seine Parteifreund*innen hervorgetan, sich von dem ehemaligen Präsidenten loszusagen, denn sie schuldeten «einem Kandidaten, der moralisch und ethisch bankrott ist, keinerlei Loyalität».

Die meisten «Pro-Harris-Republikaner*innen» betrachten ihre Unterstützung der demokratischen Kandidaten als eine notwendige Reaktion auf das mit Trump verbundene Chaos. Sie verweisen auf die 91 Anklagen wegen krimineller Vergehen (alle, nachdem er der Weiße Haus verlassen hatte), seine Verurteilung im Prozess um die Verschleierung von Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin (er wurde in allen 34 Anklagepunkten für schuldig befunden) sowie die 88,3 Millionen US-Dollar Schadensersatz, die er einer New Yorker Autorin zahlen muss, weil ein New Yorker Geschworenengericht ihn des sexuellen Missbrauchs und der Verleumdung für schuldig befand. Und sie sind überzeugt davon, dass man sich Trump in den Weg stellen muss, weil er die Wahlergebnisse von 2020 nicht anerkannte und weil er damit kokettiert, das Gleiche 2024 zu tun. Geoff Duncan etwa, Republikaner und ehemaliger Vizegouverneur von Georgia, einem Bundesstaat, der für den Ausgang der Wahl auschlaggebend sein wird, versicherte seinen Parteifreund*innen: «Wenn Sie 2024 für Kamala Harris stimmen, sind Sie kein Demokrat. Sie erweisen sich damit als Patrioten.»

Trump zu Füßen

Nicht davon scheint Trump wirklich zu stören. Es bereitet ihm anscheinend immensen Spaß, altehrwürdige Mitglieder aus der Republikanischen Partei zu drängen. Der ehemalige Anhänger der Demokraten, der noch 2013 demokratischen Kandidat*innen, darunter Harris, Wahlkampfspenden zukommen ließ, hat es geschafft, die Grand Old Party in relativ kurzer Zeit auf ihn einzuschwören. Der Personenkult, der nun herrscht und in dessen Mittelpunkt er selbst steht, lässt keinen Raum mehr für abweichende Meinungen. Wie kein anderer Politiker in der jüngeren Geschichte der USA hat Trump der Partei seinen Stempel aufgedrückt: Er hat seine Schwiegertochter Lara Trump zur Ko-Vorsitzenden des republikanischen National Committee ernannt, er verlangt von den Parteiführer*innen im Repräsentantenhaus und im Senat absolute Loyalität und geht persönlich gegen Republikaner vor, die sich weigern, sich seinem Diktat zu unterwerfen. Während Trumps erster Amtszeit tendierten die etablierten Republikaner dazu, Trump als den Präsidenten ihrer Partei zu unterstützen: Sie entschuldigten seine rassistischen und fremdenfeindlichen Ausbrüche oder ignorierten sie einfach und versuchten, sich auf diejenigen Punkte zu konzentrierten, bei denen sie sich einig waren, wie beispielweise die Senkung der Steuern für Wohlhabende und die Neuernennung von Richter*innen des Obersten Gerichtshofs, um das Recht auf Abtreibung auszuhebeln.

Doch nachdem sich Trump nach der Präsidentschaftswahl 2020 (bei der er etwa sieben Millionen Stimmen weniger erhielt als Joe Biden) dafür entschieden hatte, die Wahlergebnisse anzufechten und seine Anhänger*innen dazu aufzufordern, das Kapitol zu stürmen, und es am 6. Januar 2021 zu dem legendären Angriff auf die US-amerikanische Demokratie mit mehreren Toten kam, hatte einige Republikaner genug. Liz Cheney und eine Handvoll anderer Republikaner im Kongress unterstützten daraufhin das von den Demokraten angestrengte Amtsenthebungsverfahren, das mit «Anstiftung zum Aufruhr» begründet wurde. Die meisten ihrer Parteikolleg*innen weigerten sich jedoch, diesen Schritt zu tun, sodass Trump einer Verurteilung wegen schwerer Verbrechen im Senat entging.

Danach begann Trump, die Zügel noch stärker anzuziehen und die verbleibenden Republikaner noch mehr unter Druck zu setzen, ihm in allem zu folgen. So jubeln diese ihm selbst dann zu, wenn er droht, die Regierungsmacht zu missbrauchen, um Vergeltung an seinen politischen Rival*innen und Kritiker*innen zu üben. Als Trump im letzten Jahr sagte, er wolle seine zweite Amtszeit nutzen, um gegen all die «linksradikalen Kriminellen vorzugehen, die wie Ungeziefer in den Grenzen unseres Landes leben, lügen, stehlen und bei Wahlen betrügen und alles Mögliche tun werden, ob legal oder illegal, um Amerika und den amerikanischen Traum zu zerstören», und es daraufhin wieder so gut wie keinen Widerspruch aus ihrer Partei gab, warf Liz Cheney deren Führungspersonal vor, mit einem Kandidaten zu «kollaborieren» und «die gleiche Nazi-Propaganda zu verwenden, die Deutschland in den 1930er und 1940er Jahre in den Abgrund trieb».

Die Tücken des Wahlsystems

Harris hält sich bei ihrer Kritik etwas mehr zurück. Aber es ist klar, dass die demokratische Kandidatin entschlossen ist, eine möglichst breite Anti-Trump-Koalition aufzubauen. Innenpolitisch vertritt sie mehrheitlich progressive Positionen: Sie befürwortet ausdrücklich sozialstaatliche Programme, die Ausweitung des Zugangs zu Gesundheitsversorgung und Bildung, Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise und eine stärkere Besteuerung der Reichen, um all dies zu finanzieren. Zugleich ist Harris auf die Stimmen von «gemäßigteren» und sogar konservativen Wähler*innen angewiesen. Denn Umfragen zufolge ist die Wählerschaft in den USA weiterhin extrem gespalten. Während die Demokraten ihre Ressourcen in die Mobilisierung linksliberaler Milieus stecken, die die Partei seit der Präsidentschaft von Franklin Delano Roosevelt in den 1930er und 1940er Jahren unterstützen, zielt Harris’ Wahlkampf – und darin ist er beispiellos – auf eine Spaltung der Wählerbasis des politischen Gegners. Sie versucht, einen beträchtlichen Anteil der eher konservativ ausgerichteten Bevölkerung zur Stimmabgabe für eine Kandidatin zu bewegen, die Trump als eine «verrückte und gefährliche Linke» denunziert.

Das politische System der USA bietet Harris nur wenige andere Optionen der Koalitionsbildung. Das Wahlsystem ist auf die beiden großen Parteien ausgerichtet und lässt wenig Raum für eine Mehrparteiendemokratie, wie sie in europäischen Ländern üblich ist. In vielen Bundesstaaten ist es für andere Parteien und deren Kandidat*innen außerordentlich schwierig, einen Platz auf dem Wahlzettel zu erhalten. Es ist das Electoral College, das Wahlleutekollegium, das am Ende in einem komplizierten Verfahren über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA bestimmt. Es setzt sich aus den Wahlleuten zusammen, die jeder Bundesstaat entsendet. Deren Anzahl orientiert sich dabei an der Einwohnerzahl eines Bundesstaats; und wer in einem Staat gewinnt, erhält dort alle Wahlleute (winner takes all). Tatsächlich untergräbt das Winner-takes-all-Prinzip die Mehrparteiendemokratie. Außerdem konzentriert sich der Präsidentschaftswahlkampf deshalb auf einige wenige Bundesstaaten wie Wisconsin, Michigan, Pennsylvania, Arizona, Nevada, Georgia und North Carolina, die in den letzten Jahren bei den Wahlen den Ausschlag gegeben haben. Im Jahr 2016, als Trump die meisten dieser Staaten mit knappem Vorsprung gewann, wurde er Präsident. Im Jahr 2020, als Biden hier vorne lag, zog dieser daraufhin ins Weiße Haus ein.

Also anders als in Europa, wo Regierungskoalitionen in der Regel nach einer Wahl gebildet werden, müssen Koalitionen in den Vereinigten Staaten davor gebildet werden – im Rennen um die Präsidentschaft und um Mehrheiten im Kongress, wo es seit den 1970er Jahren keine Abgeordneten und Senator*innen mehr gegeben hat, die einer Drittpartei angehörten.

Im Zentrum von Harris’ Wahlkampfstrategie und Bündnisbemühungen steht, sich als die einzige Option zu präsentieren, mit der eine zweite Amtszeit von Trump verhindert werden kann. Dabei stützt sie sich stark auf ihre Erfahrungen als Staatsanwältin. «Bevor ich zur Vizepräsidentin und zur Senatorin […] gewählt wurde, war ich […] Generalstaatsanwältin von Kalifornien. Davor war ich Staatsanwältin und in diesen Funktionen musste ich es mit Straftätern aller Art aufnehmen: mit brutalen Männern, die Frauen missbrauchen, mit Betrügern, die Verbraucher*innen abzocken, und mit Gierhälsen, die Regeln und Gesetze zu ihrem eigenen Vorteil brechen», sagt Harris. «Sie dürfen mir also glauben, wenn ich sage, dass ich solche Typen wie Donald Trump ganz gut kenne. In diesem Wahlkampf werde ich mit Stolz mein Wissen und meine Erfahrungen seiner Bilanz entgegenstellen.»

Das «Projekt 2025»

Harris belässt es aber nicht bei dem Verweis auf Trumps Vorstrafenregister und dessen Angriffe auf das demokratische System in der Vergangenheit. Sie warnt auch nachdrücklich vor dem «Projekt 2025», einem Plan, den Trumps Verbündete aus erzkonservativen Kreisen und der Wirtschaft ausgeheckt haben. Dieser sieht vor, die enorme Macht des Präsidentenamts zur Umgestaltung der Bundesregierung und -behörden zu nutzen. Tausende von Bundesbeamten sollen demnach in Zukunft ohne Zustimmung des Kongresses und gerichtliche Kontrolle eine durch und durch rechte Agenda umsetzen können. «Nun wäre klar», so warnt Harris die Bevölkerung, «dass Donald Trump eine totale Kontrolle über unser tägliches Leben» anstrebe.

Das «Projekt 2025» würde Freiheiten auf unterschiedlichen Ebenen beschneiden. Zum einen sollen die Bundestaaten dazu gezwungen werden, den Behörden in Washington Auskunft über Fehlgeburten und Abtreibungen zu geben. Zudem seien Kürzungen bei der Rente und dem Gesundheitsprogramm Medicare geplant und eine Auflösung des Bildungsministeriums. Die Gewerkschaften, die sich mit wenigen Ausnahmen für die Kandidatur von Harris ausgesprochen haben, kritisieren am «Projekt 2025» vor allem dessen neoliberale Ausrichtung und das Vorhaben, das Recht auf gewerkschaftliche Organisierung und Tarifverhandlungen einzuschränken. Die Umweltbewegung wiederum, eine weitere bedeutsame zivilgesellschaftliche Basis von Harris, warnt vor der Umsetzung von «Projekt 2025», weil damit die Profite der Fossilindustrie geschützt und alle staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zurückgefahren würden.

Trump hat inzwischen versucht, sich von «Projekt 2025» zu distanzieren. Harris hält jedoch daran fest, die Verbindung herzustellen und bei ihren öffentlichen Auftritten davor zu warnen, dass «der ehemalige Präsident im Falle seiner Wiederwahl diesen bedrohlichen Plan umzusetzen gedenkt».

Kritik von links

In dem starken Fokus ihres Wahlkampfs auf dem politischen Gegner sehen einige ihrer progressiveren Unterstützer*innen jedoch eine Gefahr. Sie würden sich mehr Betonung der eigenen Inhalte und Ziele wünschen. Senator Bernie Sanders aus Vermont, der unabhängige Progressive, der mit seiner Kandidatur bei den Demokraten für das Präsidentschaftsamt 2016 und 2020 eine starke Bewegung aufgebaut hat, drängt darauf, im Wahlkampf mehr und vor allem mit mehr Leidenschaft über eine höhere Besteuerung der Reichen und eine großzügigere Sozialpolitik zu sprechen, also über Themen und Forderungen, die in Teilen der Bevölkerung auf große Zustimmung stoßen. Sanders ist nicht der Einzige, der argumentiert, Harris müsse mehr darauf bedacht sein, frustrierte Wähler*innen aus der Arbeiterklasse und junge Menschen zu gewinnen. Deren Stimmen würden gebraucht, nicht nur um der demokratischen Präsidentschaftskandidatin zum Sieg zu verhelfen, sondern auch, um den Demokraten die Kontrolle über den Senat und das Repräsentantenhaus zu verschaffen – denn im November 2024 steht auch deren Neuzusammensetzung zur Wahl. Sie wissen, dass ein einfacher Sieg über Trump nicht ausreichen wird, um zu gewährleisten, dass eine zukünftige demokratische Präsidentin mit ausreichenden Mehrheiten regieren kann.

Es gibt auch viele Demokraten, die es begrüßen würden, wenn Harris zum Nahost-Konflikt eine deutlich andere Haltung als die gegenwärtige Biden-Regierung einnähme. Israels Angriff auf den Gazastreifen, bei dem mehr als 40.000 Palästinenser*innen ums Leben kamen, und die fortgesetzte Unterstützung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und seiner rechten Regierung durch die USA stoßen vor allem unter arabischstämmigen US-Amerikaner*innen, Muslim*innen und Studierenden auf Unverständnis und Ablehnung. Bei den Vorwahlen der Demokraten in Bundesstaaten wie Michigan und Minnesota, in denen es große muslimische Communities gibt und wo an den Universitäten viel für die Rechte der Palästinenser*innen protestiert wurde, sprachen sich mehr als 700.000 Wähler*innen gegen Biden aus, indem sie uncommitted (nicht festgelegt) wählten. Damit wollten sie ein Zeichen gegen die Politik der Biden-Regierung setzen, die Israel weiterhin mit Waffen versorgt.

Einige Äußerungen von Harris wurden von einigen so verstanden, dass sie sich zumindest teilweise von Bidens Position distanziert. In ihrer Rede auf dem Nominierungsparteitag der Demokraten im August sprach sie davon, dass sie immer das Recht Israels unterstützen werde, sich gegen Angriffe wie den von der Hamas am 7. Oktober 2023 zu verteidigen. Sie fügte aber hinzu, dass «das, was in den letzten zehn Monaten in Gaza passiert ist», aus ihrer Sicht «verheerend» sei. «So viele unschuldige Menschen» hätten ihr Leben verloren, seien verzweifelt, litten unter Hunger und müssten immer wieder fliehen, um sich und ihre Familien in Sicherheit zu bringen. «Das Ausmaß des Leids» sei «herzzerreißend». Harris versprach, sich für ein Ende der Gewalt, die Freilassung der israelischen Geiseln und für das Recht des palästinensischen Volkes auf «Würde, Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung» einzusetzen. Gerade der letztere Satz gefiel vielen auf dem Parteitag.

Aber Demokraten, die in dem Uncommitted National Movement aktiv sind, kritisieren die Vagheit von Harris’ Aussagen und dass die USA weiterhin Waffen an Israel liefern. Letztendlich weigerten sie sich, sich offiziell hinter die Kandidatur von Harris zu stellen. Gleichzeitig warnten sie jedoch vor einer Stimmabgabe für Präsidentschaftskandidat*innen von Drittparteien wie Jill Stein von den Grünen und den Autor und Akademiker Cornel West. Diese lehnen die Unterstützung Israels in dem aktuellen Krieg zwar eindeutig ab, haben aber auf der nationalen Ebene keinerlei Chance. Stimmen für diese Kandidat*innen wären daher nicht nur «verlorene Stimmen», sondern könnten Trump auch zu einer zweiten Amtszeit verhelfen. Dessen Pläne würden «das Massensterben im Gazastreifen aber eher verschlimmern und eine verschärfte Repression gegenüber Anti-Kriegs-Organisationen und -Bewegungen bedeuten.» Das könnte sich als wirksame politische Botschaft in Michigan erweisen, einem der umkämpften Bundesstaaten mit einer großen arabisch-amerikanischen Bevölkerung, die Harris unbedingt für sich gewinnen muss.

Ende September, nach der TV-Debatte mit Trump, die Harris nach Ansicht der meisten Beobachter*innen klar gewonnen hat und die ihr weitere Unterstützung im gesamten politischen Spektrum einbrachte, lag die demokratische Kandidatin vielen Umfragen zufolge in Michigan und anderen Swing States weiterhin in Führung. Aber der Vorsprung dort ist zu klein, um sich beruhigt zurücklehnen zu können. Das überrascht viele Anhänger*innen von Harris und auch viele internationale Beobachter*innen. Denn es fällt schwer zu verstehen, warum Trump nach all den Skandalen und gerichtlichen Verurteilungen weiterhin für so viele Menschen wählbar ist. Meist vergessen wird, dass die demokratische Kandidatin aufgrund des erst vor Kurzem erfolgten Rücktritts von Biden in der Bevölkerung auch jetzt noch weniger bekannt ist und weniger als ernst zu nehmende Anwärterin auf das Präsidentenamt wahrgenommen wird als ihr schlagzeilenträchtiger Rivale von den Republikanern.

Die Elend der Medien

Denn die US-amerikanischen Medien tendieren zu einer sensationsheischenden und an Stereotypen ausgerichteten Berichterstattung. Es gibt kaum noch politisch unabhängigen Lokaljournalismus. Dieser wurde zunehmend von nationalen Kabelsendern mit ihren parteiischen Newsshows sowie den zu Propaganda neigenden sozialen Medien ersetzt. So kommt es, dass weder Trump noch Harris ausreichend befragt und unter die Lupe genommen werden, wie es bei einer so entscheidenden Wahl angemessen wäre.

Es ist vor allem Trump, der von den vereinfachten Darstellungen und Karikaturen in den Medien zu profitieren scheint. Seit seinem Einstieg in die nationale Politik 2015 vermag er es, die Schwachstellen eines im Niedergang befindlichen Mediensystems für sich auszunutzen, eines Systems, in dem Leute wie Les Moonves, ehemaliger Geschäftsführer von CBS, das Sagen haben. Dieser hatte den Wahlkampf 2016 als «Zirkusshow» voller «Bombeneinschläge» bezeichnet und eingeräumt: «Das mag nicht gut für Amerika sein, aber es ist verdammt gut für CBS.» Moonves freute sich über das Chaos, das der ehemalige Reality-TV-Star Trump anrichtete, und über die damit verbundenen steigenden Werbeeinnahmen: «Donalds Auftritte in diesem Wahlkampf sind großartig […]. Ich habe noch nie etwas Vergleichbares erlebt. Deswegen wird das ein sehr gutes Jahr für uns werden. Es tut mir leid, so etwas Schreckliches sagen zu müssen: Aber mach weiter so, Donald, mach bitte weiter so.»

Trump kam dieser Aufforderung dankbar nach und warf nie einen Blick zurück. Er hat seine eigenen Narrative entwickelt und ist davon ausgegangen, die Medien würden ihm erlauben, diese weiterzuspinnen. Womit er mehrheitlich richtig lag. Selbst jetzt, nach fast einem Jahrzehnt endloser Wahlkampfrhetorik, die von so vielen Lügen geprägt ist, dass die Faktenchecker aufgegeben haben, sie zu zählen, bleibt Trump bei seiner Strategie.

The Winner Takes All

In diesem Jahr scheint er sich auf haltlose Anwürfe gegen Harris und Wunschbehauptungen zu fokussieren, wie etwa die, dass das Land während seiner ersten Amtszeit aufgeblüht sei und dies nach seiner Wiederwahl auch wieder tun werde. Trump setzt weiterhin auf die Karte, dass er einer der erfolgreichsten Präsidenten gewesen und es unter seiner Regierung der einheimischen Wirtschaft noch nie so gut gegangen sei. Was er nicht erwähnt: Unter seiner Amtszeit verschärften bzw. vertieften sich die gesellschaftlichen Spannungen und politischen Gräben derart, dass es nach Trumps Weigerung, seine Wahlniederlage anzuerkennen, zu einem gewalttätigen Angriff seiner Anhänger*innen auf das Kapitol kam. Trump stellt auch heute noch eine ernsthafte Bedrohung für die US-amerikanische Demokratie dar.

Harris könnte den Narrativen von Trump noch weitere Wahrheiten entgegensetzen wie etwa jene, dass während dessen erster Amtszeit die Arbeitslosigkeit in die Höhe schoss, die Wirtschaft ins Stocken geriet und Hunderttausende US-Amerikaner*innen ihr Leben verloren, weil die Trump-Regierung in der Corona-Pandemie erbärmlich versagte. Als ehemalige Staatsanwältin dürfte sie auf solche Auseinandersetzungen gut vorbereitet sein.

Aber um einen Sieg zu erringen, der es den Demokraten erlauben würde, in einer Post-Trump-Ära mit den notwendigen Mehrheiten zu regieren, muss sich Harris auch auf das Argument «Zukunft gegen Vergangenheit» stützen, das den Wahlkampf 2024 so sehr bestimmt hat. Sie steht vor der Aufgabe, Trumps Bilanz als Präsident anzugreifen und deutlich zu machen, welche Gefahren von einer drohenden zweiten Amtszeit ausgehen. Sie muss aber auch – und das ist wahrscheinlich genauso wichtig – eine Definition von der Zukunft der Nation anbieten, die hoffnungsvoll und gleichzeitig praktisch genug ist, um die Mehrheit der US-amerikanischen Wählerschaft davon zu überzeugen, die Vergangenheit hinter sich zu lassen und die Zukunft anzunehmen – so wie sie es anderen kritischen Phasen in der Geschichte des Landes getan hat: etwa 1860, als sie sich für den progressiven Republikaner Abraham Lincoln entschied, oder 1932, als sie den progressiven Demokraten Franklin Roosevelt zum Präsidenten machte.
 

Übersetzung aus dem Englischen von Max Böhnel.