Das Stadtbild der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba verändert sich fast täglich. Gab es vor Monaten noch Straßenzüge, in denen sich – teils denkmalgeschützte – Häuser aneinanderreihten, wurden nun riesige Alleen geschaffen, in denen Großbaustellen sich mit bereits fertiggestellten Betonhochhäusern abwechseln. Einer der jüngsten Erlasse des äthiopischen Ministerpräsidenten, Abiy Ahmed, schreibt vor, dass für die Anstriche aller Häuser nur noch Grau oder Weiß verwendet werden dürfen. Das hat Addis Abeba seinen Charme genommen und die Metropole in eine seelenlose Betonstadt verwandelt.
Hierbei könnte es sich um ein Menetekel für Ahmeds Präsidentschaft handeln. Äthiopien ist laut Welternährungsprogramm derzeit das am drittstärksten von Hunger betroffene Land der Welt; die äthiopische Währung Birr unterliegt trotz massiver staatlicher Subventionen einer starken Inflation. Für das laufende Jahr wird eine Staatsverschuldung von über 30 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwartet. Die Zeiten sind also alles andere als rosig.
Jenny Ouédraogo ist Projektmanagerin der Rosa-Luxemburg-Stiftung für das Horn von Afrika, Katrin Voß leitet das Ostafrika-Büro der Stiftung in Daressalam.
Dabei hatte die Regierungszeit Abiy Ahmeds überaus vielversprechend begonnen. Das kurz nach seiner Amtsübernahme im Jahr 2018 unterzeichnete Friedensabkommen mit Eritrea beendete den andauernden Kriegszustand zwischen den beiden Ländern. Es erregte große internationale Aufmerksamkeit, Ahmed wurde für den Friedensschluss 2019 sogar mit dem Friedensnobelpreis geehrt, was wiederum die internationale Gebergemeinschaft zur großzügigen Unterstützung seines Landes veranlasste.
In der Folge des Friedensabkommens, das einen zwanzig Jahre andauernden Grenzkrieg beendete, wurden die Luft- und Landwege zwischen Eritrea und Äthiopien wieder geöffnet; Familien und Bekannte konnten sich nach langer Funkstille auf ein Wiedersehen freuen. Allerdings mündete die neu gewonnene Freundschaft in die Zusammenarbeit in einem anderen Krieg – nämlich jenem gegen die äthiopische Provinz Tigray, in der die Regierungen beider Länder seit November 2020 gegen die Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF) kämpften. Das eritreische Militär unterstützte die äthiopische Nationalarmee dabei mit Soldat*innen und finanziellen Mitteln. Dieser Krieg hatte unzählige zivile Opfer zur Folge, wurde international jedoch weitgehend ignoriert.
Ein im November 2022 unterzeichnetes Friedensabkommen zwischen der äthiopischen Regierung und der TPLF sollte den Krieg in Tigray formell beenden. Dafür gab es erneut viel Zuspruch (und Zuwendungen) aus dem Westen, darunter auch aus Deutschland. Doch das Vorhaben, Ahmeds Regierung dabei zu unterstützen, die Provinz Tigray zu entwaffnen und einen nachhaltigen Frieden herzustellen, scheiterte. Der Grund hierfür liegt vor allem darin, dass weder Eritrea noch die nationalistische Fano-Miliz Teil des Friedensabkommens waren. Die schwerbewaffnete Fano-Miliz kontrolliert große Teile der benachbarten Amahra-Provinz. Dort hat sich die Situation inzwischen so verschärft, dass von längeren Reisen auf dem Landweg abgeraten wird, da die Miliz immer wieder Entführungen durchführt, um Lösegeld zu erpressen.
Die äthiopische Nationalarmee kann der Fano-Miliz offenbar nur wenig entgegensetzen. Um eine weitere Ausbreitung dieser Miliz in den Norden nach Tigray zu verhindern, hat die Ahmed-Regierung von ihrem Vorhaben der Entwaffnung der TPLF Abstand genommen. Dies zeigt: Die innenpolitische Situation bleibt angespannt, und eine politische Lösung ist nicht in Sicht.
Spannungen am Horn von Afrika
Hinzu kommt, dass Ahmeds Außenpolitik die Spannungen in der Region, in der weiterhin um die Vormachtstellung gerungen wird, massiv verstärkt.
Bereits seit Jahren streiten Äthiopien und Ägypten über den Bau des Grand Ethiopian Renaissance Dam (GERD) nahe der sudanesischen Grenze. Kairo warf Addis Abeba immer wieder vor, seine Wasserversorgung durch die Inbetriebnahme des Staudamms zu gefährden, eine einvernehmliche Lösung wurde nicht gefunden.
Im vergangenen Jahr heizte Präsident Ahmed die Spannungen mit Nachbarstaaten weiter an, als er die geografische Lage Äthiopiens als Binnenstaat als historischen Fehler bezeichnete, der korrigiert werden müsse – am besten durch Verhandlungen, sofern nötig aber auch mit Gewalt.
In der Tat schwächt der fehlende Zugang zum Meer die stark von Importen abhängige nationale Wirtschaft, seit der bis 2018 von Äthiopien genutzte Hafen im Nachbarland Dschibuti nicht mehr zur Verfügung steht. Für neue Spannungen sorgt jedoch die zu Jahresbeginn überraschend von Ahmed unterzeichnete Absichtserklärung, einen riesigen Hafen in der von Somalia abgespaltenen Region Somaliland errichten zu lassen. Gleichzeitig sicherte Ahmed Somaliland Unterstützung bei der Anerkennung als souveräner Staat zu.
Für den Präsidenten Somalilands, Muse Bihi Abdi, markierte das Übereinkommen mit Äthiopien einen diplomatischen Erfolg. Die Unterstützung des einflussreichsten Landes am Horn von Afrika gilt hier als wichtiger Schritt zur internationalen Anerkennung der Unabhängigkeit.
Zugleich erweckte dieser Schritt jedoch den Argwohn der Nachbarstaaten. Am 10. Oktober 2024 bekräftigten die Staats- und Regierungschefs Ägyptens, Eritreas und Somalias eine Festigung ihrer Beziehungen. Dabei stand die Eindämmung des äthiopischen Einflusses am Horn von Afrika im Vordergrund. Das Bündnis der drei Länder, das durch die Einrichtung eines trilateralen Ausschusses gefestigt wurde, stellt Äthiopien am Horn von Afrika vor neue Herausforderungen.
Die Entscheidung Somalias, der Allianz Ägyptens und Eritreas beizutreten, ist eine direkte Reaktion auf den äthiopisch-somaliländischen Hafenvertrag. Denn die Regierung in Mogadischu erkennt die 1991 erfolgte Unabhängigkeitserklärung Somalilands weiterhin nicht an. Das deutlichste Zeichen für Somalias Missfallen über den Hafenvertrag war die Mitte August erfolgte Unterzeichnung eines Militärpakts mit Ägypten, dem größten Rivalen Äthiopiens. Seitdem hat Ägypten zwei Waffenlieferungen, darunter Haubitzen und gepanzerte Fahrzeuge, an Somalia ausgeführt.
Eritrea wiederum, das sich bereits seit Jahrzehnten immer wieder im Konflikt mit Äthiopien befindet, betrachtet das Dreierbündnis als strategische Chance, die eigene Bedeutung in der Region zu stärken. Aus seiner Sicht stellt jede Ausweitung des äthiopischen Einflusses in der Region eine direkte Bedrohung dar, vor allem mit Blick auf die Kontrolle wichtiger Seewege. Ein Ausdruck der zuletzt wieder wachsenden Spannungen ist die jüngst erfolgte Aussetzung der Flüge der äthiopischen Fluggesellschaft nach Eritrea.
Auf dem Weg in die Autokratie
Auf die außen- und innenpolitisch wachsenden Schwierigkeiten reagiert Präsident Ahmed mit Repression. Seine Regierungsführung hat sich in den letzten Jahren zu einer Autokratie entwickelt, die von Regierungskritiker*innen auch als «Aristokratie» beschrieben wird. Eine unserer Gesprächspartnerinnen in Addis Abeba befürchtet, «dass er eine Verfassungsänderung hin zu einem Präsidialsystem anstrebt, um seine Macht weiter zu festigen und auszubauen.» Es gebe, betont ein lokaler Journalist, mit dem wir sprachen, «keine starken Institutionen, die die Einhaltung der Demokratie überwachen». Ahmed gilt hier als Herrscher, der – ähnlich wie Paul Kagame in Ruanda – alles allein kontrollieren möchte.
Um seine Position abzusichern, geht der Präsident massiv gegen Kritiker*innen vor. Infolge der zunehmenden Repression gegen die Zivilgesellschaft sehen sich Menschenrechtler*innen und Journalist*innen immer öfter zur Flucht gezwungen. Es verwundert deshalb auch nicht, dass zahlreiche Nichtregierungsorganisationen verboten und seit August 2023 keine Menschenrechtsorganisation im Land neu registriert wurde.
Ahmed kommt damit durch, weil er – obwohl die Zentralregierung über weite Teile des Landes keine Kontrolle besitzt – die Medien beherrscht, über die er ein von ihm kreiertes und kontrolliertes Narrativ des Landes verbreiten kann. Und dieses Narrativ ist – ebenfalls ähnlich wie für Kagame in Ruanda – von entscheidender Bedeutung für die internationalen Geber, die er aufgrund der hohen Abhängigkeit seines Regimes von ausländischer Unterstützung bei Laune halten muss. Das gelingt ihm offenbar; so gilt Addis Abeba international weiterhin als eines der wichtigsten Konferenzzentren auf dem afrikanischen Kontinent. Was im Rest des Landes stattfindet, bekommen die Teilnehmenden internationaler Konferenzen, denen ein modernes urbanes Umfeld für lohnende Investitionen präsentiert wird, schlicht nicht mit.
Prunk für die Herrschaft, Elend für die Massen
Während die Armut im Land inmitten des Krieges wächst, setzt Abiy Ahmed für sich und sein Umfeld auf Prunk. Er lässt nicht nur, wie eingangs erwähnt, die Hauptstadt umbauen, sondern auch einen milliardenschweren Nationalpalast auf den Hügeln vor den Toren der Stadt errichten. Das Anwesen soll sich über eine Fläche von 500 Hektar erstrecken und drei künstliche Seen, ein Luxushotel, Konferenzsäle, Wasserfall, Zoo, Seilbahn und importierte Palmen umfassen.
Die Finanzierung des Palastes ist undurchsichtig. Von Abgeordneten dazu befragt, antwortete Ahmed, dass die Finanzierung keine Rolle spiele, da sie nicht Teil des offiziellen Haushalts sei. Die meisten westlichen Diplomat*innen in der Stadt vermuten indes, dass die Vereinigten Arabischen Emirate für den Prunkbau aufkommen, um ihren Einfluss in Addis Abeba und damit am Horn von Afrika auszuweiten.
Dabei würde das Geld eigentlich dringend gebraucht, um die vom Krieg zerrüttete Wirtschaft wiederaufzubauen. Ahmed scheint indes kein Konzept zu besitzen, wie er das Land entwickeln möchte. Dennoch regt sich kaum Widerstand in der Bevölkerung; die Einschüchterung durch die Regierungsbehörden verhindert jegliche Unmutsbekundungen. Die Jugend Äthiopiens sei, so eine zivilgesellschaftlich engagierte Gesprächspartnerin, «entweder apolitisch oder gewaltbereit»: «Die Gewaltbereiten schließen sich dann bereitwillig einer der Milizen an, und die Spirale der Gewalt hält an.»
Fest steht, dass auf absehbare Zeit nur wenig Hoffnung für eine gedeihliche Zukunft des Landes besteht. Dass selbst die schwere Wirtschaftskrise und die militärisch-politische Schwäche der Zentralregierung nicht zum Umdenken führen, zeigt, wie fest Ahmed im Sattel sitzt. Es erscheint daher unwahrscheinlich, dass die derzeit noch bestehende Begrenzung seiner Amtszeit auf acht Jahre, bis 2026, Bestand haben wird.
Für die von Hunger geplagte Bevölkerung bedeutet dies, dass sie den Großteil der aus Wirtschaftskrise und Krieg resultierenden Lasten wird schultern müssen.
Dieser Text erschien zuerst in «nd.aktuell» im Rahmen einer Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung.