Analyse | Sozialökologischer Umbau - Klimagerechtigkeit Aserbaidschan und die COP29: Eine kritische Analyse

Eine neue grüne Tagesordnung für den gleichen alten Extraktivismus?

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Aserbaidschanische Soldaten marschieren während einer Militärparade in der ehemaligen Hauptstadt von Berg-Karabach, die heute Khankendi heißt.
Aserbaidschanische Soldaten marschieren während einer Militärparade in der ehemaligen Hauptstadt von Berg-Karabach, die heute Khankendi heißt, 8.11.2023. Foto: IMAGO / SNA

Im Zentrum der bevorstehenden Weltklimakonferenz COP29, die vom 11. bis zum 22. November 2024 in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku stattfinden wird, steht ein Global Green Deal, mit dem die internationalen Regularien rund um Klimawandel, Biodiversität und nachhaltige Entwicklung aufeinander abgestimmt werden sollen. Mit dem Motto «leave no one behind» hebt Aserbaidschan die Wichtigkeit einer grünen Wirtschaft hervor. Der Leitspruch spiegelt auch das zentrale Versprechen der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung wider, die die Mitgliedsstaaten dazu verpflichtet, Armut, Diskriminierung und Ungleichheit zu reduzieren, indem sie die Ursachen von Marginalisierung bekämpfen. Damit legt die  Rahmensetzung der diesjährigen Weltklimakonferenz besonderen Wert auf die Priorisierung von Menschenrechtsfragen, wenn es um Klimawandel geht.

Das Feminist Peace Collective (Feministisches Friedenskollektiv) wurde 2020 von aserbaidschanischen Feminist*innen als Antwort auf den zweiten Krieg um Karabach gegründet. Das Ziel des Kollektivs ist es, einen feministischen Friedensdiskurs aus einer machtkritischen Perspektive an die Gesellschaft heranzutragen, indem es die Konzepte von Frieden, Konflikt, Militarismus, Imperialismus, Kapitalismus, Nationalismus, Gender, Männlichkeit und andere damit verbundene Themen hinterfragt.

Die politischen Situation in Aserbaidschan steht jedoch in starkem Kontrast zu diesen Verpflichtungen. Unter dem autoritären und konservativen, von faschistischen Tendenzen geprägten Regime, zeigt sich eine tiefe Diskrepanz zwischen der öffentlichen Rhetorik der Regierung und der gelebten Realität. Die gravierenden Menschenrechtsverletzungen und die repressiven Maßnahmen, mit denen der Staat gegen politisch aktive Personen vorgeht, verschärfen diesen Widerspruch nur noch weiter.

Wo ist der Widerstand?

In der politischen Landschaft Aserbaidschans findet radikaler Aktivismus schon lange keinen Platz mehr. Das apolitische Wesen sowjetischer Politik und der autoritäre Charakter der Verwaltung, die nach der aserbaidschanischen Unabhängigkeit an deren Stelle trat, demobilisierte die Bevölkerung und ließ sie in Bezug auf politische Belange – mit Ausnahme nationalistischer Narrative – apathisch werden.

Die massiven Repressionen gegen die aserbaidschanische Zivilbevölkerung im Jahr 2014 bereiteten den Boden für eine Radikalisierung von Politik und Aktivismus. Ab 2014 wurde die Registrierung neuer Organisationen praktisch unmöglich gemacht, so dass keine neuen Nichtregierungsorganisationen (NROs) oder politischen Parteien mehr gegründet werden konnten. Ebenso unmöglich wurde der Erhalt von Geldern, und ausländische Organisationen, die einst eine Blütezeit in Baku erlebt hatten, verließen das Land. Die Zivilgesellschaft bestand praktisch aus Einzelpersonen und kleinen Graswurzelinitiativen. Dies führte dazu, dass sich junge Menschen jenseits der NROs radikal organisierten. Doch die jüngste Repressionswelle, die seit Sommer 2023 das Land überzieht, hat diesen neuen politischen Kampfgeist stark angegriffen.

Auch lokale Gruppen, die gegen die ungerechte Behandlung von Seiten der Polizeibehörden und Beamt*innen protestierten, wurden brutal unterdrückt. Das jüngste kollektive Aufbegehren erfolgte im Juni 2023 in Söyüdlü, einem Dorf im Nordwesten Aserbaidschans. Dort fand sich eine Gruppe von Bewohner*innen zusammen, um gegen den Bau eines zweiten Stausees zu protestieren, in den die Abfälle der von Anglo Asian Mining PLC betriebenen Goldmine Gadabay versenkt werden sollten. Die Proteste gegen das Unternehmen, das vermeintlich der Präsidentenfamilie nahesteht, wurden brutal unterdrückt. Die Polizei sperrte die Zufahrtswege und stürmte das Dorf unter Einsatz von Tränengas. Mehrere Demonstrant*innen wurden festgenommen und viele sind noch immer in Haft. Bis heute wird der Zugang zum Dorf dauerhaft von der Polizei kontrolliert. Die Blockade erfolgte zeitgleich mit der Blockade Bergkarabachs und offenbarte vielen, die es vorher nicht sehen wollten, das wahre Gesicht des Regimes. Offensichtlich machte die aserbaidschanische Regierung keinen Unterschied zwischen armenischen Separatist*innen und aserbaidschanischen Demonstrant*innen: Beide waren mit dem gleichen Maß an Brutalität konfrontiert. Für einige nationalistische Gruppierungen bedeutete dies einen ernüchternden Schlag ins Gesicht.

Nachdem er im Herbst 2023 die vollständige Kontrolle über alle umstrittenen Gebiete in Bergkarabach erlangt hatte, wandte sich Ilham Alijew – Sohn von Heidar Alijew, dem ehemaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Partei, der nach der Unabhängigkeit Aserbaidschans von 1993 bis 2003 Präsident des Landes wurde – der Innenpolitik zu und initiierte jene brutale Repressionswelle gegen die Zivilgesellschaft. Unabhängige Medien wie Abzas Media und Toplum TV wurden geschlossen, ihre Redakteur*innen und Angestellten unter dem schwerwiegenden Vorwurf des Geldschmuggels verhaftet, ihre Büros durchsucht und alle mit ihnen in Verbindung stehenden Personen von der Polizei verhört oder festgenommen. Auf den Angriff folgte eine Verleumdungskampagne gegen Aktivist*innen, in der sie als US-Spion*innen dargestellt und/oder beschuldigt wurden, Gelder aus dem Ausland angenommen zu haben und die politische Stabilität des Landes unterminieren zu wollen. Es hieß, die USA finanzierten feministische und queere Aktivist*innen, um die Lage in Aserbaidschan zu destabilisieren. Die Festnahmen werden bis heute fortgesetzt: Zuletztwurde der talysche Politikwissenschaftler Igbal Abilov und sein junger Fachkollege Bahruz Samadov unter dem Vorwurf, mit den Armenier*innen kollaboriert und sich des Hochverrats schuldig gemacht zu haben, festgenommen. Viele andere Aktivist*innen haben entweder das Land verlassen, sind abgetaucht oder haben ihre Aktivitäten eingestellt.

Heute existieren keine Gruppen mehr, die sich dem Narrativ der Regierung effektiv widersetzen können. Trotz dieses düsteren Ausblicks bleibt der Widerstand in unterschiedlichen Erscheinungsformen bestehen und rüttelt weiter an den Fundamenten des aserbaidschanischen Regimes, dessen Reichtum an Öl- und Gasvorkommen ihm auch zum Fluch werden kann.

COP29 im Rahmen des grünen Kapitalismus

Die internationale politische Agenda steht immer mehr im Zeichen einer ökologischen Modernisierung. Mittlerweile verfolgen zahlreiche Staaten gezielt eine «grüne» Industriepolitik. So werden zum Beispiel mit dem europäischen Green Deal finanzielle Anreize und rechtliche Rahmenbedingungen für grüne Innovationen verbessert. Auch die Energieversorgungkrise, die die EU infolge der Russischen Invasion in der Ukraine durchlebt hat, führte zu raschen Vereinbarungen unter dem Deckmantel der «grünen» Modernisierung und Nachhaltigkeit mit verschiedenen Ländern, darunter Aserbaidschan.

Einflussreiche politische und wirtschaftliche Kräfte, die sich hinter dem hegemonialen Vorhaben eines grünen Kapitalismus versammeln, wollen auch in Zukunft die Voraussetzungen für die Kapitalakkumulation durch die ökologische Modernisierung sicherstellen und die dafür notwendigen politischen Rahmenbedingungen schaffen. Gleichzeitig suchen sie verstärkt den Zugang zu externen Ressourcen, insbesondere zu Rohstoffen und Vorprodukten. Konferenzen wie die COP29 in Aserbaidschan spielen in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle bei der Erschließung neuer Märkte für die stabile Akkumulation und Steuerung von globalem Kapital in «grün». Dabei werden jedoch häufig die damit einhergehenden gesellschaftspolitischen Konflikte übergangen, wie die Unterdrückung von Aktivist*innen und Journalist*innen, die Unterdrückung von Umwelt-Demonstrant*innen wie jenen in Söyüdlü und die ethnische Vertreibung von Armenier*innen in Bergkarabach als Folge der aserbaidschanischen Invasion.

Nach dem zweiten Krieg um Bergkarabach im Jahr 2020 und insbesondere nach den ethnischen Säuberungen in der Region im September 2023 hat Aserbaidschan erhebliche Anstrengungen unternommen, um das Gebiet als lukrativen Rohstoffstandort zu positionieren, sei es für erneuerbare Energien oder den Abbau wichtiger Rohstoffe wie Kupfer, Kobalt, Gold und Silber.

Das Abkommen, das die aserbaidschanische Regierung 2022 mit dem britischen Unternehmen Anglo Asian Mining PLC unterzeichnete und das drei zusätzliche Abbaugebiete vorsieht, erhöhte auch den strategischen Wert der Kyzlbulag und Demirli Goldminen in Bergkarabach und motivierte die über zehn Monate andauernde Blockade des Latschin-Korridors, mit der man die ansässige armenische Bevölkerung einer Hungersnot aussetzte. Die Blockade sollte die Armenier*innen einschüchtern und sie ihrer Zukunftsaussichten in der Region berauben. Obwohl die Minen zum Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung noch inaktiv waren, soll ihr Betrieb von der endgültigen Klärung des Status von Bergkarabach abhängen. Der Plan passte gut in Aserbaidschans geopolitisches Vorhaben, das darauf ausgerichtet ist, die Kontrolle über strategische Gebiete zu gewinnen und diese – im Einklang mit den allgemeinen kapitalistischen Interessen an der Region – umzustrukturieren. Dementsprechend verfolgten die militärischen und diplomatischen Handlungen Aserbaidschans das Ziel, einen kontrollierten (oder autoritären) Frieden zu sichern und somit die Macht des Landes auf dem Rücken der armenischen Bevölkerung auszubauen. Am 28. September 2023 kündigte die selbsternannte Republik Bergkarabach per Dekret ihre Auflösung bis zum 1. Januar 2024 an. Der Beschluss wurde insbesondere durch die Folgen des jüngsten Krieges begünstigt: Nachdem die aserbaidschanische Blockade der Region zu fatalem Lebensmittel-, Medikamenten- und Treibstoffmangel geführt hatte, wurden 100.000 Armenier*innen aus Bergkarabach zwangsumgesiedelt.

Laut Präsident Ilham Alijew steht bei den wirtschaftlichen Plänen für Bergkarabach dessen Umstrukturierung zu einer «grünen Energiezone» im Vordergrund. Die Blaupause für die Schaffung dieser sogenannten «Green Energy Zone» hat Präsident Alijew bereits vorgelegt und hebt darin das große Potenzial des Gebiets für erneuerbare Energien hervor. Alijews angebliche Pläne für eine «Grüne Zone» werden allerdings kaum etwas daran ändern, dass dort weiterhin auch kritische Rohstoffe wie Kobalt und Kupfer in großen Mengen abgebaut werden. Bergkarabach, das für seinen Reichtum an Bodenschätzen bekannt ist, hat einen hohen strategischen Wert. Nur einen Monat nach den ethnischen Säuberungen lud Mukhtar Babayev, der aserbaidschanische Minister für Umwelt und natürliche Ressourcen und Vorsitzender der COP29, im Oktober 2023 zur ersten «GeoMining Baku»-Bergbaumesse ein.

Und auch die Ausrichtung des ersten internationalen Geologie- und Bergbauforums am 26. Oktober 2023 mit über 30 Teilnehmerstaaten war Ausdruck der aserbaidschanischen Bergbauambitionen. In seiner offiziellen Eröffnungsrede betonte Babayev das große Potenzial, das Aserbaidschan für internationale Kooperationen im Bereich Bergbau birgt, sowie die strategische Relevanz der Bodenschätze in Bergkarabach und in der Sangesur-Region. Mit derartigen Foren will das Land internationale Unternehmen anziehen, die in eine «grüne» Umstrukturierung der Region investieren und zieht dabei Nutzen aus den reichhaltigen Kupfer- und Kobaltressourcen, die für die Herstellung von Batterien, Kabel für erneuerbare Energien und militärischer Ausrüstung unerlässlich sind. Die beträchtlichen CO2-Emissionen, die bei ihrer Produktion entstehen, spielen jedoch keine Rolle.

Geht es um den Transport von essentiellen Rohstoffen für die westliche Welt, ist insbesondere die Frage nach sicheren Transportrouten von besonderer Bedeutung. Die praktikabelste und sicherste Option in dieser Hinsicht könnte die Einrichtung einer zentralen Rohstoffversorgungsroute sein, die Zentralasien über Aserbaidschan mit Europa verbindet. Auch die Bergkarabach-Region gilt als potenzielle Handelsroute zwischen Asien und Europa, insbesondere im aktuellen geopolitischen Kontext. Aserbaidschan propagiert den Begriff eines sogenannten «Sangesur-Korridor» um den historischen Anspruch auf das Gebiet und die Kontrolle über diese wichtige Ost-West-Verbindung geltend machen, die jedoch im armenischen Gebiet zwischen der Türkei und Aserbaidschan liegt. Aserbaidschan weiß um die Abkommen, die die EU mit Usbekistan und Kasachstan für die Produktion von Lithium abgeschlossen hat – ein wichtiger Rohstoff für die Produktion von Elektroautos, E-Bikes, Batterien, Solarpanelen und Computern. Da der Iran und Russland als Routen nicht in Frage kommen, wird Bergkarabach neben dem «Transkaspischen Internationalen Transportkorridor» eine wichtige Rolle als internationale Handelsroute für Aserbaidschan spielen.

Was tun?

Die COP29 ist ein Versuch, unter dem Vorwand der Lösung der Umweltkrise, neue Märkte zu erschließen. Dementsprechend dient die Weltklimakonferenz als Plattform der Erzählung vom grünen Kapitalismus, die sich eine «grüne Reformation» des alten Wirtschaftsmodells zur Bekämpfung der Klimakrise auf die Fahnen schreibt. So überrascht es auch nicht, dass liberal-demokratische Staaten, die wie autoritäre Staaten im Dienste der Kapitalakkumulation stehen, keine Bedenken haben, mit Regimen wie dem aserbaidschanischen zusammenzuarbeiten. Ihr zentrales Anliegen – und ihre Hauptfunktion – ist es, der globalen Weltwirtschaft zu dienen, selbst vor dem Hintergrund schwerer Menschenrechtsverletzungen und Repressionen gegen die Armenier*innen in Bergkarabach und die inneraserbaidschanische Opposition. In der Gegenüberstellung von «liberalen Demokratien» und «autoritären Staaten» beharren liberal-demokratische Nationalstaaten auf ihrer moralischen Überlegenheit. Dabei sind auch sie mitverantwortlich für die autoritären Verhältnisse in Aserbaidschan.

Trotzdem macht die globale Kapitalakkumulation, die von der kapitalistischen wettbewerbs-, wachstums- und profitorientierten Logik angetrieben wird, Lösungen für die schwerwiegenden Auswirkungen der Klimakrise erforderlich. Dabei soll der Kapitalismus als Teil des Problems allerdings außen vor gelassen bleiben. Die Klimakrise lässt sich jedoch nicht ohne eine wirtschaftliche Transformation bekämpfen. Selbst wenn sie grün wäre: Die kapitalistische Produktionsweise ist und bleibt die Hauptursache dafür, dass die Menschheit die planetarischen Grenzen überschreitet und einer potenziell katastrophischen Zukunft entgegensieht. Der Kapitalismus ist aufgrund seiner inhärenten Logik von Wettbewerb, Wachstum und Profit strukturell blind für die von ihm ausgelösten sozialen und ökologischen Verwerfungen. Ursache dafür ist der Wachstumszwang eines Wirtschaftssystems, das auf Wettbewerb und fossilen Brennstoffen beruht. Der Klimawandel ist die Schattenseite der gesellschaftlichen Akzeptanz und globalen Verbreitung emissionsintensiver Produktions- und Konsumgewohnheiten. Darüber hinaus wird er durch die Duldung sozialer Ungleichheit und die zerstörerischen Aktivitäten der Superreichen, wie etwa ihre Investitionsentscheidungen, angeheizt.

Die wachsende Rohstoff- und Energienachfrage eines grünen Kapitalismus, der einem globalen kapitalistischen Produktions- und Wachstumssystem verpflichtet bleibt, heizt die Klimakrise weiter an. Dieser Anstieg ist sowohl auf die Digitalisierung als auch auf die als «doppelte  Transformation» bezeichneten Bemühungen um eine partielle Dekarbonisierung zurückzuführen. Statt weiterhin auf Strategien zu setzen, die eine Modernisierung fördern, sollten transformative Ansätze in Betracht gezogen werden. Unter Begriffen wie «Postwachstum» und «Degrowth» wird seit einiger Zeit aktiv über einen solidarischen Rückbau diskutiert, der sich gegen den kapitalistisch motivierten Wachstumszwang positioniert, der auf Konferenzen wie der COP29 aufrechterhalten wird. Solange diese Probleme nicht an der Wurzel angegangen werden, das heißt, solange das globale Wirtschaftsmodell nicht in Frage gestellt wird, führen Konferenzen wie die COP29 nur zu einer weiteren Verschärfung der Klimakrise.

Übersetzung von Charlotte Thießen und Camilla Elle für Gegensatz Translation Collective.