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Was sie für die Belegschaften bedeutet und wie wir sie meistern können

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Neuwagen parken vor dem Volkswagen-Werk in Wolfsburg. Vor Kurzem noch wollte der VW-Konzern hier nach dem Vorbild von Tesla eine «Gigafactory» für neue Luxusfahrzeuge bauen, jetzt sind wegen der Absatzkrise harte Sparmaßnahmen geplant. Foto: picture alliance / Jochen Eckel

VW, wie auch BMW und Mercedes-Benz haben die Mobilitätswende verschlafen. Die gesamte deutsche Autoindustrie steckt in der Krise. Und wieder einmal soll die Bundesregierung mit hohen Summen einspringen. Doch die FDP will nicht. Scholz wirft Lindner raus und die Ampel scheitert auch in diesem Punkt. Aber eine Fixierung auf übergroße und überteure Elektro-SUVs und eine möglichst lange Produktion von Verbrennern führt nicht aus der Krise. Die Mobilitätswende braucht kleinere, bezahlbare und abgasfreie Autos. Und sie braucht viel Arbeitskraft für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs mit Straßenbahnen, Zügen, E-Bussen etc. Die Produktionskapazitäten dafür fehlen in Deutschland. VW hat die Rücklagen, um den Betrieb umzustellen. Doch das Management schüttet lieber Milliardengewinne an die Aktionär*innen aus und entlässt Tausende Beschäftigte.

Stephan Krull war Mitglied des Betriebsrates bei VW in Wolfsburg und ist in der Attac-AG ArbeitFairTeilen aktiv. Er koordiniert den Gesprächskreis «Zukunft Auto Umwelt Mobilität» (ZAUM) der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Mario Candeias ist Referent für sozialistische Transformationsforschung, linke Strategien und Parteien, ehemaliger Direktor des Instituts für Gesellschaftsanalyse (IfG) und nun am Zentrum für Gesellschaftsanalyse und politische Bildung (ZAB) der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Er ist Redakteur der Zeitschrift LuXemburg.

Die Krisen in der Autoindustrie kommen regelmäßig, die Abstände verkürzen sich und die Krisen werden heftiger. Die notwendige Transformation ist keine Überraschung – und doch haben Konzerne wie Bundesregierung wenig unternommen, um schneller umzustellen und dabei den Blick auf die gesellschaftlichen Bedarfe zu richten: statt übergroßer, überteurer ökologisch schädlicher SUVs kleinere, abgasfreie und bezahlbare Autos sowie Produktion für die Ausweitung des öffentlichen Verkehrs. Nun soll wieder einmal, wie schon in den Jahren 2009 und 2020, die Autoindustrie und vor allem VW mit staatlichen Mitteln unterstützt werden – doch die FDP hält an der Schuldenbremse fest, was letztlich zum Scheitern der Ampel und dem Rauswurf Lindners und der FDP aus der Regierung führt.

Es geht um Konkurrenz, um Märkte und Marktanteile, um den Aufbau und dann wieder die Zerstörung von Kapazitäten in geschrumpften Teilmärkten mit sinkender Kaufkraft großer Teile der Bevölkerung. Die deutsche Autoindustrie ist stark exportorientiert und in hohem Maße von den Märkten in China und den USA abhängig. Hinzu kommt die Etablierung mehrerer neuer und technologisch fortgeschrittener Player in China und ihre Expansion auf die globalen Märkte. Der Absatz von Volkswagen, BMW und Mercedes ist nach 40 Jahren guter Geschäfte in China dramatisch eingebrochen.[1]

Eine Krise der Arbeitsplätze

Die Krise ist in erster Linie eine Krise der Arbeitsplätze, keine Krise der Profite. Die Anzahl der Beschäftigten in der Auto- und Zulieferindustrie ist in Deutschland in den letzten fünf Jahren um mehr als 60.000 gesunken. Ford schließt die Fabrik in Saarlouis, VW die Fabrik in Brüssel, Stellantis die Werke in Bielsko-Biała und Turin. Täglich gibt es Berichte über Standortverlagerungen oder Betriebsschließungen von Bosch, Conti, ZF, Schaeffler und vielen kleineren Zulieferbetrieben. Die Inlandsproduktion von Autos sank von 5,7 Millionen im Jahr 2016 auf 4,1 Millionen 2023.

Im scheinbaren Widerspruch zu diesen Überkapazitäten stiegen die Profite – auf 50 Milliarden Euro bei den big three in Deutschland; die Gewinnrücklagen kletterten auf sagenhafte 250 Milliarden Euro. Luxusautos und hoch motorisierte SUVs bringen weniger Absatz als kleine, smarte Fahrzeuge, aber mehr Profit. Um es am Beispiel von Volkswagen deutlich zu machen: Es geht mitnichten um Verluste, wie das Unternehmen öffentlich behauptet und eilfertige Journalist*innen es gerne weitergeben. Den Eigentümer*innen und den Manager*innen reicht eine Umsatzrendite von 3,5 Prozent bei der Marke Volkswagen nicht, sie wollen 6,5 Prozent in der Marke und 10 Prozent im Konzern, also gut 30 Milliarden Euro Profit statt der 22 Milliarden aus dem zurückliegenden Jahr.

Tabelle 1: Gewinne und Gewinnrücklagen von VW, Mercedes-Benz und BMW im Jahr 2023 (Quellen: Geschäftsberichte der Unternehmen)

 

Gewinn 2023 in Euro

Gewinnrücklage in Euro

Volkswagen

22 Milliarden

147 Milliarden

Mercedes

15 Milliarden

21 Milliarden

BMW

12 Milliarden

85 Milliarden

Seit dem Jahr 2016 sinkt die Nachfrage nach Autos in Deutschland und Europa. Dabei spielen die Kriege und globalen Konkurrenzen, die aggressiven Weltverhältnisse, die Hochrüstung, der Abbau von Sozialstaatlichkeit, die Debatte um den Antriebswechsel zu E-Autos und die stockende Infrastruktur eine bedeutende Rolle. Die weltweite Produktion von Pkw sank von 73 Millionen im Jahr 2017 auf 55 Millionen im Jahr 2020 und stieg danach wieder auf 67 Millionen im Jahr 2023. Im selben Jahr wurden in Europa zwei Millionen Autos weniger abgesetzt als noch fünf Jahre vorher – das entspricht der Kapazität von vier großen Autofabriken oder dem weltweiten Absatz von Audi und Peugeot zusammen. Dieser Einbruch trifft besonders einen Volumenhersteller wie Volkswagen, dem der Absatz um 500.000 Fahrzeuge allein in Europa in der Bilanz fehlt.

Die entstandenen Überkapazitäten sind mit großem Aufwand aufgebaut worden. Vor Kurzem noch wollte der VW-Konzern nach dem Vorbild von Tesla eine «Gigafactory» für neue Luxusfahrzeuge in Wolfsburg bauen (Trinity). Im März 2022 gab der Aufsichtsrat dafür grünes Licht. Zwei Jahre später geht es um Massenentlassungen und Werksschließungen. Während der Betriebsrat, die IG Metall und die Landesregierung von Niedersachsen die geplante Trinity-Fabrik unbedingt in Wolfsburg haben wollten, ist es auch dem Protest der Verkehrswendebewegung zu danken, dass diese Fehlinvestition von über zwei Milliarden Euro im Herbst 2023 schließlich abgesagt wurde. Bei der Betriebsversammlung im Wolfsburger Werk am 4. September sagte der Finanzchef von VW: «Es fehlen uns die Verkäufe von rund 500.000 Autos, die Verkäufe für rund zwei Werke. Der Markt ist schlicht nicht mehr da.» Bisher wurden die Überkapazitäten immer beim jeweils anderen Hersteller verortet, erstmals werden jetzt innerhalb des Konzerns Überkapazitäten eingestanden.[2]

Seit einigen Jahren bildet die Gleichzeitigkeit von Klimakrise und dem Konflikt um die Zukunft der Autoindustrie und Hunderttausender Arbeitsplätze eine explosive Mischung. Der Rechtsruck insgesamt, die hohe Zustimmung für die Höcke-Partei in den Autoclustern von Sachsen, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen ist überaus besorgniserregend. Es besteht die Gefahr eines verkehrspolitischen Backlash, der die Klimakrise zusätzlich verschärft, Milliarden an Mitteln vergeudet und weitere Arbeitsplätze gefährdet. Fortgesetzter Autobahnneubau und die aberwitzigen Subventionen, die in die Autoindustrie fließen, entsprechen einer Umverteilung von unten nach oben. Viele Menschen sind mangels eines guten öffentlichen Verkehrs noch auf Autos angewiesen, jedoch sinken Pkw-Dichte und Emissionen mit dem Haushaltseinkommen deutlich ab. Anstatt sich auf die Forderungen der Mehrheiten im Land – Tempolimit, Abbau von Subventionen – einzulassen, kungelt die Regierung mit der Autoindustrie und verstärkt noch die autozentrierte Politik. Selbst der Abschied vom Verbrennungsmotor wird von antiökologischen Kräften wie der FDP, der CSU/CSU, der AfD und dem BSW immer wieder von Neuem infrage gestellt. Dadurch kommen Klimaschutz und Mobilitätswende unter die Räder bzw. unter den Asphalt.

Volkswagen kündigt Tarifverträge

Die Anzahl der Beschäftigten in der deutschen Auto- und Zulieferindustrie ist in den zurückliegenden fünf Jahren insgesamt um etwa 60.000 gesunken. Produktionsstätten von Volkswagen, etwa in Brüssel, wurden geschlossen. Dazu kommen unterausgelastete Fabriken von VW in Emden, Zwickau, Wolfsburg, Hannover, Salzgitter, Chemnitz, Osnabrück und Dresden, die auf die Marge drücken und den Profit senken.

Im September 2024 kündigte der VW-Vorstand den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung, um mit Massenentlassungen und Werksschließungen auf die Überproduktionskrise reagieren zu können. Bei dieser Drohkulisse geht es nicht darum, Verluste zu vermeiden, sondern darum, höhere Gewinne zu realisieren. Falls jemand über die Not in den Werken von Volkswagen diskutieren will: Vom Gewinn aus dem Jahr 2023 wurden 4,5 Milliarden Euro ausgeschüttet, fast zur Hälfte direkt an den Porsche-Piëch-Clan. Etwa genauso viel soll nun eingespart werden. Die Ankündigung von Massenentlassungen und Werksschließungen bedeutet eine Suspendierung der bisher geübten Sozialpartnerschaft.

Folgende Tarifverträge hat das Unternehmen gekündigt:

  • den Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung – um Massenentlassungen und Werksschließungen zu ermöglichen;
  • den Entgelttarifvertrag – mit dem Ziel, alle Entgelte pauschal um 10 Prozent zu reduzieren;
  • den Tarifvertrag zur Übernahme von Auszubildenden nach erfolgreicher Ausbildung;
  • den Tarifvertrag zur Leiharbeit, der eine Aufzahlung bei Leiharbeiter*innen regelt;
  • die Vereinbarung zur Mitbestimmung des Betriebsrats bei übertariflichen Regelungen für hochqualifizierte Mitarbeiter*innen.

Alte gegen Junge, Büro gegen Fließband, Emden gegen Zwickau – das ist das Kalkül des Managements. Konzernvorstand Blume versucht es auf sentimentale Weise: «Wir führen VW wieder dorthin, wo die Marke hingehört – das ist die Verantwortung von uns allen. Ich komme aus der Region, arbeite seit 30 Jahren im Konzern. Ihr könnt auf mich zählen und ich zähle auf euch – wir sind Volkswagen.» Aber Tausende in der Halle skandieren selbstbewusst: «Wir sind Volkswagen – aber ihr seid es nicht!»

Historische Verantwortung vs. Profitgier

Die Ankündigung von Massenentlassungen und Werksschließungen bei VW führte zu einem vieltausendfachen Aufschrei an allen Standorten. Die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats, Daniela Cavallo, meldete Widerstand und Eigentumsansprüche am Konzern durch die Belegschaft an: «Volkswagen gehört nicht allein den Aktionärinnen und Aktionären! Volkswagen gehört auch der Belegschaft.»[3] Sie erinnerte an die historischen Wurzeln: VW war im NS-System der 1930er-Jahre mit Geld aus dem geraubten Vermögen der Gewerkschaften gebaut worden. Nach 1945 machten die Gewerkschaften ihre Eigentumsrechte nicht geltend, weil die erweiterte Mitbestimmung bei der Teilprivatisierung im Jahr 1960 mit dem VW-Gesetz abgesichert wurde. Daraus leitet sich der Anspruch der Arbeiter*innen bei VW auf wirtschaftliche Mitbestimmung und globale soziale Rechte ab, wie Cavallo betonte:

«130 Millionen Reichsmark entsprechen […] einer heutigen Kaufkraft von knapp 700 Millionen Euro. Mit einer durchschnittlichen Verzinsung hätte sich aus diesem Kapital, das die Nazis der Arbeiterbewegung damals geraubt hatten, über die Jahrzehnte längst ein Milliardenbetrag ergeben. Dieses Geld, unser Geld, steckt heute im VW-Konzern. Und deswegen ist klar: Bei Volkswagen wird niemals der Turbo-Kapitalismus Einzug halten. Sondern bei Volkswagen haben die abhängig Beschäftigten, ihre Familien und Standortregionen immer ein starkes Gewicht.»[4]

Dem fügt der Kasseler Betriebsratsvorsitzende Carsten Büchling hinzu:

«Dass jetzt betriebsbedingte Kündigungen und Werksschließungen im Raum stehen, ist Wasser auf die Mühlen der AfD. […] Wenn wir mehr Einfluss hätten auf strategische Entscheidungen über die Produktion, dann könnten solche […] Zuspitzungen […] vermieden werden. […] Unser Ziel muss sein, dass die Beschäftigten über die Produktion entscheiden. Die Beschäftigten müssen zu Miteigentümern der Betriebe werden.»[5]

An den VW-Betriebsversammlungen, die im September 2024 an allen Standorten stattfanden, nahmen Zehntausende Mitarbeiter*innen teil. Die Stimmung war aufgeheizt. Eine Kollegin aus Emden erzählte: «Der Manni [Manfred Wulff, Betriebsratsvorsitzender] versprüht die Hoffnung, dass es mit der Stückzahl bald wieder hochgehen wird. Keine Ahnung, wo dieser Optimismus herkommt.» Eine Kollegin aus Zwickau berichtete: «Markenchef Schäfer ist mit Trillerpfeifen und Buhrufen empfangen worden. Die Stimmung zur Betriebsversammlung war kochend. Es gibt Vermutungen, dass VW das gemacht hat, um mehr Subventionen zu kassieren.»

Volkswagen-Chef Oliver Blume ließ per Bild am Sonntag mitteilen, dass er keine Alternative zu einem harten Sparkurs sehe. Die schwache Nachfrage in Europa und gesunkene Erträge im China-Geschäft hätten jahrzehntelange strukturelle Probleme bei VW offengelegt. Deshalb müssten die Kosten in Deutschland massiv gesenkt werden. Personalvorstand Kilian, Sozialdemokrat und einst selbst Betriebsrat in Wolfsburg, erklärte, es stehe eine «historische Weichenstellung» bevor, für die die Belegschaft bereit sein müsse, «Einschnitte hinzunehmen». Aus der FDP wurden Rufe laut, die Landesregierung von Niedersachsen möge sich aus dem VW-Aufsichtsrat zurückziehen. Niedersachsens Ministerpräsident Weil (SPD) erwartet andere Alternativen als Werksschließungen.

Für die IG-Metall-Vorsitzende Christiane Benner wiederum ist Arbeitszeitverkürzung und die Vier-Tage-Woche eine Option: «Wir sollten nichts ungenutzt lassen an Ideen, wie wir Beschäftigung und Standorte sichern können.»[6]

Vom «Privileg, bei VW zu arbeiten»

Viele Zeitungen und Zeitschriften, etwa Die Zeit, Stern und Fokus, kommentieren und schreiben diensteifrig, die Arbeiter*innen bei Volkswagen lebten wie die Maden im Speck und seien überbezahlt; die IG Metall schade Arbeiterschaft und Unternehmen.

Die Fakten sehen jedoch anders aus: Die Inflation betrug in den Jahren 2022 bis 2024 etwa 4 bis 7 Prozent pro Jahr, die Lebensmittelpreise stiegen noch deutlicher. Die Löhne bei VW waren in den Jahren 2019 bis 2021 eingefroren worden. Von 2022 bis 2024 wurden sie um 2,3 Prozent für 17 Monate erhöht, für jeweils kürzere Zeit um 5,2 bzw. 3,3 Prozent – was zusammengerechnet nicht einmal einem Ausgleich der Inflationsrate entspricht.

Damit lag die Lohnentwicklung bei Volkswagen in den zurückliegenden zehn Jahren maximal gleichauf mit derjenigen anderer Tarifgebiete der Metall- und Elektroindustrie. Die Einführung der 28,8-Stunden-Woche und der Beschäftigungssicherung im Jahr 1994 war mit einem Verlust des 13. Monatsentgeltes, des Weihnachtsgeldes und der Schichtzuschläge verbunden. Bereits zehn Jahre später wurde die Arbeitszeit wieder auf 33 Stunden verlängert – ohne zusätzliche Bezahlung. Dafür gab es eine Gewinnausschüttung an die Belegschaft gemessen am Profit der Marke Volkswagen. Ein Kollege aus der Montage berichtete: «Die letzten Jahre haben wir nur gegeben. Die Bänder sind so rationalisiert, dass man nicht mal die Nase putzen kann, ohne Zeit zu verlieren. Das alles für etwa 27 Euro x 140 Stunden pro Monat macht nur etwas mehr als 3.700 Euro brutto, je nach Steuerklasse 2.200 bis 2.700 netto.»

Im selben Zeitraum wurden an die Aktionär*innen Dividenden von rund 20 Milliarden Euro ausgezahlt; der riesige Abgasbetrug kostete das Unternehmen mehr als 30 Milliarden Euro.

Bündnisse für Klimaschutz, gute Arbeit und gutes Leben für alle

Ver.di und Fridays for Future kämpfen gemeinsam für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) und für bessere Arbeitsbedingungen der hier Beschäftigten. Gewerkschaften, Umwelt- und Sozialverbände haben das Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende gegründet und die Klimagerechtigkeitsbewegung streut Sand in das Getriebe von Veranstaltungen wie der Internationalen Automobil-Ausstellung (IAA). Forderungen nach dem Umbau der Industrie und nach einer Verkehrswende ergänzen sich auf diese Weise. Das ermöglicht neue Allianzen für die sozial-ökologische Transformation.

In der Praxis wird den gemeinsamen Forderungen von Gewerkschaften und der Linken bisher jedoch zu wenig Nachdruck verliehen. Der gesellschaftlichen Linken kommt die Verantwortung zu, den vermeintlich unlösbaren Widerspruch zwischen Ökologie und Arbeitsplätzen aufzulösen und die berechtigten Interessen der Beschäftigten an guter Arbeit und gutem Leben mit der Verkehrswende zu verbinden.

Jüngst haben mehrere Studien gezeigt, welch großes Potenzial für gute Arbeit in einer konsequenten Mobilitätswende liegt. Im Schienenfahrzeugbau, bei der Bahn und in den Betrieben des ÖPNV können Hunderttausende Arbeitsplätze neu entstehen, wenn diese Betriebe Planungssicherheit erhalten. Rechnet man dazu den Arbeitskräftebedarf, der sich aus dem nötigen Ausbau des Care-Sektors, des Gesundheits- und Bildungswesens ergibt, und berücksichtigt man die beschäftigungspolitischen und gesellschaftlichen Potenziale einer Arbeitszeitverkürzung hin zur 28-Stunden-Woche oder einer «kurzen Vollzeit für alle» (Riexinger), dann wird deutlich, dass es viel zu gewinnen gibt: gute Arbeit, gutes Leben und eine lebenswerte Zukunft für nachfolgende Generationen. In diesem Prozess gilt es, den Beschäftigten Sicherheit zu geben, auch durch gesetzlich garantierte Aus-, Fort- und Weiterbildung, eine Jobgarantie und ein Transformationsgeld.

Das setzt voraus, dass die Gewerkschaften und Die Linke die Impulse von Klimabewegung und Verkehrswendeinitiativen konsequent aufgreifen. Es setzt voraus, dass Gewerkschaften ihr politisches Mandat zugunsten einer sozial-ökologischen Transformation wahrnehmen. Und es setzt voraus, dass die vielen guten Ansätze und Überlegungen, wie sie von Beschäftigten in der Autoindustrie selbst ausgehen, nicht länger vom jeweiligen Management weggefegt, sondern von Wissenschaftler*innen, Gewerkschaften und linker Politik aufgegriffen, standortübergreifend gebündelt und offensiv in die gesellschaftspolitischen Debatten eingebracht werden.

Programm für den ökologischen Umbau

Natürlich müssen die vorhandenen Überkapazitäten abgebaut werden – am besten durch den Umbau auf eine Produktion für nachhaltige öffentliche Mobilität. Dabei können rasche und große Schritte hin zur Arbeitszeitverkürzung – zur 4-Tage-Woche bzw. 28-Stunden-Woche – helfen.

Tarifverträge sind Ausdruck des Kräfteverhältnisses zwischen Kapital und Arbeit. Deshalb bedarf es des überbetrieblichen gewerkschaftlichen Widerstands gegen Hochrüstung und Sozialabbau, des gemeinsamen Kampfes von Gewerkschaften, Klimagerechtigkeitsbewegung und Verkehrsinitiativen um Beteiligung und Mitbestimmung über strategische Unternehmensentscheidungen und die Konversion der Autoindustrie.

Das Geld für die Konversion der Autoindustrie steht in unserem reichen Land zur Verfügung. Die Konversion ist die Alternative zu verschärfter globaler Konkurrenz, zu Sozialabbau, Massenentlassungen und Werksschließungen. Zentrale Punkte:[7]

  1. Eine Ausweitung von öffentlichen Investitionen ist möglich und nötig. Statt die Autoindustrie mit Milliarden zu subventionieren, sind die Gewinne zweckgebunden für die Verkehrswende abzuschöpfen. Der Bund kann ein Sondervermögen von 200 Milliarden Euro für Investitionen in Infrastrukturen und zum Aufbau von Produktionskapazitäten für Fahrzeuge des öffentlichen Verkehrs (von Schienenfahrzeugen bis zu smarten Bussen) bilden, wenn mit der Schulden- und Innovationsbremse Schluss gemacht wird.
  2. Aufbau von regionalen Transformationsräten aus Gewerkschaften, regionaler Politik, Umwelt- und Verkehrsverbänden, Energie- und Verkehrswendeinitiativen, die gesellschaftliche Foren initiieren und direkten Einfluss auf die sozial-ökologische Transformation der gesamten Mobilitätsindustrie nehmen. Die Förderung dieser regionalen Transformationsräte erfolgt aus dem Zukunftsfonds Automobil.
  3. Forcierung und Unterstützung lokaler Initiativen und Bündnisse für die sozial-ökologische Transformation von Autoindustrie und Mobilität.
  4. Auf- und Ausbau (gemeinwirtschaftlicher, demokratischer) Unternehmen, die die Lücken in der derzeitigen Mobilitätsindustrie für den smarten Bus-, Schienen- und Güterverkehr füllen: Das ergibt eine sinnvolle Kompensation von wegfallenden Arbeitsplätzen. Ergänzend: Vergesellschaftung von Unternehmen, die die Verkehrswende blockieren, nach Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes.
  5. Reform von Straßenverkehrsordnung und -gesetz, sodass Kommunen ermächtigt werden, sozial-ökologische Maßnahmen wie Tempolimits, Busspuren und anderes zu beschließen und umzusetzen.
  6. Eine europäische Industriepolitik zum Aufbau einer europäischen Mobilitätsindustrie für den notwendigen Bau von Bussen und Schienenfahrzeugen. Die Möglichkeit der Direktvergabe (public service obligation) für den ÖPNV und die Bahn muss weiterhin erhalten bleiben.

Eine daraus resultierende Verkehrs- und Mobilitätswende ist Teil einer am Bedarf orientierten Transformation von Produktion und Dienstleistungen in unserem Land. Es gilt, die Ökonomie vom Kopf auf die Füße zu stellen, sozial-ökologisch schädliche Aktivitäten zurückzubauen und menschliche Kreativität und gesellschaftliche Ressourcen in den Dienst des guten Lebens zu stellen. Die Mobilitätswende ist Baustein und Ergebnis einer solchen Transformation und zugleich der demokratische Weg aus der sich verschärfenden Krise der Beschäftigung mit all ihren politischen und sozialen Konsequenzen.

Weiterführende Literatur


[1] Die Krisen tragen die Tendenz zur Vernichtung von Konkurrenten und Schritte zur Monopolbildung in sich. Die angedrohten Werksschließungen und Massenentlassungen bei Volkswagen, die Schließung des Opel-Werkes in Bochum und des Ford-Werkes in Saarlouis sowie Hunderter kleiner Zulieferbetriebe sind Beispiele für die Vernichtung von Konkurrenten; die Bildung des Stellantis-Konzerns mit Peugeot, Citroën, Opel, Fiat und Chrysler ist eines der Beispiele für Monopolbildung. Neue Konkurrenten wie Tesla und BYD treten auf den Markt und verdrängen andere.

[2] Wobei Überkapazitäten auch genutzt werden, um über hohe Stückzahlen weitere Skaleneffekte zu erzeugen, Masse billiger in den Markt zu drücken und damit die Konkurrenz zu verdrängen. Nicht zuletzt Tesla versucht sich auf diese Weise Vorteile zu verschaffen.

[3] IG Metall bei Volkswagen: «Historische Antwort der Arbeitnehmerseite». Daniela Cavallo bekräftigt Machtanspruch der Mitbestimmung bei VW, 25.9.2024, www.igm-bei-vw.de/meldung/daniela-cavallo-bekraeftigt-machtanspruch-der-mitbestimmung-bei-vw

[4] Ebd.

[5] Zit. nach Göpfert, Claus-Jürgen: Krise bei VW: «Wasser auf die Mühlen der AfD», in: Frankfurter Rundschau, 5.9.2024, www.fr.de/wirtschaft/wasser-auf-die-muehlen-der-afd-93281901.html

[6] Zit. nach: IG Metall fordert Viertagewoche für VW-Beschäftigte, in: FAZ, 5.9.24, www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/vw-krise-ig-metall-fordert-viertagewoche-als-loesung-19964918.html

[7] Die folgenden Vorschläge werden im Gesprächskreis der Rosa-Luxemburg-Stiftung zur Zukunft von Auto, Umwelt und Mobilität diskutiert und präsentiert.