Der 5. November 2024 wird als schwarzer Tag für all jene in den Vereinigten Staaten und der Welt in die Geschichte eingehen, die sich für Demokratie und unabhängige Gerichtsbarkeit, für freie Medien und den Kampf gegen den Klimawandel, für Menschenwürde und Anstand einsetzen. Denn der 45. Präsident der USA wird auch der 47. sein: Donald J. Trump erhielt nach derzeitigem Stand knapp 75 Millionen Stimmen, weit mehr als die amtierende Vizepräsidentin der USA, Kamala Harris, für die gut 71 Millionen votierten. Er errang 312 Stimmen im Wahlleutegremium (Electoral College) und damit deutlich mehr als die für seine Wahl notwendigen 270. Der 78-jährige ist die älteste Person, die in der 248-jährigen Geschichte der USA jemals zum Präsidenten gewählt wurde. Er wird zudem der erste Präsident sein, der in einem Strafprozess verurteilt wurde.
Stefan Liebich leitet das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in New York City.
Auch im mächtigen Senat haben seine Republikaner die Mehrheit zurückerobert: Künftig wird es 53 republikanische und nur noch 47 demokratische Senator*innen geben. Zwar werden die letzten Stimmen für das Repräsentantenhaus derzeit noch ausgezählt, aber es gilt inzwischen als sicher, dass die Republikaner ihre knappe Mehrheit verteidigen können. Weil es auch im Verfassungsgericht, dem Supreme Court, eine konservative Mehrheit (6:3) gibt, kontrollieren die Republikaner nunmehr alle drei Gewalten: Exekutive, Legislative und Judikative. Damit hat Trump alle Schlüssel der Macht in seiner Hand.
Wer hat Trump gewählt?
Anders als noch 2016, als Trump ohne Mehrheit der abgegebenen Stimmen zum Präsidenten gewählt wurde, hat er bei seinem dritten Wahlantritt zum ersten Mal die popular vote gewonnen. Mehr noch: Außer Utah und Washington State sind alle Bundesstaaten bei diesen Wahlen nach rechts gerückt.
Wenn man sich die Nachwahlbefragungen anschaut, wird das Bild nicht besser. Während Harris eine Mehrheit der Frauenstimmen hinter sich versammeln konnte (53 zu 45 Prozent), gewann Trump bei den Männern mit 55 zu 42 Prozent. Besonders hoch war sein Vorsprung einmal mehr bei weißen Männern (60:37), aber Trump konnte sich auch – zum dritten Mal in Folge – eine deutliche Mehrheit der weißen Frauen (53:45) sichern. Harris’ Bemühungen, in dieser Gruppe hinzuzugewinnen, scheiterten kläglich.
Es gab lediglich zwei Wählergruppen, die die Demokratin ähnlich deutlich unterstützten wie vier Jahre zuvor Joe Biden, und zwar Afroamerikaner*innen (85:13) sowie Jüdinnen und Juden (78:22). Entgegen einer verbreiteten Annahme hat Trump bei Schwarzen Männern nur geringe Zuwächse (77:23 pro Harris) verzeichnet. Die in allen Wählergruppen höchste Zustimmungsrate erzielte Harris bei afroamerikanischen Frauen (91:7) und Senior*innen (93:5).
Trump errang in nahezu allen demographischen Gruppen Zugewinne, teilweise sogar hohe. So kam er bei Latinos auf 46 Prozent (Harris: 52 Prozent), die Gruppe der Latino-Männer gewann er sogar mit 55:43 Prozent. Dass eine Mehrheit der männlichen Latinos Trump wählte, obwohl er seit Jahren gegen Immigrant*innen aus Lateinamerika hetzt, hat progressive Beobachter*innen in Schockstarre versetzt. Man muss hier allerdings erwähnen, dass Latinos keine homogene Gruppe sind; während insbesondere die kubanischen US-Amerikaner*innen fest aufseiten des Republikaners stehen, fällt die Zustimmung etwa unter Puerto-Ricaner*innen oder Bürger*innen mexikanischer Herkunft geringer aus.
Dennoch scheinen Wahlentscheidungen zunehmend weniger auf Basis des ethnischen Hintergrunds getroffen zu werden; wichtiger wird demgegenüber der Bildungsgrad. Harris gewann, wie erwartet, bei den Wähler*innen mit Hochschulabschluss, aber Trump siegte in der (größeren) Gruppe der Wähler*innen ohne Collegeabschluss und insbesondere bei jenen, die nie ein College besucht haben (63:35).
Es sollte keine große Überraschung sein, dass eine Demokratische Partei, die die Arbeiterklasse im Stich gelassen hat, nun feststellen musste, dass die Arbeiterklasse sie im Stich lässt.
Bernie Sanders
Dies indiziert, dass es dem Republikaner gelungen ist, Teile der Arbeiterklasse für sich zu gewinnen. Selbst bei jenen, zu deren Haushalt mindestens ein Gewerkschaftsmitglied gehört, kam Trump auf 45 Prozent. Und er gewann die Mehrheit der Stimmen aus Haushalten mit Jahreseinkommen von unter 50.000 Dollar – Harris dagegen gewann bei den Wohlsituierten, die über 100.000 Dollar pro Jahr verdienen. Von denen, die angaben, unter der Inflation der vergangenen Jahre gelitten zu haben, errang Trump 74 Prozent, Harris hingegen gewann in der Gruppe der Menschen, die nach eigenen Angaben nicht unter der Inflation litten, mit 77 Prozent.
Der wichtigste Beweggrund der meisten Abstimmenden für ihre Wahlentscheidung war also die wirtschaftliche Situation. Durch die von der Covid-Pandemie verursachte Inflation sind die Preise für Lebensmittel, Mieten und Häuser stark gestiegen. Zwar gelang es der Biden-Regierung, die Inflation unter Kontrolle zu bekommen, aber das bedeutete im Ergebnis nicht niedrigere, sondern lediglich langsamer steigende Preise.
Kein Wunder, dass viele Menschen dafür die amtierende Regierung – der Harris als Vizepräsidentin angehört – verantwortlich machten. Die bittere Ironie liegt darin, dass die Biden-Regierung durchaus eine sozialdemokratische Wende weg von den alten Rezepten des Neoliberalismus versucht hatte, dabei aber aus den eigenen Reihen ausgebremst wurde. Hinzu kommt, dass dort, wo Biden Erfolg hatte – Infrastrukturprogramm, Wirtschaftswachstum, Senkung der Zahl der Arbeitslosen – ebendiese Erfolge offenbar nur für (zu) wenige real spürbar waren. Und Wähler*innen stimmen bekanntlich in aller Regel nicht über abstrakte politische Programme oder Statistiken ab, sondern auf Basis dessen, was sie in ihrem täglichen Leben spüren.
Bernie Sanders aus Vermont, der einflussreichste Linke in den USA, der für weitere sechs Jahre als Senator bestätigt wurde, formulierte es so: «Es sollte keine große Überraschung sein, dass eine Demokratische Partei, die die Arbeiterklasse im Stich gelassen hat, nun feststellen musste, dass die Arbeiterklasse sie im Stich lässt. […] Während die Führung der Demokraten den Status quo verteidigt, ist das amerikanische Volk wütend und will Veränderungen.» Diese Veränderungen haben ihnen die Demokraten als Partei des Status quo nicht in Aussicht gestellt – Trump hingegen schon. Er setzte wie bereits 2016 und 2020 auf die große Unzufriedenheit der Bürger*innen mit der etablierten Politik in Washington DC. Mit Erfolg.
Dennoch wird Trumps Regierung ohne Zweifel bestätigen, dass die Republikaner die Partei des großen Geldes bleiben. Sie werden die Armut im Land nicht bekämpfen, sondern im Gegenteil die Reichen entlasten und die Rechte der Gewerkschaften einschränken.
Abtreibung und Migration
Ein weiteres Thema am Wahltag war das Recht auf Abtreibung. In ihrem Bündnis mit evangelikalen Christ*innen (82:17 für Trump) haben die Republikaner in den letzten Jahrzehnten das Thema parteipolitisch aufgeladen. Fast alle, die das Recht auf Schwangerschaftsabbruch abschaffen wollen, wählten Trump.
Nachdem Abtreibung sich bei den Kongresswahlen 2022 als Gewinnerthema für die Demokraten erwiesen hatte, setzt auch Harris auf dessen mobilisierende Wirkung. Doch diese Rechnung ging nicht auf, obwohl es den Demokraten gelungen war, in zehn Bundesstaaten Referenden zum Thema Abtreibung anzusetzen. In sieben Staaten wurde dabei das Recht auf Abtreibung gesichert und fand in einem weiteren (Florida) eine Mehrheit, scheiterte dort aber an der hohen Hürde von 60 Prozent.
Das bedeutete jedoch nicht, wie von den Demokraten erhofft, dass alle Befürworter*innen des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch für die Kandidatin stimmten, die sich dafür einsetzte. Nur 14 Prozent der Wähler*innen gaben in den Nachwahlbefragungen an, dass Abtreibung für sie das wichtigste Thema der Wahl gewesen sei – und von diesen stimmte auch noch jede vierte Person für Trump. (Zum Vergleich: 32 Prozent nannten bei dieser Frage den Zustand der Wirtschaft als entscheidend.)
Wie in Deutschland dominiert auch in den USA beim Thema Einwanderung ein rechter Diskurs. 87 Prozent der Trump-Wähler*innen sind der Auffassung, dass Migrant*innen, die in den USA ohne gültige Aufenthaltspapiere leben, abgeschoben werden sollen. Die Demokraten haben sich im Wahlkampf auf den Wettbewerb eingelassen, wer besser die Grenze schließen könne. Auch hier wurde Trump offensichtlich eine größere Durchsetzungskraft zugeschrieben.
Die Frage der Außenpolitik
Außenpolitische Themen beeinflussen die Wahlen in den USA traditionell nur geringfügig. So war es auch dieses Mal – nur vier Prozent erklärten sie zum wichtigsten Thema. Der russische Krieg gegen die Ukraine spielte im Wahlkampf denn auch kaum eine Rolle.
Anders war es beim Krieg im Nahen Osten. Viele demokratische Wähler*innen waren mit der Politik der Biden/Harris-Administration, bedingungslos Waffen an die israelische Armee zu liefern, nicht einverstanden. Gerade unter US-Amerikaner*innen mit arabischen Wurzeln war die Wut darüber groß. So gewann in Dearborn in Michigan, einer Stadt mit 100.000 Einwohner*innen und einer großen arabischen Community, Trump mit 42:36 Prozent. Vier Jahren zuvor hatte Joe Biden hier noch mehr zwei Drittel der Stimmen errungen. Die Kandidatin der Grünen Partei (die ideologisch mit den deutschen Grünen kaum zu vergleichen ist), die sich in ihrer Kampagne nahezu ausschließlich auf den Krieg in Gaza fokussierte, erzielte hier 18 Prozent. Allerdings fiel das landesweit kaum ins Gewicht: Jill Stein errang insgesamt lediglich ein halbes Prozent der Stimmen und damit etwa so wenig wie Robert F. Kennedy jr., der seine Kandidatur bereits zurückgezogen und zur Wahl von Trump aufgerufen hatte. Auch wenn also der mangelnde Einsatz der Harris-Kampagne für ein Ende der Waffenlieferungen an Israel Wählerstimmen gekostet hat, lässt sich angesichts des großen Rückstands auf Trump festhalten, dass das Thema letztlich nicht wahlentscheidend war.
Eine bittere Niederlage
Am Wahltag gab es, das sei hier erwähnt, auch (wenige) gute Nachrichten von der anderen Seite des politischen Spektrums. Etablierte Linke kehren erneut in den Kongress zurück. Bernie Sanders und Elizabeth Warren werden weiterhin im Senat, Alexandria Ocasio-Cortez, Ilhan Omar, Rashida Tlaib und Summer Lee im Repräsentantenhaus ihre Stimmen erheben können. Auch dass mit Sarah McBride die erste Transperson in den Kongress gewählt wurde, ist bemerkenswert. Außerdem konnten auf der Ebene der Bundesstaaten manche Linke, darunter Mitglieder der Democratic Socialists of America (DSA), Sitze erringen.
Dennoch: Angesichts des Wahlausgangs scheint es schwer, irgendeinen Silberstreif am Horizont zu erkennen. Denn mit dem Wahlsieg Trumps steht fest, dass der weltweite Kampf gegen den Aufstieg des Rechtsautoritarismus eine bittere Niederlage erlitten hat. Und weil die Wahl im immer noch mit Abstand wirtschaftlich und militärisch stärksten Land errungen wurde, wird die ganze Welt die massiven Folgen zu spüren bekommen.
Die Tage nach der Verkündung des Wahlergebnisses waren daher im progressiven Teil der USA von Niedergeschlagenheit und Trauer geprägt. Derzeit laufen in der US-Linken und bei den Demokraten heftige Debatten über die Ursachen der Niederlage. Viele Zentristen stellen sich vor die demokratische Kandidatin und vertreten die These, es habe vor allem daran gelegen, dass Kamala Harris erst so spät in den Wahlkampf einsteigen konnte. Das aber unterschlägt, dass die Harris-Kampagne offensichtlich massiven Fehleinschätzungen unterlag. Ihre Strategie, über gemeinsame Wahlkampfauftritte mit der geschassten Republikanerin Liz Cheney Stimmen von der Konkurrenz zu gewinnen, ist ebenso krachend gescheitert wie der Versuch, die (weißen) Frauen in den Suburbs zu überzeugen. Dass führende Demokraten jetzt behaupten, sie habe eine «makellose» Kampagne geführt, dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass sie ihre Politik trotz der heftigen Niederlage nicht ändern wollen.
Chris Murphy, Senator aus Connecticut, hält dem entgegen: «Wenn Progressive wie Bernie [Sanders] aggressiv gegen die Eliten vorgehen, die die Menschen kleinhalten, werden sie [von den Demokraten] als gefährliche Populisten gemieden. Warum eigentlich? Vielleicht, weil echter Wirtschaftspopulismus schlecht für unsere gut verdienenden Wähler*innen ist? […] Wir brauchen einen klaren Bruch mit dem Neoliberalismus.» Eine Umfrage von Data for Progress vom Juli diesen Jahres bestätigt, dass linke Forderungen wie die Erweiterung von Leistungen der Gesundheitsversorgung (60 Prozent) und die Erhöhung von Steuern für Reiche und Unternehmen (64 Prozent) von einer deutlichen Mehrheit der Bürger*innen unterstützt werden.
Um thematische Umfragen in Mehrheiten an den Wahlurnen zu übersetzen, braucht es offensichtlich einen Kurswechsel – weg von den Einflüsterungen des großen Geldes, hin zu den konkreten Interessen der abhängig Beschäftigten. Das aber wird mit dieser Demokratischen Partei, so viel steht fest, alles andere als einfach.