Kommentar | Kapitalismusanalyse - Wirtschafts- / Sozialpolitik - Parteien / Wahlanalysen - Sozialökologischer Umbau - Verteilungskrise «It‘s the social insecurity, stupid!»

Wir brauchen eine linke Wirtschaftswende

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Autorin

Eva Völpel,

Nach dem Scheitern der Ampel trommeln Union und FDP für die nächste Runde marktliberaler Strukturreformen. Will die gesellschaftliche Linke dem Rechtsruck etwas entgegensetzen, braucht es eine Wirtschaftspolitik, die mit klaren Botschaften die Bedürfnisse der Vielen ins Zentrum stellt.

Die anstehenden Neuwahlen vollziehen sich in einer verfestigten ökonomischen Krise. Das dürfte auch das Jahresgutachten 2024/25 der sogenannten Wirtschaftsweisen zeigen, das heute vorgestellt wurde. Die Wirtschaft schrumpft 2024 das zweite Jahr in Folge, die Arbeitslosenquote steigt seit 2022 (damit auch die Sozialausgaben), die erwarteten Steuereinnahmen sinken. Die hausgemachte Krise der Automobilindustrie, Pfeiler des deutschen Exportmodells, verschärft die Situation zusätzlich.

Eva Völpel ist Referentin für Wirtschafts- und Sozialpolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die Antwort von Liberalen und Konservativen: Sie wollen die Wirtschaftspolitik zu einem zentralen Wahlkampfthema machen. Dabei stehen sie für eine marktgläubige Deregulierung und weitere Umverteilung von unten nach oben. Das zeigt sich am von der Union gelobten Wirtschaftswende-Konzept des entlassenen Finanzministers Christian Lindner (FDP), aber auch an den Konzepten der CDU/CSU selbst.

Marktliberale Politik mit der Abrissbirne

In seinem Papier schwelgt Lindner in Phantasien marktliberaler Politik mit der Abrissbirne: Neben Steuergeschenken für Unternehmen und Vermögende (Absenkung der Körperschaftsteuer und schrittweises Abschmelzen des Solidaritätszuschlags auf null) setzt er auf Kürzungen im Haushalt unter dem Diktat der Schuldenbremse. Dafür legt er die Axt an den Sozialstaat, an Arbeitnehmer*innenrechte, Sozialstandards, Umweltrechte und die Klimapolitik.

So sollen das Arbeitszeitgesetz geschleift, höhere Abzüge bei frühzeitigem Renteneintritt greifen und etwa das Tariftreue-, das Lieferketten- oder das Entgelttransparenzgesetz verwässert oder versenkt werden. Beim Bürgergeld fordert Lindner brutale Kürzungen: Die Regelsätze sollen sinken, und statt der vollen Miete sollen die Jobcenter nur noch eine Pauschale für die Wohnkosten auszahlen.

Kahlschlag in der Klimapolitik

Kahlschlag auch in der Klimapolitik: Das Ziel Klimaneutralität in 2045 soll auf 2050 verschoben, sektorbezogene Klimaziele jenseits des ab 2027 greifenden Emissionshandels im Bereich Gebäude und Verkehr sollen aufgegeben, Ziele für die energetische Gebäudesanierung verwässert sowie Fördergelder gekürzt und «Dauersubventionen» etwa für Erneuerbare Energien abgeschafft werden, um nur einige Punkte zu nennen. Richten soll es stattdessen die angebliche Effizienz des Marktes und Technologien wie die unterirdische CO2-Speicherung. Für niedrigere Energiepreise will Lindner auch in Deutschland mehr Gas fördern und Fracking zulassen, mit unabsehbaren Folgen für Umwelt und Klima.

Die Vorstellungen der Union fallen – noch nicht – ganz so radikal aus. Aber auch die Merz-CDU fordert niedrigere Unternehmenssteuern, deregulierte Arbeitszeitgesetze und härtere Sanktionen für Bezieher*innen von Bürgergeld. Sie will die Sozialabgaben bei 40 Prozent des Bruttoarbeitslohns begrenzen, an der Schuldenbremse festhalten (auch wenn Merz aktuell mögliche Änderungen andeutet), und vermeintlich überbordende Bürokratie bekämpfen, etwa durch laxere Sozial- und Umweltstandards entlang globaler Lieferketten.

Union und FDP bauen dabei auf die Unterstützung von Wirtschaftsverbänden und Lobbygruppen, die schon länger einen rhetorischen Klassenkampf von oben führen.

Die Konzepte werden die Spaltung drastisch vertiefen

Nach der Bundestagswahl soll diese Politik umgesetzt werden. Das dürfte das Wirtschaftswachstum weiter stagnieren lassen und wird die soziale Ungleichheit und politische Spaltung in diesem Land dramatisch vertiefen. Aber warum ist es bisher nicht gelungen, die Krise im Zuge von Pandemie und Energiepreisexplosionen zu überwinden?

Zum einen ist die deutsche Exportwirtschaft mit globalen Umbrüchen konfrontiert. Zunehmende handelspolitische Konflikte und die Abschottung mit Zöllen vor dem Hintergrund einer neuen Blockkonfrontation zwischen den USA und China, aber auch der verschlafene ökologische Umbau treffen das deutsche Exportmodell besonders stark. Zum anderen führen die Energiepreissteigerungen und Unsicherheiten aufgrund des fortwährenden Krieges Russlands gegen die Ukraine dazu, dass die Unternehmen Investitionen zurückstellen und Produktionen verlagern. Und schließlich hat die Politik der Europäische Zentralbank, die Inflation durch steigende Leitzinsen zu bekämpfen, das Wirtschaftswachstum ausgebremst. Mit Trumps Amtsantritt im Januar 2025 wird es nicht besser, im Gegenteil: Es drohen neue Zölle – und höhere Militärausgaben, wenn Trump die US-Ukrainehilfen reduziert.

Die Ampel hat die Krise verschärft

Gegen vieles hätte man gegensteuern können. Doch die Ampel hat die Krise erst verschlafen und dann verschärft: Statt öffentliche Investitionen kräftig anzukurbeln, hat sie an der Schuldenbremse festgehalten und mit ihrer widersprüchlichen Politik zu Unsicherheit und Investitionszurückhaltung beigetragen. Zudem haben der Sparhaushalt 2024 und die längst nicht überwundene Preiskrise dazu geführt, dass viele Menschen weniger Geld haben und ausgeben. Auch die marode Infrastruktur und der demografische Wandel sowie die dysfunktionalen Antworten darauf tragen dazu bei, die Wirtschaft auszubremsen.

Die Ampel hat die Krise erst verschlafen und dann verschärft: Statt öffentliche Investitionen kräftig anzukurbeln, hat sie an der Schuldenbremse festgehalten.

Deshalb gehen die Vorschläge von Merz und Lindner am Kern des Problems vorbei. Sie wollen den Vermögenden und Unternehmenseigner*innen in diesem Land Steuergeschenke machen, die als Extraprofite gerne in die Tasche gesteckt werden, aber nicht das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Stattdessen muss die Schuldenbremse in einem ersten Schritt ausgesetzt und kraftvoll in einen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschaft bzw. in einen Ausbau der maroden Infrastrukturen – auch in der sozialen Daseinsvorsorge – investiert werden. Wir brauchen eine Wirtschafts- und Sozialpolitik, die den Alltag der Vielen ökonomisch spürbar verbessert und eine lebenswerte Zukunftsperspektive aufzeigt. Doch auch der Haushaltsentwurf 2025, der noch nicht verabschiedet ist und wohl auch nicht mehr verschiedet wird, zeigt in eine andere Richtung.

Es geht ums Ganze

Was passiert, wenn sich die soziale Lage verschärft, kann man in den USA beobachten. Dort haben viele Menschen aus unteren und mittleren Einkommensschichten Trump gewählt, weil sie weiterhin unter gestiegenen Preisen und Mieten leiden. Das zeigt, dass der makroökonomische Blick auf gesunkene Inflationsraten, gesamtwirtschaftliches Wachstum und eine sich wieder abschwächende Arbeitslosenrate oder der Verweis auf große Investitionspakete, die unter Biden geschnürt wurden, zu kurz gegriffen haben. Denn im Alltag ist für viele die Teuerung längst nicht vorbei und die Investitionspakete werden erst mittelfristig greifen, wie die Ökonomin Isabella Weber kürzlich betonte. In diesem Sinne könnte man in Abwandlung des berühmten Ausspruchs der neoliberalen Clinton-Wahlkampagne aus den 1990er Jahren sagen: «It’s not the economy, it‘s the social insecurity, stupid!»

Mit einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik könnte man Ängsten und Unsicherheiten begegnen, die auf das Konto der Rechten einzahlen.

Weber mahnt angesichts einer noch viel düsteren wirtschaftlichen Lage in Deutschland eine «antifaschistische Wirtschaftspolitik» an. Sie versteht darunter eine Politik, die von den Sorgen und Bedürfnissen der Mehrheit der Menschen ausgeht und nicht auf das Mantra eines angeblich automatischen «trickle-down» – der Mythos, zunehmender Reichtum würde letztlich auch zu den Armen durchsickern – setzt. Dazu gehören für sie auch Preiskontrollen (wie etwa ein Mietendeckel) als Schutz vor aktuellen und künftigen Krisen und angebotsgetriebenen Teuerungen. Mit einer antifaschistischen Wirtschaftspolitik könnte man Ängsten und Unsicherheiten begegnen, die auf das Konto der Rechten einzahlen.

Sparpolitiken, Einkommensverluste, Prekarisierung und Ängste vor einem sozialen Abstieg sind nicht der einzige, aber ein sehr wichtiger Nährboden dafür, dass rechtsextreme Parteien an Zuspruch gewinnen. Und dieser Nährboden ist fruchtbar. Denn hierzulande haben die Reallöhne der Beschäftigten noch nicht wieder das Niveau vor der Energiepreiskrise erreicht. Alltagsprodukte wie Nahrung oder Energie sind weiterhin teurer als vor der Krise, trotz gesunkener Inflationsraten. Die Armut ist seit 2010 kontinuierlich gestiegen und Abstiegsängste haben sich bis weit in die Mittelschicht ausgebreitet. Das geht mit sinkendem Vertrauen in demokratische Institutionen, Verfahren und Parteien einher.

Linke Wirtschaftspolitik: Ängste nehmen, Hoffnung geben

Eine linke Wirtschaftspolitik muss deutlich machen, dass es um eine lebenswerte Zukunft der Vielen geht: Um eine Stabilisierung der unteren Einkommen (Mietendeckel, Preiskontrollen bei Nahrungsmitteln etc.), den Ausbau der sozialen Infrastrukturen und Sicherungssysteme, eine Klima(investitions-)politik, die an erster Stelle die sozialverträgliche Ausgestaltung setzt, eine steuerpolitische Umverteilung, die die demokratieschädigende Ungleichheit in diesem Land bekämpft. Dazu braucht es wenige, eingängige, prägnante Botschaften und Zukunftsentwürfe, die Ängste nehmen und Hoffnung geben. Es braucht aber auch einen Lagerwahlkampf mit dieser deutlichen Botschaft: Die wirtschaftspolitischen Pläne von Union und FDP sind ein Steigbügelhalter für den Faschismus.