Feature | Südliches Afrika - Sozialökologischer Umbau - Ernährungssouveränität - Klimagerechtigkeit Kohlenstoff-Kolonialismus

Das große Geschäft mit dem Recht auf Dreck. Ein Beispiel aus Sambia

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Autorin

Kathrin Hartmann,

Leute sitzen unter einem Baum im Schatten: Auf einem Gemeindetreffen in Chilimba, Sambia werden die Auswirkungen des Lower-Zambezi-REDD+-Projektes diskutiert.
Auf einem Gemeindetreffen in Chilimba, Sambia werden die Auswirkungen des Lower-Zambezi-REDD+-Projektes diskutiert. Foto: Jan Urhahn

«Sie haben uns gesagt, wir verkaufen Luft», erzählt Mike*. Das war vermutlich die ehrlichste Auskunft, die die Menschen hier von der Firma erhalten haben, die ihnen vorschreibt, wie sie zu leben haben. Mike wohnt im Rufunsa Distrikt südöstlich von Lusaka, der Hauptstadt von Sambia im südlichen Afrika. Sein Dorf grenzt an den Lower Zambezi National Park, wo zwischen bewaldeten Hügeln und den Flussauen des Sambesi Elefanten, Löwen, Büffel, Zebras und Flusspferde leben. Menschen dürfen das in den 20 Nationalparks des Landes nicht, aber in angrenzenden Pufferzonen. Hier betreibt die Firma Biocarbon Partners (BCP) seit 2012 das Lower Zambezi REDD+-Projekt und verkauft daraus CO2-Zertifikate. Es ist das erste REDD+-Projekt in Sambia. Die Abkürzung steht für Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation. Der UN-Mechanismus soll Emissionen, die aus Abholzung oder beschädigten Wäldern stammen, reduzieren. Die Idee: wenn es für die Länder des Globalen Südens lukrativer wäre, Wälder zu erhalten, wäre dem Klima geholfen. Geld fließt über den Handel mit CO2-Gutschriften, mit denen Unternehmen ihre Emissionen kompensieren wollen.

Kathrin Hartmann ist Journalistin und Buchautorin in München. Ihre Bücher «Aus kontrolliertem Raubbau» und «Die grüne Lüge» sind im Blessing Verlag erschienen. Mit Werner Boote hat sie den Greenwashing-Film «The Green Lie» gemacht. Im Juli 2024 erschien ihr neues Buch «Öl ins Feuer» bei Rowohlt.

 «Unser Ziel ist es, bis 2030 jährlich 30 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen zu vermeiden», verspricht BCP auf der Homepage. Sie betreibt aktuell zwei REDD+-Projekte in Sambia. Drei Millionen Menschen sollen davon profitieren. Das Lower-Zambezi-REDD+-Projekt schütze mehr als 20 Millionen Bäume und vermeide 1,9 Millionen Tonnen CO₂ pro Jahr. 1.200 Haushalte verdienten damit Geld, zehn Millionen US-Dollar seien in die Gemeinden investiert worden. Die Zahlen werden mit Fotos illustriert, auf denen Sambier*innen strahlend Wasser aus Brunnen pumpen. In Chilimba aber strahlt nur die sengende Sonne. Im Schatten unter Bäumen sitzt Mike mit einem Dutzend Menschen, die in Lower-Zambezi-REDD+ involviert sind.

Früher konnten wir einfach in den Wald, jetzt halten uns bewaffnete Scouts ab

«Unser Leben hat sich verändert», sagt Lidia*. «Wir essen anders, betreiben anders Landwirtschaft und haben einen Teil unserer Freiheit verloren.» Sie dürfen den Wald, von dem sie lebten, nicht mehr nutzen wie zuvor. Die Gemeinde hat einen Vertrag über 30 Jahre mit BCP geschlossen, der ihnen verbietet, Bäume zu fällen, Rohstoffe zu fördern und Tiere zu töten. De facto ist ihr Wald nun eine No-Go-Area. «Früher konnten wir einfach in den Wald, jetzt halten uns bewaffnete Scouts ab», sagt Mike. «Wir können nicht mehr fischen und keine Pilze, Früchte, Wurzeln und Medizinpflanzen sammeln. Wir können nicht zu unseren Friedhöfen und wenn unsere Tiere in den Wald laufen, dürfen wir nicht hinterher, sondern müssen das melden.» Dafür, dass sie ihr Leben auf den Kopf stellen, wird die Gemeinde an den Einnahmen aus dem Zertifikatehandel beteiligt: Sie bekommt 150.000 Kwacha pro Jahr, ungefähr 5.100 EUR, und das Geld muss für Gemeinde-Projekte ausgeben werden. «Letztes Jahr haben wir für 136.000 Kwacha zwei Brunnen gebaut», sagt John*. Eine Schule hätte BCP errichtet. «Aber es gibt zu wenig Stühle und Tische, die Kinder sitzen auf dem Boden», sagt Vincent*, der hier unterrichtet. «Doch immer, wenn wir BCP um Nachbesserungen bitten, heißt es: kauft euch das selbst.» Für Bildung und Wasser sollte aber eigentlich der Staat sorgen. Und so lässt die Gruppe ihrem Ärger freien Lauf. Über die Regierung, über Entwicklungsorganisationen, die kommen und gehen und nur Halbfertiges oder Nutzloses hinterlassen, wie die Toiletten, die nicht funktionieren. Über die Leute, die ihnen ihren Wald wegnehmen und sie wie Verbrecher behandeln. «Letztes Jahr haben sie einen toten Löwen gefunden und uns die Schuld gegeben», sagt Mike wütend. «Wir waren das nicht. Aber sie haben uns von den 150.000 Kwacha 60.000 abgezogen. » 

In Chilimba leben rund 1.500 Menschen. Heruntergerechnet bekommen sie 100 Kwacha pro Kopf und Jahr. Das sind circa 3.40 EUR. Wie viel Geld BCP mit den Zertifikaten macht, weiß niemand. Die Firma, registriert in der Steueroase Mauritius, schweigt darüber. Ein Interview gibt sie nicht. «Wir wissen nicht, was sie messen. Sie sagen nur, dass andere keine gute Luft haben und uns dankbar sind, dass wir den Wald schützen», sagt Vincent. Dankbar ist etwa der Ölkonzern BP: der kauft aus dem Lower-Zambezi-REDD+-Projekt CO2-Zertifikate und verspricht, damit sein «Netto Null»-Ziel bis 2050 zu erreichen. Dieses Geschenk für die größten Verschmutzer wurde beim Klimagipfel 2015 gepackt: Artikel 6 des Paris-Abkommen erlaubt den bilateralen Handel mit Emissionsgutschriften und sieht die Schaffung eines globalen freiwilligen Kohlenstoffmarkts für Unternehmen vor. Konzerne müssen also ihren CO2-Ausstoß nicht verringern, sie können stattdessen Carbon Offsets kaufen, und sich auf dem Papier klimaneutral rechnen. Zum Klimagipfel in Glasgow 2021 hatte ein Fünftel der 2.000 größten Unternehmen weltweit angekündigt, mit CO2-Gutschriften bis 2050 «Netto Null» zu erreichen. Ein lukratives Geschäft: der Markt hat sich von 520 Millionen US-Dollar 2020 auf 2,4 Milliarden US-Dollar 2023 fast vervierfacht.

Einer der größten Ölkonzerne der Welt, der für die Klimakrise mitverantwortlich ist, frisiert im Luangwa Community Forest Project seine CO2-Bilanz.

«Als ob man Kohlenstoff in einen Sack packen und damit handeln könnte», sagt George* und lacht. Wir sitzen an der sandigen Dorfstraße von Mpanshya und schauen auf feuerrot blühenden Flamboyant-Bäume. Die Gemeinde liegt zwischen den Nationalparks Lower Zambezi und South Luangwa. Vor zehn Jahren startete BCP hier das Luangwa Community Forest Project im Rufunsa Game Management Area. Das sind Pufferzonen, in denen sich Dörfer und Gemeindewälder befinden. Und Lodges für Trophäenjäger. Während lokale Gemeinschaften bestraft werden, wenn tote Löwen im Projektgebiet liegen, dürfen reiche Weiße Löwen totschießen, so viele ihr Geldbeutel hergibt. «Es profitieren nur wenige von den Kompensationen, die Bedürfnisse der Gemeinden werden nicht erfüllt», sagt George. Manche wollen das Geld für Blechdächer ausgeben, andere für Brunnen oder Dünger, «es gibt viel Streit». Das Geld reicht nicht, dass sich Dörfer wirtschaftlich entwickeln können. Auch, weil sie die Scouts von ihrem Geld aus dem Schutzprojekt selbst bezahlen. Eine ungeheuerliche Täter-Opfer-Umkehr. Lokale Gemeinschaften werden als «Wilderer» kriminalisiert, die Vulnerabelsten eingeschränkt und gegeneinander aufgehetzt, während Konzerne ihr Zerstörungswerk mit Verschmutzungsrechten fortsetzen können: Einer der größten Ölkonzerne der Welt, der für die Klimakrise mitverantwortlich ist, frisiert im Luangwa Community Forest Project seine CO2-Bilanz. Zu den BCP-Partnern gehört der italienische Öl-Riese Eni, der in Angola, Kongo und Mosambik Öl und Gas fördert. 2021 und 2022 kaufte Eni hier mehr als drei Millionen Zertifikate, etwa um Flüssigerdgas «klimaneutral» nach Taiwan zu exportieren. Bis 2050 will Eni so jedes Jahr 40 Millionen Tonnen CO2 kompensieren. Anders gesagt: Eni kauft die Lizenz, diese Tonnen real ausstoßen zu können.

Den Profit machen die Konzerne, das Nachsehen haben die Menschen vor Ort, nicht nur in Sambia.

Zehn Millionen Tonnen CO2 seien durch das Luangwa Community Forest Project eingespart worden, schreibt BCP. Klingt gewaltig? Nicht für Thales West: «Es hat eher keine Auswirkungen», sagt der Professor für Umweltgeografie, der an der Freien Universität Amsterdam zu Kohlenstoffmärkten forscht. Ob und wieviel CO2 Waldschutzprojekte speichern, ist reine Spekulation. Die Betreiber schätzen bloß, wie viel ohne ihre Projekte abgeholzt worden wäre. Dazu suchen Firmen wie BCP ein Vergleichsgebiet, das dem geplanten Projekt strukturell ähnlich ist, in dem Abholzung stattfand, geplant oder wahrscheinlich ist. Auf Basis dieses Referenzszenarios berechnen sie die Menge von CO2-Gutschriften, die sie verkaufen. Eine Greenpeace-Studie belegt jedoch, dass das Referenzgebiet nicht mit dem Luangwa Community Forest Project vergleichbar ist – weder, was das Klima, die Bevölkerungsdichte oder die Vegetation betrifft. Beide Projekte von BCP sind von Verra zertifiziert. Die US-Organisation ist der größte Zertifizierer für CO2-Kompensationen. Verra «kontrolliert» 75 Prozent der weltweit gehandelten Kohlenstoff-Zertifikate. Ein internationales Team untersuchte 29 von 87 von Verra zertifizierte Waldschutzprojekte und kam zu dem Schluss, dass 90 Prozent der Zertifikate daraus wertlos seien. Nach der wachsenden Kritik hat Verra zwar Projekte auf Eis gelegt, Gutschriften aus Waldschutzprojekten sind zurückgegangen. Dafür hat sich die Zahl der Plantagen für Kohlenstoffmärkte im globalen Süden verdreifacht. Die Folgen sind identisch:  Laut der Datenbank Landmatrix nimmt «Green Grabbing» zu. Ein Viertel der kritischen Landgeschäfte betreffen Agrarkraftstoffe, grüne Energie, Kompensations- und Naturschutzprojekte. Auch die Studie «Land Squeeze» des International Panel of Experts on Sustainable Food Systems (IPES-Food) macht Carbon Offsets als großen Treiber von Landkonflikten aus. «Der Ansturm auf Land für Kohlenstoffkompensations-Projekte, für Naturschutz oder Vorhaben zur Speicherung von Treibhausgasemissionen wächst rapide. Die Märkte für Kompensations-Projekte bringen selten real irgendeine Einsparung von Treibhausgasen und die riesigen Landgeschäfte entreißen den lokalen Gemeinschaften die Kontrolle über das Land, sie können es nicht mehr nutzen. Den Profit machen die Konzerne, das Nachsehen haben die Menschen vor Ort, nicht nur in Sambia», sagt Jan Urhahn Leiter des Programms Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

«Klimafinanzierungs-COP» in Baku zementiert CO2-Kolonialismus

Trotzdem sind Kohlenstoffmärkte auf der COP 29 in Baku ein Schwerpunkt. Artikel 6 aus dem Paris-Abkommen war noch nicht fertig verhandelt: Es fehlten Regeln für den freiwilligen und bilateralen Handel mit Zertifikaten. Die wurden nun in einem umstrittenen Prozess in Aserbaidschan überraschend zuerst verabschiedet.

Doch was Befürwortende als Erfolg feiern, ist für den Globalen Süden fatal. Hauptverhandlungsführer für COP 29 Yalchin Rafiyev sagte bezügliche Artikel 6: «Dies wird ein bahnbrechendes Instrument sein, um Ressourcen in die Entwicklungsländer zu lenken und uns zu helfen, bei der Umsetzung unserer Klimapläne bis zu 250 Milliarden Dollar pro Jahr einzusparen.» Mit anderen Worten: Reiche Länder können sich damit weiter um die Klimafinanzierung drücken, wenn arme Länder wie Sambia Carbon Offsets verkaufen. Das bedeutet aber, dass diese Länder ihre Wälder nicht anrechnen dürfen, um eigene Klimaziele zu erreichen. Sie müssen nun selbst teure Zertifikate kaufen, fürchtet Joe Romm von der Universität Pennsylvania: «Die reicheren Länder zahlen, um ihre ursprünglichen Klimaziele abzuschwächen, während sie die Last auf die ärmeren Länder abwälzen, die ihre ursprünglichen Ziele erhöhen müssen.» Kohlenstoff-Kolonialismus also statt Klimagerechtigkeit.
 

* Namen geändert

Der Beitrag ist in leicht abgewandelter Form zuerst in der Wochenzeitung der Freitag erschienen.

Kathrin Hartmann reiste für ihr Buch «Öl ins Feuer. Wie eine verfehlte Klimapolitik die globale Krise vorantreibt» (Rowohlt Verlag) im November 2023 nach Sambia. Ihre Reise wurde vom Programm Ernährungssouveränität der Rosa-Luxemburg-Stiftung unterstützt.