Hintergrund | Erinnerungspolitik / Antifaschismus «In Liebe, eure Hilde»

Die Geschichte hinter dem Film: Das Widerstandsnetzwerk «Rote Kapelle»

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Hans Coppi junior in den Armen seiner Großmutter Frieda vor dem Haus der Eltern Hans und Hilde Coppi. Foto: Privatbesitz Hans Coppi

Mit in «In Liebe, Eure Hilde» hat der Regisseur Andreas Dresen einen Film über Hilde Coppi gedreht, der aktuell in den Kinos läuft. Coppi wurde für ihr Handeln im Widerstand von den Nationalsozialisten hingerichtet, als Teil der so genannten «Roten Kapelle». Die Historikerin Trille Schünke-Bettinger schreibt hier über die Entstehung und das Ende des Widerstandsnetzwerks, die besondere Rolle der Frauen darin und die unterschiedliche Rezeption in Ost und West.

«Hilde Coppi, Hochverrat und Landesverrat, Schulze-Boysen-Kreis, zart, fein, tapfer, ganz selbstlos. Gebar am 27.11.42 ihr Kind. Hinrichtung ihres Mannes durfte ihr nicht mitgeteilt werden, ließ darum ihren Schmerz nicht laut werden. Kind wurde von ihrer Mutter erst in der Woche der Hinrichtung geholt. Stolz, beherrscht und lieb. Kein Hass. Eine rührende Persönlichkeit. Rechnete nie mit ‚Gnade‘ der Menschen. Nie bereut»[1], schrieb der Gefängnispfarrer über die Berliner Widerstandskämpferin Hilde Coppi (1909-1943). Mit ihrem Mann Hans Coppi (1916-1942) war sie Teil des Berliner Widerstandsnetzwerkes gegen die Nationalsozialisten. Etwa 150 Personen gehörten zu dem Netzwerk, das durch die Bezeichnung der Nationalsozialisten noch heute unter dem Namen «Rote Kapelle» bekannt ist.

Durch Flugschriften wollten sie die deutsche Bevölkerung über die verbrecherische Ideologie der Nationalsozialisten aufklären und aufrütteln. Aber auch Verfolgte unterstützen, militärische Informationen sammeln, Kontakte zur amerikanischen Botschaft und zur sowjetischen Handelsvertretung in Berlin aufbauen, um sie per Funkspruch über die deutschen Kriegsplanungen zu unterrichten. Dazu wurden die Flugblätter auch in verschiedene Sprachen übersetzt, unter anderem ins Polnische und Französische. Im Frühjahr 1941 versuchten sie, die Sowjetunion über die sowjetische Botschaft in Berlin und per Funkspruch vor dem bevorstehenden deutschen Überfall zu warnen. Der Funkspruch kam nicht an, da die Reichweite des Funkgeräts nicht ausreichte. Als Paare getarnt klebten Mitglieder im Mai 1942 Zettel mit der Aufschrift «Das Naziparadies. Krieg – Hunger – Lüge – Gestapo. Wie lange noch?» in Berlin an Häuser und Wände. Im Spätsommer 1942 flog das Netzwerk auf, 50 Personen wurden zum Tode verurteilt.

Das Netzwerk und seine Entstehung

Trille Schünke-Bettinger ist Politikwissenschaftlerin und Zeithistorikerin mit Schwerpunkt auf NS-Geschichte und Nachbetrachtung. Über das Netzwerk Frauentouren bietet sie in Berlin Stadtführungen zu Frauen zwischen Verfolgung und Widerstand an.

Während der Film «In Liebe, eure Hilde» von Andreas Dresen das Augenmerk auf Hans und Hilde Coppi legt, gehörten zu dem Berliner Widerstandsnetzwerk deutlich mehr Personenkreise. Bereits ab 1933 begann das Ehepaar Harnack, Regimekritiker*innen um sich zu sammeln. Aus diesen zunächst noch organisierten Treffen entwickelten sich später losere Zusammenkünfte in verschiedenen Formationen, um unauffälliger agieren zu können. So tarnten Clara Behrens, die Sozialdemokratin Rose Schlösinger sowie deren ebenfalls sozialdemokratisch aktive Mutter Sophie Ennenbach ihre Treffen mit Mildred Harnack Anfang der 19040er Jahre als «Kaffeekränzchen». Deren Ehemann Arvid Harnack suchte aus seiner Stellung als Oberregierungsrat im Reichswirtschaftsministerium nach widerständigen Verbündeten.

Über den Arbeiter und Kommunisten Karl Behrens bestanden Kontakte zu geheimen Betriebszellen in der AEG in Moabit. Über Wilhelm Guddorf lernte Arvid Harnack Anfang der 1940er Jahre den kommunistischen Neuköllner Kreis um John und Sophie Sieg kennen. John Sieg und Wilhelm Guddorf hatten bis 1933 bei der KPD-Zeitung «Die Rote Fahne» gearbeitet. Durch die zufällige Begegnung ihrer Partnerinnen Sophie Sieg und Eva-Maria Buch Anfang der 1940er kamen sie wieder in Kontakt. Zu diesem Kreis gehörte auch die Familie Hübener/Wesolek. Die Kommunistin Frida Wesolek hatte in den 1920er Jahren für den geheimen Apparat der Komintern gearbeitet und war im Umgang mit Funkgeräten geschult.

Um das Ehepaar Schulze-Boysen sammelte sich ab Mitte der 1930er ein Kreis verschiedener Personen, darunter Greta und Adam Kuckhoff sowie über deren Verbindung Erika von Brockdorff, die Tänzerin und Bildhauerin Oda Schottmüller, das Künstlerpaar Elisabeth und Kurt Schumacher sowie die Ärztin Elfriede Paul und Walter Küchenmeister. Über die Kuckhoffs lernten die Schulze-Boysen 1939 das Ehepaar Harnack kennen, Anfang der 1940er dann Eva und John Rittmeister, wodurch der Kreis um die Rittmeisters und deren Freundin Ursula Goetze erweitert wurde. Im ähnlichen Zeitraum entstand auch die Verbindung zum «Scharfenberg»-Kreis um Hans und Hilde Coppi sowie Walter Küchenmeister und andere.

Verfolgung, Verhaftung und Prozesse

Nach der Entschlüsselung eines von den Nationalsozialisten im August 1941 abgefangenen sowjetischen Funkspruchs richtete die Gestapo im Reichssicherheitshauptamt eine «Sonderkommission Rote Kapelle» ein. Der Funkspruch enthielt Namen des Widerstandsnetzwerkes und lenkte so die Aufmerksamkeit auf die Gruppen. Die Bezeichnung «Rote Kapelle» ist also eine Fremdbezeichnung der Nazis. Der Name erklärt sich daraus, dass Funker damals Pianisten genannt wurden; eine Gruppe von Pianisten bildet dabei eine Kapelle. Die Bezeichnung «Rot» leitet sich von der Richtung ab, aus der der Funkspruch kam: Moskau. So wurde der Grundstein für die Verurteilung und Verfolgung der Mitglieder des Netzwerkes als sowjetisch angeleiteter Spionagering gelegt.[2]

Am 31. August 1942 begann mit der Festnahme von Harro Schulze-Boysen die Verhaftungswelle gegen die Mitglieder des Berliner Widerstandsnetzwerkes. Hilde und Hans Coppi wurden Mitte September 1942 verhaftet. Bis Oktober 1942 wurden über 120 Personen verhaftet. Mitte Dezember 1942 fand der erste Prozess vor dem Reichskriegsgericht statt. Weitere Prozesse erfolgten bis Februar 1943.

Die Prozesse endeten häufig mit Todesurteilen, wie auch im Falle von Hilde und ihrem Mann Hans Coppi. In den Fällen von Mildred Harnack und Erika von Brockdorff, die zunächst zu mehrjährigen Zuchthausstrafen verurteilt waren, wurden die Urteile nachträglich in Todesurteile geändert. Die nicht zum Tode Verurteilten erhielten Haftstrafen. Bis 1945 wurden über 50 Mitglieder ermordet, darunter 18 Frauen, 13 von ihnen am 5. August 1943 in Berlin-Plötzensee.

Die Rolle der Frauen

Die Frauen waren ein wichtiger Bestandteil des Widerstandsnetzwerks, dass es ohne ihr Wirken so nicht gegeben hätte. Durch die Vermittlung von Frauen entstanden Kontakte zwischen den Mitgliedern und anderen Widerstandsgruppen. Sie nutzten ihre gesellschaftliche «Unauffälligkeit» dieser Zeit auf unterschiedliche Weise – politische Diskussionen, getarnte Treffen, Herstellung und Verbreitung von Flugblättern, Kundschaften, Kurierdienste, Sammeln und Weitergabe geheimer Informationen und Unterstützung von Verfolgten.

Der Widerstand der Frauen stand dabei unter besonderen Herausforderungen, denn sie mussten Entscheidungen treffen, die ihr eigenes Leben, aber auch das ihrer Angehörigen in Gefahr bringen würde. Ihre Aufgabe bestand also gleichzeitig darin, eben diese zu schützen – vor dem Wissen um ihre Arbeit, aber auch vor den Vergeltungsmaßnahmen der Nazis. Eine von ihnen war Hilde Coppi.

Getrennte Rezeption in Ost und West

In der unmittelbaren Nachkriegszeit fanden sich zwar Gedenkzeichen für die Berliner Widerstandskämpfer*innen in Form etwa von Gedenktafeln und Straßenbenennungen. So gab es auch für Hans und Hilde Coppi eine Gedenktafel an der Gartenlaube und die Hatzfeldallee war von 1945 bis 1947 nach beiden benannt. Doch wurde das Gedenken an die Rote Kapelle ab Ende der 1940er Jahre im aufkommenden Kalten Krieg über Jahrzehnte in Ost wie West überlagert vom Bild als sowjetisch angeleiteter Spionagering.

In der Bundesrepublik prägte Manfred Roeder, ehemaliger Richter am nationalsozialistischen Reichskriegsgericht und Vorsitzender in den meisten Prozessen gegen die «Rote Kapelle» das Bild der Gruppe. In Publikationen und Vorträgen wiederholte er seine erlassenen Urteile gegen die «Rote Kapelle» fast ungehindert.

In der DDR wurde bis 1969 über das Berliner Widerstandsnetzwerk geschwiegen, anschließend begann die Erforschung und Darstellung des Netzwerkes. Allerdings wurde im Sinne der staatlichen Politik öffentlich nur der Kommunist*innen der Gruppe gedacht, darunter auch Hans Coppi.[3]

Mit der Änderung des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG) 2009 wurden auch die Urteile wegen «Hochverrats» gegen die Rote Kapelle aufgehoben. und das Widerstandsnetzwerk als solches zumindest juristisch rehabilitiert. 

Literaturhinweise

Hans Coppi junior, Jürgen Danyel, Johannes Tuchel (Hrsg.): Die Rote Kapelle im Widerstand gegen Hitler. Schriften der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Edition Hentrich, Berlin 1992

Regina Griebel, Marlies Coburger, Heinrich Scheel (Hrsg.): Erfasst? Das Gestapo-Album zur Roten Kapelle. Eine Fotodokumentation. Halle 1992

Hans Schafranek, Johannes Tuchel (Hrsg.): Krieg im Äther. Widerstand und Spionage im Zweiten Weltkrieg. Picus-Verlag, Wien 2004.

Gerhard Sälter: Phantome des Kalten Krieges. Die Organisation Gehlen und die Wiederbelebung des Gestapo-Feindbildes »Rote Kapelle« (= Veröffentlichungen der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945–1968) Band 2). Ch. Links Verlag, Berlin 2012


[1] Zit. nach: Hans Coppi: Hilde Coppi. In: Gisela Notz: Berühmte Wegbereiterinnen. Berühmte, bekannte und zu Unrecht vergessene Frauen aus der Geschichte. Neu-Ulm 2019. S. 340f.

[2] Neben den Namen von Harro Schulze-Boysen und Adam Kuckhoff enthielt der Funkspruch auch weitere Namen Berliner Widerstandskämpfer*innen und Personen, die tatsächlich für den sowjetischen Geheimdienst tätig waren.

[3] Nach ihm wurde ab Mitte der 1970er Jahre eine Straße in Lichtenberg benannt. Außerdem trug eine Schule in Karlshorst seinen Namen. 1994 wurde die Schule in Hans-und-Hilde-Coppi-Schule umbenannt.