Ein «Dammbruch» sei die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten 12 Wochen, so Stimmen aus der Union, die den Umfragen zufolge die nächste Regierung anführen wird. Geschürt wird eine Angst vor moralischem Verfall und gesellschaftlichen Zerwürfnissen. Dabei wird unsichtbar gemacht, dass eine solche Fristenregelung für viele Bürgerinnen der heutigen Bundesrepublik noch vor nicht allzu langer Zeit eine Selbstverständlichkeit war – ohne dass dies zu den heute bemühten Schreckensszenarien geführt hätte.
Die Rosa-Luxemburg-Stiftung sprach mit Margrit Gennburg, in der DDR aktiv in der Frauenförderung und heute für die Linke in der Gemeindevertretung Wustermark, über ihre persönlichen Erfahrungen damals und heute, die der aktuellen Erzählung trotzen.
Wie schaust du auf die gesetzliche Situation heute?
Margrit Gennburg: Ich habe schon sehr früh ein starkes Gefühl dafür entwickelt, dass ich über meinen Körper selbst entscheiden kann. In der DDR wurde das unter anderem durch den legalen Zugang zum Schwangerschaftsabbruch, aber auch die kostenfreie Abgabe der Pille unterstützt. Deshalb verursachen mir heute alle Angriffe auf dieses Bewusstsein enormen Stress und fast körperliche Schmerzen.
Die Medien und politische Manöver haben die ostdeutschen Erfahrungen insgesamt unsichtbar gemacht, aber eben auch besonders in Bezug auf das fortschrittlichere Abtreibungsrecht in der DDR. In unseren Körpern und unserem Geist sind sie jedoch weiterhin fest eingeschrieben. Ich glaube fest daran, dass wir die grundlegenden Reformen noch erleben werden und alle Frauen dann frei über eine Schwangerschaft entscheiden können.
Welche Erfahrungen waren das genau, auf die du dich beziehst?
Ich bin 1955 in Falkensee (Brandenburg) geboren und mit starken feministischen Vorbildern aufgewachsen, sodass ich mir alle meine Rechte immer genommen habe. Mit 16 Jahren bin ich zum Studium gegangen und habe es als selbstverständlich empfunden, dass mein Philosophiedozent mit uns über das neue Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch diskutierte. Die kostenlose Pille und dieses Gesetz gaben uns stets enorme Sicherheit. Gleichzeitig war auch das «Kinder bekommen» anders eingebettet. Einige meiner Kommilitoninnen wurden während des Studiums Mütter und wir halfen ihnen bei der Betreuung.
Ich fühlte mich um 200 Jahre zurückversetzt.
Ab 1989/90 setzte dann der sogenannte Gebärstreik ein: Junge Frauen gingen massenhaft in den Westen und wer hierblieb, wollte in solch unsicheren Zeiten nicht unbedingt Kinder zur Welt bringen. Auch für mich persönlich war es nach dem Umbruch in der DDR, angesichts einer großen Ungewissheit über die Zukunft und einer absoluten Überforderungssituation, undenkbar ein weiteres Kind zur Welt zu bringen. Zunächst waren wir arbeitslos und später arbeitete ich für die Hälfte meines früheren Gehaltes.
Und in genau dieser Zeit wurden uns dann durch die Einführung der Indikationslösung aus dem Westen auch noch die Möglichkeiten für eine gute Familienplanung genommen. Ich dachte nur: es ist kein Geld da, um im Fall des Falles eine Reise ins Ausland zu machen, um dort eine Abtreibung vornehmen zu können. Aber für Verhütung eben auch nicht.
Als dann am Ende meiner 40er meine Menstruation ausblieb war ich erschüttert. War ich schwanger oder waren das schon die Wechseljahre? Wie würde ich mich entscheiden? Im Falle einer Abtreibung müsste ich den ganzen Beratungsmist über mich ergehen lassen und ertragen, dass andere über meinen Körper entscheiden wollen. Kann ich das? Alles in mir schrie auf.
Ich fühlte mich um 200 Jahre zurückversetzt.
Wie erlebst Du die politischen Auseinandersetzungen um das Abtreibungsrecht?
In der PDS gab es dazu auch Anträge auf einem Parteitag und in der Diskussion stockte meiner Freundin und Kampfgefährtin und mir der Atem als wir merkten, dass nicht alle Delegierten so wie wir die freie Entscheidung über eine Schwangerschaft unterstützten. Aber der Antrag hat durch unsere Überzeugungsarbeit dann doch die Mehrheit bekommen.
Nach 1990 hatten wir erste Kontakte durch unsere AG LISA der PDS zu Frauengruppen in den Odenwald. Meine Erinnerung an unsere Gespräche ist, dass wir in dem Punkt völlig übereingestimmt haben. Sie wollten natürlich auch wissen, wie wir in der DDR mit dem Abtreibungsrecht gelebt haben.
Nach meiner Auffassung war und ist es ein Problem für die Ostfrauen, dass wir jetzt eine nach außen scheinbar ähnliche Regelung mit den drei Monaten haben. Richtig klar wird es erst der ungewollt Schwangeren, wenn sie eine Beratungsstelle suchen, einen rechtzeitigen Termin bekommen muss und dann den Schein bekommt mit dem sie straffrei abtreiben lassen darf. Für mich scheint es in der Gesellschaft nicht genügend bewusst zu sein, dass die Abtreibung ein Straftatbestand ist. Wenn es bewusster wäre, kämen wir auch schneller zu Protesten dagegen. In dieser Hinsicht müssen wir wohl den Austausch mit den Aktivistinnen und Aktivisten im Westen verbessern.